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Nach dieser Betrachtung der Kulissen – der Physik nämlich und der Astronomie mit ihrem tiefen, dunklen Ausblick, der materiellen Geheimnisse also im Innern der Erde und draußen im Weltenraume – wende ich mich wieder dem Schauspiele auf der Bühne zu.

Ich habe es in seiner Zufälligkeit und Zusammenhanglosigkeit mit einer Londoner oder New Yorker Revue verglichen. Das tapfere Bemühen der Menschen, dem Schauspiel eine zusammenhängende, verständliche Fabel zu unterschieben, es als ein Drama mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende hinzustellen, kann ich nicht unbeachtet lassen. Die jüdische Religion und der Islam geben gute, aber unzulängliche Darstellungen des Weltgeschehens; das Christentum geht mit Talent und Mut über etliche unerklärliche Lücken hinweg. Auch der Buddhismus weiß eine Geschichte zu erzählen, eine Geschichte, die in der Idee einer unpersönlichen Vergeltung und im Erfassen riesenhafter Zeiträume eine merkwürdige Verwandtschaft mit dem Geiste der modernen Wissenschaft zeigt. Doch ist das indische Denken vom Glauben an eine zyklische Wiederkehr aller Dinge durchsetzt. Indem meine Vision der Welt deutlicher und bestimmter geworden ist, haben die verschiedenen dramatischen Diagramme des Universums den letzten Schimmer von Glaubwürdigkeit verloren. Sie sind den Elfen gefolgt, die zu erblicken und zu Spielgefährten zu gewinnen, ich noch halb zu hoffen vermochte, wenn ich im Mowbrayer Park zwischen Farnkräutern lag.

Ich wünschte, ich könnte mich besser an mein frühes religiöses Leben erinnern. Es entwickelte sich im späten Victorianischen Zeitalter, da zwar noch nichts aus den Glaubensbekenntnissen geschwunden, doch alles in ihnen schwächlich geworden war; man glaubte noch an die Hölle, mochte aber nicht, daß davon gesprochen wurde. Der Unterricht war unbestimmt und ausweichend. Ich wurde protestantisch erzogen, doch war der Protestantismus, an den meine Erziehung sich hielt, in Auflösung begriffen. Meine Vorstellung von Gott war eng mit den Zuchtmitteln verknüpft, die meine Pflegerin und später meine Gouvernante in Anwendung brachten, und meine lebhafteste Erinnerung an religiöse Unterweisung in den Bexhiller Tagen ist ein bunt bemaltes Blatt, das gerahmt an der Wand hing und die Inschrift trug:

›Du siehst mich, mein Gott.‹

Ich glaubte fest an dieses Wort, und es drückte meine innere Würde so weit herab, daß ich, wenn auch widerwillig, meinen geheimen Gedanken einen Gott versöhnenden Zwang auferlegte. Ich versuchte, so zu tun, als ob ich dies oder jenes, was mir in den Sinn kam, eigentlich nicht dächte. Man sagte mir immer wieder, ich müsse Gott lieben, doch erinnere ich mich nicht, daß ich auch nur die geringste Zuneigung für jenen schweigsamen, unsichtbaren, alles beherrschenden und gefährlichen Zuschauer empfunden hätte. Gefährlich – ja, das war er! Er konnte mich töten, war durchaus imstande dazu. Wegen irgend eines formalen Vergehens. Wer könnte ein Wesen solcher Art lieben?

Ganz gewiß aber wagte ich niemals zu denken, daß ich ihn nicht liebte. Ich fürchtete ihn zu sehr.

Auch Dickon fürchtete ihn, obgleich er zwei Jahre älter war als ich. Doch sagten wir das einander kaum.

