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Die Firma Milton war nur ein Anfang. Eine Erleuchtung war über Dickon gekommen, und eine Zeitlang sah er es als Lebenszweck an, in den Leuten Lust nach Waren zu wecken, nach denen sie bisher gar kein Verlangen gehabt hatten, oder sie darauf aufmerksam zu machen, daß Gebrauchsgegenstände aller Art nur dann etwas taugen, wenn sie eine Etikette mit dem Namen des Erzeugers tragen.

Ungeheurer Reichtum lag in der Idee, die Leute davon zu überzeugen, daß ein Artikel ohne die Garantie einer angesehenen Firma nicht in Betracht komme. In unseren Jugendtagen wurde eine Unzahl von Dingen ohne Namen verkauft, die heute mit der Marke des Fabrikanten und Händlers auf den Markt kommen. Unser Vater war mit seinen ›Partingtons Packet Teas‹ einer der Pioniere dieser Warentaufe gewesen. Als ich ein Kind war, führte jeder Krämer seine eigenen Teesorten, hatte seine eigenen Teekisten von verschiedener Qualität, wog den Tee aus und verpackte ihn für jeden Kunden; ich sehe das in der Erinnerung genau vor mir. Fast alles, was bei ihm zu haben war – Speck, Butter, Schmalz, Eingepökeltes, Marmelade, Biskuits – hatte er selbst beschafft und verkaufte es auf Grund seines persönlichen Rufes. Er hatte Zwiebeln in Essig und Kohl in einem großen Faß, so wie die Krämer hier in Frankreich heute noch. Er stellte Zuckerhüte in seinem Schaufenster aus und zerklopfte sie in seinem Laden; ich pflegte fasziniert zuzusehen, wie in der Duxforder Spezereiwarenhandlung Zucker zerhackt wurde. Der Ölhändler verkaufte sein eigenes Lampenöl, und niemand fragte, woher er es bezog. Der Senf für unseren Haushalt in Mowbray wurde beim Drogisten gekauft.

Doch schon in unserer Kindheit gab es eine Anzahl gewichtiger Firmen, die sozusagen mit den Händen über die Schulter des Detailhändlers langten, um ihre Ware unter eigenem Namen dem Kunden anzubieten. Als Kind liebte ich einen wunderschönen Orientalen, der sich auf den Rückseiten illustrierter Zeitschriften breitmachte und einem aufgegabelten Fische ›Nabob Pickles‹ in das Maul schüttete. Er scheint heute völlig verschwunden zu sein. ›Colmans Senf‹ beteuerte schon damals, der einzige englische Senf zu sein. Sein Name stand in glänzenden Buchstaben überall zu lesen. Ich weiß nicht, ob er heute wirklich der einzige englische Senf ist oder ob es noch andere Senfsorten gibt. Erst neulich sah ich im Fenster eines Krämers in Grasse saubere kleine Colman-Büchsen von dem altvertrauten, lebhaften Gelb und mit den Aufschriften, die ich in meiner Kindheit vom Eisenbahncoupéfenster aus zu buchstabieren pflegte. Wenn Colmans Ware schon nicht überall der einzige englische Senf ist, hier ist er es bestimmt.

Dann war da Seife. Die große Firma Pears hatte bereits in jenen Tagen der Seife Individualität aufgedrückt. ›Pears Soap‹ bezeichnet eine Epoche; ich hoffe, die Weltgeschichte wird das nicht übersehen. Sie wurde in noch nicht dagewesener Weise angepriesen; in Zeitschriften und Tagesblättern erschienen Artikel über ihre Herstellung; Pears kaufte Bilder bekannter Maler, um sie samt vergoldeten Rahmen in einer Art von Faksimile zu reproduzieren; er war einer der ersten Inserierenden, der Humor an den Tag legte und sich über sich selbst lustig machte, zum Beispiel mit dem Bilde eines schmierigen Landstreichers, welcher erklärt: ›Vor zwei Jahren versuchte ich Pears Soap; seither habe ich keine andere benützt.‹

