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XVII.

Der Gottesdienst währte, bis die Kerzen in unseren Händen tief niedergebrannt waren. Wohl fiel mir ein, daß, wäre eine plötzliche Finsternis hereingebrochen, wir alle in der grauenvollen Totenstadt, aus der ohne Licht kein Ausgang zu finden, hätten umkommen müssen. Aber der Gedanke an einen solchen ungeheuerlichen Tod hatte in jener Stunde keine Schrecken für mich. Denn obschon noch ein Jude, würde ich also sterbend einen christlichen Märtyrertod erlitten und dadurch im Himmel die Macht erlangt haben, tausenden meines Volkes die ewige Verdammnis des Todes in ewige Seligkeit umzuwandeln – gar nicht der Geliebten zu gedenken, für die ich von Gott eine ganz besondere Seligkeit erfleht hätte.

Also gewaltig war die Erleuchtung, die mir geworden, und also verzückt mein Geist.

Da wir die Totenstadt der ersten römischen Christen verließen und wiederum zur Oberfläche der Erde und zu den Lebendigen aufdrangen, glühte uns durch den schwarzen Schacht der Himmel wie eine riesige Fackel entgegen. Eben erst war die Nacht angebrochen, aber bereits eine solche Finsternis, als wäre Rom Jerusalem und daselbst heute von den Juden der Heiland gekreuzigt worden. Rings um den Horizont türmte sich ein schwarzes, gewaltiges Wolkengebirge empor, welches sich langsam näher und näher schob, tiefer und tiefer sich senkte, als wollte es die Erde erdrücken und zermalmen. Wo über dem Meere die Sonne untergegangen, klaffte der schwarze Himmel auf und ließ eine düstere Röte hervorbrechen.

Dieses schauten wir in der Campagna von einem Hügel aus, welcher von der appischen Straße weit entfernt lag: denn wir hatten die Katakomben auf einem jener Richtung entgegengesetzten Wege verlassen. Mit uns waren einige Mönche gegangen, deren Kloster in der Nähe des Eingangs der Gräberstadt lag. Diese Diener des Herrn durften nicht unter einander reden, sondern mußten die größte Zeit ihres Lebens in tiefem Schweigen verharren, was mir eine gewaltige Vorbereitung auf das Himmelreich zu sein schien. Von solchen erhabenen Dingen wußten die Juden freilich nichts.

Nachdem die Mönche sich entfernt hatten, fragte ich den Bruder, wo wir uns befänden, und vernahm, das wir unfern der Basilika des heiligen Paulus wären.

Wir konnten wegen der Schwärze der Nacht nicht die Hand vor den Augen sehen. Indessen der Bruder drängte zur Eile und war jeder Schritt beinahe ein Fall, daß ich kaum weiter konnte und der Mönch mich stützen mußte. Plötzlich war's, als bräche die Hölle los. Von allen Seiten flammten die Blitze und erleuchteten den Weg. Da stieß ich einen lauten Schrei aus; denn wir standen am Rande eines schrecklichen Abgrunds und hätte uns ein Schritt vorwärts unfehlbar in die Tiefe gestürzt. Als ich beim Schein der Blitze einen Augenblick das Antlitz des Mönches sah, entsetzte ich mich darüber; denn der Priester war fürchterlich anzuschauen: als wollte er einen Totschlag begehen.

Nun, nachdem so Vieles und so Gräßliches sich begeben, weiß ich, daß der Bruder Eustachius mich jenen Weg nicht ohne Absicht geführt, daß er den Abgrund wohl gekannt, und daß seine Hand mich nicht zurückgerissen haben würde. Er selbst wäre aber vor dem Verderben auch nicht entwichen. Gott sei seiner armen Seele gnädig!

Das war ein Weg! Unter Blitz und Donner und Sturm. Aus dem Himmel brachen Flammen, die Erde bebte, die Wolken jagten. Es war ein Knattern und Krachen, ein Sausen und Brausen, als käme der jüngste Tag, das Gericht und die Richter.

Ich fürchtete mich; aber der Mönch schrie mir zu:

»Der Himmel feiert das Fest Deiner Bekehrung. Wir wollen singen: Halleluja und Hosianna! Denn heute ward dem Himmel ein Opfer dargebracht.«

Er sagte noch mehr, doch der Donner verschlang seine Worte. Mir war's, als hörte ich ihn auflachen, grell und wie toll.

Grausig waren die Bilder, die bei den Blitzen sich zeigten: die öde, wilde Landschaft, darüber die schwarzen Wolken rasten; vom Sturm geschüttelte Cypressen; Kirchen, Klöster, Ruinen; alsdann der Aventin, der Palatin und –

Und dann waren wir da!

