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5

Am Abend dieses Tages gingen Franzi und Erwin den Wenzelplatz hinauf und sprachen über die Zukunft. Erwins kleine Verbesserung am drahtlosen Telegraphen bewährte sich, sie war aber, wie er in Berlin erfahren hatte, noch immer nicht über ein Stadium der Unzuverlässigkeit hinaus, 93 Prozent Wirksamkeit, 7 Prozent Versager.

»Die Sache muß einmal gehen wie das Getriebe einer ganz gewöhnlichen Uhr«, sagte er.

»Wirst du es einmal soweit bringen? Traust du dir das zu?«

»Zeit und Ruhe habe ich ja nun genug«, sagte er mit Bitterkeit.

»Ist dir immer noch um deine Schulbücher leid?«

Erwin schwieg. Nach einer Weile begannen sie wieder über die Geldfrage zu reden.

»Wir werden sparen«, sagte Franzi.

»Oder hungern«, sagte er.

»Was macht das? Ich bin noch nicht zwanzig und du noch nicht dreiundzwanzig.«

»Ich kann ja wieder in einer elektrotechnischen Werkstatt arbeiten.

»O nein«, antwortete Franzi, »das will ich dir nicht zumuten. Nun warte hier einen Augenblick auf mich.«

Sie waren vorhin an einer Buchhandlung vorbeigekommen. Franzi ging den Weg zurück und kam erst nach zehn Minuten mit zwei schweren Paketen wieder.

»Hier hast du deine Bücher wieder«, sagte sie einfach. »Es sind aber noch nicht alle; ein Lexikon, Stowasser heißt es, habe ich nicht mehr mitschleppen können. Das hattest du doch auch daheim, nicht? Du kannst es nun gleich abholen – wenn nicht, dann kann es dir zugeschickt werden. – Sieh mich nicht so an, lieber Erwin, du glaubst wohl, ich habe die Rechnung nicht bezahlt?«

»Ich sehe dir an, daß es ein Geschenk sein soll. Danke. Aber du hättest es nicht tun sollen.«

»Warum nicht, Erwin?«

»Deine paar Kreuzer reichen noch nicht einmal für dich selbst.«

»Für uns beide reichen sie. Und nun keine Vorwürfe mehr. Freue dich doch einmal! Bitte, freue dich doch mir zuliebe. Ich möchte nicht mehr hören, daß ich dir Geschenke bringe, die du nicht brauchen kannst wie mein altes Notenheft.«

Erwin nahm eines der schweren Pakete. Er wußte nicht, daß Franzi ein Drittel ihres Kapitals an die Bücher gewendet hatte.

Ein Dienstmädchen, ein rotes Umschlagetuch um die Schultern, einen leeren Wasserkrug in der Hand, kam schnell heran.

»Jesus, Maria, Joseph! Bist du es wirklich, Franzi?«

Franziska gab ihr die Hand.

»Ja, Minna. Das hättest du wohl nicht gedacht? ... Das ist eine Überraschung! Aber sei nicht böse. Ich muß wieder fort. Ich bin nicht allein. Ich komme zu gelegener Zeit wieder. Wolltest du noch etwas sagen?«

»Ja ...«, stotterte Minna, »wenn ... wenn du hierbleibst, dann trinke nur ja kein Wasser. Es gibt nur einen guten Brunnen in der Stadt. Das gewöhnliche Wasser ist Gift.«

»Ich danke dir! Aber mir geschieht nichts. Nun adieu. Minna, ich komme später einmal zu dir. Ist es dir recht?«

»Adieu, adieu«, stammelte Minna erschreckt, beschämt und erbittert durch dies brutale Abschiedswort.

»Wer war denn das nette kleine Ding?« fragte Erwin.

»Meine Schwester.«

»Deine Schwester? Du hast keine fünf Worte mit ihr gesprochen.«

»Nun, und?«

»Ist sie dir nicht mehr wert?«

»Ach«, antwortete Franziska, »wir haben von heute an für uns zu sorgen, mein Liebling.« – Ich allein habe für uns beide zu sorgen, dachte sie. Gestern war noch der letzte Tag der Freiheit. Ich hätte abends im Hotel auf Diemitz warten sollen, statt auf dem Altstädter Ring herumzuschlenkern, schweren Wein zu trinken und den Springbrunnen mit den zwei Delphinen zu bewundern. Diese grauenhafte Nacht! Vorher hätte ich besser gespielt als nachher. Aber es ist gleich. Zurück kann ich nicht mehr. Minna wird mir nie dieses Wiedersehen vergessen; und Erwin glaubt immer noch, seine alten Schmöker, die jetzt auf den Schienen verfaulen, seien besser und schöner als die neuen Bücher, die ich ihm gekauft habe. Kann er sie nicht vergessen? Kann er Hedy nicht vergessen? – Wenn sie alle es nicht können, ich werde es können. Was hilft alles Reden? Es muß sein. Morgen spiele ich Diemitz noch mal vor.


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