Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Ach, wie war es schön in meiner Eltern Haus! Wohl auch dunkel und trübselig, indem von der lieben Himmelssonne gar wenig im Ghetto zu schauen ist. Aber es gibt im Hause meiner Eltern eine Kammer, die dünkte mich die Vorhalle aller Glückseligkeit. In diesem schönen und feierlichen Gemache begingen wir die heiligen Sabbathe und sonstigen hohen Feiertage. Da waren bunte Teppiche, Stickereien und Gewebe, eine Menge schimmernder Gefässe und Lampen. Alle diese Leuchten wurden des Abends angezündet. Das gab einen Glanz! Und die guten, fetten Festspeisen. Das schmeckte! Indessen das Schönste von allem war meine Mutter in ihrem lichten seidenen Gewande. Aber schön für meine Augen war auch die alte, welke Rebekka; alles, alles war schön! Alsdann las mein Vater aus dem heiligen Buche und wir sprachen dazu die Gebete; darnach genossen wir nach Herzenslust von den vielen guten und frommen Speisen, und meine Mutter erzählte Geschichten: von dem lieben Joseph und – – Es ist nicht zu sagen, was für wunderschöne Geschichten meine Mutter zu erzählen wußte. Dabei drängte ich mich an sie und hörte zu, daß es mir den Atem versetzte.

Im übrigen blieb ich ein Kind der Sorgen und Schmerzen, und meine Mutter hat über meinem jungen Haupte viele Thränen vergossen und mein Vater über mir viele Gebete gesprochen. Ach, es glich meine Seele dem Wachs, das ein Sonnenstrahl zu schmelzen vermag: weshalb denn auch viel Leids in mir war: weil ich alles mit litt, was ich an Leiden sah, von denen im Ghetto mehr aufgehäuft liegen, als Lappen und Fetzen; also daß die Weiber der römischen Juden daraus bereiten könnten einen Mantel für das ganze Volk Israel: das ganze Volk Israel könnte sich einhüllen in den Schleier, den die römischen Judenweiber von ihren Thränen spinnen und aus ihrem Herzeleid wirken.

Es sprach mein weiser Vater zu meiner Mutter von seinem jungen Sohn:

»In seiner Seele wohnt das Elend des ganzen Volkes und es wird seine Seele zertrümmern wie gärender Wein das Gefäß.«

O Du mein weiser und lieber Vater – es ist in Deines Sohnes Seele nicht allein viel bitterer Jammer, sondern noch viel mehr schreckliche Schuld; indem Dein Sohn Samen ist von der Frucht, die das sündenlose Gotteslamm getötet hat. Darum soll vertilgt und ausgelöscht sein von dem Antlitz der Erde alles, was da atmet von dem Mörderstamm.

Also lautet die christliche Lehre, die ich empfangen habe.

*

Nun muß ich berichten von dem Knaben Mose, der mir lieb war, als hätte derselbe Schoß ihn geboren, welcher mich empfangen und getragen.

O Mose, Mose, der Du immer noch bist in der Gemeinschaft der Söhne und Töchter des Satans! Es fließen meine Thränen um Dich und meine Seufzer dringen auf um Dich, und ich schreie an um Dich den Himmel Tag und Nacht, wie ich auch thue für die Seelen meiner Eltern und Myrrhas, der holdseligen Jungfrau, in deren süßer Gestalt die Sünde leibhaftig wandelt über die Erde. Herr Gott, welche heiße Liebe trug ich im Herzen für die, die dich verleugnen! Mit allen Flammen ewigen Feuers sollst du mich darum strafen.