Die Kreuzigung wurde in unserem ersten Unterricht nur spärlich erwähnt. Man sprach davon als einer harten Tatsache, verweilte aber nicht lange dabei. Ich sah Bilder des Gekreuzigten und war entsetzt, daß Gott solche Qual zugelassen habe; und am Ostersonntag mußte ich in der Kirche ein Kapitel des Neuen Testamentes anhören, das meine durch den übermäßigen Genuß frischer Osterkuchen ohnehin schon bedrückte kleine Seele in traurige Bestürzung versetzte. Auch den Gekreuzigten müsse ich lieben, lehrte man mich, aber kein warmes Gefühl für ihn regte sich in meinem Herzen. Er, ein Mitglied der göttlichen Dreieinigkeit, hätte mir den schrecklichen Eindruck der Kreuzigung ersparen können – das war alles, was ich empfand.

Eine unserer vielen Gouvernanten – sie war nur kurze Zeit im Hause – bemühte sich, mir Liebe zu dem Gekreuzigten einzuflößen. Ihren Namen weiß ich nicht mehr. Sie war hochgewachsen und trug ein grünes Kleid; ihr dicker, rötlicher Hals ging, die leichte Rundung des Kinnes verwischend, in ein rötliches Gesicht über, und ihre Stimme klang mir salbungsvoll. Sie schien sich dauernd ein wenig nach vorne zu neigen. Als sie keinen Funken von Dankbarkeit für den Dornengekrönten und ans Kreuz Genagelten in uns entdecken konnte, versuchte sie, uns ihren Glauben in anderem Lichte vorzuführen. Sie zeigte uns ein buntes Bild, das Christus darstellte, wie er, von einer Kinderschar umgeben, einen kleinen Knaben auf den Knien hält. »Möchtet ihr nicht auch zu ihm kommen?« fragte sie uns und blickte uns erwartungsvoll an.

Das stieß uns wieder auf andere Weise ab.

Ich erinnere mich, daß Dickon, die kleinen mit Sommersprossen bedeckten Hände halb in die Taschen seiner ersten Höschen geschoben, sehr verstockt vor sich hinblickte und nichts sagte. Wir wollten uns nichts vergeben.

Auf solche Art wurde ich über Jesum Christum belehrt. Und seit wenigen Jahren erst vermag ich hinter dem Vorhang, den das Entsetzen und der Widerwille meiner Kindheit um ihn gewoben hatten, eine Persönlichkeit zu erkennen.

Meine Mutter ging in die Kirche und schickte auch uns hin. Ernstlich befragt, würde sie wohl, mit Einschränkungen zwar und offenkundiger Abneigung, schließlich zugegeben haben, daß sie Christin sei; doch daß sie der englischen Hochkirche angehöre, ja sogar eine treue Anhängerin dieser Institution sei, hätte sie jederzeit sofort und freudig eingestanden. Ich erinnere mich nicht, daß sie jemals über Christum, die Erlösung oder dergleichen Themen mit uns gesprochen hätte; ebensowenig taten das unsere Pflegerinnen und Gouvernanten, abgesehen von der einen, die ich eben erwähnt habe. Unser Heim besaß zwar eine Religion, doch waren ihr weitgehende Einschränkungen auferlegt. In der Kirche hörte man nicht recht zu, und nur wenige schwächliche Hymnen wurden gesungen. Selbst der verkürzte anglikanische Gottesdienst schien langweilig und überflüssig. ›Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.‹ Ich sammelte meine schweifenden Gedanken. Endlich durfte ich mich wieder bewegen. Uff! Welche Erleichterung! Trotzdem war mir der Gedanke an Gott etwas Furchtbares.