Diese und hundert andere Lockrufe waren mir seit meiner Kindheit von Mauern und Planken und mancher Inseratenseite her bekannt, doch erst jetzt, da Dickon über sie sprach, schenkte ich ihnen mehr als eine bloß zufällige Aufmerksamkeit. Ich hatte bis dahin noch nie ein Restaurant in Aufruhr versetzt, indem ich ›Nabob Pickles‹ verlangte und alle minderwertigen Nachahmungen zurückwies oder Senf ablehnte, solange man mich nicht durch den Anblick einer Colmanschen Büchse über seine Qualität beruhigte; jetzt aber begann ich unter Dickons kritischer Anleitung wenn schon nicht zu krakeelen, so doch zu beobachten und zu unterscheiden. Er befaßte sich mit einer Unmenge sonderbarer Probleme und bestand darauf, sie mit mir unter Ausschluß jedes anderen Themas zu erörtern.

»Du hilfst mir, Billy, mußt du wissen. Es ist zwar nicht viel hinter den Dingen, die du sagst, aber sie bringen mich auf neue Gedanken.«

Manche der aufgeworfenen Fragen waren unterhaltsam. Kakao kam damals eben allgemein in Gebrauch, und eine Anzahl von Firmen kämpfte darum, den Markt zu monopolisieren, unter ihnen Van Houten, wahrscheinlich eine holländische Firma, Epps und Cadbury. Dickon stellte sorgfältige Vergleiche zwischen ihren verschiedenen Reklame-Methoden auf. » Epps Kakao ist angenehm und erfrischend«, sagte er wiederholt vor sich hin. »Wundervolle Worte. Wundervoll! Genialität liegt darin ... Billy, glaubst du, daß sich einer dieser Kakaos auch nur im geringsten vom anderen unterscheidet?«

So ernst nahmen wir unsere Forschungen, daß wir die verschiedensten Kakaosorten selbst ausprobierten. Wir schlürften das Getränk und sahen einander dabei mit wichtiger Miene an.

Ein andermal versuchten wir zu entdecken, warum noch kein Reklamefeldzug für irgendein Salz oder eine Pfeffersorte eröffnet worden sei, ähnlich der überall sichtbaren Anpreisung des Senfes. Diesem Problem kamen wir niemals auf den Grund. Wir entschieden, daß da eine gute Gelegenheit verpaßt worden war.

Ich sehe Dickon vor mir, wie er in der schmutzigen Untergrundbahn jener primitiven Tage auf der harten Holzbank eines Abteils sitzt, drei oder vier illustrierte Zeitschriften neben sich, und mir einen Vortrag über das Inserat eines Lungenheilmittels hält, das, wenn ich mich recht erinnere, ›Owbridges Lung Tonic‹ hieß. Die Ankündigung war von einem riesenhaften O umrandet. »Warum dieses O?« fragte er. »Es individualisiert. Offenbar ist es auch auf der Flasche. Es macht den Anpreiser eines anderen Lungenheilmittels zu einem unpersönlichen Niemand. Erweckt es aber Lust, das Zeug einzunehmen? Übt es eine Lockung auf schwindsüchtige Leute aus? Stell' dir einmal jemanden vor, der lungenkrank ist und hustet. Nimm an, er sieht auf der einen Seite dieses Inserat und auf der anderen ganz schlicht: ›Clissolds Lungenheilmittel lindert und beruhigt. Und Beruhigung bringt Heilung‹. Welches von beiden Mitteln würdest du versuchen? Überlege dir diese Worte, Billy. Nicht zu prahlerisch und lärmend, aber dorthin gesetzt, wo sie die Blicke fast wie zufällig auf sich lenken. Flüstere das einmal vor dich hin: › Beruhigung bringt Heilung.‹«

