Vineta
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In nicht allzuweiter Entfernung vom Schlosse lag die Wohnung des Administrators Frank. Schloß und Gutswirtschaft waren in Wilicza von jeher getrennt gewesen. Das erstere, mochte es nun bewohnt sein oder nicht, lag stets in vornehmer Abgeschlossenheit da, und die letztere befand sich ausschließlich in den Händen eines Beamten. Das stattliche Wohnhaus desselben, die umliegenden, fast durchweg neuen Wirtschaftsgebäude und die Ordnung, welche auf dem Hofe herrschte, wichen bedeutend von dem ab, was man auf den Gütern der Nachbarschaft zu sehen gewohnt war, und galten auch wirklich in der ganzen Umgegend für ein überall angestauntes, aber niemals nachgeahmtes Muster. Die Stellung des Administrators von Wilicza war allerdings eine solche, daß ihn mancher Gutsherr darum beneiden konnte, sowohl was das Einkommen, wie was die Art zu leben betraf.

Der Abend dämmerte bereits. Drüben im Schlosse begann sich die ganze Fensterreihe des ersten Stockwerkes zu erleuchten; bei der Fürstin fand eine größere Festlichkeit statt. In dem Wohnzimmer des Administrators war noch kein Licht angezündet worden, und die beiden Herren, welche sich dort befanden, schienen so sehr in die Unterhaltung vertieft zu sein, daß sie die zunehmende Dunkelheit gar nicht bemerkten.

Der ältere der beiden war eine stattliche Erscheinung im kräftigsten Mannesalter, mit offenen, von der Sonne stark gebräunten Zügen, der jüngere dagegen verriet in seinem ganzen Aeußeren, daß er nicht auf dem Lande heimisch sei. Er konnte trotz seiner ziemlich kleinen Figur für einen recht hübschen Mann gelten; das sorgfältig gekräuselte Haar und der äußerst moderne Anzug gaben ihm etwas Stutzerhaftes, doch lag nichts eigentlich Geziertes in seinem Wesen. Sprache und Haltung zeigten im Gegenteil ein Uebermaß von Würde und Wichtigkeit, das mit seiner kleinen Gestalt bisweilen in etwas komischen Gegensatz geriet.

»Es bleibt dabei – ich gehe,« sagte der Aeltere. »Ich habe es vorgestern der Fürstin erklärt, daß ich ihr den Gefallen thun werde, Wilicza den Rücken zu kehren, da ihre Manöver seit Jahr und Tag darauf hinzielten. Weiter kam ich aber nicht mit meinen Eröffnungen, denn sie fiel mir mit ihrer vollen Majestät in die Rede. ›Mein lieber Frank, ich bedaure aufrichtig, daß Sie uns verlassen wollen, kann Ihrem Wunsche aber kein Hindernis in den Weg legen; seien Sie überzeugt, mein Sohn und ich werden Ihre langjährige Thätigkeit in Wilicza nicht vergessen!‹ – Das sagt sie mir, mir, den sie systematisch vertrieben hat. Glauben Sie denn, daß ich gegen diesen Blick und Ton aufkommen konnte? Ich hatte mir vorgenommen, endlich einmal meinem Herzen Luft zu machen und ihr zum Abschiede gründlich die Wahrheit zu sagen, und jetzt – machte ich eine Verbeugung und ging.«

Der jüngere Herr schüttelte den Kopf. »Eine merkwürdige Frau, aber auch eine höchst gefährliche Frau! Wir von der Regierung haben Proben davon. Ich sage Ihnen, Herr Frank, diese Fürstin Baratowska ist eine Gefahr für die ganze Provinz.«

»Warum nicht gar!« rief der Administrator ärgerlich. »Aber eine Gefahr für Wilicza ist sie. Sie hat es nun richtig durchgesetzt, die ganze Herrschaft unter ihr Zepter zu bringen; ich war der letzte Stein des Anstoßes, und den räumt sie nun auch aus dem Wege. Glauben Sie mir, Herr Assessor, ich habe ausgehalten, so lange es nur irgend ging, nicht meiner Stellung wegen – ich bin Gott sei Dank so weit, daß ich jeden Tag auf eigenen Füßen stehen kann, aber es that mir weh, daß alles, was ich in zwanzig Jahren gearbeitet und geschaffen habe, nun zu Grunde gehen soll, wenn die alte polnische Wirtschaft wieder anfängt. Als ich hierher kam, war Herr Nordeck seit ein paar Jahren tot, sein Sohn bei dem Vormunde in Altenhof, und Pächter, Förster und Administratoren wirtschafteten lustig darauf los. Hier in Wilicza ging es am ärgsten zu; mein Vorgänger hatte so offen und unverschämt gestohlen, daß es sogar Herrn Witold zu viel wurde und er ihn Knall und Fall entließ. Das Schloß, von dessen Prachteinrichtung man weit und breit fabelte, stand leer und verschlossen, wie es aber im Dorfe und nun vollends auf dem Gutshofe aussah, das kann ich Ihnen nicht beschreiben. Elende Holz- und Lehmschuppen, die einem über dem Kopfe zusammenfielen, Schmutz und Unordnung, wohin man sich wandte. Das Dienstvolk kriechend, falsch und von echt nationalem Hasse gegen den ›Deutschen‹, die Felder in einem Zustande, daß sich einem Landmann das Herz im Leibe umkehrte. Es that wahrhaftig not, daß ein paar märkische Fäuste da zugriffen, und es dauerte ein halbes Jahr, ehe ich Frau und Kinder nachkommen lassen konnte, weil eine nach unsern Begriffen menschliche Wohnung außerhalb des Schlosses nicht aufzutreiben war. Wie hätte es denn auch anders sein sollen! Der verstorbene Nordeck hatte nichts weiter gethan als jagen und sich mit seiner Frau Gemahlin zanken, und Herr Witold that überhaupt gar nichts. Es setzte zwar regelmäßig einige Donnerwetter, wenn er herkam, aber im übrigen ließ er sich an der Nase herumführen, und das wußte man auf der ganzen Herrschaft nur zu gut. Wenn die Rechnung nur schwarz und weiß auf dem Papiere stand und die Zahlen stimmten, dann war die Sache in Ordnung, ob die Ausgaben auch wirklich gemacht waren, danach fragte er nicht. Was habe ich im Anfange für Summen fordern müssen, um nur einigermaßen Ordnung zu schaffen! Sie wurden mir anstandslos bewilligt; daß ich sie nun auch wirklich auf das Gut wandte, anstatt sie, wie meine Herren Kollegen, in die eigene Tasche zu stecken, das war ein Ausnahmefall. Uebrigens hatte der alte Herr doch eine Ahnung davon, daß ich der einzig Ehrliche unter der ganzen Gesellschaft war, denn er erhöhte mir schon nach den ersten Jahren Gehalt und Tantieme in einer Weise, daß ich mit der Ehrlichkeit gerade so gut fuhr, wie die andern mit ihren Diebereien, und wäre er am Leben geblieben, so hätte ich Wilicza nicht verlassen, trotz aller Chicanen der Fürstin. Sie wagte sich auch wohlweislich nicht an mich; sie wußte, daß, wenn ich einmal nach Altenhof schrieb und Herrn Witold reinen Wein einschenkte, es eine Explosion geben würde. So viel Einfluß besaß er denn doch noch auf seinen Pflegesohn, mir hier freie Bahn zu schaffen. Bei seinen Lebzeiten hatte ich Ruhe, aber als er starb, war es aus damit. Was hilft es, daß mein Kontrakt mir die Selbständigkeit meiner Stellung garantiert? Wenn die fortwährenden Eingriffe vom Schlosse aus geschehen und es die Mutter meines Gutsherrn ist, die sie anbefiehlt; dann heißt es entweder ertragen oder gehen, und ich habe lange genug ertragen – ich gehe jetzt.«