Durch den Titusbogen, den Einschnitt der Velia hinan, dahin zwischen Abhängen, Hecken, Mauern. An einer Mauer blieben wir stehen, vor einer Pforte.

Ich sah einen Glockenstrang niederhängen. Bruder Eustachius griff darnach, zog – ein schriller, blecherner, wimmernder Ton drang durch das Heulen des Windes.

Während wir harrten, dachte ich daran, daß nun mein Vater und meine Mutter um mich in Todesangst waren.

Da ward uns aufgethan. Und die Pforte schlug hinter uns zu. –

Wir gingen durch einen Hof, so öde, so öde! Doch schien er mir zu jener Stunde der Vorhof zur Seligkeit zu sein. Wir traten durch eine enge Thür in einen dunklen Gang, von dem ich zu jener Stunde wähnte, daß er mich sogleich an das Herz Gottes brächte. Schwer und schwül war drinnen die Luft, sie versetzte mir den Atem. Ich glaubte indessen, die Schauer, die mich durchrieselten, seien Ehrfurcht vor der Heiligkeit des Ortes. Totenstille umfing mich. Ich aber empfand sie als himmlischen Frieden. Einige Brüder gingen vorüber, schweigend, teilnahmslos wie die Schatten von Abgeschiedenen. Ich aber hielt sie für selige Geister.

Am Ende des Ganges stand ein hohes Kreuz, daran hing der Gottessohn mit blutenden Wunden, die Dornenkrone auf, leidend, sterbend. Ich hätte mögen hineilen, mit beiden Armen das Kreuz umklammern, meine Thränen mit dem göttlichen Blute mischen und aufschreien: »Vergib ihnen, bitte für sie, erlöse sie!«

Ach Gott – Jesus Christus hatte ihnen vergeben, aber die Kirche vergab ihnen nicht! Jesus Christus hatte für sie um Gnade gebeten, aber die Kirche bat für sie um Verdammnis: Jesus Christus hatte sie nicht erlöst, aber –

Aber ich glaubte, daß ich sie würde erlösen können! Sie erlösen durch mein Mitleiden, durch meine Liebe, durch meinen lebendigen Tod.

Wer war ich, daß auch ich wollte gekreuzigt sein?!

Wir gingen weiter und traten in die Klosterkirche.

Daselbst saßen die Väter und Brüder in stiller, frommer Gemeinschaft, lasen in den göttlichen Büchern und sangen die Hora. Bruder Eustachius begab sich zu seinem Platz, nachdem er mich zu einem Altar gewiesen. Dort sollte ich mich betend niederwerfen. Das that ich.

Nach einiger Zeit ward es still und dunkel. Ich gewahrte, daß ich allein war und fürchtete mich.

Aber der Bruder trat wieder zu mir und gebot mir, nachzusprechen, was er mir vorsagen würde. Das that ich.

Und ich leistete mit lauter Stimme das Gelöbnis, Christ und Priester werden zu wollen. Oder:

»Die Strafe des Himmels falle auf mein schuldiges Haupt und auf die Häupter derer, die von mir auf Erden geliebt werden, als da sind: Mutter und Vater, Bruder und Schwester, Freund und –«

Da ward ich von einer jähen Schwäche befallen. Ich sank mit dem Haupt auf die Stufen des Altars und wußte nichts mehr von mir.

*

Es war so schön! Ich lag wiederum im Hain der Egeria und wurde wiederum lebendig begraben: unter Blumen, die Myrrha über mich schüttete. Ich lag ganz still, in himmlischer Ruhe! Und ich dachte in diesem seligen Scheintod: Du lebst, Dahiel, du brauchst nur aufzustehen, Dahiel, und du bist im Sonnenschein und Myrrha küßt dich auf deinen Mund.

Das wollte ich mm gern an mir geschehen lassen. Ich streckte meine Hand aus, den Blütendeckel meines Sarges von mir zu werfen und seliges Auferstehen zu feiern, und stieß mit der Hand an eine kalte, feuchte Wand.

Ich fuhr in die Höhe, starrte, halb aufgerichtet, um mich, lange, lange, ohne zu begreifen.

Nun gewahrte ich, daß ich auf einem schmalen Holzschrein lag, welcher in einem schmalen Kämmerlein stand. Dieses hatte hoch in der Wand ein winziges Fenster; das war mit Eisenstäben vergittert. Darunter hing ein schwarzes Kreuz und an dem Kreuze ein Bußgürtel nebst Geißelstrang.

