Vineta
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Es war in den Vormittagsstunden des nächsten Tages. Die Gäste des Schlosses, die zum größten Teil dort übernachtet hatten, waren bereits in aller Frühe wieder abgefahren, nur Graf Morynski und seine Tochter befanden sich noch in Wilicza. Da die Ankunft des jungen Gutsherrn sie nun doch überrascht hatte, so erforderte es die Artigkeit, ihn vor der Abreise wenigstens noch flüchtig zu begrüßen; der Graf hielt es aber bei der vollständigen Fremdheit, mit der er seinem Neffen gegenüberstand, für angemessen, diesen in den ersten Stunden des Wiedersehens ausschließlich der Mutter zu überlassen, und Wanda ihrerseits hatte noch weit weniger Eile, das Recht der Verwandtschaft geltend zu machen.

Die Fürstin war allein mit ihren beiden Söhnen; sie saß auf ihrem gewöhnlichen Platze im grünen Salon, Waldemar ihr gegenüber, während Leo neben dem Sessel des Bruders stand – dem äußeren Anscheine nach eine ganz friedliche und trauliche Familiengruppe.

»Nein, Waldemar, das kann ich dir wirklich nicht verzeihen,« sagte die Fürstin in vorwurfsvollem Tone. »Beim Administrator abzusteigen! Als ob dein Schloß dir nicht jede Minute zu Gebote stände, als ob es mir nicht eine Freude gewesen wäre, dich meinen Gästen vorzustellen! Ich wäre beinahe versucht, das, was du eine Rücksicht nennst, als das Gegenteil aufzufassen. Den Vorwand der Störung lasse ich unter keinen Umständen gelten.«

»Nun, so laß wenigstens meine Abneigung gelten, so unmittelbar nach der Ankunft in einen mir völlig fremden Kreis zu treten,« erwiderte Waldemar. »Ich war wirklich nicht in der Stimmung dazu.«

»Hast du noch immer die alte Antipathie gegen alles, was Gesellschaft heißt? Da werden wir den Verkehr in Wilicza allerdings einschränken müssen.«

»Doch nicht etwa meinetwegen? Ich bitte dich, in diesem Punkte auf mich gar keine Rücksicht zu nehmen. Nur wirst du es entschuldigen müssen, wenn ich nicht allzuoft in deinen Salons erscheine. Ich habe zwar gelernt, mich den gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu fügen, wenn es unbedingt sein muß, aber unbequem bleibt es mir immer.«

Die Fürstin lächelte; diese Neigung, die sie ja längst kannte, stimmte vollständig mit ihren Wünschen überein. Ueberhaupt zeigte ihr gleich die erste Zusammenkunft, daß ihr Urteil über Waldemar ein richtiges gewesen und seine Natur in den Grundzügen die gleiche geblieben war; selbst sein Aeußeres hatte sich nicht allzusehr verändert. Seine hohe Gestalt kam freilich jetzt mehr zur Geltung, weil die Haltung eine bessere war, überragte er doch sogar den schlanken, hochgewachsenen Bruder; auch das Unreife, Unfertige des Jünglings hatte der vollen Männlichkeit der Erscheinung Platz gemacht, freilich ohne daß die letztere darum sympathischer geworden wäre. Diese unschönen und unregelmäßigen Züge konnten nun einmal nicht anziehend sein, wenn auch das frühere Ungestüm, das sie so oft entstellte, jetzt einem kalten Ernst gewichen war. Nur eins gereichte Waldemar entschieden zum Vorteil; das blonde Haar, »die ungeheure gelbe Löwenmähne«, wie Wanda es spottweise nannte, war in seiner gar zu üppigen Fülle beschränkt worden; es bedeckte noch immer dicht und voll das Haupt, ließ aber, zurückgestrichen, Stirn und Schläfe frei, und es war unleugbar eine schöne und mächtige Stirn, die sich da über den finsteren Augen wölbte – der einzige Vorzug, den die Natur dem jungen Manne geliehen. Auch die rücksichtslose Schroffheit seiner Haltung zeigte sich einigermaßen gemildert; man sah, daß er sich jetzt wenigstens ohne Zwang in den gesellschaftlichen Formen bewegte und ihnen Rechnung zu tragen wußte, damit schienen aber auch die Errungenschaften der Reise- und Universitätsjahre zu Ende zu sein. Eine Erscheinung für den Salon war Waldemar Nordeck trotz alledem nicht; seine Haltung hatte etwas so Abweisendes, so wenig Verbindliches, seinem ganzen Wesen war der Stempel finsterer Verschlossenheit so deutlich aufgeprägt, daß wohl niemand leicht in die Lage kam, sich zu ihm hingezogen zu fühlen.

