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XIX.

Meines Vaters Wunsch, daß Gott uns allen gnädig sein möge, erfüllte sich zunächst an seinem Sohne. Denn Gott ließ mich gleich nach diesem Begebnis in eine schwere Krankheit verfallen, darin ich dem Tode nahe kam. Aber alsdann erhielt er mich am Leben. Und erachte ich dieses als seine allergrößte und herrlichste Gnade; indem er mir dadurch kund und zu wissen that, daß ich ihm mein Leben weihen sollte und daß er die Opferung meines Lebens für meine Geliebten und mein Volk in Gnaden annähme.

Lange Zeit fühlte ich nichts von mir und als mein Bewußtsein allmälich zurückkehrte, ließ der Herr eine süße Mattigkeit über mich kommen, welche mich schwach machte wie ein Kind. Nun hat der Himmel es in seiner Weisheit so eingerichtet, daß Kinder wenig von Gedanken wissen; denn wie könnten sie sonst so wundersam glücklich sein? Und mag man daher wohl Kinder selig preisen und die Kindheit als das Allerschönste vom Leben, schier als etwas Geweihtes und Heiliges.

Aber glückselig wie ein Kind ist ein Diener der christlichen Kirche; denn auch er hat nichts gemein mit Gedanken. Und wie ein Kind seine lieben Eltern hat, die für das Kind denken und sorgen; also besitzt ein Diener der christlichen Kirche seinen ehrwürdigen Vorgesetzten, der es von Gott übernommen hat, für seinen Untergebenen geistliche Fürsorge zu tragen und für ihn Gedanken zu haben – Gedanken, welche dem Himmel wohlgefällig sind. Nun soll ein Kind sich gänzlich dem Willen seiner Eltern anheimgeben: Lieber Vater, liebe Mutter, hier bin ich, thut mit mir, was euch gefällt: denn ihr werdet am besten wissen, was eurem Kinde frommt und zum besten ist.

Ebenso der Diener der christlichen Kirche.

Er gehorche nur!

Ihn trifft keine Verantwortung.

Nur, daß er gehorche!

So hilf mir, Gott! Hilf mir, daß ich bin wie ein Kindlein in der Wiege, welches noch nicht zu lallen vermag und für welches seine Eltern sprechen: Abba, lieber Vater im Himmel.

*

Der Bruder Eustachius pflegte mich in meiner Krankheit, als wäre ich ihm das Liebste auf Erden, als hinge sein Leben an dem meinen. Ich vernahm später, daß er während der ganzen langen Zeit nicht Tag noch Nacht von meinem Lager gewichen und über meine Krankheit selber gänzlich elend geworden. Sehr wundersam war mir ein Ereignis, das ich damals für einen Traum hielt und das beinahe wie eine Vision war.

Ich erwachte – so träumte ich – und zwar war es mitten in der Nacht. Ein Lichtlein brannte. Ich gewahrte deutlich meine Zelle und gewahrte deutlich in der Zelle vor dem schwarzen Kreuz an der Wand, meinem Lager gerade gegenüber, den Bruder Eustachius knieen. Ich hörte ihn beten, hörte ihn mit heißer Inbrunst Gott anrufen, mich sterben zu lassen.

Es war ein recht absonderlicher Traum – –

Aber ich blieb am Leben und wurde von Bruder Eustachius getreulich gepflegt; doch nahm dieser zu meinem Schmerz von Tag zu Tag ein stummeres und scheueres Wesen gegen mich an. Als es mir wieder besser ging, besuchte mich der hochwürdige Abt, bezeigte sich gar väterlich gegen mich und kündigte mir an, daß ich durch den Bruder Eustachius auf das Christentum vorbereitet werden und darauf das Sakrament der heiligen Taufe empfangen sollte. Zugleich sollte das Jahr meines Noviziates beginnen.

