Vineta
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Das Ereignis auf der Grenzförsterei, das nicht verschwiegen bleiben konnte, da es mit dem Tode des Försters einen so ernsten Ausgang genommen hatte, rief begreiflicherweise eine große Aufregung in Wilicza hervor. Der Fürstin konnte nichts unerwünschter sein, als dieser offene und blutige Konflikt. Doktor Fabian und der Administrator gerieten in Bestürzung, und die Untergebenen, je nachdem sie nun zu dem Gutsherrn oder der Fürstin hielten, teilten sich in zwei Lager, die leidenschaftlich für oder gegen die Sache Partei nahmen. Nur einen einzigen Menschen gab es, den sie trotz ihres tragischen Ausgangs glücklich machte – den Assessor Hubert. Er befand sich, wie schon erwähnt, gerade im Hause des Administrators; jener Vorfall hob ihn sofort auf die Höhe der Situation, führte ihn in amtlicher Eigenschaft nach dem Schlosse, zwang Herrn Nordeck, in unmittelbaren Verkehr mit ihm zu treten – alles Dinge, die Hubert längst ersehnt hatte, ohne sie bisher erreichen zu können.

Waldemar hatte ihm in aller Kürze angezeigt, daß er, zur äußersten Notwehr gedrängt, den Förster Osiecki erschossen habe, nachdem dieser einen Mordversuch auf ihn gemacht. Er hatte gleichzeitig den Beamten ersucht, die nötigen Schritte zur Klarstellung der Sache in L. zu veranlassen, und sich zu jeder Vernehmung bereit erklärt, und der Vertreter des Polizeidepartements von L. war groß gewesen in der Entfaltung seiner Thätigkeit. Er stürzte sich mit wütendem Eifer auf die Untersuchung, die ihm anheimfiel, und machte die unglaublichsten Vorbereitungen dazu, aber leider vergebens. Er wollte natürlich vor allen andern Dingen das Personal der Försterei als Zeugen des Vorfalls vernehmen, aber man fand das Forsthaus am nächsten Tage leer und verlassen. Die Leute hatten es vorgezogen, sich allen gerichtlichen Weitläufigkeiten zu entziehen, indem sie einen längst geplanten Entschluß ausführten und während der Nacht über die Grenze gingen. Ihre genaue Bekanntschaft mit der Gegend machte ihnen das leicht, trotz der scharfen Bewachung von beiden Seiten. Sie waren unzweifelhaft drüben zu den Insurgenten gestoßen, deren Stellungen sie genau kannten, und unerreichbar für den Arm der Gerechtigkeit, der sich vermittelst des Assessors so verlangend nach ihnen ausstreckte. Hubert war untröstlich.

»Sie sind fort,« sagte er niedergeschlagen zu dem Administrator. »Sie sind sämtlich auf und davon. Auch nicht ein einziger ist zurückgeblieben – «

»Das hatte ich Ihnen vorher sagen können,« meinte Frank. »Es war unter diesen Umständen das klügste, was die Leute thun konnten. Drüben sind sie sicher vor einer Untersuchung, die sie wahrscheinlich als Mitschuldige entlarvt hätte.«

»Aber ich wollte sie vernehmen,« rief der Assessor empört. »Ich wollte sie sämtlich verhaften lassen.«

»Ebendeshalb zogen sie es vor, sich unsichtbar zu machen, und, offen gestanden, ich bin froh, daß es so gekommen ist. Die wilde Gesellschaft da hinten auf der Grenzförsterei war stets eine Gefahr für uns; jetzt sind wir sie los, ohne weiteren Lärm; wiederkommen wird sie schwerlich – also lassen wir sie laufen! Herr Nordeck will nicht, daß viel Aufhebens davon gemacht wird.«

»Herr Nordeck hat in diesem Falle gar nichts zu wollen,« erklärte Hubert in seinem feierlichsten Amtston. »Er hat sich der Majestät des Gesetzes zu beugen, das die strengste, rücksichtsloseste Untersuchung fordert. Zwar soweit die Sache ihn betrifft, ist sie zweifellos. Er hat nur sein Leben verteidigt und erst abgedrückt, nachdem der Förster auf ihn geschossen. Sein Wort in dieser Hinsicht wird durch das Zeugnis des Kutschers, durch das Entweichen des Forstpersonals, überhaupt durch die ganze Sachlage bestätigt. Ihn wird man höchstens mit einigen Vernehmungen behelligen und dann unbedingt freisprechen. Es handelt sich aber hier noch um ganz andre Dinge; wir haben es mit einem Aufruhr, mit einer zweifellosen Verschwörung – «

Der Administrator sprang auf: »Um Gottes willen! Fangen Sie schon wieder damit an?«

»Mit einer Verschwörung zu thun,« vollendete Hubert, ohne sich stören zu lassen. »Ja, Herr Frank, es war eine solche – alle Thatsachen sprechen dafür.«

