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II.

Ich soll ein gar winzig und schwächlich Kindlein gewesen sein, so daß sie mich nur mit Zittern und Zagen in den Tempel bringen konnten, damit an mir die Beschneidung vollzogen werde. Und es lebten meine lieben Eltern – ich denke an die Verfluchung – lange Zeit in Furcht, mein Leben möchte auslöschen gleich einer Leuchte, wenn die Flamme das Oel aufgezehrt. Es ward mir in späteren Tagen von der alten Dienerin unseres Hauses, der Rebekka, und von den guten Frauen, unseren Nachbarinnen, häufig unter vielem Wehklagen berichtet, wie meine Mutter vor Grämen um mein trübselig Leben schier verging, weshalb ich wohl sagen darf, daß sie, die mir mit tausend Schmerzen das Leben gegeben, es mir mit zehntausend Schmerzen erhalten. Es hat wohl so sein sollen; nämlich, daß meine Mutter an ihrem Herzen sich ihr Herzeleid großzog.

Könnte ich mit meinen armen Sinnen nur ersinnen, warum solche Dinge auf Erden sich begeben, wo es doch grausam ist, ein Würmlein zu quälen, geschweige ein Geschöpf Gottes mit unsterblicher Seele! Aber das begreife ich schon heute mit meinen armen und unwissenden zweiundzwanzig Jahren; nämlich, daß es vielerlei Dinge gibt, darüber zu grübeln gänzlich unthunlich ist; denn nach dem Willen Gottes ergründet der Mensch sie doch nicht. Also sollen wir Christen uns völlig hingeben dem Herrn: Hier bin ich, thue mit mir, was dir wohl gefällt. Und so sei es.

In meinem vierten Jahre bin ich zum Erstaunen der Menschen, im besonderen der guten Judenfrauen, und zur Wonne meiner Eltern gar stark geworden; daher alle im Ghetto schrieen: »An dem Knaben Dahiel ist ein Wunder geschehen!« Aber ich habe erfahren, was das für ein Wunder gewesen; nämlich Teufelswerk und Höllenkunst. Meine Mutter, das arme, unverständige Weib, war in ihrer großen Trübsal vors Thor des heiligen Sebastian gegangen und stracks in die Grotte der Hexe Egeria, zu der Satansvettel, der Judäa. Zu diesem schönen Aergernis ist meine Mutter gekommen auf den Knieen mit aufgehobenen Händen. Sie hat vor dem Weibe ihr seidenweiches Haar gerauft und die Teufelin um ein Mittel für ihr sterbend Söhnlein angeschrieen, indem kein Arzt und kein Weiser dem Kinde helfen könnte. Auch hat das schlimme Weib meiner Mutter wahrlich geholfen aus arger Tücke und Bosheit und mit einem Lachen, daß in ihrem roten Munde alle ihre weißen Zähne aufgeblitzt sind. Und lachend hat sie gesprochen:

»Hannah, Du Weib des Simeon Sarfadi, die Du mich anschreist auf Deinen Knieen um Erbarmen, wie ich habe angeschrieen auf meinen Knieen mit erhobenen Händen den Rabbi Simeon – ich sage Dir: Dir wäre besser, Du betteltest bei mir für Deinen Knaben um Gift. Indessen, da Du mich um ein Mittel anflehst, seinen kranken Leib zu heilen, will ich Deiner Bitte Erhörung schenken; dieweil der Knabe Dahiel soll leben, auf daß er mich räche an seinen Erzeugern und an vielen seines Volkes, die vor mir ausspeien und mich für greulicher halten, als Scorpione und Schlangen.«

Sie sprach's und braute den Trank und gab den Trank meiner Mutter, dem bethörten und in ihrer Angst um den einzigen Sohn wie gänzlich unsinnigen Weibe. Meine Mutter ist für den Trank wiederum auf ihre Kniee gegangen vor der Zauberin, wobei sie von sich gethan all ihr güldenes Geschmeide, welchen reichen Schmuck indessen die Arge nicht hat nehmen wollen; wohl weil sie von ihren: Liebsten, dem Teufel, des Goldes genugsam besessen – was man aber an ihrem verhexten Leibe nicht gesehen hat. Meine Mutter ist aufgestanden und hat sich vor Judäa geneigt wie vor einer Königin und ist dahingegangen, das Gemüt voller Frohlocken.

