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XI.

Und was soll ich nun sagen? Ich ging unter in einem Meer von lieblicher Sünde; daß ich gar nicht mehr auf der Welt weilte, sondern zwischen Himmel und Erde, in einem andern Reich, welches von seligen Geistern bewohnt ward. Im Ghetto lebte von mir nur, was körperlich an mir war. Dieses Wesen wandelte umher, mit Augen, die nichts sahen, mit einer Stimme, die leere Worte sprach. Sonst wußte ich von mir nicht viel und fuhr oftmals in jähem Schreck zusammen, rief einer mich bei Namen. Alsdann besann ich mich erst, daß ich der Gerufene sei: Dahiel Sarfadi, der Sohn des Simeon und der Hannah Sarfadi. All mein Leben und Sein war zu einem einzigen Traum geworden, darin mein menschlicher Geist eine göttliche Offenbarung empfing: Selig, die da lieben; denn ihrer ist das Himmelreich.

Weil mir alle irdischen Dinge so gänzlich entrückt waren, gewahrte ich kaum, daß ich, der jüdische Jüngling, seit kurzem regelmäßig dem Gottesdienst der Christen beiwohnte. Auch brauchte mich länger kein Häscher mehr in die Kirche zu treiben. Ich hatte eben eine solche Sehnsucht in mir, für das, was Großes an mir geschehen, auf irgend eine Weise ein Opfer darzubringen, daß ich mich zu jedem christlichen Gottesdienst in dem, jedem wahren Ebräer so tief verhaßten Hause des heiligen Engels einfand. Dort stellte ich mich hin, ganz nahe der Kanzel, von der herab der junge Franziskanermönch durch die Macht seiner Rede in die verstockten Herzen der Ungläubigen zu dringen suchte, und lauschte auf den Klang seiner Stimme, welche eitel Wohllaut war. Aber von seinen Worten verstand ich nicht viel, indem ich ohne Unterlaß an die holde Myrthe dachte, die vor dem capenischen Thor in der Wildnis blühte. Nun geschah es eines Tages, daß ich blaß und bebend vor dem jungen Priester stand und endlich sogar in heiße Thränen ausbrach. Es predigte nämlich der Christ das Evangelium der göttlichen Liebe, davon ich bis dahin nichts gewußt, und das sich durch die Liebe zu dem jungen Weibe doch bereits an mir erfüllt hatte. Ich ward im Innersten meiner Seele bewegt und hing mit meinen Augen und meinem Herzen an den beredten Lippen des Mönchs, der mir plötzlich in neuer Gestalt erschien: als ein Apostel und heiliger Prophet.

Es sah der Priester mich weinen und heftete seine Blicke auf mich; also, daß mir war, als spräche er zu mir allein, als wären nur wir beide in der Kirche und diese kein christlicher Tempel, sondern das Heiligtum eines unbekannten Gottes, und es erwachte in mir ein brennendes Verlangen, den Gott, der seine Apostel aussandte, den Menschen die Liebe zu verkündigen, kennen zu lernen und zu ihm zu beten. Denn es war für mich Jehovah lediglich der gestrenge und furchtbare Gott Zebaoth, von dem ich nur wußte, daß er voll gewaltigen Zürnens, voller Grimm und Rache wäre, und dessen Bildnis ich in mir trug als des Gottes, der seinem Priester Mose im feurigen Dornbusch erschienen.

Da der Gottesdienst beendet war und die Juden hinausdrängten, stellte ich mich hinter eine Säule, woselbst ich mich verbarg. Als der junge Mönch gewahrte, daß er allein sei, warf er sich vor dem Altar nieder und begann inbrünstig zu beten, wobei er laut stöhnte und heftig Gott anrief.

Endlich erhob er sich, wandte sich – siehe, da stand ich vor ihm. Er fuhr mich hart an:

»Was willst Du, Jude?«

Das konnte ich ihm nun nicht sagen, denn ich wußte es zu jener Zeit selbst nicht. Also stammelte ich in großer Verwirrung etwas von dem Gott der Liebe, von dem er gepredigt, und wie ich nur von einem Gott des Zornes wisse und gerne zu jenem liebenden Gott hingelangen möchte. Da zeigte sich auf dem Gesicht des jungen Priesters etwas, das beinahe wie Schrecken war; er entfärbte sich und entgegnete mir mit strenger Stimme:

»Der Mensch soll nicht zweien Göttern dienen! Du hast Deinen Gott, welcher der nämliche ist, der seinen lieben Sohn auf die Welt gesandt, damit er die Menschheit von ihren Leiden und ihren Sünden erlöse. Bete Du zu Deinem Gott, daß er Dir ein Gott der Liebe und der Barmherzigkeit sei, bete mit aller Inbrunst, und er wird Dich erhören.«