»Unsinn!« sagte der Administrator derb. »Es war eine Revolte gegen den Gutsherrn persönlich und nichts weiter. Bei Osiecki und seinen Leuten waren die Gewaltthätigkeiten an der Tagesordnung, und die Fürstin ließ ihnen alles hingehen, weil sie und ihre Befehle unbedingt respektiert wurden. Gehorsam gegen einen andern kannte die wilde Bande nicht, und als sie der Herr das lehren und ihr den Gebieter zeigen wollte, griff sie zur Büchse. Ein andrer an seiner Stelle wäre verloren gewesen, ihn aber hat seine Energie und Kaltblütigkeit gerettet. Er schoß den Mordbuben, den Osiecki, ohne weiteres nieder, und das imponierte den andern dermaßen, daß sich keiner mehr zu rühren wagte. Die Sache ist so klar und einfach wie nur möglich, und ich begreife nicht, wie Sie darin schon wieder eine Verschwörung finden wollen.«

»Und wie erklären Sie denn die Anwesenheit der Gräfin Morynska?« fiel der Assessor mit einem solchen Triumph ein, als habe er soeben einen Angeklagten des in Rede stehenden Verbrechens überführt. »Was hatte die Gräfin auf der Försterei zu thun, die zwei Stunden von Rakowicz entfernt liegt und zu Wilicza gehört? Man kennt ja die Rolle, welche sie und die Fürstin bei der ganzen Bewegung spielen. Die Frauen sind bei diesem Volk die allergefährlichsten. Alles wissen sie, alles leiten sie; das ganze politische Intriguennetz liegt in ihren Händen, und Gräfin Morynska ist die echte Tochter ihres Vaters, die gelehrige Schülerin ihrer Tante. Ihre Anwesenheit auf der Försterei beweist sonnenklar die Verschwörung. Sie haßt ihren Vetter mit dem ganzen Fanatismus ihres Volkes – sie allein hat den meuchlerischen Ueberfall geplant. Darum stand sie auf einmal, wie aus der Erde gewachsen, mitten in dem Tumult; darum versuchte sie Herrn Nordeck die Waffe zu entreißen, als er auf Osiecki anlegte, und hetzte diesen und seine Leute bis zum Mordversuche gegen ihren Herrn. Aber dieser Waldemar ist doch großartig. Nicht allein, daß er den ganzen Aufruhr niederzwang, er versicherte sich auch der Anstifterin und brachte sie mit Gewalt nach Wilicza. Trotz all ihres Sträubens hat er seine verräterische Cousine aus der Mitte ihrer Anhänger gerissen, sie in den Schlitten gehoben und ist mit ihr davongejagt, als gelte es Tod und Leben. Denken Sie, er hat sie wahrend der ganzen Fahrt keines Wortes gewürdigt, nicht eine Silbe sprachen sie miteinander, aber ihre Hand hat er nicht einen einzigen Augenblick losgelassen, um jeden Fluchtversuch zu hindern. Ich weiß das alles genau – ich habe den Kutscher darüber sehr ausführlich vernommen –«

»Jawohl, Sie haben ihn drei Stunden lang hintereinander vernommen,« unterbrach ihn der Administrator ärgerlich, »bis der arme Mensch ganz wirr im Kopfe war und zu allem ›ja‹ sagte. Er hat von seinem Standpunkt draußen am Fenster gar keine Einzelheiten unterscheiden können und nichts gesehen als einen wilden Tumult, in dessen Mitte sich der Herr und die junge Gräfin befanden. Gleich darauf fielen die beiden Schüsse, und da ist der Kutscher eingestandenermaßen in voller Angst zu seinen Pferden zurückgelaufen – alles übrige haben Sie ihm in den Mund gelegt. Nur die Aussage des Herrn Nordeck ist von Gewicht.«

Der Assessor sah sehr beleidigt aus und hatte nicht übel Lust, das Polizeidepartement von L. herauszukehren, dessen Verfahren in dem seinigen so unerhört mißachtet und kritisiert wurde, aber er besann sich noch zur rechten Zeit, daß es ja der künftige Schwiegervater sei, der sich diese Zurechtweisung erlaubte, und dem mußte man dergleichen schon hingehen lassen, wenn es auch beklagenswert blieb, daß er nicht mehr Respekt vor der amtlichen Unfehlbarkeit seines künftigen Schwiegersohns hegte. Dieser verschluckte also seinen Aerger und entgegnete in gereiztem Ton:

