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4

Eine Woche nach jenem Abschied an der Untergrundbahn sprach sie ein großer, eleganter Herr an. Sein Gesicht verschwand beinahe unter einem ungeheuren, fast bestialisch wilden Bart, dessen blauschwarze Locken sich um einen kleinen Mund kräuselten. Es war ein polnischer Kaufmann, Jegor Wolsky, ein Mann in reiferen Jahren, der seine Frau vor zwei Jahren verloren hatte und der seinem einzigen geliebten Töchterchen keine neue Mutter geben mochte.

Er war breitschultrig, etwas plump, er sprach laut, aber ohne daß sich in seinem Gesicht etwas rührte; nur der Bart bewegte sich, rauschte um seinen Mund.

Er gefiel ihr, aber sie mußte an Erwin denken, der schlank und blond war. Konnte sie ihn nicht vergessen? Sie war außer sich vor Wut, daß sie es auch jetzt nicht konnte. In ihrer Wut verlor sie die Besinnung. Ohne die geringste schmeichlerische Liebkosung folgte sie ihm in seine Wohnung, gab sich ihm sofort hin. In dieser Stunde, in der Stunde nachher, war in ihr etwas von der Seele ihres Vaters, der in der hilflosen Wut gegen Krankheit, Hunger und Tod den Plan seines Lebens zertrümmert, der in einer Stunde die tausend Pfennige seiner Sparsamkeit sinnlos, wie von einem fremden Willen betäubt, in sich hineingeschlungen hatte.

Sie kam nach Hause, bleich, zitternd wie ein Mensch, der einen schweren Unfall erlebt; sie schrie im Schlaf. Die Mutter ahnte, was vorgegangen war. Sie weinte, aber sie fragte nicht.

Am nächsten Tage bereute Jegor Wolsky seine Brutalität. Denn das hatte er gemerkt, daß Hedy keine Dirne war. Er brachte ihr einen Ring mit einem Opal mit. Er lud sie zu einem Souper ein.

Sie wies den Ring ab, die Einladung nahm sie an. – Sie saßen in einem eleganten Weinrestaurant einander gegenüber. Hedy hatte nicht den Mut, zu essen, zu trinken, zu sprechen, und ihre Schüchternheit rührte Jegor. Er sprach sanft zu ihr, sagte ihr »du«, aber nicht das Du, das man Kokotten sagt, sondern das Du, mit dem er seine kleine Tochter rief. Er nahm nochmals den Opalring hervor, drehte ihn im Licht herum, wobei er selbst über die Kleinheit des Steinchens lächelte. Er fragte von neuem, was sich Hedy wünsche, aber Hedy hatte keine Wünsche. Sie lehnte sich in den weichen Fauteuil zurück. Der gelbe Wein stand vor ihr, die Blasen stiegen auf, und am liebsten hätte sie den kleinen Finger in den Champagnerkelch getaucht. Sie trank. Plötzlich hörte sie Musik. Die Musik hatte schon eine Stunde lang gespielt; aber jetzt erst hörte sie die Melodie. Die Töne lagen in den seidebespannten Wänden, sie schienen näher zu kommen wie eine Fee im Märchen, die in den Bäumen wohnt zwischen Rinde und Stamm.

Etwas Unsagbares machte sie tief atmen. Sie fühlte einen Duft und sah nirgends Blumen. Die matte Tischlampe leuchtete rot, und sie riß die Augen auf, ganz erstaunt.

Der Pole hatte Schnäpse kommen lassen, goldfarbene, tiefgrüne und ganz klare, die wie geschmolzener Bergkristall leuchteten. Drei silberne Becherchen standen da, im Innern leicht vergoldet, winzig wie für Zwerge oder wie für eine Puppenwirtschaft. Der Pole mischte mit ernstem Gesicht die verschiedenen Sorten. Hedy trank. Sie schloß die Augen, atmete tief, und plötzlich begann sie zu lachen, ein trillerndes Lachen, das tief in ihrer Brust aufwachte. Ihre Finger, die ein silbernes Becherchen hielten, zitterten.

Wolsky saß ganz nahe bei ihr. Er nahm ihre Hand, streichelte ihren feinen Zeigefinger, und ihr war, als küsse er damit ihren ganzen Körper mit einem einzigen Kuß.

Am nächsten Morgen wollte er sie heimbringen, aber sie konnte sich nicht von ihm trennen. Er nahm eine Droschke und befahl dem Kutscher, durch den Tiergarten zu fahren. Die Straßen waren noch öde; an den Standplätzen der Automobile glänzten auf dem Asphalt breite Lachen schwarzen Öles; und die Luft war verpestet vom Benzin und von dem Dunst der Zigaretten, der wolkenschwer aus den Türen der Nachtlokale schwelte.

Aber unter den Bäumen wehte der frische Hauch des Tages. Einige frühe Reiter preschten über den Kies. Oben auf dem Viadukt der Stadtbahn erklang das Signalpfeifchen des Streckenwärters, der die Züge avisierte. Von den Wiesen, von der feuchten Erde der Straße, von dem verhangenen Spiegel des »Neuen Sees« stiegen Morgennebel auf.

Hedy war in ihrer Müdigkeit so glücklich, daß sie ihren Kopf auf die Knie des Polen niederlegen wollte. Aber Jegor hielt sie zurück und brachte sie schnell nach Hause. Auch er war glücklich. Hedys Stimme erinnerte ihn irgendwie an die Stimme seiner Tochter, die er bei seiner Mutter in Russisch-Polen zurückgelassen hatte.


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