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XII.

Obschon Mose mein weiches Gemüt und mein schwächliches Mitleid an mir verachtete – und wohl mit großem Recht – hielt ich dennoch Rat in mir selbst, was mächtiger in mir sei: meine Liebe zu der holdseligen Jungfrau oder das Mitleid für meinen Freund. Indessen alle Beratung half nichts. Bald meinte ich: das Mitleid in mir sei die größere Macht und es könne gar nicht anders möglich sein; bald indessen mußte ich mir selber mißtrauen. Also beschloß ich, meine Liebe von meiner Freundschaft besiegen zu lassen und in Myrrhas Herz für Mose ein gleiches Mitleid zu erwecken, wie es in mir lebte, um alsdann –

Ueber dieses »alsdann« hinaus wußte ich nichts, fragte auch nicht darnach. Ich dachte vielleicht, daß wir drei dann mit einander leben würden, in herzlicher Freundschaft zu einander. Ich hoffte, wohl, ist Mose alsdann glücklich, wird er auch aufhören zu hassen. Denn ich vermochte mir nicht vorzustellen, wie ein glücklicher Mensch hassen könnte.

Während dieser Vorgänge that ich viele Dinge, ohne mich deren zu schämen. Ich heuchelte nämlich und log. Ich mußte doch jeden Tag Myrrha sehen, und um das zu können jeden Tag einen neuen Vorwand ersinnen, davonzuschleichen. Ach, und der Weg war so weit! Lief ich mir auch den Atem aus der Brust, so vermochte ich nicht in kürzerer Zeit als in einer langen Stunde vom Ghetto zum Hain der Egeria zu gelangen. Dazu war es hohe Sommerszeit, wo die Gluten der Sonne die Erde versengten und auf den römischen Landstraßen viele Menschen tot hinfielen. Aber die Sehnsucht, Myrrha zu sehen, brannte heißer als das liebe Himmelslicht, weshalb die Strahlen des Heidengottes Helios meinem Haupte nichts anhaben konnten. Das Schlimmste für mich war das frühzeitige Schließen der Thore im Ghetto und daß sie erst bei Sonnenaufgang wieder geöffnet wurden. Wie rüttelte mein Geist an den festen Riegeln, wie sann ich darauf, sie zu brechen, wälzte mich des Nachts schlummerlos auf meinem Lager, oder ich sprang auf und lief hinaus auf die Gasse zu dem Thore und dem Mauerring. Indessen, was half's? Zu dieser Zeit ist mir begreiflich geworden, wie es einem gefangenen Geschöpfe zu Mute ist, und wäre dieses nur ein unvernünftiges Tier.

Jetzt wäre freilich eine solche Betrachtung für mich von großem Uebel; denn es möchte mir dabei der Gedanke kommen, als wäre auch ein Kloster gleich einem Kerker und ein Diener des höchsten Herrn gleich einem Gefangenen.

Damit ich hinaus könne vors capenische Thor, stellte ich mich, als sei ich krank, und alle im Ghetto sprachen:

»Was hat der junge Mensch, der Dahiel, für blasse Mienen und wie ist er in seinem Gebühren so verwunderlich! Da sieht man, wie das Uebel, das ihn als Kind befallen, noch nicht gänzlich von ihm gewichen und wie die böse Weissagung des schlechten Weibes Judäa lebendig geblieben und sich erfüllen wird, ist die Stunde gekommen.«

Solche Rede über mich ward im Ghetto auf allen Gassen, vor allen Thüren geführt; und es konnte nicht fehlen, daß sie durch unsere alte Magd, die Rebekka, und durch die guten Frauen, unsere Nachbarinnen, zur Kenntnis meiner Eltern gelangte. Nun fand mein Vater, daß die Leute sehr unverständig redeten, aber meine liebe Mutter dachte gänzlich anders und hörte nicht auf, meinem Vater mit Klagen und Bitten in den Ohren zu liegen. Und weil ich in Wahrheit bleichen Aussehens war und vor lauter Sehnsucht in beständigem Fieber, so ward zu guter Letzt mein Vater mit ergriffen von der Furcht der Weiber; also, daß er mit einem Arzte sprach, in dessen Kunst er hohes Vertrauen setzte. Der weise Mann kam, betrachtete mich, lächelte ein wenig und riet:

