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XVIII.

Als endlich die Thür sich aufthat, waren es nicht meine Eltern, die zu ihrem Sohn kamen, sondern es war der Abt, der zu dem Konvertiten eintrat.

Der ehrwürdige Mann berichtete mir:

Er war in: Ghetto und im Hause meiner Eltern gewesen, hatte diese auch gesprochen; doch weder mein Vater noch meine Mutter hatten ihm geglaubt. Als ob ein Abt lügen könnte!

Es ward mir ferner mitgeteilt:

Die Juden hatten sich vor dem Hause meiner Eltern unter großem Geschrei zusammengerottet und die Christen angeklagt, einen jungen Juden gefangen zu halten und denselben mit dem Tode zu bedrohen, träte er nicht zum Christentum über. Und mein Vater hatte die beiden Priester in seinem Hause vor dem Grimm der Juden schützen müssen. Darauf waren päpstliche Soldaten in den Ghetto gedrungen, hatten mit ihren Klingen auf die Ebräer losgeschlagen, alle in die Häuser getrieben, alsdann das Haus meiner Eltern mit einer Wache umstellt.

Aber mein Vater hat den Abt und den Mönch hinausgeführt und zu ihnen gesagt, sie möchten in Frieden davongehen. Da ist meine Mutter, das arme, thörichte Weib, gelaufen gekommen, hat sich vor den beiden Priestern auf der Erde gewälzt und sie jammervoll angeschrieen, ihr den einzigen Sohn wiederzugeben. – Dieses erfuhr ich erst später von dem Bruder Eustachius. Und der Abt hat dem verzweifelnden Weibe erwidert:

»Wir halten Deinen Sohn nicht. Komm mit Deinem Manne zu uns, siehe bei uns Deinen Sohn und höre aus Deines Sohnes eigenem Munde, welches Heil ihm widerfahren und wie Gott ihn erleuchtet hat.«

Darauf hatten meine Eltern erwidert, daß sie kommen würden.

Ich fragte:

»Wann kommen sie?«

»Heute noch.«

Da mußte ich voller Scham erkennen, wie jung und schwach mein ganzes Christentum noch war. Denn über der Freude, heute noch meine Eltern zu sehen, vergaß ich gänzlich aller der großen Dinge, die sich mit mir ereignet hatten und die ich selber begehen wollte, und war nichts anderes als ein armes Menschenkind, dem eine große Sehnsucht gestillt werden sollte.

Der hochwürdige Abt gewahrte die mächtige Bewegung meiner Seele und begann mich eindringlich zu ermahnen; mich dessen, wozu Gott mich ausersehen, würdig zu zeigen und meinem Volke durch mich ein leuchtendes Beispiel seiner Gnade und Barmherzigkeit zu geben.

Also redete er stark in mich hinein, mir Dinge sagend, die sich wie mit glühendem Eisen in mein Gemüt brannten; darunter vieles, was mich noch heute, wo ich doch bereits gelernt habe, ergeben und gehorsam zu sein, mit Schrecken erfüllt, was ich indessen nicht niederschreiben, sondern nur im Beichtstuhl bekennen darf.

Wohl zwei Stunden weilte der Hochwürdige bei mir; alsdann meldete ein Bruder: vor dem Kloster stünde ein Jude mit seinem Weibe und beide begehrten Einlaß. Der Abt gebot, die beiden in den Vorhof zu führen – woselbst auch Frauen eintreten durften. Indessen da es Juden waren, sollten im Hofe zwei Weihrauchbecken aufgestellt werden. Auch wurde dem Bruder befohlen, den Juden und sein Weib nicht durch das große Thor, sondern durch ein Seitenpförtlein einzulassen.

Ferner ordnete der Hochwürdige an, daß sich die gesamte Bruderschaft, wie bei einer Prozession, hinaus in den Hof zu begeben und daselbst aufzustellen hätte.

Nun ging der Bruder, nun warf der Abt sich nieder, hob beide Hände und betete laut; der Geist des Herrn möge mit mir sein, auf daß ich die Prüfung bestünde: nicht um meinetwillen, sondern um meines unseligen Volkes willen. Darauf gingen wir.

Ich hatte die Augen halb geschlossen und ließ mich von dem Abte führen, zu welchem sich der Bruder Eustachius gesellte, der auf meine andere Seite trat und leise, mit stockender Stimme zu mir redete:

»Fortan ist Gott Dein einziger Vater und zugleich Erretter, der auch Deinen eigenen Vater von der Verdammnis retten wird; fortan ist die Kirche Deine einzige Mutter und zugleich Erlöserin, durch deren Gnade und Macht auch Deine irdische und sündige Mutter erlöst wird in Ewigkeit.«

Ich erwiderte nichts und fühlte, wie meine Gedanken sich verwirrten.

Nun traten wir in den Hof.

Ich vernahm das dumpfe Beten der Brüder und roch den Weihrauch, dessen heiliger Wohlgeruch den geweihten Ort schützen sollte vor der Verunreinigung durch die Gegenwart stinkender Juden.