»Herr Nordeck benimmt sich, wie gewöhnlich, sehr souverän. Er machte mir die Anzeige so kurz wie möglich, ohne alle Einzelheiten, und verweigerte mir ohne weiteres das Zeugnis der Gräfin Morynska, die ich gleichfalls zu vernehmen wünschte, unter dem Vorwand, daß seine Cousine sich unwohl befinde. Dabei gibt er Befehle, trifft Unordnungen, als ob ich gar nicht da wäre, und thut überhaupt, als habe kein Mensch außer ihm ein Wort in der Sache zu reden, die er am liebsten ganz und gar der Oeffentlichkeit entziehen möchte. – ›Herr Nordeck‹ sagte ich zu ihm, ›Sie täuschen sich vollständig, wenn Sie jenen Vorfall nur für den Ausbruch eines Privathasses ansehen: die Sache liegt weit tiefer, und ich durchschaue sie. Es war ein planmäßig vorbereiteter Aufruhr, eine zu früh ausgebrochene Verschwörung, die sich allerdings in erster Linie gegen Sie richtete, aber jedenfalls weitere Zwecke hatte. Sie galt der Ordnung, dem Gesetz, der Regierung. Wir müssen untersuchen, müssen unsre Maßregeln nehmen‹ – Wissen Sie, was er mir zur Antwort gab? – ›Herr Assessor, Sie täuschen sich vollständig, wenn Sie die Gewaltthätigkeit eines rohen Menschen gegen mich zu einer Haupt- und Staatsverschwörung stempeln. Jedenfalls ist Ihre Untersuchung durch das Entweichen des Forstpersonals gegenstandslos geworden, und Sie wären bei dem gänzlichen Mangel an Verschwörern und Hochverrätern am Ende genötigt, wieder auf mich und Doktor Fabian zurückzugreifen, wie dies schon einmal geschah. Es ist also nur in Ihrem eigenen Interesse, wenn ich Sie bitte, Ihren Amtseifer zu mäßigen. Ich habe Ihnen das nötige Material zu Ihren Berichten in L. gegeben, und wegen der Gefahr für Ordnung und Gesetz hier in Wilicza brauchen Sie nicht zu sorgen. Ich denke ihr noch allein gewachsen zu sein.‹ Damit machte er mir eine kalte, vornehme und unglaublich hochmütige Verbeugung und – ließ mich stehen,«

Der Administrator lachte. »Das hat er von seiner Mutter. Ich kenne diese Manier noch von der Fürstin Baratowska her; sie hat mich oft genug zur Verzweiflung gebracht. Dagegen hilft kein Aerger und kein Bewußtsein des guten Rechtes. Es ist eine eigene Art von Ueberlegenheit, die trotz alledem imponiert, und die zum Beispiel Fürst Leo gar nicht besitzt. Der läßt sich bei jeder Gelegenheit zur Heftigkeit fortreißen, nur der älteste Sohn hat diesen Zug geerbt – es ist in solchen Momenten, als ob man die Mutter selbst sähe und hörte, so wenig er ihr auch sonst gleicht. In einem aber hat Herr Nordeck recht: mäßigen Sie Ihren Amtseifer! Er brachte Sie schon einmal in Unannehmlichkeiten.«

»Das ist mein Schicksal,« sagte der Assessor düster. »Mit den edelsten Zwecken, mit aller meiner Hingebung und meinem glühenden Eifer für das Wohl des Staates ernte ich doch nur Undank, Verkennung, Zurücksetzung. Ich bleibe dabei, es war eine Verschwörung, endlich hatte ich eine, und nun gleitet sie mir wieder aus den Händen. Osiecki ist tot; seine Leute sind auf und davon; von der Gräfin Morynska werden keine Geständnisse zu erlangen sein – ich kann nur einen einfachen Bericht machen, nichts weiter. Wäre ich wenigstens gestern mit auf der Försterei gewesen! Heute morgen war sie leer. Es ist mein Geschick, überall zu spät zu kommen.«

Der Administrator räusperte sich sehr vernehmlich. Er gedachte die ohnehin elegische Stimmung Huberts zu benutzen, um das Gespräch auf dessen Bewerbung zu bringen, und ihm rund heraus zu erklären, daß er sich keine Hoffnungen auf die Hand seiner Tochter machen dürfe. Gretchen hatte sich in der That nicht besonnen, sondern war bei ihrem Nein geblieben, und ihr Vater stand eben im Begriff, dem Freier diese betrübende Eröffnung zu machen, als der Kutscher Waldemars, der diesen und die Gräfin Morynska gestern gefahren hatte und seitdem Gegenstand der unausgesetzten Vernehmungen des Assessors gewesen war, mit einem Auftrag seines Herrn erschien.

Jetzt war es vorbei mit der Resignation Huberts, aber auch mit seiner Aufmerksamkeit für andre Dinge. Er vergaß Verkennung und Zurücksetzung, besann sich auf der Stelle, daß er noch einige sehr wichtige Fragen an den Kutscher zu thun habe, und nahm ihn, trotz aller Proteste Franks, mit sich auf sein Zimmer, um dort die Vernehmung mit frischen Kräften fortzusetzen.

Der Administrator schüttelte den Kopf. Er begann sich jetzt auch der Ansicht zuzuneigen, daß etwas Krankhaftes in dem Wesen des Assessors liege, und fing an zu begreifen, daß seine Tochter nicht so unrecht hatte, wenn sie einen solchen Bewerber ausschlug, dessen wütender Amtseifer so wenig zu mäßigen war, wie man ihn von seiner fixen Idee hinsichtlich der überall bestehenden Verschwörungen abbringen konnte.