Der Gegensatz zwischen ihm und seinem Bruder trat jetzt noch schärfer hervor als ehemals. Auch Leo war nicht mehr der knabenhafte Jüngling von siebzehn Jahren, aber wenn er schon damals dem alten Witold das Bekenntnis entriß, der Sohn seiner Gegnerin sei doch »ein bildhübscher Junge«, so zeigte er jetzt die ganze Schönheit seines Volkes, die, wo sie überhaupt vorhanden ist, auch meist in seltener Vollendung aufzutreten pflegt. Etwas kleiner als Waldemar, aber weit schlanker als dieser, besaß er im vollsten Maße all die Vorzüge, die dem älteren Bruder fehlten, den Adel der Züge, die mehr als je die sprechende Aehnlichkeit mit der Mutter verrieten, die prachtvollen dunkeln Augen, in denen es heiß aufflammte bei jeder Erregung, das schwarze, leicht gelockte Haar, das sich weich und glänzend um die Stirn legte. Dabei ging durch das ganze Wesen des jungen Fürsten ein Zug von Romantik, der sich sehr glücklich mit der Eleganz und Vornehmheit des Kavaliers vereinigte – Leo Baratowski war ein wahres Ideal von Schönheit und Ritterlichkeit.

»Also du hast wirklich deinen ehemaligen Hauslehrer mitgebracht,« sagte er heiter, »Da bewundere ich deinen Geschmack, Waldemar. Ich war froh, als mir mein Herr Präzeptor nichts mehr zu sagen hatte, und hätte ihn auf keinen Fall mit auf die Universität oder gar auf Reisen genommen.«

Die Kälte, die stets in dem Wesen des jungen Nordeck lag, wenn er ausschließlich mit seiner Mutter sprach, verschwand zum größten Teile, als er sich jetzt an seinen Bruder wandte.

»Als einen bloßen Hauslehrer darfst du den Doktor Fabian wirklich nicht ansehen, Leo. Er hat das Erziehungsfach längst aufgegeben und sich ausschließlich seinen historischen Studien zugewendet; es war ja überhaupt nur seine Mittellosigkeit, die ihn das erstere ergreifen ließ. Er ist von jeher mit Leib und Seele Gelehrter gewesen, wußte seine Kenntnisse aber nie praktisch zu verwerten, und da blieb ihm denn freilich nichts übrig, als ›Präzeptor‹ zu werden.« »Das merkte man,« fiel die Fürstin ein. »Er hatte von jeher die ganze Trockenheit und Pedanterie des Gelehrten.« »Warst du mit seinen Berichten nicht zufrieden?« fragte Waldemar ruhig.

