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2

Erwin hatte erfahren, daß alle während der Arbeitstunden gefundenen Verbesserungen der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie gehörten: nun zeichnete er nicht mehr in den Arbeitsstunden, sondern baute sich daheim in seinem Zimmer in einem Gartenhause der Chausseestraße ein kleines Modell des Sendeapparats für drahtlose Telegraphie auf, wie es den letzten Erfahrungen entsprach. Als er daranging, auch den Empfänger nachzukonstruieren, kam er auf eine eigenartige Anordnung, etwas, das ihm selbstverständlich erschien und doch ein kleiner Schritt hinaus war über die letzten Errungenschaften, etwas, das einfach war und deshalb gut, das neu war und deshalb in seinen Augen schön.

Das machte ihn glücklich. Er begann sich Menschen anzuschließen. Nun hatten plötzlich alle Menschen etwas Wunderbares, Überraschendes für ihn, und das erste Mädchen, das er kennenlernte, wurde ein großes Erlebnis – mehr als das, eine wirkliche Leidenschaft.

Aber nur große Menschen sind einer großen Liebe gewachsen. Die kleine Hedy war es nicht. Sie liebte Erwin; der erste Rausch, die erste Glut hob beide über sich empor. Aber in dieser Höhe konnte sich Hedy nicht halten. Die Überschwenglichkeit seines Gefühls bedrückte sie, reizte sie zum Lachen. Erwins Überlegenheit erschien ihr unberechtigt, und sie quälte ihn, um ihm zu beweisen, daß sie die Stärkere sei, wenn sie ihn auch liebte, noch liebte. Aber sie war unbefriedigt, hungerte, gierte nach einem überwältigenden Glück; weshalb sollte er zufrieden sein? Sie widersprach ihm, stellte seine Liebe so lange auf die Probe, bis er eines Tages, auf das Äußerste gereizt, das Mädchen beinahe mit Fäusten geschlagen hätte. Er beherrschte sich, bat um Entschuldigung für etwas, das nicht geschehen war. Sie verstand ihn nicht, verachtete ihn, weil sie fühlte, daß sie Schläge verdient, aber nicht erhalten habe, und an ihrem kalten Lächeln mußte er sehen, daß auch er sie nicht mehr verstand.

Sie wollte nicht nachgeben, drohte, halb kindlich, halb brutal, ihn zu verlassen, und er, im unbewußten, knabenhaft unklaren Gefühl einer unwandelbaren Neigung, hielt es für sein Recht, ihr mit dem Abschied für immer zu drohen. Sie schwieg und ging. Er begriff es nicht, aber er ließ es dabei. Die Gelegenheit traf sich gut. Er konnte, während seine Neuerung im Entwurf zur Begutachtung auf dem Schreibtisch des Chefingenieurs lag, eine Expedition nach Südamerika mitmachen; eine drahtlose Leitung über die Anden war geplant.

Er erkrankte in Buenos Aires, sechs Monate danach, zwei Tage vor der geplanten Heimkehr. Die Malaria war nur halb geheilt, als er nach Berlin zurückkehrte. Als er Hedy wiedersah, durch die Krankheit, durch das unverdiente Unglück doppelt empfindlich gemacht, wurde er von einer Fremden empfangen.

Der erste Abend war mehr als eine Enttäuschung; für ihn war es eine Begegnung mit dem Leben, über die er nicht mehr hinwegkam. Er fühlte, daß er unterlag, fühlte, daß er sie hassen, verachten, mit den Füßen stoßen sollte, und doch klammerte er sich an sie, seine ganze Kraft legte er in eine sinnlose Liebe, in eine trostlos leidenschaftliche Eroberung dessen, das sich nicht erobern läßt. Nie hatte er sie so geliebt wie an diesem ersten, einsamen Abend in seinem Hotelzimmer. Er lag stundenlang wach und konnte nur einschlafen, weil er sich selbst, wie einem Kind, für morgen alles versprach.

Aber auch am nächsten Tag wußte er sich nicht zu fassen, wieder klammerte er sich an Worte, an briefliche Versprechungen, an Erinnerungen aus der ersten, unbewußt süßen Zeit, hörte ihr »Nein« ungläubig an – und als sie ihm durch eine kleine Bewegung ihrer bescheiden behandschuhten Hand bewies, daß es ihr Ernst sei, verließ er sie wortlos. Es war spätabends, und er hoffte in der Müdigkeit des Augenblicks, daß am nächsten Tage alles vorbei sein und daß er ein neues Leben ohne Hedy beginnen könne.


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