Doch ich will erzählen, wie mir geboten worden – –

Der Freund, der mir teuer war, wie mir Gottes Wort nicht teurer ist, hieß Mose Halarki. Im Ghetto war kein Knabe, der armseliger, und keiner, der reicher gewesen wäre als er; denn sein Geist glich einer Quelle lauteren Goldes. Seine Mutter war eine arme Witib und auch er seiner Mutter einziges Kind. Sie wohnten in der Via Fiumara. Das ist eine enge und jammervolle Gasse im Ghetto zunächst dem Tiberflusse. Ihr Haus schien aus Kot aufgebaut und drinnen war es wie in einer Modergrube: bis zum Dache angefüllt mit stinkenden Lumpen. Die schwarzen Wände trieften vor Nässe und zweimal des Jahres stand das Gebäude unter Schlamm und Wasser, indem zweimal des Jahres der gelbe Fluß von Regen- und Schneewasser anzuschwellen pflegt und aus seinem Bette tritt. Besonders ist es die Via Fiumara, die beinahe ganz bedeckt wird von den schlammigen Fluten; vornehmlich geschah das mit dem Hause der Mutter meines Mose, weil dieses am niedrigsten und dem Wasser am nächsten lag, daß der Estrich, darauf die Lumpen gehäuft lagen, nur im hohen Sommer völlig trocknete. Es lebten demnach mein Mose und seine Mutter mehr als Kröten, denn als Menschen. Freilich waren beide Juden und mit solchen sollte man sich füglich jeden Mitleids enthalten.

Ach! Mit jedem Blatte, welches ich auf das Geheiß des hochwürdigen Abtes Evaristus mit meinen Schriftzügen anfülle, erkenne ich mehr und mehr, wie gänzlich untauglich ich bin zu dergleichen Dingen mit der Feder; also, daß dies Skriptum mir große Not schafft. Ich fühle mich gar ungeübt, unwissend und unvermögend, so viele Begebnisse und Betrachtungen aufzuzeichnen; indem mich mein Vater, obschon er selber ein großer Weiser war, meines schwachen und zärtlichen Leibes willen, aufwachsen ließ sonder Gelehrsamkeit gleich einer Lilie auf dem Felde. Nur meine Stimme übte er mit großem Fleiß; weil viele Leute meinen Gesang eitel Wohllaut fanden und ich nach meiner Eltern und aller Wunsch in Psalmen und Psaltern lobsingen sollte dem Herrn des Sabbaths im jüdischen Tempel. Wäre ich sodann erstarkt, wollte mein Vater mich einführen in die heiligen Geheimnisse unseres Glaubens, – der schändlicher Unglaube ist – mich auch die frommen Wissenschaften lehren und viele göttlichen Dinge. Indessen ehe es recht dazu kam, ward meine Seele erweckt, daß ich den jüdischen Glauben und meine jüdischen Erzeuger abschwor. Zum Christentum bekehrt, empfing ich wohl reiche Unterweisung in allen Sachen, darin ein Christ der Kirche dienen kann, besonders im Gehorsam; doch bis zu diesem Tage ist all mein Wissen eitel Stückwerk, daß ich mich zu Gebet und Buße flüchten muß, um in meinem Nichts bestehen zu können vor den strengen Vätern und guten Brüdern meines lieben Heiligen, wie ich denn auch gar eifrig bin, Herz und Nieren zu prüfen nach dem Gebot des hochwürdigen Abtes Evaristus, desgleichen emsig in meiner Seele lese und alle diese Dinge aufzeichne in Kummer und Herzeleid ob meiner menschlichen und christlichen Unwürdigkeit.

Aber erleichtert hat es mich in meinem bedrückten Gemüt, daß der hochwürdige Abt diese Blätter seit jenem einen erstenmal, wo er mir die scharfe Pönitenz auferlegt, nimmer wieder betrachtet hat; also, daß ich mit meinen Gedanken mich frei auf dein Papiere ergehen kann wie auf einer Aue: bald hierhin, bald dorthin. Es blüht manche Blume, die ich wohl gern pflücken möchte; aber das weiß ich längst: nämlich, daß im Kloster keine Blumen blühen dürfen, sondern der ganze Gottesgarten holdseliger weltlicher Freuden darin verwelkt und verdorret sein muß. Treibt mich demnach ein böses Gelüste nach den Blumen hin, muß sogleich der Geißelstrang helfen, mich von hinnen zu jagen, in die öde Wildnis hinein. Daselbst blüht die göttliche Himmelsblume des Glaubens.

.


 << zurück weiter >>