»Mit welchen Berichten?«

»Die der Doktor dir im Anfange meiner Universitätszeit regelmäßig sandte. Er war im Zweifel darüber, was du eigentlich zu wissen wünschtest, und da gab ich ihm den Rat, sich möglichst eingehend an meine Studien zu halten. Ich denke, er ist ausführlich genug gewesen.«

Die Fürstin stutzte. »Du scheinst diesen Briefwechsel bis in alle Details hinein zu kennen und ihn sogar teilweise – dirigiert zu haben.«

»Doktor Fabian hat keine Geheimnisse vor mir, und ich meinerseits fand es natürlich, daß du dich für meine Studien interessiertest,« versetzte Waldemar in so gleichgültigem Tone, daß der Argwohn der Mutter, er könne ihren damaligen Plan durchschaut haben, sofort wieder verschwand. Die ersten Bemerkungen hatten ihr entschieden wie Ironie geklungen, aber ein Blick auf das unbewegliche Antlitz des Sohnes beruhigte sie. Unmöglich! Weder er noch sein ehemaliger Lehrer besaßen die Fähigkeit, so tief zu schauen.

»Leo freut sich sehr darauf, bei den Jagdstreifereien in und um Wilicza deinen Führer zu machen,« sagte sie abbrechend. »Ich werde wohl darauf gefaßt sein müssen, euch in den nächsten Wochen sehr wenig im Schlosse zu haben.«

Waldemar blickte zu dem Bruder auf, der noch an seinem Sessel lehnte.

»Ich fürchte nur, Leo, wir treiben die Jagd beide auf sehr verschiedene Weise. Du bleibst auch als Jäger immer der elegante Kavalier, der nötigenfalls vom Walde gleich in den Salon treten kann, mit mir dagegen mußt du mitten durch das Dickicht und oft genug auch durch Sumpf und Moor dem Wilde nach. Wer weiß, ob dir das zusagt!«

Der junge Fürst lachte. »Nun, ich glaube denn doch, daß es in unsern polnischen Wäldern ernsthafter zugeht als in den friedlichen Jagdgründen von Altenhof. Du wirst ja bald selbst urteilen können, ob man bei einem gelegentlichen Rencontre mit den Wölfen immer in so salonfähigem Zustande davonkommt. Ich habe oft genug verwegene Streifereien ausgeführt, und da auch Wanda eine leidenschaftliche Jägerin ist – du weißt doch, daß sie in Wilicza ist?« Die Frage kam ganz plötzlich und unerwartet; sie verriet eine lebhafte Spannung. Desto ruhiger war der Ton Waldemars, als er erwiderte:

»Gräfin Morynska? Jawohl, ich habe es gehört.«

»Gräfin Morynska!« wiederholte die Fürstin vorwurfsvoll. »Es ist deine Cousine, die dir in kurzem noch näher stehen wird. – Leo, deinem Bruder wirst du doch wohl nicht verschweigen wollen, was für Fremde allerdings noch ein Geheimnis ist.«

»Gewiß nicht!« fiel der junge Fürst rasch ein. »Du erfährst es natürlich, Waldemar, daß – Wanda meine Braut ist.«

Seine Augen hefteten sich bei diesen Worten mit leidenschaftlichem Forschen auf das Gesicht des Bruders, auch die Fürstin fixierte es einige Sekunden lang scharf, aber dort war nicht die mindeste Erregung zu entdecken, Waldemars Züge blieben unbeweglich; nichts regte sich darin; er änderte nicht einmal seine bequeme, halb nachlässige Stellung.

»Deine Braut? Wirklich?«

»Das scheint dich gar nicht zu überraschen?« sagte Leo, etwas betroffen von dieser Gleichgültigkeit.

»Nein,« versetzte Waldemar kalt. »Ich weiß ja, daß du von jeher eine Neigung für deine Cousine hegtest, und kann mir denken, daß weder die Mutter noch Graf Morynski dir Hindernisse in den Weg gelegt haben. Ich wünsche dir Glück, Leo.«

Dieser ergriff mit wirklicher Herzlichkeit die dargebotene Hand. Es war ihm doch etwas peinlich gewesen, diesen Punkt zur Sprache zu bringen; er fühlte sich im Unrecht gegen den Bruder, mit dessen Neigung er und Wanda ein so übermütiges Spiel getrieben hatten, und die Ruhe, mit welcher Waldemar die Neuigkeit aufnahm, gewährte ihm eine große Erleichterung. Die Fürstin dagegen, die der Sache grundsätzlich keine Wichtigkeit mehr beilegte, aber doch einsah, daß man dieses Thema nicht mit zu großer Ausführlichkeit behandeln dürfe, beeilte sich, auf ein andres überzugehen.