In diesem Augenblick jedoch folgte Gretchen nur dem Beispiel des Assessors; sie inquirierte gleichfalls sehr scharf und eingehend, und zwar war es Doktor Fabian, der drüben im Wohnzimmer vor ihr saß und in aller Form vernommen wurde. Er hatte ausführlich berichten müssen, was er selber über den gestrigen Vorgang von Herrn Nordeck erfahren; das war aber leider nicht mehr, als man bereits im Hause des Administrators wußte. Waldemar hatte dem Doktor, wie allen übrigen, auch nur die Thatsachen mitgeteilt und über manches, so zum Beispiel über die Beteiligung der Gräfin Morynska daran, ein vollständiges Schweigen beobachtet. Das war nun aber gerade der Punkt, über welchen Gretchen Frank ins klare zu kommen wünschte. Die Behauptung des Assessors, daß die junge Gräfin ihren Vetter so glühend hasse, daß sie sogar den Ueberfall auf der Försterei geplant, wollte ihr nicht recht einleuchten; sie ahnte mit echt weiblichem Instinkt eine ganz andre geheime Beziehung zwischen den beiden und wurde sehr ungehalten, als sie so gar nichts Näheres darüber erfahren konnte.

»Sie verstehen Ihren Einfluß gar nicht zu benutzen, Herr Doktor,« sagte sie vorwurfsvoll, »Wenn ich der Freund und Vertraute des Herrn Nordeck wäre, ich wüßte besser in seinen Angelegenheiten Bescheid. Jede Kleinigkeit müßte er mir berichten; ich hätte ihn gleich von Anfang daran gewöhnt.«

Der Doktor lächelte ein wenig. »Das würden Sie schwerlich zu stande gebracht haben. Eine Natur wie die Waldemars läßt sich überhaupt nicht gewöhnen, am wenigsten zur Mitteilung. Er kennt gar nicht das Bedürfnis, sich auszusprechen oder sein Inneres jemand aufzuschließen. Was auch in ihm vorgehen mag, er macht es mit sich allein aus; seine Umgebung erfährt nie etwas davon, und man muß ihn so lange und so genau kennen wie ich, um zu wissen, daß er überhaupt empfindet.«

»Natürlich – er hat kein Herz,« sagte Gretchen, die mit ihrem Urteil immer sehr schnell fertig war. »Das sieht man ja auf den ersten Blick. Es weht einen förmlich kalt an, sobald er ins Zimmer tritt, und mich fröstelt jedesmal, wenn er mit mir spricht. Fürchten hat ihn jetzt ganz Wilicza gelernt, lieben auch nicht ein einziger, und selbst meinem Vater steht er, trotz aller seiner Freundlichkeit und Rücksicht gegen uns, noch gerade so fremd gegenüber, wie am Tage seiner Ankunft. Ich bin überzeugt, er hat noch nie ein menschliches Wesen geliebt, am wenigsten eine Frau – er ist vollständig herzlos.«

»Bitte, mein Fräulein –« Fabian geriet förmlich in Hitze bei der Antwort. »Da thun Sie ihm großes Unrecht. Er hat Herz, mehr als Sie glauben, mehr vielleicht als der feurige, leidenschaftliche Fürst Baratowski. Waldemar versteht nur nicht das seinige zu zeigen, oder vielmehr er will es nicht. Schon bei dem Knaben habe ich diesen Zug starrer Zurückhaltung und Verschlossenheit beobachtet und jahrelang umsonst dagegen angekämpft, bis ein zufälliges Ereignis, eine Gefahr, die mich bedrohte, das Eis brach. Erst seit jener Stunde kenne ich Waldemar, wie er wirklich ist.« »Nun, liebenswürdig ist er nicht, das bleibt ausgemacht,« entschied Gretchen, »und ich begreife nicht, wie Sie mit einer solchen Zärtlichkeit an ihm hängen können. Sie waren ja gestern ganz außer sich wegen der überstandenen Gefahr, die er seinerseits sehr leicht nahm, und heute ist sicher wieder irgend etwas im Schlosse vorgegangen, denn Sie sind im höchsten Grade aufgeregt und verstimmt. Gestehen Sie es mir nur ein! Ich sah es schon, als Sie eintraten. Bedroht Herrn Nordeck denn noch irgend etwas?«

»Nein, nein,« sagte der Doktor hastig. »Es handelt sich gar nicht um Waldemar; die Sache geht mich allein an. Sie hat mich allerdings sehr aufgeregt, aber verstimmt – nein, mein Fräulein, durchaus nicht. Ich habe heute morgen Nachrichten aus J. erhalten.«

»Hat dieses wissenschaftliche und historische Ungetüm, dieser Professor Schwarz, Ihnen schon wieder Verdruß bereitet?« fragte die junge Dame mit kampflustiger Miene, als sei sie auf der Stelle bereit, sich in eine erbitterte Fehde mit der genannten Autorität einzulassen.