Es ist mir durchaus unmöglich, die einzelnen Entwicklungsphasen zu rekonstruieren, die mein Geist durchlief, bis er sich von der Idee einer allwissenden, allgegenwärtigen, von Mißbilligung erfüllten und uns beherrschenden Gottheit befreite. Doch weiß ich, daß ich mich als Student bereits offen gegen jene Zwangsvorstellung auflehnte. Ich pflegte, nicht wenig entsetzt über meine eigene Kühnheit, gotteslästerliche Scherze über ›meinen Freund, den Mr. G.‹ vorzubringen. Zum Beispiel behauptete ich, ich stände in besonderer Beziehung zu ihm, empfinge geheime Offenbarungen und vermöchte Außerordentliches durch mein Gebet. Mitunter nannte ich ihn ›den anderen Mr. G.‹; in jenen Tagen wurde nämlich der Liberalismus Großbritanniens in verhängnisvoller Weise von der erstaunlichen und durch nichts zu beirrenden Persönlichkeit Mr. Gladstones beherrscht, und die ohnmächtige Partei, die sich unter dem Einfluß seiner Energie widerwillig um ihn geschart hatte, pflegte ihn mit einer etwas ängstlich-ehrfurchtsvollen Familiarität ›Mr. G.‹ zu nennen. Es hatte einen gewissen Reiz, diese beiden geheiligten Schreckgestalten miteinander zu vermengen, ja der Scherz wurde um so lustiger, als sich der irdische Mr. G. – die Tage meiner Studentenzeit waren noch nicht vorbei – auf eine, lächerliche Unwissenheit bekundende Verteidigung des Buches Genesis als einer glaubwürdigen Zusammenfassung der Paläontologie einließ. Er hatte stark das Gehaben eines hervorragenden Schriftstellers, der seinen Kritikern Rede steht ...

Professor Huxley, sein Gegner in der Kontroverse des neunzehnten Jahrhunderts, galt mir als Held – er, der tapfere Anatom, der ernste, weißhaarige Dechant unseres College mit dem gelblichblassen Gesicht, der einsam und furchtlos gegen beide Mr. G. stand und sie gemeinsam aus zahllosen, bis dahin arg von ihnen bedrückten Gemütern verbannte.

Ich glaube, daß der im Verlaufe unserer Entwicklung fortschreitenden Veränderung unserer religiösen Reaktionen zu wenig Beachtung geschenkt wird. Die großen Weltreligionen stammen aus einer Zeit, da die durchschnittliche Lebensdauer geringer und die Welt verhältnismäßig reicher an Kindern und jungen Menschen war, so daß das Gefühlsleben im allgemeinen eine stärker jugendliche Note aufwies als heute. Das Dasein war kurz, das Denken gemächlich. Die meisten Menschen glaubten, was man ihnen sagte. Nur weniges wurde als neu erkannt, und es bestand keinerlei Gier nach Neuem, sie war dem Geiste jener Zeiten fremd. Langsam bildeten sich damals Ideen, während sie heute wild emporschießen. Fragezeichen, diese Stechfliegen der modernen Welt, waren damals kaum bekannt. Heute schwärmen sie auf allen Pfaden und infizieren uns mit einem Fieber des Zweifels. Nur wenige Menschen entwuchsen damals der Furcht und dem Glauben, die sie in der Kindheit erworben hatten. In unserer Zeit ist das bei sehr vielen der Fall, und unsere unverhohlenen Taten und frei geäußerten Gedanken versetzen zahlreiche noch recht junge Leute in eine geistige Verfassung, in die sie aus eigenem Antrieb allein erst weit später geraten wären.

Ich kann nicht beurteilen, inwieweit die jetzige Generation die Phasen wiederholt, die Dickon und ich vor vierzig und etlichen Jahren durchlaufen haben, und ob sich bei ihr dasselbe Bedürfnis zeigt, eine einstige kindliche Furcht vor Gott durch familiäre Späße wettzumachen. Die Erbauungsliteratur unserer Knabenjahre war von dem Gedanken an eine göttliche Vorsehung durchsetzt – eine kleinliche, unverläßliche und anmaßende Einmischung Gottes in alle menschlichen Angelegenheiten, sozusagen –, und wir zwei machten meinen Mr. G. zu einem Symbol für all die kleinen Tücken und freundlichen Überraschungen des Wetters, die Zufälligkeiten von Weg und Steg, die Chancen beim Kartenspiel, für all die Launen des Schicksals mit einem Wort, die damals als von der göttlichen Vorsehung bestimmt galten. Und für jede Absonderlichkeit der Natur, die zu unserer vorgefaßten Meinung von einem würdevollen Wohlwollen in Mißklang stand. Indem wir solcherart immer wieder eine ganz ungöttliche Absurdheit unseres Mr. G. ins Auge faßten, wurde er zu einem Zerr- und Spottbild aller anthropomorphen Götter. ›Warum um alles in der Welt‹, sagten wir beim Anblick der Hyäne oder des Warzenschweins im Tiergarten etwa oder einer Schnecke im Salat, ›mag Mr. G. das geschaffen haben? Wenn er sich der Schnecke nicht geschämt hätte, würde er sie wohl nicht in einem Lattichblatt verborgen haben. Und eine schöne Geschichte wär's gewesen, wenn Eva ihm gehorcht hätte! Sie hatte ja einen freien Willen. Was hätte er dann mit all den scheußlichen Kreaturen angefangen? Ihre Erschaffung rückgängig gemacht? ... ‹

