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4

Die Constanza zog Franzi auf die Straße hinaus. »Sag', bist du eigentlich wach? Laß dich anschauen! Deinen Augen ist nichts mehr anzusehen. Gott sei Dank, wenigstens etwas wird die Presse an dir zu loben haben: deine sympathische Erscheinung und dein hübsches Gesichtlein.«

»Gib dir keine Mühe, ich weiß ganz genau, was ich tue und was nicht.«

»Und ob du es weißt! Du sagst doch selbstverständlich ab.«

»Warum?«

»Ich denke, du hast deine Gründe. Ich bin ja auch Frau. Ich verstehe dich ganz gut. Es gibt Dinge, über die man nicht hinwegkommt.«

»Nicht?« sagte Franzi und sah die Constanza starr an.

»Mein Liebling, ich hoffe, daß du mich nicht bloßstellst. Franzi, glaub' mir, ich kann es vor Diemitz nicht verantworten, daß du nach einer solchen Probe öffentlich spielst. Auch Spangenberg ist meiner Ansicht. Solltest du in Geldnöten sein, kannst du selbstverständlich auf mich rechnen. Ich gebe dir die fünfhundert Mark aus eigner Tasche.«

»Besten Dank für deinen guten Willen, aber bitte, kein Geld! Geld würde unsere freundschaftlichen Beziehungen stören. War das deine Absicht? Willst mich los sein?«

»Aber, mein Kind«, sagte Constanza, »sei doch vernünftig! Ich verstehe dich, ich billige alles... Was soll ich denn auch sonst tun? Ja, beinahe möchte ich sagen, ich beneide dich darum, daß du deine Privatexistenz noch so ernst nehmen kannst.«

»Bitte, tröste mich nicht! Ich denke, wir lassen die Sache auf sich beruhen. Schließlich ist es doch mein Name, der auf dem Programm steht.«

»Wie du willst«, sagte die Constanza. »Hast du mir noch etwas zu sagen? Kann ich noch etwas für dich tun?«

»Willst du mir heute noch Gesellschaft leisten? Ist es dir recht, wenn wir einen Wagen nehmen und irgendwohin spazierenfahren?«

»Und dann?«

»Ja, dann gehen wir in dein Hotel, und du läßt mir deine Friseurin kommen. Mein Haar hat es notwendig. Bitte, sprich nicht, ich weiß alles. Und wenn du in deiner Freundschaft schon soviel für mich getan hast, dann telephoniere noch in mein Hotel, damit mir die Leute mein weißes Kleid zu dir herüberschicken ...«

»Ist das alles?« fragte die Constanza.

»Alles«, sagte Franzi, »und wenn Erwin zurückkommt, so soll er mich dort um zehn Uhr abends erwarten. Dann ist mein Konzert doch wohl zu Ende?«

»Zu Ende? Nein, Franzi«, sagte die Constanza mit Entschiedenheit, »ich kann nicht glauben, daß du in deiner jetzigen Verfassung spielen willst.«

»Nicht spielen? Was denn sonst? Hältst du mich denn für wahnsinnig?«

»Entschuldige, liebes Kind, ich kann dir nur eines sagen, vorhin, ja, es sah geradezu grauenhaft aus. Du sitzt leichenblaß da und schepperst mit den Ellbogen. Der arme Spangenberg renkt sich beinah die Arme aus, aber du siehst nichts und hörst nichts. Ich weiß nicht, ob ich dir gesagt habe« (sie zog die Schultern in die Höhe), »daß mir alles Hysterische im höchsten Grade unsympathisch ist. Mag sein, ich habe selbst etwas davon an mir, aber ich kann das bei anderen Leuten nicht aus der Nähe ansehen. Gott helfe mir von allem Übel! Es stößt mich geradezu ab.«

»Es kommt nicht wieder vor. Ein Tag wie der heutige steht nur einmal im Kalender.«

»Wenn dir das jemand wünscht, bin ich es, glaub' es mir! Was wünsche ich dir nicht alles? Aber sag', mein junges Kind, hast du Hunger? Willst du nicht etwas zu dir nehmen? Es ist Zeit genug.«

»Nein, danke. Ich werde nicht verhungern. Auch Dagmar hat soviel Charakter aufgebracht.«

»Ach, du und Dagmar. Ich habe nun schon einmal solches Pech!« sagte die Constanza.

»Ja, ich weiß, du vergleichst mich mit ihr. Schade.«

»Seit heute verstehe ich euch nicht mehr.«

»Euch? Ist das Erwin und ich? Oder Dagmar und ich?«

»Ach, keine Spitzfindigkeiten!« sagte die Constanza und winkte ab. »Wozu reden? Philosophie ohne Verstand! Da ist doch nicht zu helfen.«

»Ich dachte, das weißt du schon lange. Und trotzdem hältst du zu mir. Und ich, ich bin dir im Grunde dankbar – für vieles.«

»Franzi«, sagte die Constanza, und aus der Stimme der Primadonna brach Menschlichkeit hervor, »wenn du es doch nur könntest! Nimm dich zusammen. Mach endlich einen Strich unter das Ganze! Folge mir! Folge doch dir selbst! Du weißt doch selbst alles viel besser, als ich es dir sagen kann. Es ist absolut klar, so geht es nicht weiter, so gehst du zugrunde. Und er mit dir. Ist es das wert? Denk' doch, was soll noch kommen? Es graut mir, wenn ich daran denke. Nein, du, ein Mensch wie du... wie kann sich eine Franzi so etwas antun... einen Tag wie heute... vor all den Leuten. Das war keine Probe, das war ein Skandal!«

»An die Probe habe ich gar nicht mehr gedacht. Ich wollte dir nur dafür danken, daß du mich vor dem Spiegel gewarnt hast. Sonst wäre ich womöglich auch noch nervös und müßte über mich und mein Elend und meine geschwollenen Augen und zerrauften Haare weinen...«

»Daß du jetzt noch lachen kannst!«

»Ach, warte nur, heute abend...«, und sie sah auf.

»Na, geb's Gott!« sagte die Constanza.

Franzi spielte am Abend. Nie hatte die Künstlerin sich ihrer Kunst so ganz hingegeben wie an diesem Tag. »Ich kann also doch leben«, dachte Franziska, als alles zu Ende war.

»Doch, doch!«

»Ich wußte es ja«, sagte die Constanza, »es ist etwas an dir. Du warst heute besser als du selbst. Aber versuche Gott nicht zum zweitenmal!«

Als sie beide nach dem Schlusse des Konzertes auf der Straße standen und auf den Wagen warteten, kam Harry Logcziusko an ihnen vorbei und grüßte nicht.


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