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VIII.

Alsdann ward den Juden befohlen, nach altem Brauch mit den gestickten Teppichen und Tapeten einen Teil des Weges zu schmücken, den der Papst vom Lateran gezogen kam: wie üblich, jene Straße vom flaminischen Amphitheater zum kapitolinischen Hügel, also bis zu dem Bogen, der dem Kaiser Titus für seinen Sieg über Jerusalem und die Juden auf der Höhe des Wegs errichtet worden. Bereits vor vielen hundert Jahren hatte die päpstliche Regierung der Stadt Rom ein Gesetz erlassen, daß die Juden bei dem Festzuge eines jeden neuen Papstes besagte Strecke Weges köstlich auszuzieren hätten, samt dem Siegesbogen des Kaisers Titus; und viele hundert Jahre hatten die Juden dem Gebote gehorsamt und die Straße nebst dem Denkmal ihrer Unterwerfung köstlich ausgeschmückt. Es war das Aergste, was man römischen Juden anthun konnte – etwas sehr Gerechtes, wie mich jetzt bedünken will! – und sie verübten die heitere Arbeit, als schleppten sie Steine und Balken zum Bau eines Kerkers für ganz Israel.

Also war denn auch diesesmal der Jammer und das Wehklagen groß im Ghetto; nicht anders, als wären die Juden erst vor kurzem gefangen nach Rom geführt worden. Die ganze Nacht vor dem schlimmen Festtage ward in der Synagoge gebetet und gesungen, sowohl in dem großen Saal wie in dem gekuppelten Gemache, welches darüber liegt. Mein Vater betete vor, worauf er sein Gesicht in dem Schleier barg und bitterlich um Juda weinte. Wir Chorsänger aber sangen die heilige Vesper und viele Klagelieder, wobei ein solches Schluchzen entstand, daß wir häufig mit unserem Gesange innehalten mußten. – Als sie den Pentateuch durch den Tempel trugen, streckten alle die Arme auf und erhoben ein solches Geschrei, daß es klang, als hätten die Mauern und die Steine Stimmen empfangen. So ging es fort, die ganze Nacht hindurch.

Ich hatte Mose in den Tempel getragen und ihn dem Allerheiligsten so nahe als möglich niedergelegt, so daß er mein Gesicht sehen konnte, wenn ich im Chore stand und sang. Seine Mutter war bei ihm und jedermann erwies dem Jüngling Ehrfurcht, als wäre er einer der Märtyrer des jüdischen Volkes. – Denn es haben auch diese Heiden ihre Heiligen.

Als das Oel in den Lampen beinahe aufgezehrt war und der graue Morgen dämmerte, wurden die Juden stille und schickten sich an, nach der Stätte ihrer Schmach aufzubrechen. Ich trat zu Mose, um ihn nach seinem Hause zurückzutragen, aber er weigerte sich dessen und es half kein Bitten und Flehen weder von mir noch von seiner Mutter: er wolle erleiden, was alle erlitten. Also setzten wir ihn auf einen Stuhl, hüllten seinen armen Leib in Decken und riefen zwei Jünglinge, die ihn den weiten Weg tragen sollten. Ich aber, weil ich vor dem Papste zu singen hatte, mußte still neben ihm hergehen.

Nun muß ich berichten, was mir noch heute das Herz beschwert – obgleich den Juden damit gewißlich recht geschehen ist – nämlich, daß der Befehl ergangen war, es sollten die Juden vor dem Papst erscheinen in den alten Abzeichen ihrer Knechtschaft, die sie ehemals in Rom getragen und die sie von allen Menschen unterschieden hatten, seit alter Zeit bis fast auf den heutigen Tag. Es waren diese Schandmale für die Männer hohe gelbe Mützen und lange gelbe Schleier waren es für die Frauen; auch die unschuldigen Kindlein gingen also gekennzeichnet. Auf dem Platze vor der Synagoge versammelten sich alle, die ausziehen mußten, und legten die schändlichen Abzeichen an, wobei päpstliche Soldaten Wache hielten, daß es nicht unter Schelten über die Christen geschähe. Als ich mir die gelbe Mütze aufsetzte, war ich ganz ruhig; doch da ich meinen Freund, meinen Vater und meine Mutter ebenso thun sah, schrie ich in meiner Seele wider Jehovah, der solches an seinem erwählten Volke geschehen ließ – also war ich zu jener Zeit mit Blindheit geschlagen. Und ich ging und küßte meinen Eltern die geschändeten Stirnen. Mose hatte eine feierliche Miene und blickte so strahlend vor sich hin, daß ich vor ihm zurückschreckte.

