Vineta
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Die Herrschaft Wilicza, deren Erbe Waldemar Nordeck war, lag in einer der östlichen Provinzen des Landes und bestand aus einem sehr umfangreichen Güterkomplex, dessen Mittelpunkt das alte Schloß Wilicza mit dem Gute gleichen Namens bildete. Die Art, wie der verstorbene Nordeck in den Besitz dieser Herrschaft gelangt war, wie er schließlich die Hand einer Gräfin Morynska errungen hatte, bildete nur einen neuen Beitrag zu dem in unsern Tagen so oft wiederholten Schauspiele von dem Sinken alter, einst reicher und mächtiger Adelsfamilien und dem Emporsteigen neuer bürgerlicher Elemente, denen mit dem Reichtum auch die Macht zu teil wurde, die jene einst als ihr ausschließliches Vorrecht in Anspruch nahmen.

Graf Morynski und seine Schwester waren früh zu Waisen geworden und lebten unter der Vormundschaft ihrer Verwandten. Jadwiga wurde im Kloster erzogen, und als sie dasselbe verließ, hatte man bereits über ihre Hand verfügt. Das war durchaus nichts Ungewöhnliches in jenen Adelskreisen, und auch die junge Gräfin hätte sich unbedingt gefügt, wäre der ihr bestimmte Gemahl ihr nur ebenbürtig, wäre er nur wenigstens ein Sohn ihres Volkes gewesen. Aber gerade sie hatte man zum Werkzeug von Familienplänen ausersehen, die um jeden Preis verwirklicht werden sollten.

In der Gegend, wo die meisten Glieder der Morynskischen Familie ansässig waren, war vor einigen Jahren ein gewisser Nordeck aufgetaucht, ein Deutscher von niedriger Herkunft, der aber zu großem Reichtume gelangt war und sich nun hier niederließ. Die Verhältnisse in der Provinz machten es damals einem fremden Elemente leicht, Boden zu gewinnen, wo man es ihm sonst bedeutend erschwert hätte. Die Nachwehen des letzten Aufstandes, der, wenn auch jenseits der Grenze ausgebrochen, doch die deutschen Landesteile in Mitleidenschaft gezogen hatte, machten sich noch überall fühlbar. Die Hälfte des Adels war geflüchtet oder verarmt, infolge der Opfer, die sie der Sache ihres Vaterlandes gebracht hatten, und so war es für Nordeck nicht schwer, die verschuldeten Güter für die Hälfte ihres Wertes an sich zu bringen und nach und nach in den Besitz einer Herrschaft zu gelangen, die ihm eine Stellung unter den ersten Grundbesitzern des Landes sicherte.

Freilich war der Eindringling von sehr geringer Bildung und abstoßender Persönlichkeit, auch ergab es sich bald, daß er ein durchaus charakter- und gesinnungsloser Mensch war, aber der riesige Besitz gab ihm nichtsdestoweniger eine Macht, die in der Umgegend nur zu bald gefühlt wurde, um so mehr, als sie sich mit entschiedener Feindseligkeit gegen alles kehrte, was Polentum hieß, vielleicht aus Rache dafür, daß die ausschließlich aristokratische und slavische Nachbarschaft sich mit unverhehlt gegen ihn ausgesprochener Verachtung fernhielt. Mochten nun Unvorsichtigkeiten von dieser Seite vorgefallen sein, mochte der schlaue Fremde auf eigene Hand den Spion gespielt haben, genug, er erlangte Einsicht in gewisse Parteibestrebungen. Dies machte ihn zu einem höchst gefährlichen Gegner und seine Freundschaft geradezu zu einem Gebote der Notwendigkeit.

