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IV.

Warum meine Augen und mein Herz gerade auf den Knaben Mose fielen? Wohl aus innigstem Mitleid. Auch mag der Herr in seiner Weisheit es also gefügt haben, obwohl ich in meiner Blindheit nicht zu erkennen vermag, was eine solche göttliche Fügung für meinen Freund Mose Gutes bedeuten möge: hat ihm doch meine Liebe Trübsal und Gram gebracht, mehr, als ein Menschenherz erträgt; und ist es doch zwischen uns dazu gekommen, daß er, dessen Seelenfreund ich gewesen, mich verfluchen und von sich stoßen mußte gleich einem räudigen Hund. Doch ich will nicht murren, sondern sprechen: wie du willst, Herr, und nicht, wie ich will.

Ich sah den Knaben Mose ein jedesmal, wenn ich durch die Via Fiumara ging, und ich ging durch diese schwarze, stinkende Gasse nur, um den Knaben Mose zu sehen. Lange Zeit stand ich von ferne und faßte mir nicht das Herz, zu ihm heranzutreten. Gleich den anderen armen Judenknaben seines Alters kauerte er mit seiner bleichen Mutter vor ihrer Höhle und sonderte Lumpen aus, von denen er hoch umgeben war; wie es auch hinter ihm, in des Hauses Innerem, nichts anderes zu erblicken gab, als Flicken und Fetzen. Die schlechtesten Lappen aber waren die, welche er und seine Mutter am Leibe trugen.

Wenn ich heute darüber sinne, wie mein Mose zu jener Zeit von Aussehen gewesen, weiß ich mich nicht zu erinnern: war er von Angesicht schön oder häßlich? Mich däuchte er in seinem großen Elend und darin, wie ihm das Leben dennoch eitel Freudigkeit und Wonne war, als das hehrste Menschenbild. Er hatte Augen von solchem Glanz, daß sie für mich gleich Strahlen waren. Seine Locken, deren Schwärze dem Gefieder eines Raben glich, dingen ihm bis auf die Schultern nieder, über Stirn und Wangen; die waren hager von Mangel und bleich von Siechtum und schlechter Luft, und unter den Fetzen, die seinen kranken Körper kleiden sollten, kam sein armes gelbes Fleisch zum Vorschein. Es hatte Mose, wie auch seine Mutter, gar häufig das Fieber. Aber es brannten nicht darum seine Augen so heiß, sondern es war eben seine Seele, die als Flamme aus seinen Blicken glühte.

Also ich kam immer, stand abseits, sah zu ihm hinüber und hatte einen solchen Jammer in mir, eine solche Sehnsucht! Ach, so dachte ich, könntest du ihm doch etwas zu liebe thun; dich in seine Lumpen hüllen und ihn mit deinem besten Röcklein bekleiden. Oder statt seiner dich dort niederkauern und ihn von deiner Mutter in dein weißes Bette legen lassen! Ach, daß ich nichts, gar nichts zu thun vermag für die Armen und Elenden, von denen die Erde voll ist wie der Himmel voller Sterne. Ich möchte hinauslaufen aus dem dunklen Zwinger, hin, wo die Sonne scheint, und für Mutter und Sohn beide Arme voll Himmelslichtes zurückbringen, und es über ihre Häupter schütten, auf daß sie dastünden in eitel Glorie. Solches waren in jenen frühen Tagen meine thörichten Wünsche in meinem großen Herzeleid um Mose und alle, die da mühselig und beladen waren; wußte ich doch zu jener Zeit noch nicht, daß aller Glanz des Tages gleich dunkler Nacht ist, wenn kein Strahl der Erleuchtung in die Seele fällt. Welt, wie bist du voller Finsternis!

Wie ich berichtet, war ich von solcher Ehrfurcht vor der Armut und dem Siechtum jenes Knaben erfüllt, daß ich nicht wagte, mich ihm zu nahen. Eines Tages schickte er seine Mutter mit einer Botschaft zu mir, der ich jenseits der Gasse stand. Da ich gewahrte, daß der kranke Knabe unverwandt auf mich blickte und dabei zu seiner Mutter sprach, diese alsdann aufstand und langsam, mit müden, schleppenden Schritten auf mich zukam – ach, da hat mein Herz geschlagen, als sollte mir eine Botschaft vom Himmel kommen, und ich habe mich vor dem niedrigen Weibe geneigt, als stände der Erzengel einer vor mir. Und ich dachte: gewißlich schickt er seine Mutter zu dir, damit du zu ihm kommen sollst. Und ein Schwindel ergriff mich.

Es sagte aber das Weib, das eine leise und überaus traurige Stimme hatte:

»Mein Sohn Mose läßt Dir sagen, Du möchtest von hinnen gehen.«

O, wie ward mir da zu Mute, wie schämte ich mich da! Sind mir auch gleich die Thränen in die Augen getreten: also, daß das Weib mich trösten wollte und sagte:

»Mein Sohn Mose kümmert sich, Du möchtest Dir in unserer Gasse das Fieber holen; indem die Stätte gar ungesund ist, absonderlich zur Abendzeit, wenn die Sonne niedergeht und die schlechte Luft vom Flusse heraufsteigt. Wie würde Deine liebe Mutter sich betrüben, so Du aus Liebe zu meinem Sohne krank würdest an dem Fieber, von dem er befallen wird fast einen jeden Tag. Thue also, warum mein Sohn Dich bittet.«

Wie ward ich da froh! Und ich rief:

»Schnell führe mich zu Deinem Sohn; denn ich liebe ihn mehr als mein Leben. Ich bin krank, so lange ich gesund bin und ihn krank sehe. Laß uns eilends zu Deinem Sohne gehen.«

Da stieg ein Glanz auf in des armen Weibes Gesicht und es ward ihr Antlitz wahrhaft leuchtend von ihrer heiligen Mutterliebe, die eben doch das Göttlichste ist auf Erden. Sie entgegnete mir nichts. Ich hätte auch nicht gehört; denn ich lies schon voraus zu ihrem Sohne. Neben diesen warf ich mich hin auf die Lumpen, ergriff seine Hand und bat ihn flehentlich:

»Laß mich bei Dir bleiben!«

Und ich blieb bei ihm.

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