An diesem Tage war das Hauptthor des Judenzwingers schon frühe geöffnet worden und war die Sonne noch nicht aufgegangen, als alle auszogen: Männer, Frauen und Kinder. Es blieben in der Judenstadt nur die Greise, die Säuglinge und solche zurück, die mit schweren Gebresten behaftet waren. In guter Ordnung ging es dahin, alle schwer beladen mit den Teppichen und Stickereien. Da der Zug von den päpstlichen Soldaten umgeben war, glich er dem Auszug eines Volkes: aus Knechtschaft in Knechtschaft!

Vor dem Thore harrte der Juden eine große Menge von Christen, welche bei unserem Anblick heftig zu lachen und zu schreien begannen, uns verspotteten und beschimpften. Es wurden auch etliche von uns mit Kot beworfen, ohne daß die päpstlichen Soldaten dagegen geredet; nein, diese Barnabasse hatten ihre Freude daran.

Von einem großen Schwarme gefolgt, zogen wir durch das Velabrum dem Felde zu, welches man den Campo vaccino heißt, also benannt von den vielen Rindern der Landleute, die mit Gefährten und Herden von weither in die große Stadt gezogen kommen und ihre ermüdeten Tiere auf dem großen und öden Platze rasten lassen. An diesem selben Platze aber hatte einstmals die Pracht und Herrlichkeit des Römerreichs in schimmernden Marmortempeln, Portiken und Basiliken zum Himmel aufgeleuchtet. Es war hier auch die Stätte des alten Forum, welcher Name Platz des Rates besagen will. Denn dahin kamen die Römer: Könige, Feldherren, Senatoren, und berieten das Heil des gewaltigen Reiches, zwischen den Tempeln und den Marmorbildern ihrer Götter und Helden sitzend. Nunmehr ist die ganze Pracht und Macht verschwunden und den Ort füllt eine Wildnis von Schutt und Trümmern unter Strauchwerk und Bäumen. An diesem verfluchten Morgen indessen war die Stätte im sanften Lichte des Frühlingstages gar lieblich anzuschauen. Es leuchteten die Büsche von weißen Blüten und rankenden Rosen, es leuchteten die Grasplätze von Tazetten und Veilchen, und die braunen Trümmer waren mit schönen gelben Blumen so dicht bedeckt, daß es aus der Ferne anzusehen war, als seien die gestürzten Säulen und zerbrochenen Mauern mit Gold überzogen. Es sangen in der heiligen Frühe viele der lieblichen Vögel, Nachtigallen genannt, und hinter dem flavischen Theater, welches wie ein zertrümmerter Berg dastand, erhoben sich im lichten Morgendunst die hohen Berge, die Gipfel strahlend im Schnee und im Glanz der aufsteigenden Sonne. Wie bist du schön, Welt, göttliche Tochter des Himmels, gebenedeites Kind des Herrn, o Erde, du, die Gott lieb hat!

Da wir nun unter fortwährendem Geschrei der Christen dem flavischen Amphitheater zuzogen, winkte mir Mose, daß ich mich zu ihm niederneigen sollte, und sprach:

»Siehe, Dahiel – die Tempel der Römer, die unsere Väter aus dem heiligen Lande in die Knechtschaft führten, sind in Stücke zerschlagen und vom Boden der Erde beinahe hinweggetilgt, und hinweggetilgt die Tempel und Götter, die in diesen Tempeln wohnten; hinweggetilgt ist auch das Volk, das zu jenen Göttern gebetet. Wir aber sind noch! Und es ist und wird sein ewig unser Gott Jehovah. Und wisse, mein Dahiel: es wird kommen die Zeit, wo unser Volk mächtig ist, wie auf Erden kein anderes Volk, wo unser Gott gewaltig sein wird wie keiner von allen Göttern. Alsdann wird für uns die Zeit der Vergeltung anbrechen.«

So redete Mose gleich der Seher einem aus der heiligen Schrift; ich aber schwieg, denn ich entsetzte mich vor seinem Geiste, der solche ferne Dinge sah.

