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XVI.

Wir hatten den Platz, woselbst ich meine Erleuchtung empfangen, verlassen, waren den kapitolinischen Berg, am Konservatorenpalast vorbei, wieder hinabgestiegen und gelangten auf das römische Forum. Hier fuhr mir's durch den Sinn: ich müßte zu meinen Eltern und ihnen berichten, was mit mir geschehen war. – Denn ich selbst hatte nichts dazu gethan, sondern es war alles Fügung und der Wille des Himmels. – Aber bereits im nächsten Augenblick ward ich mir bewußt, daß ich mit dem Bruder zu gehen hätte, überall hin, wo er mich führen würde. Auch sagte er jetzt:

»Ich habe einen Gang zu thun, hinaus vor das capenische Thor auf die appische Straße. Es möge Deine erste Prüfung sein, daß Du gelassen an meiner Seite die Stätten wiederschaust, wo Du mit Myrrha, der Jüdin, deren Seele Du retten willst, häufig geweilt hast. Begleite mich.«

Ich erwiderte:

»Um Myrrhas Seele zu retten, würde ich noch ganz andere Wege mit Dir schreiten. Führe mich.«

Ich merkte indessen, daß der Bruder mich auf einem Umweg zum Thore führen wollte. Aber alsdann besann er sich und lenkte seinen Schritt wieder zum Forum zurück.

Wir gingen nun längs der farnesischen Gärten unterhalb des palatinischen Hügels dahin und erreichten die Höhe, woselbst rechter Hand die Velia bei dem Berg mündet, der einstmals den Palast der Kaiser getragen. Plötzlich konnte ich nicht weiter, plötzlich blieb ich stehen, als wären mir die Füße an den Boden geschmiedet. Dicht vor mir erhob sich der Bogen des Titus, im Sonnenschein leuchtend, daß ich vor dem Glanz, der mir auf einmal ins Gesicht fiel, wie geblendet die Augen schließen mußte.

So verharrte ich eine Weile. Als ich die Schwäche überwunden, meine Füße vom Boden gelöst und die Augen geöffnet hatte, stand Bruder Eustachius an der andern Seite des Bogens, meiner harrend, da, seinen Blick erwartungsvoll auf mich gerichtet.

Aber da ich dem Mönch nacheilen und gleichfalls den Portikus durchschreiten wollte, riß es mich wie mit unsichtbaren Händen zurück, stieß es mich fort, schleuderte es mich zur Seite und – ich ging um den Bogen herum.

Ich glaubte nicht anders, als daß Bruder Eustachius mich hart anfahren würde; indessen, er sagte mir kein Wort, that, als wäre nichts geschehen und ich gar nicht von seiner Seite gewichen. Auch war ich ja noch ein Jude!

Es war in der Nähe des großen Zirkus, daß mehrere Mönche zu uns stießen; Priester und Diener der christlichen Kirche. Sie begrüßten sich schweigend und gaben weiter nicht acht auf mich. Nur einer fragte den Bruder:

»Wer ist dieser Jüngling?«

Bruder Eustachius erwiderte:

»Ein Jude, der das Himmelreich sucht.«

Da wandten sich aller Augen auf mich, daß ich die meinen niederschlagen mußte.

Nun schritten wir durch das sebastianische Thor und auf der appischen Straße dahin. Dort lag das Kirchlein »Domine, quo vadis?« Ach, auch diesesmal begegnete mir niemand, der mich gefragt hätte: »Jüngling, wohin gehst Du?!« Kein Ruf erging an mich, der mich hätte umkehren heißen. – – Und dort – dort führte der Weg zwischen Hecken ins Thal der Egeria, dort dunkelte der Hain; dort stieg das Grabmal der Römerin Cäcilia Metella auf; dort leuchtete ein rotes Gewand – –

Da faßte mich Bruder Eustachius am Arm und bog mit mir von der Straße ab, linker Hand in eine Vigna hinein.

Wir hatten uns allmälich von den anderen gelöst und waren zurückgeblieben. Als wir in den Weinberg traten, sah ich von den vielen, die mit uns gegangen waren, keinen einzigen mehr und war's, als hätte die Erde sie verschlungen. Da gewahrte ich ganz nahe vor uns, unter einem großen, herrlich blühenden Pfirsichbaum, eine weite, dunkle Oeffnung, die geradenwegs in den Schoß der Erde hinabzuführen schien. Vor diesem finstern Eingang saß, am Stamm des Baumes lehnend, auf einem antiken Grabstein ein junger Dominikanermönch; neben ihm auf dem Steine lagen Wachskerzen und in der Hand hielt er eine brennende Kerze. Sein weißes Gewand leuchtete in der Sonne und von dem Baume rieselten unaufhörlich blaßrote Blüten auf den Mönch hernieder und hinein in den Eingang zur Tiefe.

Auf diesen Platz gingen wir zu.

Der Mönch grüßte demütig und reichte jedem von uns eine Kerze, die er vorher an feinem Lichte entzündet hatte. Nun schritt Bruder Eustachius in die Höhle hinein und bedeutete mir mit feierlicher Geberde, ihm zu folgen. Mir grauste es. Ich wäre gern im Licht der Sonne geblieben und hätte die Blüten auch auf mich niederrieseln lassen. Doch folgte ich dem, der mich bis hieher geleitet hatte und der mich noch weiter führen sollte: hinein in einen Tag voll ewigen Glanzes, den ich grüßen sollte mit Mose, mit meinen Eltern, mit – Myrrha! Und mit vielen meines Volkes!

