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VI.

Das gab Klage und Jammer im Ghetto.

Nämlich als am andern Morgen die beiden Knaben für tot vor dem großen Thore gefunden wurden, welches der Synagoge und dem Hause der Cenci zunächst liegt. Sie huben uns auf und trugen uns in die jüdische Stadt, einen jeden in sein Haus. Meine Eltern und meines Mose Mutter waren in tausend Aengsten gewesen. Sie wollten ausgehen, uns zu suchen. Doch es wurden sämtliche Thore nach Sonnenuntergang geschlossen und kein Pochen und Rufen nach den Wächtern hatte geholfen, obschon sie die halbe Nacht von einer Pforte zur andern gelaufen waren. Nun brachten sie mich für tot angetragen unter dem Wehklagen der Leute. Da zerriß mein Vater sein Gewand und meine Mutter fiel hin über mich und blieb lange Zeit kalt und starr liegen. Bin jedoch nicht tot gewesen, zur Seligkeit meiner lieben Eltern, die ich jetzo ihres scheußlichen Heidentums wegen tausendfach verfluchen muß. Mein erstes Wort hat »Mose!« gelautet. Da hat meine Mutter mir zugeflüstert: »Auch Mose lebt.« Da war ich glücklich!

Das war eine schöne, wonnige Zeit – als ich langsam genas und also meiner Mutter zum zweitenmale geboren wurde, wiederum unter tausend Schmerzen. Ich fühlte mich so selig schwach, als sei ich gar kein Mensch auf Erden, sondern ein lichter Cherubim und brauchte nur meine Glieder zu heben, um aufzuschweben. Jeden Tag wohl zwanzigmal fragte ich nach Mose und ließ mir jeden Tag wohl zwanzigmal sagen, daß er lebe und mich grüße. Ich bat jeden Tag, mich zu ihm zu tragen; doch man willfahrte mir nicht. Dabei tröstete mich, daß von allen Speisen, die meine Mutter für mich bereitete, Mose geschickt bekam: von allem das Beste. Und was war es für ein gebenedeiter Tag, da sie mich zum erstenmal vor das Haus trugen, in die warme Sommerluft und der Himmel der heiligen Freude meiner Eltern über mich, dem Wiedergeborenen, erstrahlte. Ich saß in süßer Mattigkeit und viel Volks kam zugelaufen und feierte mit meinen Eltern diesen Tag. Viele brachten mir Geschenke: süßes Gebäck und saftige Früchte; und es war, als wollten alle mir besondere Liebe erweisen. Die Knaben des Ghetto hefteten an eine hohe Stange eine Tafel, darauf stand geschrieben: »Dahiel, der Sohn Simeons, ist wiederum in guter Gesundheit.« Dieses trugen sie durch die ganze Judenstadt und alle Kinder liefen hinterdrein, schrieen und jubelten und schlugen auf alte Blechgefässe, daß es ein greulicher Lärm ward. Aber schön war es doch und alt und jung hatte Freude daran.

Es kam auch Sarah, meines Mose Mutter. Die arme Witib drängte sich zu mir, umfaßte mich und weinte. Ach, wie erschrak ich! Denn das Weib sah jammervoll aus, als hätte sie lange Zeit im Siechtum gelegen und ohne Unterlaß Thränen vergossen. Aber sie sagte mir, daß es ihrem Sohne besser gehe und daß ich ihn in wenigen Tagen sehen dürfte.

Ich hatte etwas Schweres auf dem Herzen und besprach mich deswegen mit meinem Vater, zu dem ich sagte:

»Ich habe den Christen, die mir solches angethan, von Herzen vergeben und bitte Dich, mir zu sagen, wie Du gegen sie gesonnen bist.«

Dabei dachte ich an den Haß meines Freundes Mose und harrte voller Angst, was mein Vater mir erwidern würde.

