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Ist die Revue vorbei, sobald der Vorhang des Todes herabsinkt?

Soweit William Clissold in Betracht kommt, wohl, glaube ich. Meiner Ansicht nach ist der Tod etwas, was ich nie erfahren werde, denn wenn er zu mir kommen wird, werde ich tot sein. Vielleicht werde ich sein Kommen fühlen, werde es erhoffen oder fürchten, niemals aber werde ich wissen, daß er gekommen ist. Ich werde niemals wissen, daß ich gestorben bin, wie ich ja auch niemals weiß, daß ich eingeschlafen bin. Ich glaube nicht an persönliche Unsterblichkeit. In jungen Jahren wehrte ich mich gegen die Vorstellung, daß das Individuum mit dem Tode erlischt, heute aber nehme ich sie ganz ruhig hin. Etwas in mir mag wohl unsterblich sein, und ich will mich in den folgenden Kapiteln nach besten Kräften bemühen, auseinanderzusetzen, was das ist. Ich glaube aber nicht, daß jenes Unsterbliche irgend einen der besonderen Wesenszüge in sich schließt, die meine Individualität ausmachen. Der Klang meiner Stimme, die Eigenheiten meines Gemütes, meine Neigungen und Abneigungen, das große Buch meiner persönlichen Erinnerungen, all das wird, so glaube ich, verlöschen, sobald mein Herz zu schlagen aufhört.

Es ist noch so viel Gier nach persönlichem Erleben in mir, daß ich, wenn schon nicht Unsterblichkeit, so doch zumindest eine kleine Verlängerung der mir bestimmten Zeit ersehne. Ich gleiche dem artigen Kinde, das zwar gewillt ist, zu Bett zu gehen, viel lieber aber noch ein Weilchen aufbleiben möchte. Ich kann aber nicht die geringste Spur eines Beweises dafür entdecken, daß Erfahrung nach dem körperlichen Tode eine Fortsetzung finde. Die Phänomene der Ohnmacht, des Schlafes und der Bewußtlosigkeit bestärken mich in der Überzeugung, daß die Toten nicht nur unbeweglich scheinen, sondern es auch sind. Und ich bin durchaus unfähig, mir irgend eine Art von Leben, von bewußter Existenz, ohne Hände, die tasten, ohne Augen, die sehen, ohne Gefühl für materielle Substanz, ohne körperliches Empfinden vorzustellen. Nicht Stärke, sondern Schwäche der Einbildungskraft ermöglicht es dem Menschen, sich selbst als körperlosen »Geist« zu denken. Die Idee, daß der Mensch ein dreifaches Wesen sei, aus Körper, Seele und Geist bestehe, die, von einander trennbar, jedes für sich seine Persönlichkeit umfassen, scheint mir ein Überbleibsel barbarischer Hirngespinste aus entschwundener Zeit. Ich kann mir ebenso wenig vorstellen, daß ich als Geist, wie daß ich als bewegliche Photographie weiterleben werde.

Der Verfall der lange anerkannten religiösen Glaubensbekenntnisse, die das Leben nach dem Tode in ein heiliges Dunkel hüllten, hat einen Wust populärer Geisterbeschwörungskünste entfesselt. Ich war zu einer Zeit immerhin so sehr mit dieser Frage beschäftigt, daß ich Mitglied der ›Society for Psychical Research‹ wurde und die angeblichen Beweise für ein individuelles Weiterleben nach dem Tode eifrig studierte. Bewiesen wurde mir dabei nichts weiter als reichlich viel Betrug und noch mehr Selbstbetrug. Und selbst wenn ich die Realität der vorgeführten Phänomene hätte gelten lassen, was ich nicht tun kann, so würden sie bestenfalls ein fragmentarisches Überleben des Willens und des Gedächtnisses eines Menschen bewiesen haben. Angenommen, ein Medium bringt ein belangloses Geheimnis vor, das zwischen mir und einem verstorbenen Freunde bestand und sonst niemandem bekannt war: das verbürgt ein geistiges Weiterleben des Toten ebensowenig wie ein modernder Teil seines Gesichtes, der eine charakteristische Narbe trägt, sein körperliches. Die Tatsache an sich, daß das Medium zu solchem Wissen gelangen kann, läßt auf Hilflosigkeit und Bewußtlosigkeit des Dahingeschiedenen schließen. Zumeist legen die angeblichen Botschaften von den Toten Zeugnis für arge geistige Entartung ab. Die Medien vermögen nichts weiter heraufzubeschwören als klägliche Phantome der Toten, die sie suchen. Als Victor Hugo aus dem Reiche der Schatten berufen wurde, da hatte er, so erzählte mir Anatole France, ›Hernani‹ und ›Ruy Blas‹ völlig vergessen und, solchen Mangel wettzumachen, nichts zugelernt als moralische Plattheiten, wie man sie von einem betrunkenen Hausmeister zu hören bekommen kann. Wenn wir diesem Zeug überhaupt irgend welchen Glauben schenken, dann muß es uns als Beweis dafür gelten, daß sich das nächste Leben aus verworrenen Bruchstücken des jetzigen zusammensetze. Da muß ich wahrhaftig sagen: möge die Flamme meines Lebens lieber mit einem Male verlöschen, anstatt schwächer und schwächer zu leuchten, um schließlich so kläglich zu verflackern.

Die Enthüllungen des Sir Oliver Lodge in ›Raymond‹ und des Sir Arthur Conan Doyle, sowie die nächtlichen Studien Vale Owens bestätigen meine Ansicht. Ich habe nicht den Eindruck, als ob da Tiefes und Machtvolles entschleiert würde, sondern werde bedenklich an den Pfarrer erinnert, der eine billige laterna magica gekauft hat und sich von einer enthusiastischen, aber humorlosen alten Jungfer sonderbare Bilder zurechtklecksen läßt. Ich bin durchaus bereit zu glauben, daß das Weltall von Tragik und Unheil oder von wunderbarer Schönheit erfüllt, nicht aber, daß es etwas im Grunde Albernes sei. Im großen ganzen wird meine Annahme, daß unsere Individualität nichts Unsterbliches in sich schließe, durch die Gegenbeweise der zahlreichen allzu dogmatischen Zeugen der letzten Jahre eher gestützt als ins Wanken gebracht.


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