Ach, wie ich sie liebte, diese Verachteten, Verfehmten, Verdammten! Gott, Herrgott, wie ich sie liebte!

Wir standen still und still standen um uns die psalmirenden Mönche. Ich blickte auf und nun sah ich sie!

Sie standen mir gerade gegenüber, hart an der Mauer, unter hohen Disteln und anderem Unkraut. Beide schauten mich an. Und es wollte meine Mutter die Arme nach mir ausbreiten; also, daß ich mich nur hätte hineinzuwerfen brauchen und ich armes, hilfloses Kind wäre geborgen und gerettet gewesen. Aber mein Vater, ohne seinen Blick von mir zu wenden, nannte ihren Namen, leise und gar nicht zornig – da ließ meine Mutter ihre Arme sinken mit einem tiefen Seufzer, der wie ein Stöhnen aus ihrer Brust drang, und verharrte darauf, als wäre sie das Weib Lots, als dieses sich nach der verlorenen Stadt umgeblickt hatte.

Der Abt trat einen Schritt auf meine Eltern zu und sprach:

»Hier steht der Jüngling, den ihr euren Sohn nennt. Fragt ihn.«

Es begann mein Vater mit schwerem Atem, daß ihm beinahe die Stimme versagte:

»Dahiel, lieber Sohn, hier stehen wir, ich und Deine Mutter. Wir beiden kommen zu Dir, weil uns gesagt ward, Du wolltest fort aus dem Hause Deiner Eltern, darin Du als Kind gespielt hast, und Du wolltest in ein anderes Haus einziehen, darin Du ein Fremdling sein wirst. Und es ward uns ferner gemeldet: Du wolltest verlassen das Volk, welches Dein Volk ist, ein Volk von Unterdrückten und Knechten. Und Du wolltest verleugnen den Gott, welcher Dein Gott ist, der Gott Deiner Väter, der Gott Abrahams und Isaaks, und wolltest anhängen einem andern Gott. Also meldete man uns von unserem Sohne, unserem Erst- und Einziggeborenen. Aber wir wollten es denen, die es uns sagten, nicht glauben, sondern sind hieher gekommen vor den Tempel der Christen und stehen nun hier in Schmerz und in Schmach, ich und Deine Mutter, die arme Frau. Und wir bitten Dich, mit uns zurückzukehren in das Haus, darin es über Nacht einsam geworden, zurückzukehren zu Deinen Eltern, die vor Dir stehen als zwei alte Leute, zurückzukehren zu Deinem Volke und zu Deinem Gott. Denn was soll ich, Dein Vater, beginnen, wenn Gott mich fragt: ›Simeon, wo ist Dein Sohn Dahiel?‹, und ich antworten muß: ›Herr, ich weiß es nicht.‹ – – Du hast mich gehört, mein Sohn, nun wollen wir Dich hören.«

Aber ich schwieg. Obgleich ich sah, daß meine Mutter wiederum ihre Arme nach mir ausstrecken wollte, schwieg ich.

Mein Vater begann von neuem zu mir zu sprechen, milde und gütig, wie er zu mir gesprochen, da ich noch in seinem Hause weilte und sein lieber Sohn war, an dem er Wohlgefallen hatte.

»Dahiel, mein Sohn, Du kannst wohl nicht vernehmen die Stimme Deines Vaters in Deinem Herzen. Denn es haben sich zwischen Deinen Vater und Dein Herz alle diese fremden christlichen Männer gestellt, also, daß der Schall meiner Stimme verweht wird, ehe er an Dein Herz dringt. Dahiel, mein lieber Sohn, willst Du die Fremdlinge nicht heißen fortzutreten, wenn ein Vater zu seinem Kinde reden will? Siehe, ich bitte Dich darum.«

Aber ich schwieg. Obgleich meine Mutter mit Blicken auf mich schaute, die mir schier mit Gewalt die Zunge lösten und die Worte aus meiner Seele zogen, schwieg ich. Denn Bruder Eustachius, der dicht neben mir stand, flüsterte, während mein Vater redete, mir zu: ich solle stark sein, kämpfen und die Prüfung siegreich bestehen. Und er raunte mir von dem heiligen Franziskus, wie dieser reiche und fröhliche Jüngling zu Assisi von Vater und Mutter sich lossagte und, als diese ihn flehend anriefen, ermahnten und bedrohten, seine reichen Kleider von sich warf, auf daß er seinen Eltern nichts mehr zu danken hätte. Und Franziskus rief von der Schwelle des Hauses einen Bettler herbei, den er um seinen Mantel bat, damit seine Blöße zu decken, verließ Vater und Mutter, nahm die Leiden der Welt auf sich und wurde der größte Heilige der Christenheit, der nun saß zur rechten Hand seines Heilands und Gottes.