Zu jener Zeit wurde von Pillen und Spezialmitteln überhaupt viel Aufhebens gemacht. Und neben eigentlichen Medikamenten wurden Kräftigungsmittel aller Art angepriesen. Die Propaganda für Lebertran hob an; Ellimans Einreibung, sehr geschickt angekündigt, ging damals eben so gut wie heute; die hausgemachte Fleischbrühe begann aus der Mode zu kommen, denn Liebigs Fleischextrakt wurde mächtig in Szene gesetzt; Bovril war noch nicht aufgetaucht, wenn ich mich recht erinnere; auch Oxo, dessen bin ich fast sicher, kam erst später. Wir verfolgten die Kämpfe, die um diese Fleischextrakte entbrannten, genau. Der kleine Tabakhändler trieb noch seinen Handel auf eigene Faust und war sich seines nahenden Endes nicht bewußt; er verkaufte unverpackten Tabak nach dem Gewicht, Zigarren, Streichhölzer, Pfeifen und Spazierstöcke; die Propaganda für Zigaretten war in jenen Tagen noch kaum aufgetaucht. Zigarettenrauchen war eine malerisch-exotische Gewohnheit, die gesetztere Leute an Italien und Spanien und an die laxere Moral des Südens denken machte; mit schwelgerischer Nonchalance drehte man eine Zigarette und fühlte sich höchst verrucht; die maschinell hergestellte amerikanische Zigarette kam eben erst bei Kommis und Kunstjüngern in Mode. Von russischen Zigaretten hatte noch niemand etwas gehört.

Außer für die genannten Artikel und etliche andere von ähnlicher Art gab es tatsächlich überhaupt noch keine umfangreiche und nachhaltige Reklame. Große, im Zentrum gelegene Stoff- und Lebensmittelgeschäfte hatten es noch nicht gelernt, fortlaufend in den Tageszeitungen zu annoncieren. Fahrräder kannte man noch nicht, ebensowenig gab es Margarine, Getreideprodukte, Füllfedern, Schreibmaschinen, photographische Apparate, Automobile und alles, was dazu gehört, und Dutzende anderer ähnlicher Dinge.

Wenn man eines der großen amerikanischen Magazine oder selbst ein modernisiertes Londoner Wochenblatt mit den Zeitschriften vergleicht, die vor vierzig Jahren veröffentlicht wurden, entdeckt man nicht nur, daß sich die Zahl der allgemein verbreiteten Gebrauchsartikel unendlich vermehrt hat, sondern auch, daß eine stetig fortschreitende Entwicklung dessen, was einst Gewerbe und Beschäftigung unabhängiger Einzelpersonen war, zu kräftig organisierten Geschäften großen Stils stattfindet. In meiner Jugendzeit war England in diesem Prozeß Amerika weit voran, seither aber hat die amerikanische Reklame die englische längst überholt. Frankreich steht noch hinter uns zurück, macht aber in jüngster Zeit rasche Fortschritte. Viele der großen Organisationen arbeiten offenbar seit langem auf ein Monopol hin, aber gerade ihre unaufhörliche Reklame beweist, daß sie sich dauernd unsicher fühlen. Und manche haben ihr Ziel nicht einmal annähernd erreicht. Trotz verschiedener gut fundierter Versuche ist es zum Beispiel bisher doch niemandem gelungen, den kleinen Bäcker zu verdrängen; und Käse widersteht gleich der Kunst jedweder Vereinheitlichung.

In England war vermutlich die Tatsache, daß viele Lebensmittel importiert werden, der Zusammenfassung des Detailverkaufes von Eßwaren in großen Laden sehr förderlich. Die Einfuhr erfolgte notwendigerweise in ansehnlichen Mengen, und damit war die weitere Handhabung im großen von vornherein gegeben. Und die Tatsache, daß Amerika und andere neue Länder einen so gewichtigen Teil ihrer Lebensmittelerzeugnisse exportieren, führte schon im Versandlande zu einer Ansammlung großer Mengen an bestimmten Plätzen und erleichterte somit auch dort die Konzentration dieses Handelszweiges.