Gott, Herrgott, war das ein Schrecken! Ich war wohl lebendig begraben, wie ich geträumt hatte, jedoch nicht unter Blumen.

Aber alsdann fiel mir ein, welche großen und göttlichen Dinge sich mit mir begeben hatten, und daß alle, von denen ich nun für immer getrennt war, einstmals auf ewig mit mir zusammen sein würden, erlöste, lichte, selige Geister! Und wie ich das so recht dachte und mir vorstellte – Gott, Herrgott, da brach in meinem Herzen ein heißer Strom auf von Hoffnung und Zuversicht, und mich erfüllte ein Glück und eine Freudigkeit, wie ich zuvor solche niemals empfunden hatte. Ich sprang von meinem Lager auf und rief mit lauter und heller Stimme nach meinem lieben Bruder, der mich hieher geführt, wahrlich nicht in ein Grab.

Er kam, und da er meine heitere Miene sah, fiel er mir um den Hals, umarmte und küßte mich und weinte bittere Thränen an meinem Herzen.

Ich fragte ihn:

»Lieber Bruder, warum weinst Du?«

Er erwiderte:

»Das wirst Du noch einmal erfahren. Aber Du scheinst ja sehr freudig zu sein?«

»Sollte ich nicht freudig sein, da ich doch zur Freude so viel Ursache habe? Du wirst eben keinen Vater und keine Mutter, keinen Bruder, Freund und auch sonst niemand besitzen, der Dir lieber ist als Dein Leben, und welche Geliebten Du alle aus der ewigen Verdammnis durch Dein Gebet zu erlösen vermagst.«

Er schaute von mir hinweg und sagte:

»Nein, ich habe niemand, den ich zu erlösen vermöchte; es müßte denn sein, ich könnte mich selber erlösen. Nun, Gott helfe Dir; Du bist ein seltsamer Mensch. Wie Deine Augen leuchten! An was dachtest Du soeben?«

»An vieles. An die Juden, an die Gnade Gottes, an die Heiligkeit dieses Ortes und an anderes, was schön und göttlich ist. Mein Geist wandelt gleichsam auf einem hohen Berge, schaut die Sonne aufgehen und blickt in diese hinein. Ach, wie ist mir so leicht und wohl! Das danke ich Dir, Du Lieber. Von ganzem Herzen danke ich es Dir.«

Ich faßte seine Hände, die er mir heftig entzog, mit herber Stimme sagend:

»Du Thor! Als ob ich Dich aus freier Neigung und freiem Willen hergebracht. Meinethalben hättest Du Jude bleiben können, Jude, bis in Ewigkeit.«

Diese Rede schmerzte mich unsäglich. Ich erwiderte traurig:

»Warum sagst Du, was Du nicht denkst? Ich weiß ja doch, daß Du mich lieb hast – trotzdem ich ein Jude gewesen! Und ich weiß, daß Deine große Menschenliebe mich hieher gebracht, weil ich Dich dauern würde, müßte ich als Jude ewig ein Heide bleiben und als solcher die Höllenqualen der Verdammnis erleiden.«

Er rief:

»Ja, Du dauerst mich! Um Deines Wahnes willen dauerst Du mich. Als ob ich aus Menschenliebe zu den Juden – mögen sie verdammt sein und bleiben! – die Juden zu bekehren suchte! Liebte ich sie – eben aus großer Menschenliebe – liebte ich Dich, so würde ich den Juden und Dir etwas gänzlich anderes zu liebe gethan haben.«

»Und was?«

Das wollte er mir nicht sagen, wie heftig ich auch in ihn drang. Aber als ich ihn nochmals fragte:

»Warum suchst Du die Juden zu bekehren, warum hast Du mich bekehrt, wenn nicht aus Erbarmen und aus mächtiger Liebe?«

Da erwiderte er:

»Aus Gehorsam! Und nun frage mich nicht weiter, denn ich antworte Dir nicht mehr.«

Nach einer Weile des Schweigens sagte Bruder Eustachius:

»Der letzte, der diese Zelle bewohnt, war auch ein solcher feiner, zarter Jüngling. Er hieß Bruder Bartolomeo. Dieser Bartolomeo hatte eine schwärmerische Seele, wie Du sie hast. Es half ihm aber nicht viel. Obgleich es die Schwärmer unter uns am besten haben – können sie es doch sogar bis zum Heiligen bringen – half es ihm doch nicht viel. Er brachte es nicht so weit. Sieh zu, daß Du es bis zum Heiligen bringst. Es ist nicht das Schwerste.«

Von diesen wirren Reden verstand ich nicht viel; aber ich fragte ihn eindringlich nach dem Schwärmer Bartolomeo, dem ich gleichen sollte.