»Du wirst Wanda und ihren Vater ja heute noch sehen,« sagte sie leichthin. »Wir haben natürlich viel Verkehr mit Rakowicz, was du jedenfalls kennen lernen mußt. Doch vor allen Dingen – wie gefällt dir dein Wilicza? Du hast uns nicht Wort gehalten. Damals in C. versprachst du deinen Besuch schon zum nächsten Frühjahr, und volle vier Jahre sind vergangen, ehe du dich wirklich entschlossest, zu kommen.«

»Ich hatte immer die Absicht und kam nie dazu, sie auszuführen.« Er erhob sich und trat an das große Mittelfenster. »Aber du hast recht, Wilicza ist mir beinahe fremd geworden. Ich werde in den nächsten Tagen einmal wieder das ganze Gebiet durchstreifen müssen, um nur einigermaßen heimisch zu werden.«

Die Fürstin wurde aufmerksam. »Das ganze Gebiet? Ich glaube kaum, daß es dir viel Interessantes bietet, die Wälder ausgenommen, die für dich als Jäger einen besonderen Reiz haben. Ueber Wilicza selbst wird dir der Administrator Bericht erstatten – er hat dir wohl schon gesagt, daß er seine Stellung zu verlassen beabsichtigt?« Die Frage wurde ganz beiläufig hingeworfen; nichts verriet die Spannung, mit der die Antwort erwartet wurde.

»Jawohl,« sagte Waldemar, zerstreut durch das Fenster blickend. »Er geht zum Frühjahre.«

»Das thut mir um deinetwillen leid, um so mehr, als ich wohl die indirekte Ursache bin, daß du einen jedenfalls tüchtigen Beamten verlierst. Frank wird in mancher Hinsicht schwer zu ersetzen sein. Seine Verwaltung zum Beispiel wird allgemein als mustergültig angesehen. Leider setzt seine Thätigkeit die stete Abwesenheit des Gutsherrn voraus, denn er duldet keine andre Autorität neben sich; seine Leute klagen oft bitter über seine Rücksichtslosigkeit, und auch ich habe Proben davon erhalten. Ich habe ihn bisweilen ernstlich daran erinnern müssen, daß das Schloß und die Fürstin Baratowska denn doch nicht unter seiner Botmäßigkeit stehen, und eine dieser Scenen veranlaßte sein Abschiedsgesuch. Es kommt nun freilich darauf an, auf wessen Seite du dich stellst, Waldemar. Ich glaube, der Administrator wäre nicht abgeneigt, zu bleiben, wenn du ihm gestattetest, nach wie vor den unumschränkten Gebieter zu spielen. Ich füge mich natürlich deiner Entscheidung.«

Der junge Nordeck machte eine ablehnende Bewegung. »Ich bin ja erst seit gestern abend hier und kann mich unmöglich so schnell in die Verhältnisse finden. Wenn Frank übrigens gehen will, so werde ich ihn nicht halten, und wenn wirklich Streitigkeiten mit dem Schlosse die Veranlassung dazu sind, so traust du es mir doch hoffentlich nicht zu, daß ich dem Administrator gegenüber meine Mutter dementieren werde.«

Die Fürstin atmete auf. Sie hatte doch einige Besorgnis hinsichtlich Franks gehegt. Ihr Sohn sollte erst mit ihm in Verkehr treten, wenn er mit ihren Augen sehen gelernt hatte und gründlich gegen seinen Beamten eingenommen war. Bei dem rücksichtslosen Freimute desselben und dem ungestümen Charakter des jungen Gutsherrn, der nicht den geringsten Widerspruch ertrug, mußte es dann notwendig zu einem Zusammenstoße kommen – da störte der unerwartete und unpassende Besuch im Gutshofe den ganzen Plan. Indessen Waldemars Haltung bewies, daß es in der kurzen Zeit, die er drüben verweilte, zu keinen Erörterungen gekommen war; er legte augenscheinlich gar keinen Wert auf das Gehen oder Bleiben des Administrators und besaß Schicklichkeitsgefühl genug, sich von vornherein und ohne jede Prüfung auf die Seite seiner Mutter zu stellen.