Man mußte um jeden Preis den Mann gewinnen, der, wie man längst wußte, zu gewinnen war. Der Bestechung war der Millionär natürlich unzugänglich, so blieb nur seine Eitelkeit übrig, die ihm die Verschwägerung mit einer der polnischen Adelsfamilien als sehr wünschenswert erscheinen ließ. Vielleicht lenkte der Umstand, daß Wilicza noch bis vor einem halben Jahrhundert im Besitze der Morynskischen Familie gewesen war, die Wahl gerade auf die Enkelin jenes letzten Besitzers; vielleicht fand sich auch kein andres Haus, welches seine Tochter oder Schwester zu dem Opfer hergeben wollte, das man von der armen, abhängigen Waise verlangte. Dem rohen Emporkömmling schmeichelte es, daß die Hand einer Gräfin Morynska für ihn erreichbar war; nach einer Mitgift brauchte er nicht zu fragen. Er ging also mit vollem Eifer auf den Plan ein, und Jadwiga sah sich bei ihrem Eintritte in die Welt schon einer Bestimmung gegenüber, gegen die sich ihr ganzes Wesen empörte.

Ihr erster Schritt war entschiedene Weigerung, aber was vermochte das Nein eines siebzehnjährigen Mädchens gegen einen Familienbeschluß, dessen Ausführung man als eine Notwendigkeit ansah. Als Befehle und Drohungen nichts fruchteten, nahm man seine Zuflucht zu Vorstellungen. Man zeigte der jungen Verwandten die glänzende Rolle, welche sie als Herrin von Wilicza spielen werde, die unbedingte Herrschaft, die sie über einen Mann ausüben müsse, zu dem sie so tief herabsteige. Man sprach ihr von der Genugthuung, daß wieder eine Morynska auf den ihren Vorfahren entrissenen Gütern gebieten solle, von der Notwendigkeit, aus dem gefürchteten Gegner ein gefügiges Werkzeug der eigenen Pläne zu machen. Man forderte von ihr, daß sie Wilicza und die riesigen Mittel, über welche sein Herr gebot, den Interessen ihrer Partei erhalte – und was dem Zwange verweigert worden war, das erreichte die Ueberredung. Die Rolle einer armen, abhängigen Verwandten war keineswegs nach dem Geschmacke der jungen Gräfin; sie war glühend ehrgeizig, Herzensneigungen und Herzensbedürfnisse kannte sie nicht, und die flüchtig auflodernde Leidenschaft, die Nordeck bei ihrem Anblick verriet, ließ auch sie glauben, daß ihre Herrschaft über ihn unbegrenzt sein werde. So gab sie denn endlich nach, und die Vermählung fand statt.

Aber die Pläne, die Berechnung und Eigennutz von beiden Seiten gesponnen, sollten sämtlich scheitern. Man hatte sich getäuscht in diesem Manne, der, anstatt sich dem Willen seiner jungen Frau zu beugen, nun seinerseits den Herrn und Gebieter herauskehrte, der sich jedem Einflusse unzugänglich zeigte und dessen flüchtige Neigung für die Gattin sich bald genug zum Haß verwandelte, als er entdeckte, daß sie ihn und sein Vermögen nur den Interessen ihrer Familie dienstbar machen wollte. Die Geburt eines Sohnes änderte nichts in diesem Verhältnisse. Die Kluft zwischen den Gatten schien im Gegenteil nur noch tiefer zu werden. Nordecks Charakter war freilich nicht danach, einer Frau Achtung einzuflößen, diese Frau aber ließ ihn ihre Verachtung in einer Weise fühlen, die jeden Mann zum Äußersten gebracht hätte. Es kam zu furchtbaren Scenen, und nach einer derselben verließ die junge Herrin Wiliczas das Schloß und floh in den Schutz ihres Bruders.