Aber vorerst dunkelte es mir entgegen gleich ewiger Nacht, denn alsbald ward hinter uns das Tageslicht ausgelöscht wie eine Fackel. Das Lichtlein des Mönchs zitterte vor mir durch die Finsternis, als wäre es ein irrender Funke. Nach allen Seiten hin waren enge und niedrige Schachte in die Erde gegraben: bald gingen wir gerade aus, bald bogen wir nach links oder nach rechts, oder wir stiegen gar noch weiter in die Tiefe hinab: und Bruder Eustachius eilte vorwärts, ohne sich zu besinnen, als wandle er droben im Sonnenlicht.

An beiden Seiten der schier endlosen Erdmauern zwischen denen wir dahinschritten, waren vom Boden bis zur Decke schmale Löcher eingegraben, lang wie ein Mensch, eines dicht über dem andern – eines dicht neben dem andern. Und waren diese Löcher mit Steinplatten und Mauerwerk bedeckt. Häufig war ein solcher Verschluß aufgebrochen: also, daß man in einen leeren Raum hineinsah. Wo die Platten noch geschlossen waren, gewahrte ich bei dem zuckenden Schimmer der Kerzen hier und da seltsame Zeichen und verblaßte Malereien: ein Fisch, ein Lamm oder eine Taube; eine Palme, ein Schiff, ein Kreuz.

Vor manchen dieser Gräber blieb der Bruder stehen, küßte den Stein, wenn er ihn erreichen konnte, oder er warf sich davor nieder, bekreuzte sich und betete in Hast mit halblauter Stimme, was hier in der Tiefe der Erde gar schauerlich klang. Wie aber ward mir, da ich in einer solchen Oeffnung, vom Schein des Lichtes rötlich bestrahlt, morsches Gebein liegen sah.

Endlich ließen sich aus der Ferne menschliche Stimmen vernehmen: Gesang, dumpf und schauervoll, als psalmirten die Toten in den tausend und abertausenden von Grüften dieser furchtbaren Gräberstadt. Nun weitete sich der Gang und wir traten in ein erleuchtetes Gewölbe, aus dem es nach allen Seiten in die Tiefe führte.

Auch hier drängte sich Grab an Grab und war die Decke mit absonderlichen Malereien verziert, eine rechte Totengräberkunst! In der Mitte stand ein Altar, mit goldigen Teppichen behängt und sechs hohe silberne Leuchter tragend, darin brennende Kerzen steckten. Ein Bischof, im schimmernden Gewande, lag davor im Gebete.

Es war dieses Gewölbe voll von Knieenden: Priester, Mönche und Nonnen der verschiedensten Orden, so viele der Raum fassen konnte und mehr. In allen benachbarten Gängen drängten sie sich zusammen und alle hielten ein Licht, was einen überaus wundersamen Anblick gewährte. Denn die vielen erleuchteten Gänge, die sich in der Grabkapelle einigten, glichen den Strahlen eines Gestirns. Von den meisten der in Anbetung hingesunkenen Christen waren nur die beleuchteten Gesichter zu sehen, die sich tief über die Kerzen neigten, davon ein feiner Rauch ausging.

Bruder Eustachius hatte mich mit sich niedergezogen und mir zugeraunt: der Bischof läse in den Katakomben vor den Gräbern der Märtyrer eine Messe für die armen Seelen im Fegefeuer, von denen dadurch viele erlöst würden. Auch ich könnte dereinst durch eine solche heilige Handlung Großes vollbringen; denn auch mir würde dermaleinst als Priester der alleinseligmachenden Kirche Großes verliehen sein.

Ich ward hiervon auf das tiefste bewegt und der Gesang der Mönche und Nonnen drang mir noch mächtiger ins Gemüt. Voller Ehrfurcht schaute ich ringsum auf die Grabsteine, welche die Gebeine derer deckten, die um ihres Glaubens willen gestorben waren, voller Ehrfurcht auf die Gestalt des Priesters, dem eine solche Macht zu eigen gegeben – eine ganz andere als den Priestern der Juden! Ich schaute voller Ehrfurcht auf alle, die bei den Gebeinen ihrer Märtyrer in ihrem Gott versammelt waren, und ich dachte:

Welch ein mächtiger Glaube muß das sein, der aus dieser Grabesnacht zu solchem Glanz gedrungen ist! Welch ein gewaltiger und herrlicher Gott, dessen Liebe, Gnade und Barmherzigkeit sein Volk aus Verfolgung und Knechtschaft also zum Siege geführt! Und ich dachte ferner, daß ich mir von meinen Eltern und von meinem ganzen Volke freudig fluchen lassen wollte, konnte ich dadurch den Fluch von ihnen nehmen.

Der Gesang verstummte, der Priester erhob sich, die heilige Handlung begann. Ich verstand nichts, aber ich glaubte an alles; und alles erschien mir geheimnisvoll und herrlich, ehrwürdig und wahrhaft göttlich. Bei jedem Worte, das der Geweihte sprach, wurde – also stellte ich mir vor – die Seele eines Verdammten von ihren Qualen erlöst und stieg nun selig aus den Gründen der Erde zu den offenen Himmeln empor. Und ich dachte: wie auch ich dermaleinst also dastehen könnte und solche Wunder vollbringen, und wie alsdann auch meine Worte erlösen würden: ein jedes Wort die Seele eines in Ewigkeit verdammten Juden. Ich sah meine Eltern dahinschweben, sah Mose, sah Myrrha – eine Schar von lichten, seligen Geistern! Da schwur ich im Herzen das Judentum ab und gelobte mich dem christlichen Glauben an: um des Leidens meines Volkes willen, aus Liebe zu meinem Volke und zu denen, die meinem Herzen am nächsten standen. Da nahm auch ich, armes Menschenkind, in Demut das Kreuz auf mich.

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