Nicht genug kann ich sagen, mit welchem heiligen Eifer Bruder Eustachius es sich angelegen sein ließ, mich vollends zu bekehren und mich das Christentum zu lehren, von dem er zu mir redete wie ein Bräutigam von seiner Braut, wahrlich in der Sprache der Bücher Salomonis! Diese erste Vorbereitung zu dem höchsten Heil, welches einem Menschen zu teil werden kann, empfing ich in dem Garten des Klosters.

Das ist ein überaus lieblicher Platz voller Blumen und starkduftender Kräuter, oberhalb der Velia aufgemauert, an der Stelle, woselbst einstens das palatinische Haus des schrecklichen Kaisers Nero herniedergeleuchtet. Zwei herrliche Palmen stehen in dem Garten, viele Orangen und Granaten, desgleichen Mispel-, Mandel-, Pfirsich- und Aprikosenbäume, sämtlich den reichsten Gottessegen tragend. Unter den Palmen breitet sich hohes Myrtengebüsch und Buschwerk von Buchs, letzteres gar künstlich gebildet und zu weiten Sesseln verschnitten, in denen es sich ruht, weicher als auf Sammet. Dort saß ich jeden sonnigen Tag mit meinem Lehrer und hatte über mir die Kronen der Palmen, durch welche der leuchtende Himmel niederstrahlte und schaute vor mir auf das flavische Amphitheater, welches dalag gleich einem ungeheuren zerschmetterten Altar, triefend von Blut: denn den ganzen gewaltigen Bau bedeckte wilder Mohn, der aus allen Spalten, Rissen und Klüften der Riesenruine aufquoll und mit seiner roten Flut die jähen Wände überschüttete.

Während Bruder Eustachius mir das Wort Gottes auslegte, gedachte ich, auf das Kolosseum niederblickend, nicht mehr der zwölftausend Juden, die den Römern bei dem Bau dieses Theaters Frondienste leisten mußten; sondern ich gedachte der Legionen von Christen, die darin, den Heiden zur Lust, von wilden Bestien zerrissen wurden und die nun Legionen von Märtyrern waren.

Und ich erblickte, während der Bruder mich belehrte, von meinem Platze aus, dicht unter mir, die Straße zum Titusbogen, auf welcher ich die schöne Versuchung zum erstenmale hatte wandeln sehen – zwischen dem Portikus des Kaisers Constantinus und den Ruinen des palatinischen Hügels erblickte ich das Albanergebirge, wie ich es vom Hain der Egeria geschaut. Aber es stärkte dieser Anblick meinen Geist wundersam, also, daß ich ein überaus gelehriger und eifriger Schüler war.

So verging ein Jahr, dessen größten Teil ich der Ordensregel gemäß als Novize in tiefem Schweigen verbrachte. Alsdann rückte das Fest der christlichen Ostern heran.

Um diese hochheilige Zeit war es, daß Bruder Eustachius dem Abte Mitteilung machte: ich könnte jede Stunde die Taufe empfangen; und es wurde bestimmt; ich sollte über mein junges Christentum eine Prüfung ablegen, öffentlich, vor dem Bischof, vor vielen Priestern und allem Volk.

Ich glaubte nicht anders, als daß dieses Ereignis in der Kirche des Klosters stattfinden würde. Nun vernahm ich: man wollte das Fest meiner Bekehrung an einer andern Stätte abhalten, und zwar in der Kirche des heiligen Engels im Bogen der Oktavia; also in demselben Heiligtum, darin die Juden die christlichen Predigten anzuhören gezwungen wurden. Das sollte auch an jenem Tage geschehen, damit sie Zeugen des Wunders wären, welches Gott an einem der Ihren vollbracht hatte. Und es sollte die Zeremonie mit großem Prunk als ein Triumph des Christentums begangen werden.