Der kleine Waldemar, der damals kaum das erste Lebensjahr zurückgelegt hatte, war bei dem Vater zurückgeblieben. Nordeck, wütend über die Flucht seiner Gemahlin, forderte gebieterisch deren Rückkehr. Bronislaw that, was er konnte, die Schwester zu schützen, und es wäre zwischen ihm und seinem Schwager vielleicht zum Schlimmsten gekommen – da löste unerwartet der Tod die kurze und doch so unglückliche Ehe. Ein Sturz mit dem Pferde auf der Jagd, die er mit wildester Leidenschaft trieb, machte dem Leben Nordecks ein Ende, aber auf seinem Sterbebette hatte er noch Kraft und Besinnung genug, ein Testament zu diktieren, das seine Gemahlin von jedem Anteil sowohl an dem Vermögen wie an der Erziehung des Kindes ausschloß. Ihre Flucht aus seinem Hause gab ihm das Recht dazu, und er gebrauchte es schonungslos. Waldemar wurde der Vormundschaft eines ehemaligen Jugendfreundes und entfernten Verwandten übergeben und dieser mit der unbeschränktesten Vollmacht ausgestattet. Die Witwe versuchte es zwar, dagegen aufzutreten, aber der neue Vormund bethätigte seine Freundschaft für den Verstorbenen dadurch, daß er die Bestimmungen desselben in rücksichtslosester Weise zur Ausführung brachte und jeden Anspruch zurückwies. Witold war schon damals Besitzer von Altenhof und dachte nicht daran, in Wilicza zu bleiben oder sein Mündel dort zu lassen. Er nahm den Knaben mit sich in seine Heimat. War es doch eine der letzten Weisungen Nordecks gewesen, seinen Sohn gänzlich dem Einfluß der Mutter und der mütterlichen Verwandten zu entziehen, und diese Weisung wurde so streng befolgt, daß der junge Erbe während der ganzen Zeit bis zu seiner Mündigkeit kaum einigemal in Begleitung des Vormundes nach seinen Gütern kam; er verlebte seine ganze Jugend in Altenhof. Was die großen Einkünfte von Wilicza betraf, von denen man vorläufig noch keinen Gebrauch machen konnte, so wurden sie dem Vermögen zugeschlagen, und so sah sich denn Waldemar Nordeck beim Antritt seiner Mündigkeit im Besitz eines Reichtums, mit dem sich in der That nur wenige messen konnten. Die Mutter des künftigen Herrn von Wilicza lebte anfänglich im Hause ihres Bruders, der sich inzwischen auch vermählt hatte, aber sie blieb nicht lange dort. Einer der vertrautesten Freunde des Grafen, Fürst Baratowski, verliebte sich leidenschaftlich in die junge, schöne und geistreiche Frau, die ihm denn auch nach Jahresfrist die Hand reichte, und diese zweite Ehe war eine durchaus glückliche. Zwar behauptete man, der Fürst, eine ritterliche, aber nicht besonders energische Natur, beuge sich vollständig dem Zepter seiner Gemahlin, jedenfalls aber liebte er sie und den Sohn, den sie ihm schenkte, aufs zärtlichste.

Doch das Glück dieser Verbindung sollte nicht lange ungestört bleiben; diesmal freilich kamen die Stürme von außen. Leo war noch ein Kind, da brach das Revolutionsjahr herein, das halb Europa in Flammen setzte. Auch in der polnischen Provinz loderte der so oft schon unterdrückte Aufstand mit neuer Gewalt empor. Morynski und Baratowski waren echte Söhne ihres Landes; sie warfen sich voll glühender Begeisterung in die Revolution, von der sie die Rettung des Vaterlandes und Wiederherstellung seiner Größe hofften. Der Aufstand endigte, wie so viele früheren – er ward gewaltsam unterdrückt, und diesmal ging man mit voller Strenge gegen die polnischen Landesteile vor. Fürst Baratowski und sein Schwager flüchteten nach Frankreich, wohin ihre Frauen mit den Kindern folgten. Die Gräfin Morynska, eine zarte kränkliche Frau, ertrug nicht lange den Aufenthalt in der Fremde; sie starb schon im folgenden Jahre und Bronislaw übergab sein Kind den Händen der Schwester. Ihn selbst litt es nicht länger in Paris, wo ihn alles an den Verlust der leidenschaftlich geliebten Gattin erinnerte. Er lebte unstät bald hier bald dort, und kam nur bisweilen, um seine Tochter zu sehen. Endlich ermöglichte ihm eine Amnestie die Rückkehr in die Heimat, wo ihm inzwischen durch den Tod eines Verwandten das Gut Rakowicz zugefallen war, und er ließ sich auf dem neuen Besitztume nieder. Anders stand die Sache mit dem Fürsten Baratowski, der von der Amnestie ausgeschlossen blieb. Er war einer der Führer des Aufstandes gewesen und hatte mit an der Spitze der Bewegung gestanden; an seine Rückkehr war nicht zu denken, und Gemahlin und Sohn teilten mit ihm die Verbannung, bis sein Tod auch ihnen die Freiheit zurückgab, ihren Aufenthaltsort zu wählen.


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