Fabian schüttelte den Kopf. »Ich fürchte, daß ich es diesmal bin, der ihm den ärgsten Verdruß bereitet, wenn auch wahrhaftig gegen meinen Willen. Sie wissen ja, daß es meine ›Geschichte des Germanentums‹ war, die den ersten Anlaß zu dem unglücklichen Streit zwischen ihm und dem Professor Weber gab, einem Streit, der immer größere Ausdehnung annahm und zuletzt auf die Spitze getrieben wurde. Schwarz, heftig wie er von Natur ist, überdies gereizt und erbittert durch die Wichtigkeit, die man meinem Buch beilegte, ließ sich zu Persönlichkeiten, zu einem fast unverantwortlichen Benehmen gegen seinen Kollegen hinreißen und drohte, als die ganze Universität auf dessen Seite trat, seine Entlassung zu nehmen. Es war wohl nur ein Versuch, seine Unentbehrlichkeit in das rechte Licht zu stellen – er hat nie ernstlich daran gedacht, J. zu verlassen, aber sein schroffes Wesen hat ihm auch unter den maßgebenden Persönlichkeiten viel Feinde geschaffen, genug, man machte keinen Versuch, ihn zu halten und nahm als Thatsache, was nur eine Drohung sein sollte. Da blieb ihm freilich nichts übrig, als auf dem schon öffentlich kundgegebenen Entschluß zu beharren. Es ist jetzt entschieden, daß er die Universität verläßt.«

»Das ist ein Glück für die Universität,« bemerkte Gretchen trocken. »Aber ich glaube wahrhaftig, Sie sind im stande, sich Gewissensbisse darüber zu machen. Das sieht Ihnen ähnlich.«

»Es ist nicht das allein,« sagte Fabian leise und mit stockender Stimme. »Es ist ja die Rede davon, daß – daß ich seine Stelle einnehmen soll. Professor Weber schreibt mir, man beabsichtige den auf diese Weise erledigten Lehrstuhl mir anzubieten – mir, dem einfachen Privatgelehrten, der noch gar keine akademische Thätigkeit aufzuweisen hat, dessen einziges Verdienst in seinem Buch besteht, dem ersten, das er veröffentlicht – es ist etwas so Ungewöhnliches, Unerhörtes, daß ich mich anfangs vor Ueberraschung und Bestürzung gar nicht zu fassen wußte.«

Gretchen sah weder überrascht noch bestürzt aus, sie schien die Sache vielmehr ganz in der Ordnung zu finden. »Da handelt man sehr vernünftig,« meinte sie. »Sie sind viel bedeutender als Professor Schwarz. Ihr Werk steht hoch über seinen Schriften, und wenn Sie erst auf seinem Lehrstuhl sitzen, werden Sie seine ganze Berühmtheit verdunkeln.«

»Aber, mein Fräulein, Sie kennen ja weder den Professor noch seine Schriften,« warf der Doktor schüchtern ein.

»Das ist gleichgültig – ich kenne Sie,« erklärte das junge Mädchen mit einer Ueberlegenheit, gegen die sich schlechterdings nichts einwenden ließ. »Sie werden doch selbstverständlich die Berufung annehmen?«

Fabian sah vor sich nieder. Es vergingen einige Sekunden, bevor er antwortete.

»Ich glaube kaum. So ehrenvoll die Auszeichnung auch ist, ich wage nicht, sie anzunehmen, denn ich fürchte, einer so bedeutenden Stellung nicht gewachsen zu sein. Die jahrelange Zurückgezogenheit, das einsame Leben bei meinen Büchern haben mich für die Oeffentlichkeit fast untauglich gemacht und ganz unfähig, all den äußeren Anforderungen zu genügen, die sich an eine solche Stellung knüpfen. Endlich der Hauptgrund – ich kann Waldemar nicht verlassen, zumal jetzt nicht, wo so manches auf ihn einstürmt. Ich bin der einzige, der ihm nahe steht, dessen Umgang er vermissen würde; es wäre der Gipfel aller Undankbarkeit, wollte ich jetzt um äußerer Vorteile willen –«

»Und es wäre der Gipfel alles Egoismus, wenn Herr Nordeck dieses Opfer annehmen wollte,« fiel Gretchen ein. »Zum Glück wird er das nicht thun und nie zugeben, daß Sie um seinetwillen eine Zukunft zurückweisen, die für Sie das ganze Lebensglück einschließt.«

»Für mich?« wiederholte der Doktor in gedrücktem Ton; »da irren Sie doch. Ich habe von jeher meine ganze Befriedigung in dem Studium gesucht und gefunden und es schon als eine besondere Gunst des Schicksals angesehen, als mir in dem Zögling, der mir einst so vollständig fern stand, ein Freund erwuchs. Was man so Lebensglück nennt, eine Heimat, eine Familie, das habe ich nie gekannt und werde es wohl schwerlich kennen lernen. Jetzt, wo mir ein so ungeahnter Erfolg zu teil geworden ist, wäre es vollends Vermessenheit, auch das noch zu begehren; ich bescheide mich gern mit dem, was mir geworden ist.«

Die Worte klangen trotz aller Ergebung doch recht schmerzlich, aber die junge Zuhörerin schien gar kein Mitleid dabei zu empfinden. Sie warf verächtlich die Lippen auf.