Bruder Eustachius war es, der mir diese Verordnungen des Bischofs über meine arme Person mitteilte – mit bleichem Gesicht und in großer Verstörung. Er mochte wohl glauben, ich würde kleinmütig werden. Aber ich dachte daran, wie dieser schwerste Weg meines Lebens zum Eingang des Ghetto, und diese Prüfung meines Christentums vor zusammengetriebenen Juden den Seelen meiner Geliebten zu gute kommen würde. Es kam daher wiederum eine große Freudigkeit über mich, ja, etwas von der Verzückung eines Märtyrers, was ein gar glückseliger Zustand ist.

In solcher unirdischen Stimmung verharrte ich bis zu dem Tage, an dem die Kirche mit mir ihren Triumph halten wollte.

Als die Juden das liebe Passahfest zu feiern begannen, an welchem ich seit vielen Jahren jedes Jahr im Tempel gesungen hatte, und sie im Ghetto in allen Häusern das Festgemach mit Teppichen bekleideten, die Lampen und frommen Speisen vorbereiteten – da veranstalteten sie im Kloster auch für mich die Feier.

Am Karfreitag, dem allerheiligsten Gedenktage des Kreuzestodes Jesu Christi – ich hatte die ganzen letzten Tage gefastet und die ganze letzte Nacht hindurch im Gebete gelegen – kam gegen die Mittagsstunde Bruder Eustachius in meine Zelle, zog mir ein weißes Gewand an – die Farbe meiner erhellten Seele – setzte mir einen Kranz von Myrten und dunklem Buchs auf das Haupt – ein Symbol des Sieges, den mein Geist erfochten – und begab sich mit mir in die Klosterkirche, woselbst der Abt in großem Ornat Hochamt hielt. Nachdem dieses beendet, stellten sich alle Väter und Brüder zu feierlicher Prozession auf. Sie entzündeten hohe, von Myrtenzweigen umwundene Kerzen, holten die heiligen Banner und Kirchenfahnen herbei, auf welchen in herrlichen Gemälden die göttliche Jungfrau, der heilige Franziskus und Sankt Bonaventura dargestellt waren, hoben die geschmückten und bekränzten Figuren der Mutter, des Sohnes und unseres lieben Heiligen auf, entzündeten in den Weihrauchgefässen den Balsam, intonirten einen Psalm, nahmen mich in ihre Mitte und zogen mit mir auf einem mit Blumen und Zweigen bestreuten Wege zum Kloster hinaus.

Vor der Pforte hatte sich bereits viel Volk versammelt, welches unsern Auszug schauen wollte und uns nun nachzog. Ich fühlte wie aller Augen auf mir ruhten, viele Hände auf mich wiesen:

»Sehet, der dort ist es!«

Wir zogen die Velia hinab, durch den Titusbogen nach dem Forum. Als sie mit dem Juden – denn noch war ich Jude! – durch den Portikus schritten – sangen die Mönche: »Deus, te laudamus!« und das Volk jubelte laut, wie es gejubelt hatte, da durch dieses nämliche Thor der Imperator Titus mit den gefangenen Juden aus Jerusalem seinen Einzug gehalten. An dem Bildwerke der Bundeslade mit dem heiligen Leuchter vorüberkommend, strauchelte ich; aber der Bruder Eustachius streckte schnell seine Hand nach mir aus und stützte mich, indem er that, als spräche er mit mir; also, daß niemand merkte, welche unchristliche Schwäche mich plötzlich angewandelt.

Die Prozession zog indessen nicht die nächste Straße zum Bogen der Oktavia, sondern machte einen weiten Umweg: durch das Velabrum, an den Tempeln der Vesta und Fortuna vorüber und, nahe beim Palast der Cenci, durch das Hauptthor des Judenzwingers in den Ghetto hinein.

Gleich zu meiner Rechten lag das Haus meiner Eltern und der Tempel. Doch ich schaute nicht auf und erfuhr von dem, was vorging, nur durch das Geschrei des Volkes, das zu einer großen Menge angewachsen war; alles Christen, die dem Zuge das Geleite gaben.