»Ich wußte, daß ich auf dich rechnen konnte,« erklärte sie, sehr befriedigt von dieser ersten Zusammenkunft. Es fügte sich ja alles und jedes nach ihren Wünschen. »Aber da geraten wir gleich in den ersten Stunden auf dieses unerquickliche Beamtenthema, als ob uns nichts Besseres zu Gebote stände. Ich wollte – ah, da bist du ja, Bronislaw!« wandte sie sich an ihren Bruder, der mit seiner Tochter am Arme eintrat.

Waldemar hatte sich bei den letzten Worten gleichfalls umgewendet. Einen Moment schien er doch betroffen, so fremd war ihm die Erscheinung, die so hoch und stolz ihm gegenüberstand. Er hatte nur das sechzehnjährige Mädchen mit seinem frischen Jugendreize gekannt; diese Gestalt mochte ihm doch neu sein. »Sie verspricht dereinst schön zu werden,« hatte die Fürstin Baratowska von ihrer Nichte gesagt. Wie sehr dieser Ausspruch sich bewähren würde, hatte sie wohl selbst nicht vorausgesehen. Freilich lag die Schönheit hier nicht in dem Begriffe der Regelmäßigkeit, denn dem entsprachen Wandas Züge durchaus nicht. Der slavische Charakter trat zu deutlich darin hervor, und sie entfernten sich ziemlich weit von dem griechischen oder römischen Ideale, aber trotzdem war dieses immer noch etwas bleiche Antlitz von einem hinreißenden Zauber, dem sich niemand verschließen konnte. Das tiefschwarze Haar, im Widerspruche mit der herrschenden Mode ganz einfach geordnet, zeigte sich eben dadurch in seiner ganzen prächtigen Fülle; was aber der jungen Gräfin den mächtigsten Reiz lieh, das waren ihre dunkeln, feuchten Augen, die sich groß und voll unter den langen Wimpern aufschlugen. Jetzt freilich stand etwas andres darin, als Kindesübermut und Kinderscherze. Mochten diese tiefen Augen sich nun in träumerischer Ruhe verschleiern oder in leidenschaftlicher Glut aufstrahlen, rätselhaft und gefährlich blieben sie immer. Man fühlte bei ihrem Anblicke, daß sie rettunglos bestricken, unwiderstehlich festhalten konnten, und Gräfin Morynska hatte diese Macht zu oft erprobt, um sich ihrer nicht im vollsten Maße bewußt zu sein.

»Sie haben ganz Wilicza mit Ihrer Ankunft überrascht, Waldemar,« sagte der Graf, »und finden nun gleich Gäste in Ihrem Hause. Wir wollten eigentlich schon heute früh abreisen, auf die Nachricht von Ihrem Eintreffen hin aber mußten wir uns doch noch Zeit zur Begrüßung nehmen.«

»Gewiß, Cousin Waldemar!« bestätigte Wanda, indem sie ihm mit einem reizenden Lächeln und der graziösesten Unbefangenheit die Hand entgegenstreckte.