»Sie sind eine eigene Natur, Herr Doktor, Ich würde bei einer so entsagungsvollen Lebensansicht verzweifeln.«

Der Doktor lächelte wehmütig. »Bei Ihnen ist das auch etwas andres. Wer wie Sie jung, anmutig, in freien glücklichen Verhältnissen aufgewachsen ist, der hat das Recht, Glück vom Leben zu erwarten und zu verlangen. Möge es Ihnen im reichsten Maß zu teil werden – das ist mein innigster Wunsch. Aber gewiß, Assessor Hubert liebt Sie und –« »Was hat denn Assessor Hubert schon wieder mit meinem Glück zu thun?!« fuhr Gretchen auf. »Sie machten schon einmal eine solche Andeutung. Was meinen Sie nur damit?«

Fabian geriet in die äußerste Verlegenheit. »Ich bitte um Verzeihung, wenn ich indiskret war,« stotterte er. »Es fuhr mir nur so heraus – ich weiß ja, daß das Verhältnis noch kein öffentlich erklärtes ist, aber meine innige Teilnahme mag es entschuldigen, wenn ich – «

»Wenn Sie was –?« rief das junge Mädchen mit vollster Heftigkeit. »Ich glaube, Sie halten mich im vollen Ernst für die Braut dieses albernen langweiligen Hubert, der mir den ganzen Tag lang von nichts weiter erzählt, als von Verschwörungen und von seinem künftigen Regierungsratstitel.«

»Aber, mein Fräulein,« sagte Fabian aufs höchste betroffen, »der Assessor selbst teilte mir bereits im Herbst mit, daß er bestimmte Hoffnungen habe und mit vollster Sicherheit auf Ihr Jawort rechnen dürfe.«

Gretchen sprang auf, so daß der Stuhl zurückflog. »Da haben wir es! Aber daran sind Sie schuld, Herr Doktor Fabian, Sie allein. Sehen Sie mich nicht so erstaunt und erschrocken an! Sie haben mich damals verleitet, den Assessor nach Janowo zu schicken, wo er sich den Schnupfen holte. Aus Furcht, er könne ernstlich krank werden, nahm ich den Patienten in Pflege. Seitdem ist es bei ihm zur fixen Idee geworden, ich liebe ihn, und von seinen fixen Ideen ist er nicht abzubringen – das sehen wir an den ewigen Verschwörungsgeschichten.«

Sie weinte fast vor Aerger, das Gesicht des Doktors aber verklärte sich förmlich bei dieser ungeheuchelten Entrüstung.

»Sie lieben den Assessor nicht?« fragte er mit fliegendem Atem. »Sie beabsichtigen nicht, ihm Ihre Hand zu geben?«

»Einen Korb werde ich ihm geben, wie er noch nicht dagewesen ist,« versetzte die junge Dame energisch, und war im Begriff, noch einige Injurien gegen den armen Hubert hinzuzufügen, als sie dem Blick des Doktors begegnete. Sie wurde auf einmal dunkelrot und verstummte völlig.

Die nun entstehende Pause dauerte ein wenig lange. Fabian rang offenbar mit einem Entschluß, der ihm bei seiner Schüchternheit sehr schwer fiel; er setzte mehreremal vergebens zum Sprechen an; vorläufig sprachen nur seine Augen, aber so deutlich, daß Gretchen nicht gut im Zweifel bleiben konnte über das, was ihr bevorstand.

Diesmal jedoch fiel es ihr nicht ein, davonzulaufen oder ein paar Saiten auf dem Klavier entzweizuschlagen, wie sie es mit Vorliebe that, wenn die Gefühle des Assessors zum Ausbruch zu kommen drohten; sie hatte sich wieder hingesetzt und wartete der kommenden Dinge.

Nach einer Weile näherte sich denn auch der Doktor, freilich sehr scheu und ängstlich.

»Mein Fräulein,« begann er. »Ich glaubte in der That – das heißt: ich setzte voraus – die innige Neigung des Assessors für Sie –«

Er hielt inne und besann sich, daß es doch sehr unpraktisch sei, von der innigen Neigung des Assessors zu reden, wo er von der seinigen sprechen wollte. Gretchen sah, daß er im Begriff stand, sich rettungslos zu verwickeln, und daß sie ihm zu Hilfe kommen müsse, was denn auch geschah. Es war freilich nur ein Blick, den sie ihrem zaghaften Freier zuwarf, aber er sprach ebenso deutlich, wie vorhin der seinige. Der Doktor faßte auf einmal Mut und ging mit unerhörter Kühnheit vorwärts.

Gretchen sah, daß er im Begriff stand, sich rettungslos zu verwickeln, und daß sie ihm zu Hilfe kommen müsse.