»Ich habe ihn hieher gebracht, wie ich Dich hergebracht habe. Auch er war seiner Eltern einziger Sohn. Er ist tot. Du kannst in seiner Zelle bleiben. – Du weißt doch, daß diese Zelle unser Haus ist, darin wir leben, bis wir es mit einem andern vertauschen, darin es etwas dunkler ist und das uns etwas enger gebaut wird.«

»Ich will es gern bewohnen, bis man mir das Grab bereitet.«

Er wies auf die Wand.

»Dort ist das Kreuz. Aber Du hast noch anderes auf Dich genommen.«

»Was?«

»Alles das, was durch dieses Kreuz in die Welt gekommen ist. Siehe zu, wie Du es trägst.«

»Mir wird Gott Kraft geben.«

Er deutete zum zweitenmal auf die Wand unter dem Fenster.

»Dieses ist der Geißelstrang, dieses ist der Bußgürtel. Ich rate Dir: lasse beide Deine liebsten Freunde sein, denn es sind Deine besten Freunde. Gib sie nur von Dir, wenn Du betest, Almosen erbettelst, Messe liesest oder sonst mit dem Heil Deiner Seele Dich beschäftigst. In ihnen wohnt die Kraft, die Du Dir von Gott erbitten willst. Denn Gott ist thätig in ihnen und allgegenwärtig, wie er es in der Hostie nicht mehr ist. Ich sage Dir: das Blut, das von Deinem gegeißelten Rücken herabrinnt, das aus Deiner zerschlagenen Brust fließt, wird Deiner Seele mehr Labsal sein, wie wenn Du als Priester gläubigen Herzens den Wein statt des Blutes genießest. Sieh her!«

Damit warf er seine Kutte ab, entblößte sich bis zu den Lenden, und ich sah seinen ganzen, überaus wohlgebildeten Körper grausam zermartert, voller blutig roter Striemen, zerfetzt und zerrissen. Viele dieser schrecklichen Wunden waren noch frisch und blutend, als hätte er sie sich erst vor kurzem beigebracht.

»So habe ich die ganze Nacht, da Du neben mir auf den Stufen des Altars lagst und friedlich schlummertest, Gott gedient, und das allein hat mir Kraft gegeben, heute vor Dir zu stehen. Wirst Du die Kraft haben, Deinen Leib um Deiner Schwäche willen bluten zu lassen?«

Ich mochte wohl erbeben; denn der Anblick des zerrissenen Körpers war schrecklich. Aber ich dachte an das, was mich an diese Stelle gebracht, und ich sagte:

»Kann ich dadurch meinem Volke zur Erlösung verhelfen, so will ich aus meinem Leibe eine blutige Quelle machen.«

Da zuckte es um Bruder Eustachius' Lippen gleich furchtbarem Hohn, der sein ganzes Gesicht entstellte, und er rief:

»Ja, alles nur um des Lohnes willen. Jude, Du bist der rechte Christ! Dich hätte ich nicht erst zu bekehren brauchen. Aber harre hier. Ich will den Abt rufen, damit der seine Freude an Dir habe.«

Rasch legte er seine Kutte wieder an, sie so fest gürtend, daß der Strick in sein Fleisch schneiden mußte, und ging schnell hinaus. Nicht lange, und er kam zurück mit dem Abt und vielen Brüdern, mehr, als die Zelle fassen konnte. Und alle sammelten sich um mich, während Bruder Eustachius ihnen meine wundersame Bekehrung erzählte und sonst noch vieles über mich sprach.

Demütig stand ich vor dem Abt.

Dieser hochwürdige Mann war ein schöner Greis, mit seinem langen silberhellen Bart gleich einem Hohepriester und Apostel. Aber er hatte einen scharfen und harten Blick und trug sein grobes Gewand wie das Purpurkleid eines Herrschers. Mit seiner Stimme, die auch scharf und hart klang, fragte er mich, nachdem er alle hinausgeschickt, nach vielerlei Dingen, worauf ich willfährig demütige Antwort gab. Denn ich sah in dem vornehmen Priester einen der ersten Diener Gottes, dem das Gewaltige bereits gegeben und zu eigen war, für dessen Erlangung ich mich gern hätte in Wahrheit lebendig begraben lassen.