Nun gelangten wir zu dem Bogen des Kaisers Titus. Dieser Portikus ist ganz aus Marmor gebaut und außen und innen mit Bildwerken geschmückt, welche die Unterwerfung der Juden unter den heidnischen Kaiser darstellen. Niemals, so lange Rom auf dem Erdboden bleibt, wird ein frommer Jude freiwillig in dieses Thor ewiger Schande eingehen; an jenem Tage aber trieben die päpstlichen Soldaten uns Ebräer hindurch zum Spotte der Christen.

Vor dem Bogen wurde alles niedergelegt, was die Juden trugen; alsdann schickte man sich an, den Bogen innen und außen mit Teppichen und Stickereien zu bekleiden, auch lange Gewinde von Blumen und Laub um das Bauwerk zu legen. Aber die Bildwerke, die unsere Schande darstellten, durften nicht verhüllt werden.

Im Innern des Bogens, unterhalb der Abbilder der Tempelgeräte, hing mein Vater mit den Aeltesten die Teppiche auf. Außer dem Myrrhenbaum und dem Pelikan erinnere ich mich einer Palme mit den Sprüchen: »Recht wie die Palme wirst du blühen,« und: »Dein Einzug wird gesegnet sein.« Desgleichen war da ein Meer mit singenden Sirenen, mit dem Himmel darüber, zu welchen Vögel aufflogen, und darunter stand der Spruch aus dem Jesaias geschrieben: »Zusammen singen sie.« Nämlich die Juden, lobsingend dem Papst! Um meines Gesanges vor diesem Heiligen willen mußte ich müßig zuschauen. Ich stand neben dem Stuhl meines Mose, den man hart am Wege unter einem hohen Lorbeerbaum niedergesetzt hatte. Da gewahrte ich vom Coelius her, woselbst der Bogen eines andern Kaisers, des Constantinus, sich erhebt, eine Volksmenge die Straße daherziehen, hörte alsbald auch gellendes Geschrei; und viele von den Christen, die uns begleitet hatten, liefen hin, wohl weil sie hofften, ein neues schändliches Schauspiel aufführen zu sehen. Ich fragte:

»Wer kommt dort und warum schreien sie so?«

Aber während ich noch sprach, merkte ich an der gelben leuchtenden Farbe, daß auch jene Juden seien, welche von päpstlichen Soldaten vorwärts getrieben wurden. Mose rief:

»Das sind die Ebräer aus dem Thal der Egeria vor dem capenischen Thor, die Verfehmten und Schächer unseres Stammes mit ihren Weibern, welche in den Sternen lesen, Zaubertränke brauen und sonstige wilde Künste verrichten. An diesem Tage sind wir alle ein Stamm und ein Volk, an diesem Tage sind auch jene unsere Brüder und Schwestern.«

Trotz dieser Rede fürchtete ich mich vor denen, die da anlangten; denn ich hatte gar Dunkles und Schreckliches von den Juden vernommen, die in den Sümpfen und Wildnissen vor dem capenischen Thore hausten. Als sie näher kamen, erkannte ich, daß ihrer nicht viele waren und mehr Weiber als Männer. Sie sahen gar jammervoll aus, gingen schlecht gekleidet und hatten Gesichter, gelb von Fieber, welches daselbst die Menschen hinrafft wie die Pest. Item, es war ein wildes, unseliges Völklein, darunter jedoch einige Weiber von erstaunlicher Schönheit.