Nordeck verneigte sich sehr förmlich und abgemessen vor seiner schönen Cousine. Er schien die dargebotene Hand nicht zu sehen und die liebenswürdig vertrauliche Anrede nicht gehört zu haben, denn ohne auch nur eine Silbe darauf zu erwidern, wandte er sich zu Morynski. »Ich will doch nicht hoffen, daß ich Sie vertreibe, Herr Graf? Da ich vorläufig ja auch nur der Gast meiner Mutter bin, so sind wir im gleichen Falle.«

Der Graf schien angenehm berührt von dieser Artigkeit, die er seinem Neffen gar nicht zugetraut hatte; er antwortete verbindlich, Wanda dagegen stand stumm mit fest zusammengepreßten Lippen da. Sie hatte für gut befunden, dem jungen Verwandten mit der ganzen Unbefangenheit der Weltdame entgegenzutreten, ihm großmütig eine peinliche Erinnerung zu ersparen, indem sie dieselbe vollständig vergaß, und nun mußte sie es erleben, daß die Unbefangenheit gar nicht angenommen, die Großmut zurückgewiesen wurde. Der Blick, der mit so eisiger Gleichgültigkeit über sie hinglitt, zeigte ihr, daß Waldemar die einstige Neigung allerdings vergessen, die einstige Beleidigung aber nicht verziehen hatte und sich jetzt dafür rächte.

Das Gespräch wurde bald allgemein, da auch die Fürstin und Leo sich daran beteiligten. An Stoff fehlte es nicht. Man sprach von Waldemars Reisen, von seiner unvermuteten Ankunft, von Wilicza und der Umgegend, aber so belebt die Unterhaltung auch war, es blieb doch jede Vertraulichkeit ausgeschlossen; man sprach zu einem Fremden, mit dem man zufällig in verwandtschaftlichen Verhältnissen stand. Dieser Nordecksche Sprößling gehörte nun einmal nicht zu dem Kreise der Baratowski und Morynski – das wurde von beiden Seiten gefühlt und unwillkürlich regelte sich der Ton danach. Der Graf konnte es auch jetzt nicht über sich gewinnen, den ältesten Sohn seiner Schwester mit dem Du anzureden, das er dem jüngsten als selbstverständlich gab, und Waldemar hielt konsequent das »Herr Graf« gegen seinen Oheim fest. Er zeigte sich in der Unterhaltung nicht viel anders als sonst, schweigsam und zurückhaltend, aber nicht mehr unbeholfen.

Da es um die Herbstzeit war, so kam das Gespräch natürlich bald auf die Jagd, die überhaupt das bevorzugteste Vergnügen auf den Gütern der Umgegend bildete, und der auch die Damen nicht fremd waren; sie beteiligten sich lebhaft an den Erörterungen. Leo erwähnte schließlich der großen Nordeckschen Waffensammlung und rühmte einige dort befindliche Büchsen ganz besonders. Graf Morynski widersprach und wollte die betreffenden, allerdings sehr kostbaren Stücke nur als Merkwürdigkeiten gelten lassen, während Waldemar sich entschieden auf die Seite seines Bruders schlug. Die Herren gerieten ins Feuer und beschlossen, den Streit durch einen Gang nach dem Waffensaale und eine vorläufige Probe zu entscheiden, sie brachen auch ungesäumt dahin auf.

»Noch ganz der alte Waldemar!« sagte die Fürstin, ihnen nachblickend. »Nur wenn es sich um Jagdgeschichten handelt, fängt er Feuer. Alles übrige ist ihm gleichgültig. Findest du ihn verändert, Wanda?«

»Ja,« entgegnete die junge Gräfin einsilbig. »Er ist eigentümlich ruhig geworden.«

»Ja, Gott sei Dank! Einigermaßen scheint er die Schroffheit und Formlosigkeit abgelegt zu haben, wenigstens solange er sich im Salon befindet. Man kann ihn jetzt vorstellen, ohne sich lächerlich zu machen und braucht nicht gleich bei der harmlosesten Unterhaltung einen Eklat zu fürchten. Seine nähere Umgebung freilich wird wohl nach wie vor zu leiden haben; bei dem ersten Versehen, das der Reitknecht bei den Pferden sich zu schulden kommen läßt, ist der alte Berserker mit seinem ganzen Ungestüm wieder da.«

Wanda erwiderte nichts auf diese Bemerkung. Sie hatte sich in einen Sessel geworfen und spielte mit den Seidenquasten desselben.