Es ließ sich kein Jude auf den Gassen sehen und die ebräische Stadt lag wie ausgestorben. Alle Thüren und Fenster waren geschlossen. Darüber erhob nun das Volk, als über einen den Christen angethanen Schimpf, einen großen Tumult. Es umdrängte die Prozession, so daß diese nicht weiter konnte und vor dem Platze des Weinens Halt machen mußte. Ein Teil des Volkes lief zu den Thoren nach den päpstlichen Soldaten. Diese kamen, drangen in die Häuser und trieben die Juden mit Schelten und Schlägen daraus hervor. Ich stand zitternd da, schaute nichts, hörte alles und fragte Bruder Eustachius, der treulich an meiner Seile blieb:

»Sage mir, Lieber, sind sie auch in meiner Eltern Haus gedrungen, und was geht daselbst vor?«

Leise und heimlich, wie ich gefragt hatte, ward mir geantwortet:

»Soeben treten Deine Eltern aus der Thür: doch ist ihnen nichts zu leide geschehen.«

»Blicken sie her?«

»Sie stehen auf der Gasse an der Wand des Hauses und schauen vor sich nieder.«

»Noch das sage mir: Was für ein Gewand trägt meine Mutter?«

»Sie hat einen Schleier um das Haupt.«

»Also trauert sie um mich.«

Der Zug setzte sich von neuem in Bewegung und die Mönche hoben wieder zu singen an, so laut, daß sie sich schier überschrieen. Ich wußte wohl, warum sie das thaten: damit man der Juden Wehklagen nicht höre und nicht die Verwünschungen gegen mich: wie ich auch zu wissen glaubte, daß die Soldaten die Ebräer vor sich her trieben, der Kirche des heiligen Engels zu.

Diese war durch schwarze Behänge in ein einziges mächtiges Grab verwandelt, darin auf hohen schwarzen Holzsäulen viele Fackeln brannten. Die Nische des Hochaltars stellte eine dunkle Höhle dar und der Altar ein offenes Grab, darin der bleiche Leichnam des Gekreuzigten lag. Und durch die Finsternis des göttlichen Grabes flammte eine große Feuerschrift:

»Dieses ist mein lieber Sohn, den die Juden gekreuzigt.«

In der Kirche war bereits der Bischof anwesend, ebenso viele hohe Geistlichkeit. Aber alle Christen, die sich als Zuschauer in die Kirche gedrängt hatten, wurden hinausgewiesen, damit allein die Juden sie füllten, und es entstand dadurch beinahe von neuem ein Tumult, während dessen ich fortgerissen wurde, mitten hinein unter einen Haufen Juden, von denen ich viele kannte.

Ich stand unter ihnen, im weißen Gewande, bekränzten Hauptes, gewißlich recht wie ein Bräutigam und Sieger anzuschauen. So sehr es anging, drängten alle von mir zurück.

Jetzt wurde laut nach mir gerufen:

»Wo ist der Konvertit?«

Als ich aber erwidern wollte: »Hier bin ich!« da versagte mir die Stimme.

Während dessen hatte Bruder Eustachius mich erspäht. Er bahnte sich einen Weg zu mir und brachte mich hinweg zu einem erhöhten Platz, woselbst ich von allen gesehen werden konnte. Darauf begann ein Chor unsichtbarer Sänger das Miserere.

Alsdann erhob sich der Bischof und predigte. Er sprach von dem Tode des Gottessohnes und wie um dieses Todschlages willen der Stamm der Juden ein Volk von Verdammten wäre, wie aber Gott in seiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit die Sonne seiner Gnade auch über Juden leuchten lasse, indem er von Zeit zu Zeit einem jenes Volkes sich offenbare, ihn erleuchte und aufnehme in den Schoß seiner Kirche, der einzigen, welche selig mache.

Nach dieser Rede wurden die Juden verflucht.