Also ist an mir das Wunder geschehen, daß ich am Leben geblieben bin, weil meine liebe Mutter für ihren Knaben dem Bösen ihre Seele verkauft hat. Ach, und ich lebe noch heutigen Tages mit dem Zaubertrank in meinem sündigen Leibe, wodurch ich jede Stunde meines Lebens dem Teufel verfallen kann. Hilf, Herre Gott, hilf, daß die Hölle nicht von neuem Macht über mich gewinne. Schleunigst will ich beten und auch nach besten Kräften die Geißel über mich schwingen. Darum lege ich nun die Feder nieder.

*

Bin wiederum besänftigt in meinen bösen Trieben, auch sonst recht ermattet vor körperlichem Weh. Füglich will ich fortfahren, von mir zu reden, wie ich gewesen, da ich noch Dahiel hieß und ein Sohn war, der seine Eltern lieb hatte.

Ach, daß ich die Angesichter meiner lieben Eltern nicht vergessen kann, sondern sie bei Tag und bei Nacht vor mir sehe, weshalb mir schon geschehen, daß ich meine Arme nach ihnen ausgestreckt mit einem lauten Weheschrei und mich weinend in ihre Arme stürzen wollte, die sie nach mir mit lieblichem Lächeln ausbreiten. Da mich kein Gebet vor dem Satansspuk dieser Gesichter schützt, muß ich wohl annehmen, daß mein Gebet immer noch ein recht schwaches und unchristliches ist; wohl wegen meiner großen Sünden und weil ich in Rom gegen Gott und die Kirche trotz meiner Erleuchtung und Bekehrung solche gräßlichen Frevel begangen, die ich jetzt freilich schwer bereue und büße.

Ich denke oft, daß ich von den Bildern meiner Eltern so häufig heimgesucht werde, geschieht auch deshalb, weil jene Gesichter das erste gewesen, was der Knabe vom Leben erschaut. Dieses hat aus den Augen meiner Mutter mich gar holdselig angelächelt und mit den Lippen meines Vaters gar zärtlich zu mir gesprochen, so daß ich nach den beiden Angesichtern meine kleinen Arme ausgestreckt mit kindischem Jauchzen und heutigen Tages noch immer so thun würde. Und ich will nur gleich den Frevel bekennen. Nämlich es bedünkt mich: meine Mutter gleiche dem Bilde der himmlischen Frau, welche der Welt den Erlöser geboren. Oftmals, wenn ich zu der lieblichen und schmerzreichen Muttergottes bete, wähne ich, es geschehe zu meiner Mutter. Lieber Vater im Himmel – wie ist dann dein schlechter Knecht Angelikus ein so frommer Christ!

Meiner Eltern Haus liegt im Ghetto nahe einem Ort, »Platz des Weinens« geheißen. Es hat aber dieser Ort seinen Namen nicht von den vielen Thränen, welche das Volk der Juden in der römischen Knechtschaft vergossen – Thränenströme wären zu geringe Flut als Sühne für die Tropfen, die vom Kreuz des Gottessohnes niedergeflossen – sondern es führt der Platz den Namen von einer Kirche der heiligen Jungfrau Santa Maria del Pianto, so benannt, weil in diesem Heiligtum die Gottesmutter über die Verstocktheit des jüdischen Volkes unaufhörlich Thränen vergießt. Wohl darfst du darum weinen, Maria, Himmelskönigin, weinen bittere Thränen, nicht minder wie um deinen gekreuzigten Sohn Jesu Christo.

Meiner Eltern Haus stößt auf der einen Seite an den jüdischen Tempel, auf der andern an eines der Thore des Ghetto. Denn die Stadt der Juden ist ringsum hoch ummauert, damit die Ebräer von den Christen abgesondert und streng geschieden seien. Auch meinen wir Gläubigen von den Juden, daß sie stänken – wohl mögen der Juden Seelen aufstinken zu Gott. Jeden Abend vor Untergang der Sonne müssen die Juden in ihre Stadt zurückgekehrt sein; denn beim Untergang der Sonne werden sämtliche Thore gesperrt und mit scharfen Wächtern umstellt – gänzlich gleich dem Vieh, welches die Hüter über Nacht einpferchen. Und erst am Morgen bei Sonnenaufgang werden die Pforten wieder geöffnet, worauf die Ebräer den Tag über in der römischen Stadt unstät und flüchtig weilen dürfen.