»Gleich seine Ankunft war ein echt Nordeckscher Streich,« fuhr die Fürstin unwillig fort, »Es war schon arg, daß er die Extrapost auf der letzten Station fortschickte und zu Fuße ankam, wie der erste beste Abenteurer, aber daran hatte Waldemar natürlich noch nicht genug. Als er das Schloß erleuchtet sieht und von einer Festlichkeit hört, kehrt er schleunigst beim Administrator ein, aus bloßer Angst, man könne ihn zwingen, sogleich in die Gesellschaft zu treten. Spät abends erst kommt er mit dem Doktor ins Schloß, gibt sich Pawlick zu erkennen und läßt sich nach seinen Zimmern führen, verbietet aber auf das bestimmteste, mich noch zu stören. Ich erfuhr natürlich seine Ankunft fünf Minuten darauf. Meine Dienerschaft ist doch besser geschult, als er voraussetzt, da er aber in dieser Hinsicht einen so entschiedenen Befehl gegeben hatte, so blieb mir nichts übrig, als sein Hiersein zu übersehen und mich erst heute morgen überraschen zu lassen.«

»Eine Ueberraschung, die auch uns zum Bleiben nötigte,« fiel Wanda ungeduldig ein. »Ich hoffe, Papa kommt bald zurück, damit wir abreisen können.«

»Doch nicht sogleich? Ihr werdet doch wenigstens noch zu Tische hier bleiben?« »Nein, liebe Tante, ich werde den Papa bitten, sofort anspannen zu lassen. Denkst du, daß es mir Vergnügen macht, mich von Herrn Waldemar Nordeck fortgesetzt so übersehen zu lassen, wie er es wahrend dieser halben Stunde that? Er vermied es mit bewundernswürdiger Konsequenz, mir zu antworten oder nur ein einziges Mal das Wort an mich zu richten.«

Die Fürstin lächelte. »Nun, diese kleine Rache kannst du ihm bei der ersten Zusammenkunft immerhin gestatten. Du hast ihm ziemlich schonungslos mitgespielt und kannst dich wirklich nicht wundern, wenn der Groll darüber sich noch hin und wieder in ihm regt. Doch das gibt sich bei dem öfteren Zusammensein. Wie findest du sein Aeußeres? Mich dünkt, ein wenig hat er sich doch zu seinem Vorteil verändert.«

»Ich finde ihn noch gerade so abstoßend wie früher,« erklärte die junge Gräfin. »Ja, mehr noch, denn damals war der Eindruck seiner Persönlichkeit ein unbewußter und jetzt habe ich ihn beinahe in Verdacht, daß er abstoßen will. Aber trotzdem – ich weiß nicht, worin es liegt; vielleicht darin, daß er die Stirn jetzt so frei und offen trägt – aber er verliert nicht mehr gegen Leo.«

Die Fürstin schwieg betroffen. Die gleiche Bemerkung hatte sich ihr vorhin aufgedrängt, als die beiden Brüder nebeneinander standen. So unbestritten die Schönheit des jüngeren war und so wenig der ältere auch nur den geringsten Anspruch darauf machen konnte, er geriet dennoch nicht in Gefahr, in den Hintergrund gedrängt zu werden. Mochte man, wie Gräfin Morynska, seine Erscheinung immerhin unsympathisch und abstoßend finden, es lag etwas darin, das trotz alledem seinen Platz behauptete, und auch die Mutter sah sich genötigt, das zuzugeben.

»Solche Hünengestalten haben immer einen großen Vorteil voraus,« meinte sie, »sie imponieren beim ersten Anblick, aber das ist auch alles. Geist und Charakter darf man niemals dahinter suchen.«

»Niemals?« fragte Wanda mit eigentümlicher Betonung. »Bist du dessen so ganz sicher?«

Die Fürstin schien diese Frage sehr seltsam und überflüssig zu finden, denn sie blickte ihre Nichte erstaunt an.