»Aber das ist ein Unglück für Wilicza,« fiel der Assessor ein. »Sie waren noch der einzige, der es wagte, der Fürstin einigermaßen die Spitze zu bieten, vor dessen scharfen Augen man eine heilsame Furcht hatte. Wenn Sie gehen, sind den geheimen Umtrieben hier Thür und Thor geöffnet. Wir von der Regierung« – er legte jedesmal einen Nachdruck auf das Wort – »wissen am besten, was es heißen will, wenn die Nordeckschen Güter mit ihrer riesigen Ausdehnung und ihrer verwünschten Lage so dicht an der Grenze unter dem Regimente einer Baratowska stehen.«

»Ja, sie hat es in den vier Jahren ziemlich weit gebracht,« sagte der Administrator bitter. »Das ging vom ersten Tage an vorwärts, langsam, Schritt für Schritt, aber unverrückt auf das Ziel los, mit einer Energie, die man trotz alledem bewundern muß. Als vor Jahr und Tag die Pachtkontrakte abliefen, da wußte sie es durchzusetzen, daß die Pachtgüter sämtlich in die Hände ihrer Landsleute gerieten; sie bewarben sich darum und sie bekamen sie. Herr Nordeck erfuhr wahrscheinlich gar nicht, daß überhaupt noch andre Bewerber da waren. Aus der Forstverwaltung ist nach und nach jedes deutsche Element verdrängt worden; das ganze Personal besteht nur noch aus gehorsamen Dienern der Fürstin, und wie oft habe ich alle Energie aufbieten müssen, um meine deutschen Inspektoren und Aufseher in ihren Stellungen zu schützen. Aber es half zuletzt auch nichts mehr. Sie gingen freiwillig, weil sie die Widerspenstigkeit der Leute nicht mehr ertragen konnten. Wir wissen recht gut, von welcher Seite das Dienstvolk unaufhörlich aufgehetzt und aufgestachelt wird. – Meinen Nachfolger im Amte glaube ich auch schon zu kennen; er ist ein Trunkenbold, der so gut wie nichts von der Landwirtschaft versteht und Wilicza zu Grunde richten wird, wie die Pächter und Förster eben daran sind, es mit den andern Gütern und den Waldungen zu thun, aber er ist ein Nationaler vom reinsten Wasser, und das entscheidet bei der Fürstin – der Posten ist ihm gewiß.«

»Wenn Herr Nordeck sich nur einmal entschließen wollte, hierher zu kommen,« meinte der Assessor. »Er hat sicher keine Ahnung davon, wie es auf seinen Gütern zugeht.«

Frank zuckte die Achseln, »Unser junger Herr? Als ob der sich jemals um sein Wilicza gekümmert hätte! Seit zehn Jahren hat er es mit keinem Fuße betreten; er treibt sich lieber draußen in der Welt herum. Ich hoffte, er würde nach erlangter Mündigkeit endlich einmal auf längere Zeit kommen, und es hieß ja anfangs auch so, aber er blieb fort und schickte uns seine Frau Mutter her, die denn auch nicht säumte, das Regiment an sich zu reißen. Keiner von den Beamten verkehrt ja direkt mit ihm – wir sind mit unsern Rechnungslagen, Einzahlungen, Anforderungen ausschließlich an den Justizrat in L. gewiesen. Uebrigens habe ich, ehe ich mich zum Gehen entschloß, noch das letzte Mittel versucht und an Herrn Nordeck selbst geschrieben. Ich wußte bereits, daß meine Stellung unhaltbar war, und da hielt ich es nach zwanzigjährigen Diensten denn doch für Pflicht, ihm die Wirtschaft hier auf seinen Gütern aufzudecken und ihm gerade heraus zu sagen, daß, wenn es so weiter ginge, auch sein Vermögen nicht mehr standhalten würde. Vor vier Wochen sandte ich den Brief ab – glauben Sie, daß ich auch nur eine Antwort darauf erhalten habe? Nein, von der Seite ist nichts zu hoffen. – Aber über dem Aerger vergesse ich ganz, daß wir jetzt vollständig im Finstern sitzen. Ich begreife nicht, weshalb Gretchen nicht wie sonst die Lampe hereinbringt. Sie weiß wahrscheinlich nicht, daß Sie hier sind.«

»O doch!« sagte der Assessor etwas gereizt. »Fräulein Margareta stand im Hausflur, als ich auf den Hof fuhr, aber sie ließ mir nicht einmal Zeit zu grüßen, sondern lief in größter Eile die Treppe hinauf bis zur Bodenkammer.«

In Franks Gesicht zeigte sich eine leichte Verlegenheit. »Nicht doch, Sie täuschen sich wohl.«

»Die ganze Treppe hinauf bis zur Bodenkammer!« wiederholte der kleine Herr mit Nachdruck, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog und den Administrator ansah, als verlange er, dieser solle in seine Entrüstung einstimmen, aber Frank lachte nur.