Jenes Thor, daran meiner Eltern Haus stößt, ist in die Mauer eingelassen und befindet sich unfern einer mäßigen Höhe, so aus dem Schutt und den Trümmern der Häuser der alten Roma entstanden. Auf diesem Hügel, jenseits der großen Pforte und meiner Eltern Haus gerade gegenüber, steht ein mächtiger Palast, genannt das Haus der Cenci, welche in alter Zeit ein gewaltiges Herrschergeschlecht waren. Jetzt weiß ich, daß in dem trübseligen Hause die Beatrice Cenci gelebt hat, ein fürchterlich mörderisch Weib, obgleich lieblich von Angesicht wie ein lichter Engel des Himmels – wie Myrrha, die Tochter der Teufelin Judäa. Aber es wandelt die Sünde auf Erden oft in herrlichem Leib und göttlicher Gestalt.

Genanntes Haus hat ein gar grauses Ansehen, auch ist über dem Eingang ein abgeschlagenes Frauenhaupt aus Marmor eingefügt; das Haupt einer heidnischen Jungfrau, Medusa mit Namen, die mit einem Unhold Buhlschaft getrieben. Vor dieser Burg des Geschlechtes Cenci, desgleichen vor dem Tempel der weinenden Gottesmutter, habe ich häufig verweilt, in eine Ecke gedrückt oder verborgen hinter einem Stein, und heimlich zugeschaut, wie sich die Kinder der Christen im Spiele vergnügten. Sahen sie ein Judenkind, so beschimpften sie es, bewarfen es mit Straßenkot, streckten die Zunge heraus, spotteten und schrieen. Obgleich ich nun solches Thun nicht christlich finden kann, vermag ich es wohl zu entschuldigen, indem es doch die Kinder der verfluchten Juden betrifft. Nun mag ein Unaufgeklärter und Unbußfertiger einwenden: was können die armen unschuldigen Kindlein dafür, daß einstmals ihr Volk den Gottessohn, der doch die Kindlein hat zu sich kommen lassen, ans Kreuz gebracht? Aber solches Reden zeugt von einer unerweckten Seele; freilich bekenne auch ich voller Zittern und Zagen, daß immer noch ein tiefes Erbarmen mit den armen Judenkindern in mir ist: habe ich doch bereits, da ich noch ein ganz kleiner Wicht war, nicht aus noch ein gewußt vor Leid um den Haß der Christen wider uns.

Die Kinder der Juden erfahren gar wenig von Spiel und von Freuden; denn sie müssen bereits von klein auf ihren lieben Eltern helfen, Handel zu treiben, welcher nach dem weisen und gnädigen Edikt des heiligen Papstes Innocenz XIII. einzig und allein mit Dingen geschehen darf, als da sind: alte Teppiche, allerlei Lappen und Fetzen und altes Eisen. Da sitzen nun die Kinder bei den Müttern vor den Häusern, die dunkel und kotig sind gleich Höhlen, und kauern bis zum Hals in stinkenden Lumpen, ganz fahl in ihren jungen Gesichtern von Fieber und schlechter Luft. Ach, wie oft habe ich meine lieben Eltern gebeten, mich auch in Schmutz und Lumpen sitzen zu lassen. Weil indessen mein Vater Rabbiner war, wurde mir ein solches Begehren nicht erfüllt, was mich viele bittere Thränen gekostet. Ich konnte eben nicht begreifen, weswegen eines Rabbiners Sohn nicht thun durfte, was anderer Väter Söhne thaten – da ich doch auch der Sohn eines Juden war und mein Leben lang nichts anderes sein wollte. Also war der Knabe Dahiel mit Blindheit geschlagen.

Desgleichen wußte und verstand ich in allen übrigen Dingen nicht viel von der Welt. Meine Eltern hatte ich lieb, und zwar mit großer Kraft und Leidenschaft. Und ich hatte lieb unsere treue Magd, die alte Rebekka; ich hatte alle lieb: alle Menschen, so viele ihrer waren auf Erden. Ach, ich hatte lieb von Herzen Juden und Christen. Weil nun auf der Welt alles so gänzlich anders war – weil die Christen die Juden haßten und sie knechteten, ward ich in meiner kindischen und unwissenden Seele todtraurig: zumal ich damals nimmer begriff, weshalb ein so grimmiger Haß notwendig sei. Daraus ist leicht zu erkennen, wie kindisch und unwissend ich zu jener Zeit gewesen bin. Ich meinte nämlich: daß auch die Juden Menschengesichter hätten, daß auch sie lachen und weinen könnten, sich freuen und traurig sein, nicht anders als wie die Christen. Denn schlug ein Christ einem Juden eine Wunde, blutete auch der Jude.

Es erhob sich oftmals im Ghetto wüstes Geschrei und lautes Wehklagen. Alsdann hatte ein Christ einen Juden mißhandelt. Ein Christ durfte auch einen Juden totschlagen. Das ist dann nämlich eine Gottesthat.

Also ward mir gelehrt.

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