Dickon kam bezüglich der sechs Schöpfungstage (oder richtiger Nächte) auf einen phantastischen Einfall. Sie seien erst nach dem Sündenfall gekommen, behauptete er. Auf diese Weise bleibe Eva im Vollbesitz ihrer theologischen Willensfreiheit. Nach ihrem ärgerlichen Fürwitz habe Mr. G., bitter beleidigt, in aller Heimlichkeit das bis dahin vollkommene Weltall sabotiert; sechs unheilvolle Nächte hindurch habe er es sabotiert, habe die Sünde als neue Note in sein Werk gebracht, den Klängen Disharmonie gegeben, Gestänke erfunden, alle krankheitserregenden Bakterien geschaffen, den Wespen einen Stachel und den Fliegen unappetitliche Instinkte verliehen und Zehntausende einst anständige Spezies in bösartige Parasiten verwandelt. Kreischend vor Lachen lag Dickon im Bett und war eine Weile nicht imstande, eine neue und fürchterlichere Verzerrung, die ihm eben durch den Sinn fuhr, in Worte zu fassen.

»Mr. G. wußte nicht mehr, was er tat!« brachte er schließlich halb erstickt hervor. »Er war außer Rand und Band. Einfach Wurst war ihm alles.«

Dieser alte Spaß vermag mich immer noch zu entsetzen und zu belustigen. Vorigen Juni zum Beispiel legte ich meiner komischen lieben Clem die Launen und den Charakter unseres Mr. G. dar. Wir stiegen einen gewundenen steinigen Pfad empor, die alte Straße nach dem unbeschreiblichen Dorfe Gourdon, das einen steilen Felsen hoch über dem Tale des Loup wundersam krönt, und setzten uns an einer Wegbiegung nieder, die einen besonders schönen Ausblick auf die blauen Hügelkämme des Esterelgebirges gewährt. Mit einem kurzen, harten Schrei sprang Clem im Nu wieder empor und schien mehr als halb geneigt, mich dafür auszuschelten, daß sie mit der Hand in ein kümmerliches kleines Gestrüpp gefaßt hatte, das über und über von scheußlichen, krabbelnden Tierchen wimmelte. Weiche, rote Larven waren es, die eben aus dem spinnwebigen Neste krochen, in dem sie ohne Zweifel ausgebrütet worden waren.

»Mr. G.'s böse Stunde«, sagte ich.

»Was soll denn das heißen?« fragte sie.

Die Stunde, in der die Insekten gemacht wurden, erklärte ich als eine Stunde fieberhafter, ränkevoller und grausamer Tätigkeit, eine krankhafte Einverleibung üblen Zeugs in das Leben. »Ist dem vielleicht nicht so?« fuhr ich fort, als sie mit dem Ausdrucke des Protestes die Augenbrauen hochzog.

Und ich verbreitete mich in vorwurfsvollem Ton über die zahllosen Insektenarten, die da stechen, beißen, uns vergiften und infizieren, ins lebendige Fleisch eindringen, Kannibalen sind und abscheuliche Parasiten, und sprach von den Qualen, die sie verursachen können, von ihren schmutzigen Gepflogenheiten, von der Tatsache, daß sie unendlich schädlich und aufreizend nutzlos sind. Die Spinnen, Läuse und all das widerwärtige Krabbelgetier bedeuteten etwas Krankhaftes in der Schöpfung, behauptete ich. »Wo waren Mr. G.'s Gedanken, als er sie schuf? Was wandelte ihn an? Vor dem Sündenfall! Bedenke, vor dem Sündenfall!«

Clems Antlitz zu betrachten war wunderbarer noch als die Aussicht. Wenn sich ein Gedanke in ihr durchringt, hört sie auf schön zu sein und bekommt etwas Koboldhaftes. Sie war offenkundig entsetzt, viel mehr aber noch entzückt von der befreienden Note in dieser neuen Version der Schöpfungsgeschichte.