»Das thut mir leid, aber da kann ich Ihnen beim besten Willen nicht helfen.«

»Sie können mir sehr helfen,« rief der Assessor lebhaft. »Die Autorität des Vaters ist eine unbeschränkte, wenn Sie Ihrer Tochter sagen, daß es Ihr Wunsch und Wille ist –«

»Das thue ich unter keiner Bedingung,« unterbrach ihn Frank mit ruhiger Bestimmtheit. »Sie wissen, ich lege Ihrer Bewerbung nichts in den Weg, denn ich glaube, daß Sie mein Kind aufrichtig lieben, und habe gegen Ihre Persönlichkeit und Verhältnisse nichts einzuwenden. Sich das Jawort des Mädchens zu holen, ist aber Ihre Sache, darein mische ich mich nicht. Sagt sie aus freien Stücken ›ja‹, so sind Sie mir als Schwiegersohn willkommen, mir scheint freilich, Sie haben wenig Aussicht dazu.«

»Da täuschen Sie sich, Herr Frank,« sagte der Assessor zuversichtlich, »da täuschen Sie sich ganz entschieden. Es ist wahr, Fräulein Margarete behandelt mich bisweilen ganz eigentümlich, sozusagen rücksichtslos, aber das ist nur die gewöhnliche Sprödigkeit junger Mädchen. Sie wollen gesucht, umworben sein, wollen durch ihre Zurückhaltung den Preis begehrenswerter machen. O, ich verstehe mich ganz ausgezeichnet auf dergleichen. Seien Sie unbesorgt – ich erreiche sicher mein Ziel.«

»Soll mich freuen,« erwiderte der Administrator kurz abbrechend, da der Gegenstand des Gesprächs mit der Lampe in der Hand soeben eintrat.

Gretchen Frank mochte ungefähr zwanzig Jahre alt sein; sie war durchaus keine zarte, ideale Erscheinung, aber dafür ein wahres Bild von Jugend und Gesundheit. Es lag in ihrem Wesen etwas von der stattlichen, kräftigen Art des Vaters, und das frische rosige Gesicht mit den klaren blauen Augen und den blonden Flechten über der Stirn sah jetzt, von dem hellen Scheine der Lampe angestrahlt, so reizend aus, daß man es begriff, daß der Assessor die schnöde Flucht »bis zur Bodenkammer« vollständig vergaß und eiligst aufsprang, um seine Auserkorene zu begrüßen.

»Guten Abend, Herr Assessor!« sagte das junge Mädchen, die Begrüßung etwas kühl erwidernd. »Also Sie waren es, der vorhin in den Hof fuhr? Ich setzte das gar nicht voraus, da Sie erst am Sonntage hier waren.«

Der Assessor fand für gut, die letzten Worte zu überhören. »Mich führen diesmal Amtsgeschäfte her,« entgegnete er, »ein Auftrag von großer Wichtigkeit, den man mir anvertraut hat und der mich einige Tage hier in der Gegend festhält. Ich habe mir erlaubt die Gastfreundschaft Ihres Herrn Vaters in Anspruch zu nehmen. Wir von der Regierung haben jetzt schlimme Zeit, Fräulein Margarete. Ueberall dumpfe Gärung, geheime Umtriebe, revolutionäre Bestrebungen – die ganze Provinz ist eine einzige große Verschwörung.«

»Das brauchen Sie uns nicht erst zu sagen,« meinte der Administrator trocken. »Ich dächte, das hätten wir hier in Wilicza aus erster Hand.«

»Jawohl, dieses Wilicza ist der eigentliche Herd der Verschwörungen,« rief der Assessor im Eifer, »In Rakowicz wagen sie das Spiel nicht so offen zu treiben; es liegt dicht bei L. und ist rechts und links von deutschen Kolonien eingeschlossen – das geniert den Herrn Grafen Morynski doch einigermaßen, hier dagegen hat er freie Hand.«

»Und das günstigste Terrain,« setzte Frank hinzu. »Bis zur Grenze Nordecksches Gebiet, nichts als Wald und die Förster und Forstaufseher darin zu den Befehlen der Fürstin. Man sollte meinen, die Grenze wäre so scharf bewacht, daß auch nicht eine Katze durch könnte, und doch geht es allnächtlich hinüber und herüber, und wer von drüben kommt, findet offene Thüren in Wilicza, wenn es auch vorläufig nur die Hinterpforten sind.«

»Wir wissen das alles, Herr Frank,« versicherte der Assessor mit einer Miene, die zum mindesten Allwissenheit verkündigte. »Alles, sage ich Ihnen. Aber wir können nichts thun, denn uns fehlt jeder Beweis. Es ist absolut nichts zu entdecken. Sobald sich jemand von unsrer Seite naht, ist das ganze Treiben wie in die Erde versunken. Auch meine Mission hängt damit zusammen, und da Sie die Polizeiverwaltung hier haben, so bin ich zum Teil auf Ihren Beistand angewiesen.«

»Wenn es sein muß! Sie wissen, ich gebe mich nur sehr ungern zu solchen Diensten her, obgleich man im Schlosse darauf besteht, mich für einen Spion und Häscher zu halten, weil ich meine Augen nicht absichtlich verschließe und der Widersetzlichkeit meiner Leute mit voller Strenge entgegentrete.«