Als der Abt meine tiefe Bewegung, desgleichen meine Begeisterung und unerschütterliche Zuversicht gewahrte, belobte er mich höchlich, verhieß mir die Gnade Gottes und segnete mich.

Ich bat nun, daß ich gehen dürfte, um von meinem lieben Vater und von meiner lieben Mutter Abschied zu nehmen; aber der Abt erwiderte: er selber werde sich in den Ghetto zu meinen Eltern begeben und ihnen mitteilen, welch ein Wunder an ihrem Sohn geschehen sei. Herzlich bat ich den ehrwürdigen Mann, ihn begleiten zu dürfen, worauf mir voll Strenge erwidert ward: die erste Pflicht eines Christen und zukünftigen Dieners der Kirche sei der Gehorsam; Gehorsam gegen Gott, und Gehorsam gegen die Vorgesetzten, die an Stelle Gottes geböten.

Also blieb ich und der Abt ging. Ihn begleitete Bruder Eustachius. Ich aber mußte denken, wie schwer der Gehorsam sei. Das war meine erste große Sünde seit meiner Bekehrung, von mir in der ersten Stunde begangen.

*

Man hatte mir im Refektorium Speise und Trank vorgesetzt; auch war ich ermattet vor Hunger, aß also reichlich, wonach ich mich als ein gänzlich anderer Mensch fühlte. Nachdem ich gegessen, führten sie mich zurück in meine Zelle, woselbst sie mich allein ließen.

Ich warf mich sogleich auf das hölzerne Bett, mit dem Antlitz gegen die Bretter, und stellte mir vor, wie es sein würde, wenn der Abt in das Haus meiner Eltern trat und zu meinem Vater sagte: »Jude, Dein Sohn wird Christ.«

Was würde mein Vater erwidern, was meine Mutter thun?

Ich stellte mir ihre Gesichter vor, die der Schmerz um den Sohn veränderte, und fühlte, wie mein eigenes Gesicht sich verzerrte. Ich wälzte mich in Qualen, stöhnte laut und rief in einem fort:

»Vater! Mutter! Vater! Mutter!«

Alsdann sprach ich zu ihnen:

»Lieber Vater, liebste Mutter – es geschieht euch zu liebe: weil ihr Juden seid, weil Juden den süßen Heiland getötet und weil die Juden darum verdammt sind, verdammt in Ewigkeit. Denkt doch: in Ewigkeit! Und, o Vater, o Mutter, es vermag nichts euch zu retten, als die Gebete eures Christ gewordenen Sohnes. Und darum, darum – –«

Also redete ich zu ihnen, die nicht da waren, mit lauter Stimme, schwieg, lauschte und harrte angstvoll auf Antwort, als hätten sie mich hören müssen, als müßte ich sie vernehmen. Doch es blieb still.

Auch zu Mose sprach ich. Dieser reckte seine Hand aus, schlug mir mit der Faust ins Gesicht und stieß mich von sich gleich einem räudigen Hund. Als ich aber Myrrhas gedenken wollte, zog ein feiner, schimmernder Nebel vor mir auf, darin ihre Gestalt versank, und ich wußte mich nicht mehr auf ihre Züge zu besinnen.

Jetzt berechnete ich, wie lange die beiden gebrauchten, bis sie von der Velia in den Ghetto gelangten. Da sie langsamen und würdigen Schrittes wandelten, würden sie zum mindesten zwanzig Minuten bedürfen. Diese Zeit war längst verstrichen und meine Eltern wußten es nun bereits, es war nun bereits geschehen.

Was war geschehen?

Ich richtete mich auf und wandte keinen Blick von der Thür, denn meine Eltern würden ja kommen.

Da sie eilen würden, mußten sie jeden Augenblick kommen. Meine Mutter würde schneller laufen als mein Vater; meine Mutter würde also zuerst anlangen.

Ich wartete auf sie; mit angehaltenem Atem wartete ich auf sie. Wenn ich ein Geräusch vernahm, erbebte ich; denn das war sie.

Sie war es aber nicht, sie kam nicht. Meine Mutter kam nicht!

Auch nicht mein Vater. Aber ich war es ja, der Vater und Mutter verlassen –

Also hatte Mose es von mir gefordert – für Myrrha! Also hatte ich es gethan – für alle die Meinen!

Lange, lange Zeit verging und noch immer kam niemand.

Nun ertrug ich's nicht länger. Ich stürzte zur Thür, ich wollte hinaus. Die Thür war verschlossen.

Da setzte ich mich wieder nieder und wartete von neuem; geduldig, stille. Sie mußten ja kommen.

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