»Nehmt den Jüngling für einen Monat oder zwei aus der Betschule; laßt ihn auch nicht im Tempel singen, schickt ihn hinaus auf die Fluren und in die Wälder. Denn er ist in schnellem Wachstum begriffen und möchte in der dumpfen Enge Schaden nehmen an Leib und an Seele.«

Ich dachte: »O Du weiser und großer Arzt!«

So gelangte ich zu dem, was ich zu jener Zeit meine Glückseligkeit nannte. Jeden Morgen, bevor die Sonne aufging, war ich bereits vom Lager auf und stand harrend an der Pforte unseres Zwingers, lauschte auf den Schritt des Wärters jenseits der Mauer und beschwor das Himmelslicht, emporzusteigen, damit auch meine Lebenssonne aufgehe. Ward endlich das Thor geöffnet, so eilte ich aus der Haft gleich einem jungen Hirsch, der seinen Verfolgern entläuft. Sodann war es mir wundersam, wie ich mich plötzlich fühlte: als hätte ich einen andern Geist und einen andern Körper empfangen! Nun ging es ohne Unterlaß vorwärts: durch das Velabrum, an dem großen Zirkus vorbei, die lange Straße dahin zwischen Hecken und Gräben, geradewegs auf das schöne Albanergebirge zu, welches am frühen Morgen wie ein hoher dunkler Schatten von der leuchtenden Erde sich abhob. Hätte der nächste Weg zum Thal der Egeria durch den Titusbogen geführt – ich wäre durch die schimpfliche Pforte gegangen, ohne einen andern Gedanken zu haben, als daß dies der Weg zum Paradiese sei.

Es war unterdessen der Sommer gewichen und nach einer Woche unaufhörlichen Regens das wilde Land rings um die große Stadt von neuem zu einem einzigen, schier unendlichen Blumengefilde geworden: daß ich gleichsam durch einen Garten zu der Jungfrau eilte, welche im christlichen Sinne die Schlange dieses Paradieses war.

Sobald ich das Thor in dem zweiten Mauerring, der Rom umschließt und der die aurelianische Mauer heißt, hinter mir hatte und mich auf dem appischen Felde befand, spähte ich emsig nach Myrrha aus. Vor lauter sehnsüchtigem Ausschauen und bebender Erwartung, ihr liebliches Bild jeden Augenblick aus den Büschen auftauchen zu sehen, ging ich nunmehr gar langsam, heftig erschreckend, wenn es plötzlich in den Büschen oder dem hohen Grase neben mir raschelte wie von den Bewegungen einer großen, flüchtenden Schlange, und der schlanke junge Leib plötzlich vor meinen Blicken aufschoß.

Was war's für ein Glück, was war's für eine Lust! Von dem über alles holdseligen Teufelsspiel – wie es das Küssen nun einmal, leider Gottes, ist – gab es freilich wenig für mich zu erlangen; aber auch so war's eitel Wonne und Glückseligkeit. Sie kam mir beinahe jeden Tag entgegen, und blieb sie einmal aus, hing gleich der blaue Himmel für mich voll schwarzen Gewölks und alle Blumen schienen mir verdorrt und vergangen. An solchen dunklen Tagen schlich ich mich zum Hain der Hexe Egeria, setzte mich auf den braunen Boden und harrte in Trübseligkeit, bis es ihr gefiel, zu erscheinen. Dann trieb sie allerlei lieblichen Unfug mit mir, recht wie ein Kobold und Schalksgeist, was mich indessen nur noch mehr in Tollheit versetzte, nicht anders, als hatte ich eine ganze Legion von Zaubertränken im Leibe.