»Es muß sein. Es handelt sich um zwei sehr gefährliche Subjekte, die sich hier in der Gegend unter allerlei Vorwänden herumtreiben und womöglich dingfest zu machen sind. Ich bin ihnen übrigens bereits auf der Spur. Bei meiner Herfahrt traf ich mit zwei äußerst verdächtigen Individuen zusammen. Sie gingen zu Fuße.«

Gretchen lachte laut auf. »Ist das ein Verdachtsgrund? Sie hatten vermutlich kein Geld, die Post zu bezahlen.«

»Bitte sehr um Entschuldigung, mein Fräulein – sie hatten sogar Geld genug für die Extrapost, denn sie fuhren in einer solchen an mir vorüber. Auf der letzten Station aber haben sie den Wagen verlassen und sich in auffälliger Weise nach allen möglichen Einzelheiten über Wilicza erkundigt. Die angebotene Führung dorthin lehnten sie ab und gingen zu Fuß weiter, aber mit Vermeidung der Landstraße quer durch die Felder. Dem Postmeister wollten sie auf keine seiner Fragen Rede stehen. Ich traf leider erst auf der Station ein, als sie bereits fort waren, und die einbrechende Dämmerung machte für heute den weiteren Nachforschungen ein Ende, morgen aber werde ich sie mit allem Eifer wieder aufnehmen. Die beiden sind jedenfalls noch in der Nähe.«

»Vielleicht sogar dort drüben,« sagte Gretchen, in die Richtung hinauszeigend, wo die erleuchtete Fensterreihe des Schlosses durch das Dunkel herüberschimmerte. »Es ist ja heute großer Verschwörungsabend bei der Fürstin.«

Der Assessor fuhr in die Höhe. »Verschwörungsabend? Wie? Was? Wissen Sie das genau? Ich werde sie überraschen; ich werde –«

Der Administrator zog ihn lachend wieder auf seinen Sitz nieder. »Lassen Sie sich doch nichts weismachen! Es ist eine übermütige Idee von dem Mädchen da, weiter nichts.«

»Aber Papa, du meintest doch selbst neulich, daß es ganz besondere Gründe hätte, wenn im Schlosse jetzt Fest auf Fest folgte,« warf Gretchen ein. »Das meine ich allerdings. Die Fürstin mag Glanz und Pracht lieben, daß sie aber in einer Zeit wie die jetzige nur Sinn für Festlichkeiten haben sollte, traue ich ihr entschieden nicht zu. Diese großen Jagden und Bälle sind der einfachste und bequemste Vorwand, alle möglichen Persönlichkeiten in Wilicza zu vereinigen, ohne daß es besonders auffällt. Jetzt tanzen und dinieren sie allerdings – man muß ja den Schein wahren – aber der größte Teil der Gäste bleibt über Nacht im Schlosse, und was geschieht, wenn die Kronleuchter ausgelöscht sind, möchte nicht ganz so harmlos sein.«

Der Assessor hörte mit gespannter Aufmerksamkeit diesen für ihn so interessanten Erörterungen zu; leider wurden sie unterbrochen, denn man rief den Administrator ab. Ein Krankheitsfall, der sein eigenes, sehr schönes Reitpferd betroffen, drohte eine ernste Wendung zu nehmen. Frank ging selbst, um nach dem Tiere zu sehen, und ließ die beiden jungen Leute allein.

Fräulein Margarete wurde durch dieses unerwartete Alleinsein mit dem Assessor sichtlich unangenehm berührt; desto angenehmer war es offenbar dem letzteren. Er drehte wohlgefällig sein Schnurrbärtchen, fuhr sich mit der weißen Hand durch die gekräuselten Haare und beschloß, die günstige Gelegenheit nach Kräften auszunutzen.

»Herr Frank hat mir vorhin mitgeteilt, daß er seine Stellung aufzugeben beabsichtigt,« begann er. »Der Gedanke, ihn und die Seinigen nicht mehr in Wilicza zu wissen, würde mich unter andern Umständen schwer getroffen haben, sozusagen wie ein Donnerschlag, aber da ich selbst nicht mehr allzulange in L. bleiben werde – «

»Wollen Sie denn fort?« fragte das junge Mädchen verwundert.

Der Assessor lächelte selbstbewußt. »Sie wissen ja, Fräulein Margarete, daß bei uns Beamten mit der Beförderung meist eine Versetzung verbunden ist, und ich hoffe nun baldigst Carriere zu machen.«

»Wirklich?«

»Ganz unzweifelhaft! Ich bin bereits Regierungsassessor, und das will in einem Staate wie der unsrige alles sagen. Es ist gewissermaßen die erste Stufe der großen Beamtenleiter, die direkt zum Ministersessel emporführt.«

»Nun, bis dahin haben Sie doch noch ein wenig weit,« meinte Gretchen in ziemlich mißtrauischem Tone. Der kleine Herr lehnte sich mit einer Würde zurück, als sei der einfache Rohrstuhl, auf dem er Platz genommen hatte, schon der erwähnte Ministersessel.

»In Jahr und Tag läßt sich dergleichen allerdings nicht erreichen, aber für die Zukunft – man muß stets das Große im Auge haben, mein Fräulein, man muß sich immer nur die höchsten Ziele stecken; der Ehrgeiz ist der edelste Sporn des Beamten. Was mich speziell betrifft, so warte ich täglich auf den Regierungsrat.«

»Darauf warten Sie aber schon sehr lange,« warf das junge Mädchen ein.

»Weil mir überall Neid und Mißgunst im Wege stehen,« rief der Assessor mit aufwallender Empfindlichkeit. »Wir jüngeren Beamten werden ja von den Herren Vorgesetzten niedergehalten, solange es nur irgend geht. Mir fehlte bisher die Gelegenheit, mich auszuzeichnen, jetzt endlich hat man die Notwendigkeit eingesehen, eine Mission von Wichtigkeit in meine Hände zu legen. Seine Excellenz der Herr Präsident hat mir selbst die nötigen Weisungen erteilt und mich beauftragt, ihm persönlich Vortrag über das Ergebnis meiner Recherchen zu halten. Wenn es günstig ausfällt, so ist mir der Regierungsrat gewiß.«

Er blickte bei den letzten Worten so vielsagend zu der jungen Dame hinüber, daß sie unmöglich im Zweifel sein konnte, wer zur künftigen Regierungsrätin auserkoren sei, dennoch beobachtete sie ein hartnäckiges Schweigen.