Da war besonders eine, die schritt in ihren bunten Lumpen einher wie eine echte Tochter Zions. Sie war von großer Gestalt und schlank gleich einer Ceder, mit roten Lippen und brennenden Augen. Ihr Haupt trug sie so stolz, als sei sie eine Königin über Juda; und sie war so schön und herrlich, daß ich erschrak und meinen Blick von ihr abwandte, zu Mose hin. Der mußte das Weib auch gesehen haben, denn er starrte unverwandt hinüber. Ich bat ihn:

»Sieh hinweg! Das Weib hat gewißlich den bösen Blick.«

Er aber wandte kein Auge von ihr ab, also daß ich rief: »Laß das schlimme Weib; es bringt Unheil, sie anzuschauen.«

Er erwiderte:

»Von welchem schlimmen Weibe sprichst Du? Sie ist ja noch ein halbes Kind.«

Jetzt folgte ich dem Blick seiner Augen – – Herr, Herr, wie war das Kind holdselig und lieblich von Gestalt und Angesicht, wahrlich eine verkörperte Versuchung des Teufels – als was es sich denn auch erwiesen hat.«

Das Kind schritt neben dem schönen Weibe und trug auf dem kleinen, feinen Kopf eine schwere Last von Blumen und Gewinden, wohl für die Ausschmückung der Bogenhalle bestimmt. Die bunten Blüten hingen ihr vom Haupte lang herab bis auf den zierlichen Hals, rankten sich um die Stirn und über die Brust; also daß ihr süßes Gesichtchen aus den Blumen hervorleuchtete, rein und bleich, als wäre es aus Elfenbein geschnitten, und schien kein Tropfen Blutes darin zu sein. Sie schaute zu Boden und hielt die Arme verschränkt über dem Leib, der bis zu den Füßen herab in einem engen roten Röcklein steckte. So aber hat die holde Sünde mich umstrickt und mir das Herz zerfressen, daß ich sie immer noch vor mir wandeln sehe, ob ich mich gleich kasteie und geißle bis aufs Blut.

Es ging dieses Kind des Satans – also nenne ich's, obgleich es ein Judenkind war – hart an uns vorbei. Aber Mose seufzte tief auf, daß sie erschrocken in die Höhe sah, mit Augen, daraus die leibhaftige Sünde hervorleuchtete.

Sie blieb vor uns stehen, schaute zuerst mich an, alsdann Mose und wiederum mich. Damit nicht genug, griff die Hexe in die Blumen auf ihrem Kopf, zerrte gelben Krokus und weiße Tazetten hervor und warf sie mir vor die Füße. Dabei machte sie ein Gesichtchen, so teuflisch holdselig, daß es mir durch Mark und Bein fuhr, just als schössen aus ihren funkelnden Augen Flammen in meine Adern; ein jäher Schwindel ergriff mich und ich mußte mich an meines Freundes Stuhl festhalten. Da ich meine Augen wieder öffnete, stand sie bereits unter dem strahlenden Marmorbogen des Imperators und warf gerade ihr Gewinde auf die Erde, daß ich sie mit einem goldigen Haupte unter den Blumen auftauchen sah. Denn sie hatte Haar, licht und leuchtend wie Sonnenschein. Wirr hing es ihr um das blasse Gesicht und hatten sich darin einige Blüten verfangen, daß es aussah, als wäre ein Schwarm bunter Schmetterlinge in die Flammen ihres schönen Hauptes geflogen.

Da ich mich bückte und die Blumen aufhob, die sie mir gespendet, griff Mose darnach, als wäre er ein Verschmachtender und ich böte ihm einen Trunk.

Ich schreibe dieses wundersame und absonderliche Begebnis darum so ausführlich nieder, um daran zu zeigen und solchen, die zweifeln, zu beweisen, wie das Böse in Huldgestalt leibhaftig auf der Erde wandelt; zugleich auch, um wider mich selber zu zeugen, indem meine Sünde: nämlich meine Liebe zu dem jungen Weibe, noch heutigen Tages also groß ist, daß sie aufschreit um Sühne zum Himmel.