Das lautete:

»Der Herr segne Dich um solcher Gedanken willen, denn dieses sind auch meine Gedanken. Ich habe sie denen gesagt, welche klagen gehen wollen beim Papst über die Mißhandlung, so Dir und Deinem Freunde Mose angethan worden; ich habe ihnen gesagt: Vergeben haben wir, ich und seine Mutter, unseren Feinden die Wunden, die sie unseren Söhnen und unseren Herzen geschlagen.«

Am nächsten Sabbath kleideten meine Mutter und unsere Magd Rebekka mich sorglich an; darauf führten sie mich auf die Gasse und nach der Via Fiumara. Wiederum lief viel Volks zusammen und geleitete uns. Unterwegs sagte meine Mutter:

»Du wirst den Mose mit großen Schmerzen finden, die er wohl sein ganzes Leben lang wird erleiden müssen. Doch da nun er die Krankheit, mit welcher der Herr ihn geschlagen, so geduldig erträgt, dürfen auch wir nicht murren dawider.«

Diese Worte meiner lieben Mutter drangen mir gleich Schwertern ins Herz. Ich glaubte zu Boden sinken zu müssen und sah nichts mehr vor strömenden Thränen.

Sie führten mich vor sein Bett, welches in einer völlig dunklen Kammer stand, daß ich zuerst nichts zu erkennen vermochte. Ich warf mich über ihn, umfaßte ihn mit beiden Armen, küßte ihn und weinte. Allmälich erst gewahrte ich sein armes Gesicht, das wie das Antlitz eines Toten war. Er flüsterte nur zu:

»Sage mir, mein Dahiel: nun Du sie erkannt hast, ist doch auch in Deinem Herzen der Haß, diese göttliche Flamme, erweckt worden, welche ewiglich in dem Tempel des Herzens unseres geknechteten Volkes lodern soll.«

Ich aber schwieg. Da rief er zürnend:

»Und hätten sie mich vor Deinen Augen getötet und in Stücke gerissen, würdest Du sie auch dann nicht hassen? Antworte mir!«

Ich aber schwieg.

Laut stöhnte er auf. Als ich ihn von neuem umfassen wollte, stieß er mich von sich.

*

Es wollte Mose mich nicht wieder sehen und seine Mutter durfte mich nicht zu ihm hineinlassen. So blieb ich denn vor dem Hause stehen und sah von der Gasse aus hinein in die dunkle Kammer, darin er in seinen grausamen Schmerzen lag. Ach, und ich wußte: er haßte mich, wie er die Christen haßte. Das ertrug ich nicht und schrie zu ihm hinein: ich wollte seinen Haß teilen und von ihm lernen: er möge mich nur wieder zu sich lassen! Denn ich hatte vernommen, daß seine Leiden größer geworden waren von dem Tage an, da er mich von sich gestoßen. Und ich betete zu Gott: er möge mich die Feinde unseres geknechteten Volkes aus tiefstem Herzensgrund hassen lehren.

Ich bekenne diese meine schreckliche Schuld ohne jegliche Hoffnung, selbige könne mir jemals vergeben werden.

Nun hatte ich meinen Freund wieder und kam wenig von seinem Leidensbette hinweg; nur daß ich eifrig in die Synagoge singen ging. Denn meine Stimme nahm zu an Kraft und Wohllaut und wurde von jedermann gern vernommen. Auch wollte ich durch meinen Gesang Gott veranlassen, auf mein Gebet zu hören und mir den Haß zu spenden.

So schrecklich die Schmerzen meines Freundes auch waren, zeigte er deswegen keine Traurigkeit, wie ich ihn denn überhaupt niemals habe wehklagen oder nur seufzen hören. Sondern er war immer heiter und guter Dinge und tröstete alle, die um ihn jammerten; am meisten mich und seine Mutter, das arme Weib. Es hatte sich nämlich herausgestellt, daß er an allen Gliedmaßen würde gelähmt bleiben; solchermaßen war er geschunden und zerschlagen worden, als er für die Christen rennen mußte.

Er frohlockte sogar über sein Siechtum, hob die Hände auf und rief:

»Gelobt sei der Herr, daß er mich durch die Feinde meines Volkes ein Stäublein von dem Berge des Elends leiden läßt, so hunderttausende der Ebräer gelitten.«

Da ich bei Beginn dieses mühseligen Skriptums feierliches Gelübde geleistet, alles aufzuschreiben, was in Gedanken und Thaten von mir gesündigt worden, und nichts davon zu verbergen – wie auch vermöchte ich solches, indem Gott mir ins Gemüte sieht – so bekenne ich denn, daß ich wider meinen Willen, und so sehr ich auch dagegen ankämpfe, voller leidenschaftlichen Sehnsucht des jüdischen Tempels gedenke und der Zeit, woselbst ich drinnen einem falschen Gott lobsang.