»Der Irrtum hat mich sehr glücklich gemacht,« sagte er. »Noch gestern hätte ich nicht gewagt, Ihnen das zu gestehen, obgleich es mir fast das Herz abdrückte. Wie konnte ich, dessen ganze Existenz von der Großmut Waldemars abhängig war, Ihnen mit Wünschen nahen! Der heutige Morgen hat das alles geändert. Die Zukunft, die man mir bietet, läßt es wenigstens nicht mehr als eine Vermessenheit erscheinen, wenn ich meinen Gefühlen Worte gebe. Fräulein Margarete, Sie haben mir vorhin meine entsagungsvolle Natur zum Vorwurf gemacht; wenn Sie wüßten, wie sehr ich von jeher auf die Entsagung angewiesen war, Sie würden den Vorwurf zurücknehmen. Ich bin stets einsam und unbeachtet durch das Leben gegangen, mit einer trüben und freudenlosen Jugend, mit den härtesten Entbehrungen habe ich mir das Studium erkaufen müssen, und doch nichts damit gewonnen, als eine Abhängigkeit von fremden Launen oder fremder Güte. Glauben Sie mir, es ist schwer, mit einem ernsten hohen Streben, mit der glühenden Begeisterung für die Wissenschaft im Herzen, Tag für Tag zu der Fassungskraft von Knaben herabzusteigen, die man in den Anfangsgründen des Lernens unterrichten muß, und ich habe das lange thun müssen, sehr lange, bis Waldemar mir die Möglichkeit gab, meinen Studien zu leben, und mir die Laufbahn öffnete, die sich jetzt vor mir aufthut. Es ist wahr, ich wollte sie ihm opfern, wollte ihm die ganze Berufung verschweigen, aber damals hielt ich Sie noch für die Braut eines andern, jetzt dagegen« – er hatte die Hand des jungen Mädchens ergriffen; fort waren Scheu und Verlegenheit, jetzt wo er einmal in Fluß gekommen war, stürzten ihm die Worte nur so von den Lippen – »jene Zukunft verheißt mir so vieles; ob sie mir auch Glück verheißen soll, das liegt einzig in Ihren Händen. Entscheiden Sie, ob ich sie annehmen oder zurückweisen soll, Margarete–!«

Er war jetzt genau so weit gekommen, wie damals der Assessor, als er die große Kunstpause machte, die seinem beabsichtigten Kniefall voranging, und mit beiden stecken blieb, weil seine Angebetete gerade im entscheidenden Augenblick davonlief. Der Doktor versuchte nun zwar keinen Kniefall, dafür vermied er aber auch glücklich die verhängnisvolle Pause; er sprach ohne Stocken und Zögern weiter, während Gretchen mit niedergeschlagenen Augen vor ihm saß und mit unendlicher Befriedigung zuhörte, und Liebeserklärung, Jawort und sogar die schließliche Umarmung gingen prompt und ohne Störung von statten, –

Herr Assessor Hubert kam die Treppe herunter; er hatte den Kutscher wieder einmal vernommen, und zwar so lange und so ausführlich, bis sie beide müde und matt waren, und gedachte nun, sich von den anstrengenden Pflichten seines Amtes zu erholen, indem er den Gefühlen seines Herzens freien Lauf ließ. Der arme Hubert! Er hatte ja selbst gesagt, daß es sein Schicksal sei, überall zu spät zu kommen; wie sehr dies aber gerade heute der Fall war, ahnte er noch gar nicht. Seine Abreise war auf den Nachmittag festgesetzt, aber vorher wollte und mußte er noch mit seiner Bewerbung ins klare kommen. Er war fest entschlossen, diesmal nicht ohne Jawort abzureisen, und in dem Eifer dieses Entschlusses öffnete er die Thür des Vorzimmers so energisch und geräuschvoll, daß das neue Brautpaar im anstoßenden Gemach Zeit hatte, eine ganz unverfängliche Haltung anzunehmen. Gretchen saß am Fenster und der Doktor stand bei ihr, dicht neben dem Klavier, das zur großen Erleichterung des eintretenden Assessors diesmal geschlossen war.

Hubert grüßte herablassend. Es lag stets etwas Gönnerhaftes in seinem Wesen, wenn er mit dem Doktor verkehrte, der in seinen Augen nichts weiter war, als ein pensionierter Hauslehrer, dessen ganze Wichtigkeit in seinen Beziehungen zu dem Herrn von Wilicza bestand. Heute nun, bei der beabsichtigten Erklärung, war ihm Fabian im Wege, und er gab sich durchaus keine Mühe, das zu verbergen.

»Ich bedaure zu stören. Sie halten wohl gerade französische Uebung mit dem Fräulein?«

Der Ton war so nachlässig, so ganz in der Art, wie man zu einem bezahlten Lehrer spricht, daß selbst die Gutmütigkeit des Doktors nicht davor standhielt. Er hatte es bisher noch nie über sich gewonnen, dieses Benehmen zu rügen, das sich Hubert oft genug gegen ihn erlaubte, heute aber verletzte es seine neue Bräutigamswürde doch gar zu empfindlich; er richtete sich empor und sagte mit einer Haltung, die Gretchens höchste Befriedigung erregte:

»Sie irren – wir übten uns in einer ganz andern Wissenschaft.«

Der Assessor merkte durchaus nichts; er war ganz mit dem Gedanken beschäftigt, wie er diesen unbequemen Menschen möglichst schnell beseitigen könne.