Es rief mein Vater mich an:

»Dahiel, Dahiel, lieber Sohn, höre mich!«

Und meine Mutter breitete zum zweitenmal ihre Arme nach mir aus und stöhnte, da ich hinwegschaute, zum zweitenmal auf.

In dieser höchsten Not ließ Gott es geschehen, daß meine Liebe zu meinen Eltern bis zum Himmel aufwuchs; also, daß ich an nichts anderes dachte, als wie sie zu erretten und zu erlösen. Denn ihr Leben auf Erden war kurz und die Ewigkeit hat kein Ende.

Und es gab meine Liebe mir die Kraft, meinem Vater antworten zu können:

»Geliebte Eltern, ich darf nicht auf euch hören und ich kann nicht mit euch zurückkehren. Denn es ist euer Glaube nicht mehr mein Glaube und es sind eure Wege nicht mehr meine Wege. Lebe wohl, lieber Vater; lebe wohl, liebste Mutter. Ich will Gott dienen alle meine Tage und will beten mein ganzes Leben lang, auf daß der Schmerz, den ihr in dieser Stunde um meinetwillen erleidet, euch dereinst vergolten werde durch tausendfache Freude. Und wenn ihr mir fluchen müßt, soll Gott euch segnen.«

Da stöhnte meine Mutter zum drittenmale auf, aber mein Vater sagte:

»Wir werden Dir nicht fluchen, wenn wir Dich auch nicht mehr segnen können, wie wir gehofft, als wir Dich im Tempel dem Herrn darbrachten mit frohlockendem Herzen.«

Dieses hatte mein Vater mit unsäglicher Trauer und unsäglicher Milde gesprochen. Nun aber war's, als wüchse seine Gestalt höher. Er hob das Haupt, er reckte die Arme und stand da, mächtig und Ehrfurcht gebietend, wie ich niemals einen Menschen gesehen, und rief mit tönender Stimme:

»Wir fluchen Dir nicht, aber wir verleugnen Dich, wie Du uns verleugnest, und wir stoßen Dich von uns, wie Du uns hinweggestoßen. Und sollte es einstmals geschehen, daß Du zu uns zurückkehren wolltest wie der verlorene Sohn, und kämst Du zu uns mit verschmachtender Seele und sterbendem Leibe – wir würden Dich nicht kennen und würden Dir das Haus verschließen und Dich umkommen lassen auf der Schwelle.«

»Also sei's!«

Ich sagte es und wollte mich wenden, um in das Haus des Herrn, meine neue, einzige und ewige Heimat einzugehen, als meine Mutter, die bis dahin kein Wort gesprochen, meinen Namen rief mit einem Ton, wie ich solchen von ihr nur vernommen, als ich ein ganz kleiner Knabe war, elend und siech; also, daß man an meinen Tod glaubte. Ich lag damals in wilden Fiebern und wußte von nichts, als meine Mutter meinen Namen rief. Da erwachte ich, streckte meine Arme aus und lächelte sie an. »Dahiel!«

Ich blieb stehen, wollte zurückrufen: »Mutter!« Doch es schnürte mir die Kehle zu, als würge mich jemand. Und meine Mutter sagte:

»Dahiel, mein liebster Sohn – wir, ich und Dein Vater, wollen mit Dir zu Judäa gehen, wo Du Myrrha sehen sollst, die liebliche Jungfrau.«

O du ewige Gottheit! Himmel und Erde kreisten um mich und ich wäre fast niedergesunken. Da vernahm ich meines Vaters Ausruf:

»Hannah, Hannah, so verlässest auch Du mich!«

Und hörte meine Mutter meinem Vater entgegnen:

»Es ist mein Sohn, den ich Dir mit tausend Schmerzen geboren.«

Darauf sagte mein Vater nichts; und meine Mutter rief mich zum zweiten und drittenmale:

»Dahiel! Dahiel!«

Ich weiß nicht, that ich einen Schritt auf meine Mutter zu oder beging ich sonst etwas Schwaches und Unchristliches. Eine Stimme hinter mir rief:

»Rette die Verdammten!«

Und – als habe Gott mir geboten, stille zu stehen, blieben meine Füße angewurzelt am Boden.

Da that meine Mutter einen schrecklichen Schrei und sank nieder in die Disteln und Nesseln an der Mauer. Mein Vater richtete sie auf, neigte sich vor dem Abte und sprach:

»Ich gehe und melde den Juden, die Euch anklagen, meinen Sohn verlockt zu haben, daß ich und dieses Weib keinen Sohn mehr besitzen. Und ich flehe Euch an, denen zu vergeben, die Euch beschuldigten; denn sie wissen nichts von eines Menschen Herz und eines Menschen Irrtum. Und so sei Gott uns allen gnädig.«

Damit half mein Vater meiner Mutter auf und schritt mit ihr langsam, langsam dem Pförtlein zu. Zwei Brüder räucherten eifrig hinter ihnen drein und die anderen hoben laut zu psalmiren an. Ich aber, ich hatte die Prüfung bestanden.

Hosianna!

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