Von dem Augenblick an, da ich das liebliche Kind sah, dachte ich nicht mehr daran, daß ich vor dem Papst lobsingen sollte; sondern nur noch, daß das Kind meinen Gesang anhören würde, bei welchem Gedanken mir ein Schauer über den Leib lief. Und es kam mir sündhaftem Menschen in den Sinn: ich könne ja hingehen zu dem schönen Geschöpf, während Mose dasitzen müsse und kein Glied zu rühren vermöchte. Ich that auch wirklich einige Schritte vom Stuhl meines Freundes fort, nach dem Portikus hin, schämte mich indessen sogleich und kehrte in Hast zu ihm zurück. Aber es war, als lese Mose in meiner Seele, denn er sagte mit freundlichem Zureden:

»Geh zu ihr, mein Dahiel, begrüße sie und frage sie nach ihrem gebenedeiten Namen. Obwohl sie zu dem verworfenen Stamm der Juden vom Thal der Egeria gehört und jenes in üppiger Schönheit prangende Weib gewißlich ihre Mutter ist, erscheint sie mir dennoch gleich einem seligen Engel, welcher vom Himmel herniedergestiegen.«

Und da ich zauderte, mahnte er mich von neuem: »Scheue Dich nicht um meinetwillen, Lieber, weil ich mich nicht regen kann; sondern gehe hin zu dem Mägdlein und grüße sie auch von mir.«

Also mußte ich wohl oder übel gehen.

Das liebliche Wesen schien mich zu erwarten; denn es stand noch immer unter der Bogenhalle, gerade unter dem Abbilde des siebenarmigen Leuchters, und blickte unverwandt mir entgegen. Mir klopfte das Herz bis zum Hals hinauf und ich mußte Atem schöpfen wie ein Fisch, der auf den Sand geworfen worden. Freilich war ich eben erst achtzehn Jahre alt und hatte bis dahin noch niemals ein Weib daraufhin angeschaut, ob es schön oder häßlich sei.

Ich trete also zu dem Mägdlein heran – nicht allzu rasch, wie man mir glauben kann – die Augen am Boden und gewißlich mit einer heißen Glut im Gesicht. Ich will sprechen, vermag es nicht, beginne zu stammeln und zu stottern, worüber die kleine Tenselin, nachdem sie eine Weile ernsthaft zugehört, hell auflacht; und ist's ein Lachen, das mir in die Glieder fährt, nicht anders, als werde der böse Bann über mich ausgesprochen. Endlich sagt das Hexlein mit einer Stimme wie ein Singvögelchen:

»Ei, was willst Du? Gewißlich schickt Dich der, welcher auf dem Stuhl hockt. Also sage, was Du mir ausrichten sollst.«

Ich fasse mir ein Herz und erwidere: »Du hast meinem Freund, Mose Halarki, von Deinen Blumen gegeben. Dafür soll ich Dir von meinem Freunde Dank sagen. Denn er ist gelähmt an allen Gliedern, der Arme, und kann nicht selbst zu Dir kommen.«

Sie darauf:

»Nicht Deinem Freunde habe ich von meinen Blumen gegeben, sondern Dir. Denn Du bist schön, er aber ist häßlich und krank. Sieh nur, wie er dasitzt. Ich mag ihn nicht.«

Das war nun so teuflisch geredet, daß ich, wäre ich ein Christ gewesen, mich sogleich hätte bekreuzigen müssen, was mich gewißlich gerettet haben würde. Da ich indessen ein Jude war, so besaß ich nichts, mich gegen die Sünde zu schützen, die sich mir denn auch alsbald in das Herz einschlich. Statt sie wegen ihrer Rede zu schelten, sprach ich in voller Verwirrung:

»Ich bitte Dich um Deinen gebenedeiten Namen.«

Sie lachte wiederum, wobei sie zu Mose hinüber sah, und nannte mir alsdann ihren Namen:

»Myrrha. Denn es hat meine Mutter mich geboren in der Wildnis unter einem blühenden Myrrhenbaum.«

Sie wandte sich und rief nach ihrer Mutter, welche in Wahrheit jenes wunderherrliche, stolze Weib war. Dieses kam und machte mir Augen, daß es mir heiß und kalt den Rücken hinablief.

»Wer ist das?« fragte sie ihr Töchterlein.