»In der historischen vielleicht?« fragte er spöttisch. »Das ist ja wohl Ihr Steckenpferd? Leider ist es wenig geeignet für junge Damen. Sie werden das Fräulein damit langweilen, Herr Doktor Fabian.«

Dieser wollte antworten, aber Gretchen kam ihm zuvor; sie fand, daß es jetzt die höchste Zeit war, dem Herrn Assessor einen Dämpfer aufzusetzen, und unterzog sich dieser Mühe mit außerordentlichem Wohlgefallen.

»Sie werden dem Herrn Doktor wohl bald einen andern Titel geben müssen,« sagte sie nachdrücklichst. »Er steht im Begriff, eine Professur in J. anzunehmen, die man ihm wegen seiner außerordentlichen wissenschaftlichen und litterarischen Verdienste angeboten hat.«

»Wa – was?« rief der Assessor zurückprallend, aber noch mit dem Ausdruck des vollsten Unglaubens. Er konnte sich in diese plötzliche Verwandlung des stets übersehenen Fabian in einen Universitätsprofessor unmöglich so schnell finden.

Bei dem letztern hatte die Gutmütigkeit schon wieder die Oberhand gewonnen, und der Gedanke an die doppelte Kränkung, die er dem Neffen seines Gegners und dem unglücklichen Bewerber seiner Braut notgedrungen zufügen mußte, regte seine ganze Gewissenhaftigkeit auf,

»Herr Assessor,« begann er, in der Voraussetzung, Hubert sei bereits von den letzten Vorgängen auf der Universität unterrichtet, was aber noch keineswegs der Fall war, »es ist mir sehr peinlich, von Ihrem Herrn Onkel so verkannt zu werden, wie es leider den Anschein hat. Niemand kann aufrichtiger als ich seine großen Verdienste schätzen und anerkennen. Seien Sie überzeugt, daß ich nicht den mindesten Anteil an dem Streit habe, den meine ›Geschichte des Germanentums‹ hervorrief. Professor Schwarz scheint zu glauben, daß ich aus eigensüchtigen Motiven jenen Streit geschürt und auf die Spitze getrieben hätte.«

Jetzt begann dem Assessor ein Licht aufzugehen, aber ein schreckliches. Er kannte nicht den Namen jenes »obskuren Menschen«, den die Gegenpartei auf den Schild gehoben hatte, indem sie sich unterfing, sein Werk neben, ja über die Schwarzschen Schriften zu stellen, aber er wußte, daß es sich dabei um eine »Geschichte des Germanentums« handelte, und die Worte Fabians ließen ihm keinen Zweifel mehr, daß der Verfasser dieses Buches, dieser Intrigant, dieser Attentäter auf die Familienberühmtheit, leibhaftig vor ihm stehe. Er wollte seinem Erstaunen, seiner Entrüstung Worte leihen, als Gretchen, die sich schon berufen fühlte, die künftige Frau Professorin zu vertreten, von neuem dazwischen fuhr.

»Jawohl, Professor Schwarz könnte das glauben,« wiederholte sie, »und dies um so mehr, da Doktor Fabian ausdrücklich berufen ist, ihn zu ersetzen und seinen Lehrstuhl in J. einzunehmen. Sie wissen doch bereits, daß Ihr Onkel seine Entlassung genommen hat?«

Der Assessor rang in einer so beängstigenden Weise nach Atem, daß Fabian einen bittenden Blick zu seiner Braut hinüber sandte, aber diese blieb mitleidlos. Sie konnte es nicht vergessen, daß Hubert schon vor Monaten sich ihres Jawortes gerühmt hatte, und wollte ihm eine Lehre dafür geben; deshalb spielte sie ihren letzten Trumpf aus und ergriff sehr förmlich die Hand des Doktors.

»Und gleichzeitig, Herr Assessor, habe ich das Vergnügen, Ihnen in dem künftigen Professor Fabian, dem Nachfolger Ihres berühmten Onkels, meinen Bräutigam vorzustellen.« – – –

»Ich glaube, der Assessor ist übergeschnappt,« sagte Frank, der draußen auf dem Hofe stand, mit besorgter Miene zu seinem Inspektor. »Er kommt wie ein Tollhäusler aus dem Hause gestürzt, rennt mich fast über den Haufen, ohne zu grüßen, ohne mir Rede zu stehen, und schreit nach seinem Wagen. Er war schon den ganzen Morgen so aufgeregt. Wenn ihm nur die Verschwörungsgeschichten nicht zu Kopfe gestiegen sind! Gehen Sie ihm doch einmal nach und sehen Sie, was er macht und ob er nicht etwa ein Unglück anrichtet!«

Der Inspektor zuckte die Achseln und deutete auf den Wagen, der soeben in vollem Trabe abfuhr. »Es ist zu spät, Herr Administrator – da fährt er eben hin.«

Frank schüttelte sehr bedenklich den Kopf und trat in das Haus, wo ihm nun allerdings die Erklärung für den Sturmlauf des Assessors zu teil wurde und seine ernstlichen Zweifel an dessen Verstand beseitigte. Der Kutscher vom Schlosse aber, der gleichfalls auf dem Hofe stand, faltete die Hände und sagte aufatmend:

»Er ist fort. Gott sei Dank – nun kann er mich nicht mehr vernehmen.«


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