»Dann würde wohl auch meine Versetzung erfolgen,« fuhr der Assessor fort. »Wahrscheinlich sogar nach der Hauptstadt; ich habe einflußreiche Verwandte dort. Sie kennen die Hauptstadt noch nicht, mein Fräulein,« und nun begann er das Residenzleben zu schildern, die dortigen Vergnügungen, die einflußreichen Verwandten und wußte das alles äußerst geschickt um seine Person zu gruppieren. Gretchen hörte mit einem Gemisch von Neugier und Bedenklichkeit zu. Die glänzenden Bilder, die da vor ihr aufgerollt wurden, hatten doch viel Verlockendes für ein junges, in der Einsamkeit des Landlebens erzogenes Mädchen, sie stützte den blonden Kopf in die Hand und sah nachdenklich auf die Tischdecke. Das Bedenkliche der Sache lag für sie augenscheinlich nur in der unvermeidlichen Zugabe des jetzigen Assessors und künftigen Ministers. Dieser jedoch bemerkte seinen Vorteil recht gut und säumte nicht, ihn zu verfolgen; er rüstete sich zu einem Hauptangriff.

»Aber ich werde mich trotzdem einsam und verlassen fühlen,« sagte er mit Pathos, »denn mein Herz bleibt doch hier zurück. Fräulein Margareta –«

Gretchen erschrak; sie sah, daß der Assessor, der nach ihrem Namen eine große Kunstpause gemacht, jetzt aufstand, in der ganz unzweifelhaften Absicht, sich vor ihr auf die Kniee niederzulassen, aber die Feierlichkeit und Umständlichkeit, womit er diese Präliminarien der Liebeserklärung in Scene setzte, sollten verhängnisvoll für ihn werden – sie ließen dem jungen Mädchen Zeit, zur Besinnung zu kommen; sie sprang gleichfalls auf.

»Entschuldigen Sie, Herr Assessor – ich glaube – ich glaube, die Hausthür ist soeben ins Schloß gefallen. Papa kann nicht herein, wenn er zurückkommt. Ich werde ihm öffnen –« Damit flog sie aus dem Zimmer.

Der Assessor stand mit seiner Kunstpause und den halb eingebogenen Knieen da und sah äußerst betroffen aus. Es war heute das zweite Mal, daß seine Auserwählte vor ihm die Flucht nahm, und diese Sprödigkeit fing nachgerade an, ihm unbequem zu werden. Es fiel ihm freilich nicht ein, an einen ernstlichen Widerstand zu denken; es war Eigensinn, Koketterie, vielleicht – der Bewerber lächelte – Furcht vor seiner Unwiderstehlichkeit. Man wagte augenscheinlich nicht, ihm das Ja zu verweigern, und floh nun in reizender Schüchternheit die Entscheidung. Dieser Gedanke hatte etwas außerordentlich Tröstendes für den Herrn Assessor, und wenn er auch bedauerte, wieder einmal nicht zum Ziele gekommen zu sein, so zweifelte er doch durchaus nicht an seinem endlichen Siege; er verstand sich ja so ausgezeichnet darauf.

Der Vorwand, den das junge Mädchen gebraucht hatte, war nicht ganz aus der Luft gegriffen. Die große Eingangsthür war wirklich von einer unkundigen Hand geworfen, mit großem Geräusch ins Schloß gefallen. Der Administrator brauchte nun freilich bei seiner Rückkehr nur vom Hofe aus die Magd zu rufen und sich öffnen zu lassen, aber daran schien seine Tochter gar nicht zu denken, denn sie flog wie der Sturmwind durch das Nebenzimmer in den Hausflur.

Ein Schmerzens- und ein Schreckensruf ertönten zu gleicher Zeit, Gretchen hatte die Thür, welche in den Flur führte, mit voller Gewalt aufgestoßen, gerade in dem Augenblicke, als von draußen jemand die Hand auf die Klinke legte; der Fremde taumelte, von dem Anprall des Thürflügels getroffen, einige Schritte zurück und wäre wahrscheinlich hingestürzt, wenn sein Gefährte ihn nicht schnell umfaßt und gehalten hätte.

»Mein Gott, was ist denn geschehen?« rief das junge Mädchen erschrocken.

»Ich bitte tausendmal um Entschuldigung!« sagte eine schüchterne Stimme im Tone außerordentlicher Höflichkeit.

Gretchen blickte verwundert auf den Mann, der sich so höflich entschuldigte, weil man ihn gestoßen, und der sich jetzt eiligst wieder emporrichtete; ehe sie aber noch Zeit zur Antwort fand, trat der zweite Fremde näher und wendete sich direkt an sie.

»Wir wünschen Herrn Administrator Frank zu sprechen; man sagte uns, er sei zu Hause.«

»Papa ist augenblicklich nicht hier, wird aber sogleich kommen,« versicherte Gretchen, der dieser späte und unerwartete Besuch eine große Erleichterung gewährte, denn er zeigte ihr einen Ausweg zwischen der Unhöflichkeit, den Assessor bis zur Rückkehr des Vaters allein zu lassen, und der Notwendigkeit, ihm Gesellschaft zu leisten. Sie führte die Fremden deshalb auch nicht in die Arbeitsstube Franks, wie es sonst gewöhnlich geschah, sondern ohne weiteres in das Wohnzimmer. »Zwei Herren, die den Papa zu sprechen wünschen,« sagte sie erklärend zu dem verwundert aufschauenden Assessor; dieser erhob sich; die Fremden traten grüßend näher, während das junge Mädchen sich freundlich erbot, den Vater benachrichtigen zu lassen, und zu diesem Zwecke nochmals hinausging.