Damit wandte er sich hastig ab von mir und ließ mich stehen, der ich in großer Betroffenheit langsam davonging. Ich war bereits auf der Gasse und ein ganzes Stück die Via Rua hinaufgegangen, als ich einen eiligen Schritt mir nachkommen und plötzlich jemand rufen hörte: »Jude!«

Ich blieb stehen. Der junge Mönch trat an meine Seite mit einem gänzlich veränderten Antlitz, darauf eine große Trauer, aber auch eine große Strenge lag. Er fragte mich:

»Bist Du nicht der junge Tempelsänger mit der lieblichen Stimme?«

Ich, in meinem eitlen Herzen, fühlte darob eine solche Freude, daß die heiße Glut mir ins Gesicht stieg.

Dadurch erkennend, daß ich der Sänger sei, ging der Christ ohne Gruß seines Weges weiter.

Am nächsten Tage aber kam er in meiner Eltern Hans und ward von meinem Vater mit aller Ehrerbietung, aber doch mit einem leisen Lächeln empfangen: als gäbe es im Hause des Rabbi Simeon Sarfadi zu bekehren und Proselyten zu machen!

Er kam von diesem Tage an häufig zu uns, trat plötzlich in die Kammer, darinnen ich mit meinen Eltern weilte, that indessen so fremd zu mir, als hätte ich niemals hinter ihm gestanden, da er im Gebet mit seinem Gott gerungen, wie er mich denn auch niemals grüßte oder ein Wort zu mir sprach. Dagegen redete er vielfach zu meinem Vater, als wollte er diesen seinem Glauben abwendig machen und zu einem andern Gott hinleiten. Auch ließ mein weiser Vater den Christen ruhig gewähren, recht in dem Gefühl, unlöslich mit seinem Gott vereinigt zu sein. Bei den feurigen und leidenschaftlichen Reden des jungen Mönches war ich gewöhnlich anwesend, und war dies einmal nicht der Fall, geschah es häufig, daß mein Vater mich rufen ließ: denn er wollte seinen Sohn wissen lassen, wie sein Glaube auf Felsen gegründet.

Ich hörte mit aller Aufmerksamkeit zu; und mehr und mehr wollte mich's bedünken, als redete der Mönch eigentlich nur zu mir, indem er alles, was er sagte, auf mein heftiges, ihm bekanntes Verlangen zu beziehen wußte, einen Gott kennen zu lernen, der die Liebe, die Barmherzigkeit und die Gnade sei. Von Jesus Christus, dein gekreuzigten Gottessohn, verkündigte er uns nichts; aber zu meinem Vater gewendet, erzählte er mir von seinem Heiligen, der ein schöner und vornehmer Jüngling gewesen, mit Namen Franziskus, aus der umbrischen Stadt Assisi. Dieser Franziskus war ein überaus herrliches Menschenbild, lauter wie das Licht der Sonne und voll hehrer Tugenden. Am hehrsten erschien mir des heiligen Mannes Selbstverleugnung, Menschenliebe und Mitleid mit den Schmerzen der Armen und Bedrückten; darin folgte er dem Nazarener dermaßen nach, daß er kurz vor seinem Tode mit den Wundenmalen seines am Kreuze gestorbenen Meisters gezeichnet wurde und Wunder vollbrachte, wie jener gethan. Ferner berichtete der von seinem lieben Heiligen begeisterte Mönch über den gottseligen Mann: wie diesem die Erkenntnis gekommen, habe der reiche Jüngling Vater und Mutter verlassen, die Armut zu seiner Braut erkoren und war im Lande herumgezogen, aller Armen und Bedrängten Bruder, Freund und Tröster, allen das ewige Heil verkündend: in der Liebe und der Barmherzigkeit Gottes.

Einmal sprach der Mönch so gewaltig von diesen hohen Dingen, daß ich mich der Thränen nicht enthalten konnte, was mein lieber Vater vor dem christlichen Priester höchlich an mir lobte; indem er es gut hieß, daß ich bei meiner Jugend durch einen solchen wundervollen Lebenswandel im Gemüte bewegt werde. An diesem Tage redete mein Vater schier vertraulich mit dem Mönch, der indessen unfreundliche Antwort gab und jäh aufbrach. Ohne sich davon verstimmen zu lassen, rühmte mein Vater nach seinem Fortgang den Glauben und die Begeisterung des jungen Christen und sagte mir gar herrliche Worte darüber: wie jede Religion ihre Verkündiger habe, die, wenn sie ihres Gottes nur voll wären, wohl verdienten, die Diener des Höchsten zu heißen, und wie Gott sich in vielerlei göttlichen Gestalten, aber nur in einem göttlichsten Wesen den Menschen offenbare.