Darauf wiederum Gesang, eine schauervolle, schreckliche Klage wie das Jammern des verdammten Volkes.

Alsbald wiederum tiefe Stille.

Nun schallte laut mein Name durch das Schweigen:

»Dahiel Sarfadi!«

Darauf unter den Juden Flüstern, Murmeln, Unruhe – Stille – –

Verhör und Prüfung nahmen ihren Anfang.

Ich mußte dabei von meinem Platze, der dem des Bischofs gerade gegenüber war, aufstehen. Und obgleich ich glaubte, gewißlich hinzufallen, stand ich aufrecht da. Der Bischof fragte mich und ich antwortete. Und obgleich ich meinte, aus meiner Kehle keinen Ton hervorzubringen, antwortete ich dem Bischof auf alle seine Fragen mit lauter Stimme, stockte nicht ein einzigesmal. Mein hochwürdiger Herr Abt sagte mir hernach: Es habe eben ein anderer aus mir gesprochen und für meine Berufung zum Christentum gezeugt. Und wurde auch dieses als ein Wunder erkannt und Juden und Christen verkündigt.

Ein Wunder war es nun wohl. Das Wunder meiner Liebe zu dem Volk, von welchem ich mich lossagte. Und zwar war es ein Wunder, das auch ein Gott an mir vollbrachte.

Aber das Schlimmste an diesem schlimmen Tage war die zweite Rede des Bischofs, mir zum Preis und Ruhm: ich sei so stark im Glauben befunden worden, daß ich nicht allein des Sakraments der Taufe teilhaftig werden, sondern auch sogleich die erste Weihe empfangen – das erste Gelübde ablegen könnte.

Darauf wiederum Flüstern, Murmeln, Unruhe.

Aber diesesmal rührte es von den Christen her: die Juden blieben stille, mit gesenkten Häuptern, wie in Scham.

Nun ordnete sich die Prozession von neuem, zog aus der Kirche, durch den ganzen Ghetto.

An der Brücke von den vier Häuptern, woselbst es in die Via Fiumara geht, kamen nur an der Kirche vorüber, an deren Mauer ein jüdischer Konvertit einen Vers aus dem Jesaias hatte aufschreiben lassen, jene Inschrift, die ich einmal Mose hatte vorlesen müssen. Unwillkürlich sah ich hin.

Da stand gerade unter der Inschrift Mose! Und an seiner Seite stand Judäa, stand – Myrrha, aus großen, erschrockenen Augen auf mich blickend, wie sie ehemals zu thun pflegte, wenn ich sie nach Dingen fragte, von denen sie nichts begriff. Mose aber mit seinen lahmen Gliedern hatte sich hoch aufgerichtet. Mit einer Hand zeigte er über sich auf die Inschrift an der Mauer, mit der andern deutete er auf mich. Und er las mir die Inschrift vor:

»Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag nach einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einem Wege, der nicht gut ist.«

Und da ich an ihm vorbeischritt, spie er mir ins Gesicht.

*

Am heiligen Sonnabend ward ich in der Synagoge verflucht – am heiligen Sonntag ward ich in der Lateranskirche getauft. Ich trug wiederum das weiße Gewand und hielt in der Hand eine brennende Kerze, die meine Erleuchtung bedeutete.

Ich schwur ab die jüdische Religion, sagte mich los von meinen Eltern und meinem Volke, nahm das Christentum an und sprach das christliche Glaubensbekenntnis – – Meine christlichen Taufzeugen waren, einem ehrwürdigen, mittelalterlichen Brauche gemäß, zwei vornehme Römer: Fürst Scipio Borghese und der Bischof von Albano.

Die heilige Handlung wurde unter großem Zudrang von Vornehmen und Geringen an mir vollzogen.

Als sie vollbracht war, begaben wir uns aus dem Baptisterium in die Basilika, woselbst ich sogleich mit vielen anderen Christen die Weihen empfing.