Sie hatte soeben eine der beiden Mägde fortgesandt und war im Begriff, in das Zimmer zurückzukehren, als zu ihrer größten Verwunderung der Assessor in dem matt erleuchteten Hausflur erschien und sich eilfertig erkundigte, ob bereits nach dem Herrn Administrator geschickt sei, Gretchen bejahte.

Der Assessor trat dicht an sie heran und sagte im Flüstertone: »Fräulein Margareta – das sind sie.«

»Wer?« fragte sie überrascht.

»Die beiden Verdächtigen. Ich habe sie. Sie sind in der Falle.«

»Aber Herr Assessor, das sind doch nun und nimmermehr Polen,« warf das junge Mädchen ein.

»Es sind die beiden Individuen, die vorhin in der Extrapost an mir vorüberfuhren,« versetzte er hartnäckig. »Dieselben, die sich später in so verdachterregender Weise benommen haben. Jedenfalls werde ich meine Maßregeln treffen; ich werde inquirieren, nötigenfalls verhaften.«

»Muß denn das gerade in unserm Hause sein?« fragte das junge Mädchen in sehr ungnädigem Tone.

»Die Pflicht meines Amtes!« sagte der Assessor mit Würde. »Vor allen Dingen gilt es den Eingang zu sichern und etwaige Fluchtversuche zu hindern. Ich werde die Hausthür abschließen.« Er drehte wirklich den Schlüssel um und zog ihn ab.

»Was fällt Ihnen denn ein?« protestierte Gretchen. »Papa kann ja nicht ins Haus, wenn er zurückkommt.«

»Wir stellen die Magd an die Thür und geben ihr den Schlüssel,« flüsterte der kleine Herr, der in einen fieberhaften Amtseifer geraten war. »Sie öffnet, sobald Herr Frank kommt, und ruft dann gleich die Knechte herbei, um die Thür zu besetzen. Wer weiß, ob die Delinquenten sich gutwillig fügen!«

Gretchen war und blieb mißtrauisch. »Aber woher wissen Sie denn, daß es überhaupt Delinquenten sind? Wenn Sie sich nun irren?«

»Fräulein Margareta, Sie haben keinen Polizeiblick,« erklärte der Assessor mit Ueberlegenheit. »Ich verstehe mich auf Gesichter, und ich sage Ihnen, es sind die echtesten, ausgeprägtesten Verschwörerphysiognomien, die mir je vorgekommen sind. Mich täuscht man nicht, und wenn man auch ein noch so reines Deutsch spricht. Ich werde vorläufig nur inquirieren, bis Herr Frank erscheint. Es ist freilich gefährlich, solche Menschen ahnen zu lassen, daß sie entdeckt sind, zumal wenn man allein mit ihnen ist, sehr gefährlich, aber die Pflicht gebietet es.«

»Ich gehe mit Ihnen,« versicherte Gretchen beherzt.

»Ich danke Ihnen,« sagte der Assessor, in einem so feierlichen Tone, als habe sich das junge Mädchen mindestens entschlossen, mit ihm zum Schafott zu gehen, »und nun lassen Sie uns handeln!«

Er rief die Magd herbei, gab ihr die betreffenden Weisungen und kehrte dann in das Zimmer zurück, Gretchen folgte ihm; sie war von Natur ziemlich tapfer und sah daher der Entwicklung der Sache mit ebensoviel Neugier wie Besorgnis entgegen. Die beiden Fremden hatten offenbar keine Ahnung von dem drohenden Ungewitter, das sich über ihren Häuptern zusammenzog, schienen sich vielmehr in vollkommener Sicherheit zu wähnen. Der jüngere, eine auffallend hohe Gestalt, der seinen Gefährten fast um Kopfeslänge überragte, ging mit verschränkten Armen auf und nieder, während der ältere, eine schmächtige Figur mit blassen, aber angenehmen Zügen, den angebotenen Platz eingenommen hatte und ganz harmlos im Lehnstuhle saß.

Der Assessor warf sich in die Brust. Die Ueberzeugung von der Wichtigkeit des Momentes und das Bewußtsein vor den Augen seiner zukünftigen Braut zu handeln, hatten etwas Erhebendes für ihn. Er sah aus wie das leibhaftige Weltgericht, als er vor die beiden »Individuen« hintrat.

»Ich habe mich den Herren noch nicht vorgestellt,« begann er, vorläufig noch den Ton der Höflichkeit festhaltend. »Regierungsassessor Hubert aus L.«

Die beiden waren jedenfalls keine Neulinge mehr in der Verschwörung, denn sie erbleichten nicht einmal bei Nennung dieser amtlichen Eigenschaft. Der ältere Herr erhob sich, machte eine stumme, aber sehr artige Verbeugung und nahm dann wieder seinen Platz ein. Der jüngere dagegen neigte nur leicht das Haupt und sagte nachlässig: »Sehr angenehm.«

»Dürfte ich nun auch meinerseits um die Namen der Herren bitten?« fuhr Hubert fort.

»Wozu das?« fragte der junge Fremde gleichgültig. »Ich wünsche sie zu kennen.«

»Ich bedaure – wir wünschen nicht, sie zu nennen.«

Der Assessor nickte mit dem Kopfe, als wollte er sagen: Das habe ich mir gedacht. »Ich bin bei dem Polizeidepartement in L. angestellt,« betonte er.

»Eine sehr schätzenswerte Stellung,« meinte der Fremde, dabei glitt aber sein Blick mit beleidigender Gleichgültigkeit über den Beamten hin und blieb auf dem jungen Mädchen haften, das sich in die Nähe des Fensters zurückgezogen hatte.

Hubert war einen Moment lang verblüfft. Das mußten hartgesottene Verschwörer sein, auch die Erwähnung des Polizeidepartements vermochte es nicht, ihnen ein Zeichen des Schreckens zu entlocken, und doch mußte sie ihnen notwendig eine Ahnung ihres Schicksals geben. Aber man hatte Mittel, diese Verstocktheit zu brechen; das Verhör wurde fortgesetzt.