Es liegt der Tempel der Juden nahe am Platz des Weinens und in seine Mauern ist manches eingelassen, was von der Herrlichkeit des Römerreichs, das die Juden in Knechtschaft gebracht, übrig geblieben: Säulen und Kapitäle und manches Stück von den Marmorleibern römischer Götzen. Zwischen diesen Heidentümern sind die heiligen Geräte der Ebräer abgebildet: Harfe und Zimbel. Und drinnen im Tempelsaal leuchten am Passahfeste die Wände von Seide und Gold – wie nun nach uraltem hochheiligem ebräischem Brauch die Tempel der triumphirenden Kirche geschmückt werden – und auf den roten Teppichen stehen Sprüche göttlicher Weisheit, in der heiligen Sprache des Judenvolks zu lesen. Rings um den Saal, unterhalb der Decke, läuft ein weißes steinernes Band, darauf der Tempel Salomonis in aller Pracht zu sehen ist. Wie oft bin ich als Knabe dort gestanden und habe zu den Hallen und den Altären emporgeschaut, das junge Herz entbrannt von Sehnsucht; oder ich sah zu den Wogen des roten Meeres auf, die über mir wallten, zur Bundeslade, darauf der Cherubim Wache hält, zu den Pauken und Trompeten, zu den Priestergewändern und der Tiara – wie solche die christliche Kirche für ihre Bischöfe und Päpste den Juden nachgebildet hat. Schön und ehrwürdig däucht mir großem Sünder noch heute der Saal, darin die Juden anbeten, darin ich gar vielemal mit erhobener Seele geweilt. Im runden Chor stand ich mit anderen Jünglingen, sang dem Herrn Psalmen und Loblieder und gelangte dadurch im Ghetto zu hohem Ruhm. Denn alle drängten sich, meinen Gesang zu hören, auch Christen und christliche Priester; also daß ich in Hochmut verfiel und eine schändliche Eitelkeit mein Herz erfüllte. Ich stand im Chor gegenüber dem Allerheiligsten, davor der bunte Teppich ausgespannt war und darüber ein Abbild des siebenarmigen Leuchters leuchtete. Aber meine Seele fühlte nichts von der göttlichen Gegenwart des Pentateuchs, sondern schwoll auf in Weltlust, weil ich vor mir im Geflimmer der Kerzen Juden und Christen hingerissen meinem Gesange lauschen sah. Auch vernahm ich häufig Stimmen, die mich rühmten und für ein Wunder an Lieblichkeit im Gesange ausriefen. Ach, wie freudig schlug mein Herz, wenn ich zu dem oberen Raum aufschaute, wo hinter dem Gitter die Frauen weilten, darunter meine Mutter, die in ihrer Seele meinem Liede zujubelte, nicht anders, als sei ihr Knabe ein Engel des Herrn, gekommen, den Menschen eine Botschaft zu verkündigen. Doch mein Herz war nicht bei Gott im Himmel, sondern bei den Menschen auf Erden; und wenn mein Vater, der Rabbi, der Gemeinde vorbeten mußte, war ich eitel Ungeduld und nahm Aergernis daran, daß die Gemeinde auf Gottes Wort hörte und nicht auf meinen Gesang. Mein Vater war gar ehrwürdig anzuschauen in seinem langen schwarzen Kleide, mit dem hohen schwarzen Baret, von welchem zu beiden Seiten seines Antlitzes ein weißer Schleier herabfloß: und wenn er sein Gesicht im Schleier barg, Klagen und Weinen dadurch auszudrücken, so wußte ich, daß auch er auf den Gesang seines Knaben lauschte.

Weshalb aber mein Singen mir jeden Tag mehr zu einem Gnadengeschenk des Himmels ward, das war, weil ich damit die dunkle Höhle, darinnen mein Mose lag, mit Wohllaut und lieblichen Liedern anfüllen konnte. Wie David vor Saul gesungen, sang ich vor dem, der meinem Herzen lieb war; und wie David durch seinen Gesang die wilde Seele des Königs besänftigt, so beschwichtigte – also meinte ich thörichter Knabe – mein Lied den grimmen Haß meines lieben Bruders; denn häufig hörte ich ihn leise weinen.

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