Man legte mich und die anderen jeden in einen Sarg, man sang über uns die Totenklage, man erklärte uns für die Welt gestorben.

Dabei erloschen die vielen Kerzen, die um die vielen Toten brannten.

Alsdann begann eine herrliche Jubelmusik und vielstimmiger Jubelgesang und alle, die gestorben waren, erstanden vom Tode – ich als der Bruder Angelikus.

Also heiße ich fortan, nach der Kirche des heiligen Engels, darinnen meine Bekehrung begonnen – –

Auch das Haupt ward mir geschoren und mit der Tonsur verziert, diesem Symbol der Dornenkrone. Alsdann leistete ich das Gelübde.

Darauf lag ich mit den anderen lange Zeit am Boden mit dem ganzen Leibe, das Antlitz gegen die Steine gedrückt.

Nachdem auch alle die anderen Zeremonien beendet, zogen die Mönche von Sankt Bonaventura in ihr Kloster zurück. Dort angekommen begab ich mich sogleich in meine Zelle, welche die alte geblieben, dieselbe, in welcher der Bruder Bartolome gestorben war. Auf dem Holzbette lagen für mich eine Franziskanerkutte, der Strick, der Rosenkranz, die Sandalen.

Ich entkleidete mich, zog über meinen nackten Leib das harte Gewand, band an meine bloßen Füße die Sandalen, gürtete mich fest und fühlte mich nun erst gänzlich als ein neuer Mensch: unsäglich glaubensvoll, zuversichtlich und hoffnungsreich; zugleich unsäglich freudig und doch wiederum unsäglich beruhigt, denn: nicht allein Christus und ich waren an diesem hochheiligen Tage vom Tode auferstanden, sondern auch meine Eltern, Mose, Myrrha und viele andere Juden.

Hosianna! Hosianna!

*

An dieser Stelle möchte der Herausgeber dieser Aufzeichnungen einiges sagen.

Er ist im ganzen der Handschrift gefolgt, sich bemühend, bei der Verdeutschung derselben die verschiedenen Eigentümlichkeiten des Textes möglichst getreu wiederzugeben. So hat er denn kaum versucht, den Dualismus in der Schreibweise, der sich so bemerkbar macht, zu verändern oder gar aufzuheben. Offen gestanden war ihm gerade das Doppelwesen seines Autors anziehend: zuerst diese Unbeholfenheit, ja Hilflosigkeit des Ausdrucks, dieses fortwährende angstvolle Suchen und Tasten nach dem Wort, dieses kindliche Stammeln eines Menschen, der noch nicht gelernt hat, mit der Feder zu sprechen.

Unmittelbar neben solchen Anfängen eine fast biblische Feierlichkeit.

Dann wiederum eine geradezu mittelalterliche Naivität klösterlicher Schreibweise, im Stil sowohl wie in der Auffassung.

Allerdings scheinen die geschilderten Zustände einer der dunkelsten Epochen des Mittelalters anzugehören, und häufig muß man sich erst besinnen, daß über Dinge berichtet wird, die dem jüngstvergangenen Jahrhundert angehört haben. Wer aber von der Geschichte des römischen Ghetto weiß, dem ist bekannt, daß jene barbarischen Verhältnisse noch bis hoch in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein dauerten, wurden doch erst in diesem Jahrhundert die Mauern niedergerissen, welche die Juden von den Christen absperrten, erst in diesem Jahrhundert jene abscheulichen Verordnungen aufgehoben, welche die Ebräer zwangen, an ihren Feiertagen dem christlichen Gottesdienst beizuwohnen.

So hat denn der Konvertit nirgends übertrieben; ja, man muß dem guten Angelikus die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er in seinen Mitteilungen, die von so unerhörten Dingen handeln, eine ruhige und würdige Haltung bewahrt hat. Er berichtet eben!

Und zwar berichtet er Erlebtes. Dabei verfährt er so schlicht und einfach, daß von einer bewußten Tendenz dieser Berichte nicht gesprochen werden kann.