»Wir wissen beide, welchen Zwecken Wilicza noch dienen soll,« fuhr diese mit unterdrückter Heftigkeit fort, »und da wirst du mir zugeben, liebe Tante, daß es sehr unbequem und gefährlich wäre, wenn es deinem Sohne urplötzlich einfiele, ›Geist‹ zeigen zu wollen. Sei vorsichtig! Mir will diese Ruhe und vor allen Dingen diese Stirn nicht gefallen.«

»Mein Kind,« sagte die ältere Dame mit ruhiger Ueberlegenheit, »willst du es nicht mir überlassen, für den Charakter meines Sohnes einzustehen, oder traust du dir mit deinen zwanzig Jahren eine größere Urteilsfähigkeit zu, als ich sie besitze? Waldemar ist ein Nordeck – und damit ist alles gesagt.«

»Und damit hast du dein Urteil über ihn von jeher abgeschlossen. Er mag das Ebenbild seines Vaters sein in jedem Zuge, die Stirn aber mit der scharfgezeichneten blauen Ader an den Schläfen – hat er von dir – hältst du es denn gar nicht für möglich, daß er sich auch einmal als Sohn seiner Mutter zeigt?«

»Nein!« erklärte die Fürstin in einem so herben Tone, als beleidige sie diese Idee förmlich. »Was ich von meiner Natur vererben konnte, das besitzt Leo allein. Sei nicht thöricht, Wanda! Du bist gereizt durch das Benehmen Waldemars gegen dich, und ich gebe zu, daß es nicht sehr zuvorkommend war, aber du mußt darin wirklich seiner Empfindlichkeit Rechnung tragen. Wie du jedoch dazu kommst, aus seinem zähen Festhalten an dem alten Grolle auf einen wirklichen Charakter zu schließen, das begreife ich nicht; mir beweist es das Gegenteil. Jeder andre wäre dir dankbar dafür gewesen, daß du ihm über eine halbvergessene peinliche Erinnerung hinweghelfen wolltest, und hätte mit der gleichen Unbefangenheit der Braut seines Bruders –«

»Weiß Waldemar bereits –?« unterbrach sie die junge Gräfin.

»Gewiß, Leo selbst teilte es ihm mit.«

»Und wie nahm er die Nachricht auf?«

»Mit der grenzenlosesten Gleichgültigkeit, obgleich ich ihm in meinen Briefen niemals eine Andeutung davon gemacht habe. Das ist's ja eben. Mit seiner einstigen Schwärmerei für dich ist er sehr schnell fertig geworden – davon haben wir Proben, an die vermeinte Beleidigung aber klammert er sich noch mit dem ganzen Eigensinn des ehemaligen Knaben. Willst du vielleicht, daß ich eine solche Natur als ›Charakter‹ gelten lasse?«

Wanda erhob sich mit unverkennbarer Gereiztheit. »Durchaus nicht, aber ich fühle keine Neigung, mich diesem Eigensinn noch länger auszusetzen, und deshalb wirst du es entschuldigen, liebe Tante, wenn wir Wilicza verlassen. Ich wenigstens bleibe auf keinen Fall hier – der Papa läßt mich schwerlich allein abreisen; wir fahren noch in dieser Stunde.« Die Fürstin widersprach vergebens; sie mußte wieder einmal die Erfahrung machen, daß ihre Nichte es ebensogut wie sie selbst verstand, ihren Willen durchzusetzen, und daß Graf Morynski den Wünschen seiner Tochter gegenüber »grenzenlos schwach« war. Trotz des wiederholten Wunsches der Schwester und der sichtbaren Verstimmung Leos blieb es bei der Anordnung, die Wanda getroffen hatte, und eine halbe Stunde später fuhr der Wagen vor, der sie und ihren Vater nach Rakowicz zurückbrachte.


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