Manchmal kam sie mir entgegen, von allen Hunden des jüdischen Lagers begleitet, eben jenen Bestien, von denen Mose für Myrrha sich hätte zerreißen lassen. Ich fürchtete mich weidlich vor den weißen, zottigen Ungetümen, die ihre Gebieterin umsprangen und mit denen diese spielte, als ob es lauter Mäuslein oder – toll verliebte Dahiels wären. Auch hätten die Unholde mich gewißlich vor ihren Augen zerfleischt, wäre ihnen von Myrrha nicht geboten worden, Frieden mit mir zu schließen, was sie gar unwillig thaten, Aber es half ihnen nichts. Myrrha schwang in ihren zarten Händchen eine kräftige Rute; und fletschten sie die Zähne gegen mich, sprangen mich mörderisch an oder stießen bei meinem Anblick ein wütendes Geheul aus – allsogleich sauste das scharfe Haselnußgertlein auf sie herab, bis sie demütig und winselnd ihrer Herrin zu Füßen krochen und mir falsche Demut bezeigten.

Kam Myrrha mit ihrer Meute daher, so glich sie in ihrer Schönheit einer Königin der Wildnis und war ihre Krone das goldige Haar, welches der Wind häufig auseinanderzerrte. Lief sie dann mit flatterndem Gelock mit den Hunden über die Steppe, sich mühsam der mächtigen Tiere erwehrend, die zu ihrem holden Angesicht emporsprangen und sie liebkosend zu Boden reißen wollten, so war das ein Anblick, der einen wohl um seine Seele bringen konnte.

Eifersüchtig auf die Gunstbezeigungen, die Myrrha ihren wilden Genossen gewährte, buhlte ich heimlich um die Freundschaft der Wolfshunde, was nur indessen lange Zeit nichts half, indem jene sehr bald begriffen hatten, wie es um mich stand, und nun nicht minder voll bestialischer Eifersucht waren, als wie ich selbst. Endlich ergaben sie sich darein, daß ich an Myrrhas Seite mit ihnen über die Steppe lief, wohin das Gelüst uns trieb.

Myrrha aber und ich, wir lebten mit einander – also schien es mir zu jener Zeit – wie zwei junge Götter, denen allein die schöne Erde angehörte, für welche allein der leuchtende Tag aufstieg. Dabei dachte ich niemals darüber nach, ob ich Myrrha liebte, fragte niemals, ob ich von ihr geliebt würde – wir waren eben beisammen, und daß wir beisammen waren, schien mir so natürlich, wie es mir natürlich erschien, daß ein Baum Blätter hat und eine Blume Blüten treibt. Zuweilen fiel mir ein; wir wären nicht immer beisammen gewesen, was ich indessen gar nicht begriff. Aber ganz sicher würden wir immer beisammen bleiben. Mußte ich sie verlassen, so begann alsbald meine Sehnsucht nach ihr, daß ich in einen Zustand geriet, als wäre ich abwesenden Geistes. War ich aber bei ihr, so fühlte ich mich gänzlich wunschlos wie ein seliger Geist und kein Mensch.

Oft grübelte ich darüber, ob auch Myrrha sehnsuchtsvoll sei, wenn sie fern von mir war? Und recht traurig machte es mich, daß ich mir eine sehnsuchtsvolle Myrrha gar nicht vorstellen konnte. Einmal fragte ich sie darnach. Sie jedoch verstand mich gar nicht. – Sehnsucht? Was Sehnsucht sei? Ich sagte es ihr, so gut ich's vermochte. Sie schaute mich mit ihren Hexenaugen ungläubig an, schüttelte ihre Locken und lachte, daß es klang, als ob der Wind ein silbernes Glöcklein tönen machte. Wenn sie von nun an unbändig war, rief und lockte sie mich: »Sehnsucht!« und trieb mit dem Namen ihren lieblichsten Hexenspott, daß ich wohl erkennen mußte, wie sie von dem Sinne des Wortes nichts wußte.