Es hatte mich aber eine wunderliche Scheu gefaßt, von diesen häufigen Besuchen des Christen zu Mose zu sprechen, obschon ich ihm doch sonst alles sagte. Jetzt verschwieg ich meinem Freunde bereits zwei große Dinge: meine Liebe zu der wilden Myrthe und mein Verlangen nach einem Gott, bei dem der Mensch Trost, Gnade und Rettung fand, Äußerungen einer liebenden Gottheit, die dem verfolgten und geknechteten Volk der Juden von Jehovah versagt blieben. Beharrte ich nun über meine Liebe und meine Sehnsucht zu Mose in solcher Stummheit, so geschah das nicht aus Feigheit oder einem bösen Gewissen; sondern ich wollte zu seinen vielen schweren Leiden nicht noch diese allerschwersten hinzuthun, seine Liebe zu der holdseligen Jungfrau und seinen Haß gegen die Christen bedenkend. Beides war in seinem Innern eine gar gewaltige Flamme, so recht das Lebenslicht dieses unseligen Leibes.

Ich gewahrte aber, daß Mose mich seit kurzem voller Mißtrauen betrachtete. Dieses galt jedoch, wie ich bald erfahren sollte, nicht meiner Empfindung für die schöne Tochter des argen Weibes Judäa, sondern den häufigen Besuchen des Christen im Hause meiner Eltern, davon ihm berichtet worden, und auch daß die christlichen Häscher mich nicht mehr in den Tempel treiben mußten, da ich jetzt von selbst hineinging und, unter der Kanzel stehend, aufmerksam zuhörte. Eines Tages brach daher mein Freund in folgende heftige Worte aus, die er mir mit bitterem Hohn ins Gesicht rief:

»Wehe denen, die weichen Gemütes sind! Sie gleichen den Wellen im Meer, die jeglicher Wind bewegt, den Wolken am Himmel, die bald hierhin, bald dorthin ziehen, dem Sande der Wüste, der verrinnt, indem man darüber hinwegschreitet. Auf solche ist kein Verlaß. Sie fallen ab wie Blumenblätter vom Stengel. Aber es ist nichts in der Welt so verächtlich, als bin schwaches Herz, welches ohne Unterlaß nach einem Halt sucht und gestützt werden muß gleich einem schwankenden Bäumlein. Deswegen ist mir der Gott der Christen ein gar ungöttlicher Gott: weil er sich dazu hergibt, jedem, der ihn für seine Leiden anschreit, Versprechungen zu machen und Belohnungen zu verheißen, so recht ein Gott der Schwachen und Hilflosen! Verflucht sei, Dahiel, Dein weiches Gemüt und Deine ewig mitleidige Seele!«

Ohne mich antworten zu lassen, gebot er mir, ihm aufzuhelfen und ihn nach der Richtung zu führen, die er mir weisen würde: zum Ausgang des Ghettos, der Brücke Quattro Capi zu, die einstmals Ponte Judaeorum geheißen.

Hier lag, dem Ghetto gerade gegenüber, eine christliche Kirche, an deren einer Außenwand die Kreuzigung des Gottessohnes abgebildet war, damit die Juden immer vor Augen hätten, was sie an den Christen begangen; also immer vor Augen sähen, weshalb sie von den Juden gehaßt wurden. Und bei dem Bilde stand geschrieben, sowohl in hebräischer als in lateinischer Sprache:

»Ich recke meine Hände aus den ganzen Tag nach einem ungehorsamen Volk, das seinen Gedanken nachwandelt auf einen: Wege, der nicht gut ist.«

Diesen Vers aus dem 65. Kapitel des Jesaias mußte ich mit lauter Stimme in hebräischer Sprache meinem Mose vorlesen. Er fragte:

»Von wem glaubst Du, daß dieser Spruch an die Wand dieser Kirche geschrieben worden?«

Ich erwiderte:

»Von einem Christen.«

»Und zu welchem Zwecke?«

»Die Juden zum Christentum zu bekehren.«

»Also war es!«

Und er reckte seinen hagern Arm zu dem Bildnisse empor:

»Aber nicht ein Christ hat diesen Vers aufzeichnen lassen, sondern ein Jude. Verdammt sei er! Amen.«

»Ein Jude!« – – Von einer großen Bewegung gefaßt, schwieg ich. Aber Mose gebot mir:

»Du sollst auch Amen dazu sagen. Verdammt sei er in Ewigkeit – –«

»Amen.«

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