»Schließlich hat dein Mr. G. auch diese Aussicht geschaffen«, meinte sie, indem sie sich tapfer zu meiner Betrachtungsweise aufschwang.

»Fast aber hätte er es dir durch einen unritterlichen Schabernack unmöglich gemacht, sie zu genießen ...«

Wir entwachsen dem Glauben. Kinder sind von Natur aus und ihrem ganzen Wesen nach gläubig. Sie beginnen ihre Laufbahn mit einem Gefühl des völligen Geschütztseins. Unerschütterliches Vertrauen erfüllt sie. Ein geliebtes Kind weiß nicht, daß das Leben durchaus unsicher ist; diese Vorstellung liegt außerhalb seines Gedankenkreises. Es meint, es sei in jeder Hinsicht wohl behütet, all sein Tun und Lassen werde überwacht; ist es brav, werde es belohnt, ist es schlimm, bestraft werden. Erst später beginnt es unter dem Druck der Gesetze, die es einengen, zu leiden – es beginnt Fragen zu stellen; aber selbst dann zweifelt es zunächst nur an der Gerechtigkeit der göttlichen Ordnung und lange noch nicht an deren Bestehen. Ein gut Teil dieser kindlichen Geistesverfassung bleibt vielen Menschen bis in ihre reifen Jahre, ja bis ins Greisenalter hinein erhalten. Von einem Unglück betroffen, klagen mitunter ganz alte Menschen über die Ungerechtigkeit des Schicksals, als ob ein Versprechen gebrochen worden wäre. Erst neulich erfuhr ich, daß Margaret Payton, die tapfere Skeptikerin und klardenkende Frau, sich einer kleinen, aber schmerzhaften Operation unterziehen mußte. Halb von Chloroform umnebelt, verriet sie die einstigen, immer noch in ihr bestehenden Vorurteile ihres Geistes. »Was habe ich getan,« fragte sie grollend, »daß Gott mich so leiden läßt? ... Was habe ich getan? ... Welches Recht hat Gott dazu? ... Es ist unbillig gegen mich.«

Wir aber, die wir geistig den Kinderschuhen entwachsen sind, lassen schließlich jedweden Glauben an eine Vorsehung und jedwedes Gefühl der Verantwortlichkeit hinter uns. Wir erkennen die völlige Gleichgültigkeit des Weltalls gegen uns und unsere Aufführung. Wir wissen, daß wir unbeschützt allen Unbilden ausgesetzt sind. ›Der Herr ist mein Hirte,‹ singt der Psalmist, ›deshalb will ich kein Unheil fürchten.‹ Und: ›Gott ist unsere Zuflucht und unsere Stärke, in Zeiten der Not ist seine Hilfe nah.‹ Ich aber gebe mich keiner Täuschung über einen Hirten hin, der mich beschützte. Kein Gott leitet mich zum Guten oder Bösen. Kein Schild deckt mir den Rücken, kein Freund behütet mich vor hinterlistigem Angriff. Dafür liest aber auch keiner meine geheimsten Gedanken, noch ehe ich sie selbst klar zu erfassen vermag, indem sie in meinem Hirne sich regen. Keiner zieht mich zur Rechenschaft ob meiner Beweggründe. Keiner steht dräuend hinter meinem Gewissen und durchkreuzt meinen Willen mit willkürlichem Gebot. Wenn ich die Wahrheit sage, so geschieht es darum, weil die Lüge mich knechtisch und verräterisch dünkt und ich sie verabscheue, und wenn ich, um freundlich gegen einen Mitmenschen zu sein, auf meinem Wege beiseite trete, so ist es nicht anders, als wenn ich meinen Pfad für eine kleine Weile verlasse, um einen hübschen Winkel in meinem Garten aufzusuchen.


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