»Sie fuhren vor etwa zwei Stunden in einer Extrapostchaise an mir vorüber?«

Diesmal antwortete der jüngere Fremde gar nicht; die Sache schien ihn zu langweilen, der ältere aber erwiderte höflich: »Gewiß, wir haben Sie gleichfalls in Ihrem Wagen bemerkt.«

»Sie verließen aber die Chaise auf der letzten Station und gingen zu Fuße weiter. Sie wollten ausgesprochenermaßen nach Wilicza –; Sie vermieden die Landstraße und schlugen einen Seitenweg quer über die Felder ein.« Der Assessor war wieder ganz Weltgericht, als er diese Anklagen, eine nach der andern, in wahrhaft vernichtender Weise herausschleuderte, und sie blieben diesmal nicht ganz wirkungslos. Der ältere der Verschwörer begann unruhig zu werden, der jüngere dagegen, den der »Polizeiblick« des Beamten sofort als den Gefährlichsten herausgefunden hatte, trat rasch an den Stuhl seines Begleiters und legte den Arm wie schützend auf die Lehne.

»Wir haben überdies noch unsre Ueberröcke angezogen, als es anfing, kühl zu werden, und im Posthause ein Paar Handschuhe vergessen,« entgegnete er mit unverhehlter Ironie. »Wollen Sie nicht diese beiden Thatsachen Ihren interessanten Notizen über unser Thun und Treiben hinzufügen?«

»Mein Herr, man spricht nicht in solchem Tone mit einem Vertreter der Regierung,« rief Hubert gereizt.

Der Fremde zuckte statt aller Antwort die Achseln und wandte sich nach dem Fenster. »Mein Fräulein, Sie ziehen sich so vollständig zurück. Wollen Sie uns nicht durch Ihre Gegenwart von der unerquicklichen Unterhaltung dieses Herrn befreien?«

Der Assessor ergrimmte in gerechtem Zorn; diese Keckheit ging ihm denn doch zu weit, und da der Administrator jeden Augenblick eintreten mußte, so ließ er die bisherige Vorsicht fahren und versetzte in hohem Tone:

»Ich fürchte, es steht Ihnen noch manches Unerquickliche bevor. Zuvörderst werden Sie mir Ihre Namen nennen, Ihre Papiere ausliefern – ich fordere das; ich bestehe darauf. Mit einem Worte: Sie sind verdächtig.«

Das schlug endlich ein. Der blasse Herr fuhr mit allen Zeichen des Schreckens empor. »Um Gottes willen!«

»Aha, regt sich das Schuldbewußtsein endlich!« triumphierte Hubert. »Sie haben gleichfalls gezuckt,« wandte er sich an den andern, gebieterisch an ihm in die Höhe blickend. »Leugnen Sie nicht! Ich habe ein Zucken in Ihrem Antlitz gesehen.«

Es war allerdings ein ganz eigentümliches Zucken gewesen, das bei dem Worte »verdächtig« um den Mund des jungen Mannes flog, und es wiederholte sich jetzt in noch stärkerer Weise, als er sich zu seinem Begleiter herabbeugte.

»Aber weshalb machen Sie der Sache nicht ein Ende?« fragte dieser leise und bittend.

»Weil sie mir Spaß macht,« war die ebenso leise Antwort.

»Hier wird nicht geflüstert!« fuhr der Assessor dazwischen. »Keine neue Verschwörung in meiner Gegenwart, das bitte ich mir aus. Noch einmal: die Namen – wird man mir nun antworten?«

»Ja so!« sagte der junge Fremde, sich wieder emporrichtend. »Wir sind also in Ihren Augen Verschwörer.«

»Ja so!« sagte der junge Fremde, sich wieder emporrichtend. »Wir sind also in Ihren Augen Verschwörer?«

»Und Hochverräter,« ergänzte Hubert mit Nachdruck.

»Und Hochverräter! Natürlich, das pflegt sich meistenteils zu ergänzen.«

Der Assessor stand völlig starr ob dieser Verwegenheit. »Ich fordere Sie zum letztenmal auf, mir Ihre Namen zu nennen und Ihre Papiere zu zeigen,« rief er. »Sie verweigern mir beides?«

Der Fremde setzte sich in sehr ungenierter Weise auf die Seitenlehne des Armstuhls und kreuzte die Arme.

»Ganz recht! Das ist ja eben die Verschwörung.«

»Herr, ich glaube, Sie wollen Ihren Spott mit mir treiben,« schrie der Assessor, kirschrot vor Zorn. »Wissen Sie, daß das Ihren Fall ganz außerordentlich erschwert? Das Polizeidepartement in L. –«

»Muß sich in einer sehr traurigen Verfassung befinden, da es Sie zum Vertreter hat,« vollendete der junge Mann mit unerschütterlicher Gemütsruhe.

Das war zu viel; der Beleidigte fuhr wie besessen in die Höhe.

»Unerhört! Also so weit ist es schon gekommen, daß man es wagt, den Behörden offen Hohn zu sprechen, aber das soll Ihnen teuer zu stehen kommen. Sie haben die Regierung in meiner Person beleidigt und angegriffen. Ich verhafte Sie; ich lasse Sie geschlossen nach L. transportieren.«

Er schoß wie ein Kampfhahn auf seinen Gegner los, der ihn ruhig herankommen ließ und ihn dann ohne weiteres zurückschob. Es war nur eine einzige Bewegung des kraftvollen Armes, aber der Herr Assessor flog wie ein Ball auf das nahestehende Sofa, das ihn zum Glücke auffing.

»Gewalt!« rief er außer sich. »Ein Attentat auf meine Person! Fräulein Margarete, holen Sie Ihren Vater –«

»Mein Fräulein, holen Sie lieber ein Glas Wasser und gießen Sie es diesem Herrn über den Kopf!« sagte der Fremde. »Er hat es nötig.«

Das junge Mädchen fand keine Zeit, den beiden so verschiedenartigen Aufforderungen nachzukommen, denn man vernahm eilige Schritte im Nebenzimmer, und der Administrator, der schon mit äußerstem Befremden die an der Hausthür getroffenen Vorsichtsmaßregeln gesehen und die lauten Stimmen gehört hatte, trat rasch ein.