Um noch einmal auf die Ausdrucksweise unseres Konvertiten zurückzukommen, so wird es sehr auffallen, wie schnell dieselbe sich ändert, sich entwickelt und wächst. Aus dem Stammeln wird allmälich ein Reden, aus dem Bericht Schilderung, aus der Mitteilung Erzählung. Oft hört man sogar gut reden, gut schildern, gut erzählen, was indessen nicht ausschließt, daß Bruder Angelikus plötzlich wieder ins Stottern und Stammeln verfällt.

Auch sonst in der Zwiespalt groß.

Lange Zeit bleibt der neue Christ ein getaufter Jude: aber auch wenn dieser sich wandelt, wird noch immer kein Christ daraus.

Am besten gelingt es ihm noch, in Aeußerlichkeiten und Formen den Christen zu zeigen. Darin wenigstens kann er ein guter Mönch sein.

Lange Zeit ist er zufrieden, wenn er nur recht viel beten kann. Auch Fasten ist gut, noch besser ist Kasteien. Am besten freilich wäre der Märtyrertod.

Der Herausgeber hat die Aufzeichnungen in drei Abschnitte geteilt, die sich ihm durch den Inhalt des Manuskriptes von selbst ergaben. Demnach umfaßt der erste Teil die Geschichte des jüdischen Jünglings Dahiel Sarfadi bis zu seiner Bekehrung zum Christentum und seinem Uebertritt; behandelt der zweite Teil die Geschichte des Bruders Angelikus von seinem Eintritt ins Kloster bis zu seiner ersten Predigt in der Kirche Sant Angelo in Pescaria und seiner Verbannung aus Rom; berichtet der dritte Teil von dem Aufenthalt des Konvertiten in der Sabina, von dem Beginn seiner Selbstbiographie an, seiner Verurteilung und dreijährigen Buße in den fürchterlichen Strafgrotten des Felsengebirges, von seiner Wandlung, seiner Erhebung zum Abt und seinen Thaten als solcher bis zu seiner letzten ungeheuerlichen That – bis zum Ende des Dramas, welches die Konsequenz des Anfangs ist.

In logischer Folgerung der Entwicklung eines Charakters wie der des Konvertiten, könnte man diese drei Teile auch bezeichnen:

Der Gläubige; der Zweifler; der Fanatiker und Zelot.

Wie viele Tausende von den Tausenden und Abertausenden, die dem Gottessohn nachwandeln, passiren diese Stationen, ohne jemals zu einem Golgatha zu gelangen; denn sie verderben zu Tausenden: als Lügner und betrogene Betrüger, als Heuchler und falsche Priester, als Schwärmer, Fanatiker, Wahnsinnige.

Bereits in dem jetzt beginnenden zweiten Abschnitte mußte der Herausgeber manches ändern oder gänzlich unterdrücken. Auch weist das Manuskript einige Lücken auf. Je freier der Geist des Konvertiten sich entwickelt, je fließender und bedeutender die Ausdrucksweise wird, desto heftiger müssen des Mannes Kampfe und Seelenqualen gewesen sein. Verschiedenes von dem Fehlenden scheint der Mönch selbst vernichtet zu haben, bevor er dieses sein »Bekenntnis« seinem gestrengen Abt Evaristus übergab. Anderes wiederum hat wohl Abt Evaristus mit eigener Hand aus dem Manuskript entfernt. Hie und da hat der Herausgeber zusammengefaßt, verbunden und ausgefüllt, was leicht zu erkennen ist. Doch er mochte schließlich nicht die Verantwortung übernehmen, an Stelle von Erlebtem Erdachtes zu sehen, und zu fabuliren, wo es sich um Wahrheiten handelt: Kann doch die Geschichte dieses einen für die Geschichte von Tausenden gelten.

 

Ende des ersten Teils.

 


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