Nach einer ziemlich erfolglosen Tätigkeit für einen inserierenden Schuhmacher begann Dickon sich für Fahrräder zu interessieren. Der Verkauf von Stiefeln und Schuhen im großen könne sich, so meinte er, erst entwickeln, sobald die maschinelle Herstellung Fortschritte gemacht habe; für das Fahrrad aber sei der richtige Zeitpunkt gekommen. Er bestieg es und legte ein tüchtiges Stück Weges damit zurück. Es war damals ein eben in Mode gekommenes Spielzeug; doch je eingehender Dickon es studierte, desto fester wurde seine Überzeugung, daß es zu einem regelrechten Transportmittel werden würde. Anfänglich würde es dem Feiertagssporte dienen, später sich aber verbilligen und zu einem alltäglichen Gebrauchsgegenstand der Arbeiter werden. Dickon wohnte Ausstellungen und Wettrennen bei und fuhr selbst mit Begeisterung. Die frühesten Fahrradreklamen sind sein Werk; auch begründete er eine der ersten Fahrradzeitungen, ›Flying Wheel‹ benannt; er verkaufte sie späterhin, und sie besteht, einer allgemeinen Sportzeitung einverleibt, bis auf den heutigen Tag. Er war emsig bemüht, die Reklame für an den Straßen gelegene Gasthöfe in Radfahrerzeitungen zu organisieren. Eine Zeit lang richtete er sein Augenmerk vorwiegend auf Spezialzeitungen, Zeitschriften für Konsumenten, wie er sie nannte. Für den gewöhnlichen Bürger taugen aber besondere Fachblätter nicht. Im Falle der Fahrräder, Motorräder und Automobile und auf dem Gebiete der Kleintierzucht und der Photographie haben solche Zeitschriften leidlich gute Erfolge erzielt, trotzdem haben sie niemals die Reklame ersetzen können, die sich an die Verbraucher im allgemeinen wendet.

Gleich zu Beginn seiner Tätigkeit im Reklamewesen machte mich Dickon auf den interessanten Konflikt zwischen Annoncen in Handelsblättern und der für den Verbraucher bestimmten Reklame aufmerksam. Unter Handelsblättern verstand er nicht große Fachzeitungen wie etwa die der Eisen- und Stahlindustrie, sondern die Blätter des Detailhandels. Diese letzteren wenden sich an den Kleinverschleißer, den Krämer, den Hotelinhaber und ähnliche, und die annoncierten Waren sind oft gerade jene Imitationen, vor denen der große Reklamemacher sein Publikum warnt. Zumeist sind es die ganz annehmbaren, aber wenig bekannten Erzeugnisse kleiner Fabrikanten, deren Unternehmen nicht umfangreich genug ist, um ihnen einen Reklamefeldzug großen Stils zu erlauben. Diese typischen Handelsblatt-Inserenten wollen ihre Waren dem Manne hinter dem Ladentische und nicht dem Publikum verkaufen; sie sind mit dem Kleinhändler gegen seine großen Konkurrenten im Bunde und erwarten, daß er seine persönliche Empfehlung der allgemeinen Reklame feindlich entgegenstelle. Nach Dickons Ansicht betrieb das Handelsblatt des Kleinhändlers überhaupt keine eigentliche Reklame, sondern vielmehr Anti-Reklame.

Ohne Dickon würde ich wohl niemals tieferen Einblick in das Getriebe des landläufigen Handels gewonnen haben. Infolge des Unterrichtes aber, den er mir angedeihen ließ, erkenne ich noch heute in jeder am Wege auftauchenden Ankündigung, in jedem Artikel eines beliebigen Ladens, in den steilen Gäßchen von Grasse und auf der Landstraße, die über Magagnosc nach Nizza führt, in den Kulturen um mich herum und in den Etiketten meiner Weinflaschen und Senftiegel Bruchstücke, lebendige Einzelheiten des Kampfes zwischen Kleinen und Großen, zwischen der vereinheitlichten Organisation und dem Kleinhandel treibenden Individuum, dieses Kampfes, der im menschlichen Leben immer noch eine sehr wesentliche Rolle spielt.


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