Der Assessor lag noch im Sofa und zappelte mit Händen und Füßen, um wieder auf die Beine zu kommen, was ihm bei der Kürze derselben und der Höhe des Sofas nicht sogleich gelingen wollte.

»Herr Frank,« rief er, »wahren Sie den Eingang! Rufen Sie die Knechte herbei! Sie haben die Polizeiverwaltung von Wilicza, Sie müssen mir beistehen. Ich verhafte diese beiden Subjekte im Namen –« Hier schlug ihm die Stimme über; er focht verzweiflungsvoll mit den Händen in der Luft herum, kam aber nun vermittels eines gewaltigen Ruckes zum Sitzen.

Der junge Fremde hatte sich erhoben und ging auf den Administrator zu. »Herr Frank, Sie führen in meinem Namen die Polizeiverwaltung von Wilicza, und da werden Sie sich hoffentlich bedenken, Ihren eigenen Gutsherrn auszuliefern.« »Wen?« rief der Administrator zurückprallend.

Der Fremde zog ein Papier aus der Brusttasche und reichte es ihm. »Ich komme ganz unerwartet, und Sie werden mich nach zehn Jahren kaum noch wiedererkennen. So mag nur denn dieser Brief zur Legitimation dienen; Sie richteten ihn vor einigen Wochen an mich.«

Frank warf einen raschen Blick auf das Blatt, dann einen zweiten auf die Züge des vor ihm Stehenden. »Herr Nordeck?«

»Waldemar Nordeck!« bestätigte dieser. »Der gleich in der ersten Stunde, wo er seine Güter betritt, als ›Subjekt‹ verhaftet werden sollte. In der That ein angenehmes Willkommen!«

Er blickte nach dem Sofa hinüber; dort saß der Assessor starr und steif wie eine Bildsäule. Der Mund stand ihm weit offen, seine Arme waren schlaff am Körper niedergesunken, und er starrte den jungen Gutsherrn wie geistesabwesend an.

»Welch ein peinliches Mißverständnis!« sagte der Administrator in äußerster Verlegenheit. »Es thut mir sehr leid, Herr Nordeck, daß es gerade in meinem Hause vorfallen mußte. Der Herr Assessor wird unendlich bedauern –«

Der arme Assessor! Er war so vernichtet, daß er nicht einmal mehr die Kraft hatte, sich zu entschuldigen. Der Herr und Gebieter von Wilicza, der mehrfache Millionär, der Mann, von dem der Präsident noch neulich gesagt hatte, daß man ihn im Falle eines Besuchs in Wilicza mit besonderer Rücksicht behandeln müsse – und den hatte der Untergebene geschlossen nach L. transportieren wollen! Zum Glück nahm Waldemar keine Notiz weiter von diesem letzteren; er stellte seinen Begleiter dem Administrator und dessen Tochter vor.

»Herr Doktor Fabian, mein Freund und Lehrer. – Wir sahen das Schloß erleuchtet und hörten, daß eine größere Festlichkeit dort stattfindet. Ich bin den Gästen meiner Mutter vollständig fremd, und da meine plötzliche Ankunft begreiflicherweise eine Störung veranlassen würde, so zogen wir es vor, einstweilen hier einzusprechen, wenigstens bis zur Abfahrt der Gäste. Ich habe überdies noch mit Ihnen zu reden, Herr Frank, hinsichtlich Ihres Briefes, den ich erst vor einigen Tagen erhielt. Ich war auf Reisen und da ist er mir von Ort zu Ort nachgeschickt worden. Können wir eine halbe Stunde lang ungestört sein?«

Frank öffnete die Thür zu seinem Arbeitszimmer. »Darf ich bitten, hier einzutreten?« Waldemar, im Begriff zu gehen, wandte sich noch einmal um. »Bitte, erwarten Sie mich hier, Herr Doktor! Hoffentlich geraten Sie jetzt nicht mehr in Gefahr, als Verschwörer und Hochverräter behandelt zu werden. Ich komme bald zurück.« Er verneigte sich leicht gegen das junge Mädchen und verließ dann, von dem Administrator begleitet, das Zimmer. Der Assessor schien für ihn nicht mehr zu existieren.

»Herr Assessor,« sagte Gretchen halblaut, indem sie sich dem unglücklichen Vertreter des Polizeidepartements in L. näherte. »Ich gratuliere zum Regierungsrat!«

»Mein Fräulein!« stöhnte der Assessor.

»Sie halten ja wohl Seiner Excellenz dem Herrn Präsidenten persönlich Vortrag über das Ergebnis Ihrer Recherchen?«

»Fräulein Margarete!«

»Ja, ich habe nun einmal keinen Polizeiblick,« fuhr das junge Mädchen unbarmherzig fort. »Wer konnte auch denken, daß unser junger Herr eine so echte und ausgeprägte Verschwörerphysiognomie haben würde!«

Der Assessor hatte bisher mühsam standgehalten; den Spott von diesen Lippen ertrug er nicht. Er erhob sich, stammelte, da die Hauptperson nicht mehr zugegen war, eine Entschuldigung gegen den Doktor und schützte dann Uebelbefinden vor, um sich so schnell wie möglich zurückzuziehen.

»Mein Fräulein,« sagte Doktor Fabian in seiner schüchternen Weise, aber in mitleidigem Tone, »dieser Herr scheint etwas excentrischer Natur zu sein. Ist er vielleicht – –?« Er griff mit bezeichnender Gebärde an die Stirn.

Gretchen lachte. »Nein, Herr Doktor! Er will nur Carriere machen, aber dazu braucht er seiner Meinung nach ein paar Verschwörer und die glaubt er in Ihnen und Herrn Nordeck gefunden zu haben.«

Der Doktor schüttelte bedenklich den Kopf. »Der arme Mann! Es liegt doch etwas Krankhaftes in seinem Wesen. Ich glaube nicht, daß er Carriere machen wird.«

»Ich auch nicht,« sagte Gretchen mit Entschiedenheit. »Dazu ist unser Staat denn doch zu vernünftig.«


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