»Ich weiß nicht: aber ich habe ihm Blumen gegeben: nun begehrte er meinen Namen zu wissen. Er gefällt mir; denn er ist ein wunderschöner Jüngling und soll uns besuchen draußen im Thal. Alsdann will ich ihn an den Platz führen, wo der silbergraue Reiher sein Nest hat, und er soll mir junge Turteltauben fangen.«

Da ward mir doch zu Mute, als sänke der blaue, leuchtende Frühlingshimmel in meine Seele. Aber das schöne Weib blitzte mich aus ihren dunklen Augen an und zog den roten Mund zu einem bösen Lachen. Darauf forschte sie mit tiefer und rauher Stimme:

»Wer bist Du und wer sind Deine Eltern, Du Schmucker?«

Da begab sich etwas, was mich mit Schmerz und Schrecken erfüllte. Plötzlich kam meine Mutter auf mich zugeeilt, mit einem Gesicht, als sei ich in einen tosenden Strom gestürzt. Voller Todesangst riß sie mich von Myrrha hinweg: also daß auch das Mägdlein sich entsetzte und zu seiner Mutter wich. Dieses arge Weib betrachtete meine Mutter voller Hohn und sagte:

»Das also ist Dein Sohn, o Hannah, Du frommes Weib des weisen und frommen Rabbi Simeon! Das also ist der Knabe, den ich Dir geweissagt habe und den ich Dir auf Dein heißes Flehen mit meinen Tränken vom Tode errettet, damit er Dich, seinen Vater und viele andere seines Stammes verderbe und forttilge von der Erde? Du bist es, Dahiel Sarfadi, der Du von mir verflucht wardst, da Du noch im Mutterleibe lagst, um des grausamen Unrechtes willen, welches diese da an mir begangen.« Und auf ihre Tochter blickend: »Und wenn ich unsere Wolfshunde auf Dich hetzte, Du würdest dennoch zu uns Verfehmten und Verbannten in die Wildnis geschlichen kommen. Also wird mein Fluch schon jetzt an Dir erfüllt.«

Sie ergriff Myrrha beim Arm und ging mit ihr davon. Ich aber vermochte keinen Laut zu thun, ließ mich geduldig von meiner Mutter an sich ziehen und mein Gesicht mit Thränen und Küssen bedecken.

Mose hatte alles mit angesehen. Als ich nun zu ihm zurückkehrte, saß er weit vorgebeugt und machte, wohl weil ich so langsam angegangen kam, den Versuch, sich in seinem Stuhle aufzuheben. Da lief ich voller Schrecken zu ihm und erzählte ihm den Vorgang, dessen Ursache ich nicht begriff und worüber ich gänzlich verstört war. Aber Mose schien zu begreifen, denn ich hörte ihn murmeln:

»Wann, o Herr, wirst du ausrotten aus den Seelen der Menschen den Aberglauben, diese Wurzel allen Irrwahns und Ursache unsäglichen Jammers auf Erden?!«

Darauf fragte er:

»Wie heißt sie?«

»Sie heißt Myrrha.«

»Wahrlich, ein heiliger Name!« rief Mose begeistert. »Wie ein Myrrhenbaum blühe sie, damit jeder, der sie anschaut, von Freude ergriffen werde und dem Herrn danke, daß er so Schönes erschaffen. – Was sprach sie sonst noch zu Dir und wie ist ihre Stimme?«

Das letzte berichtete ich ihm; von dem aber, was sie mir sonst gesagt, schwieg ich.

Aber ich dachte immerfort daran und es überkam mich eine Freude, die mir auf dem Gesicht geschrieben stehen mußte; zum mindesten las Mose es mir von da ab, denn er sagte:

»Sie ist Dir hold gesinnt und hat es Dir gesagt. O Du Gebenedeiter unter den Menschen!«

Er sprach traurig, wie ich ihn niemals hatte reden hören, weshalb ich hastig die Lüge sagte:

»Aber Dir hat sie von ihren Blumen gespendet!«

»Aus Mitleid!« erwiderte Mose und sagte es noch einmal: »Aus Mitleid!« Dabei sah er die Blumen an, die er in seinen welken Händen auf dem Schoße hielt. Er schwieg und auch ich wußte nichts zu sagen. Plötzlich meinte er mit einem Lächeln, das sein armes Antlitz schier sonnig und lieblich machte: »Aber sie ist gut.« Und wiederum nach einer Weile: »Wenn ich gehen könnte, ich wüßte, wohin ich ginge, und sollte ich von den wilden Wolfshunden, mit denen ihre Mutter Dich bedroht hat, zerrissen werden.«

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