*

Da ist eine Straße – eben die appische – die von Rom nach dem Gebirge und zu der Stadt Albano führt. Dieser Weg ist eine große Merkwürdigkeit, denn es haben zu seinen beiden Seiten die alten heidnischen Römer ihre Toten begraben, weshalb dieser Weg auch die Gräberstraße benannt wird. Es ist nicht zu glauben, welche Steinhaufen daselbst aufgebaut liegen! Gräber, mächtig wie Türme und Festen, etliche mit herrlichen Gebilden verziert und köstlich gemauert, als wären die Steinmetzen erst gestern davon gegangen, und wiederum andere, von denen kein Stein auf dem andern geblieben. Allüberall liegen Marmorleiber umher, oft schrecklich zerstückelt, als wären sie die blassen Leichname, die man aus den Särgen gerissen und den Vögeln des Himmels zum Fraße gegeben. Aber die Natur hat die armen Steinbilder unter Gebüschen und Blumen von neuem begraben, schlanke Pinien und den Todesbaum, die schwarze Cypresse, aufgehen lassen. In diesem nisten bunte, zärtliche Palombas und in der Höhe jubiliren die Lerchen; also, daß ich nichts kenne auf Erden, was schöner und friedlicher wäre, als diese einsame Stätte.

Weil nun das Eichenwäldlein der Egeria dem jüdischen Lager allzu nahe lag, weilten wir lieber auf der appischen Straße, woselbst uns nur Hirten und albanische Bauern begegneten. Gleich den Lacerten huschten wir um die Grabmale und alten Römersteine, jagten einander und duckten uns zusammen unter den Büschen nieder, oder wir erklommen Hand in Hand einen der hohen Begräbnisplätze und schauten von droben stumm ins Land hinaus. Einmal fragte ich sie:

»An was denkst Du jetzt? Ach, sage mir, an was Du jetzt denkst.«

Darauf erwiderte sie mir:

»Ich denke an nichts. Denkst Du an etwas? Wie fängst Du es an, wenn Du an etwas denken willst?«

Ich sagte:

»Ich thue nichts dabei; ich denke eben – an Dich! Und ich denke, wie hold Du bist. Und ich denke, daß wir beisammen sind, und daß es gar nicht anders sein kann, und daß ich nichts anderes zu denken vermag, als an Dich und immer nur an Dich.«

Aber sie lachte.

Jetzt redete ich eindringlich in sie hinein:

»Denkst Du denn niemals an was?«

»An was sollte ich wohl denken? Es muß sehr schwer sein!«

Dabei schielte sie mich an, so von unten herauf, mit einem langen, schläfrigen Blick. Dann wandte sie ihr Köpflein der Sonne zu und öffnete die Lippen, als tränke sie die Sonnenstrahlen, die über ihr Antlitz spielten, daß dieses in seiner Weiße und Zartheit leuchtete wie ein Gebilde aus Licht.

Sie liebte überhaupt die Sonnenglut, als ob sie ein verhextes Eidechslein wäre. Nie war ein Tag ihr zu heiß, wie ich denn niemals ihr Gesicht gerötet gesehen. Sie fürchtete sich vor jeder dunklen Wolke und klagte mir, daß nach dem hellen Tage die finstere Nacht käme. Wo es am heißesten war: auf einer Mauer, oder einem Stein, oder auf der staubigen Landstraße, legte sie sich nieder: und lag sie einmal, alsdann stand sie so bald nicht wieder auf. Gewöhnlich schlief sie sogleich ein und ward zornig, wenn ich sie weckte. Da saß ich nun oft viele Stunden lang lautlos bei ihr, bewachte ihren Schlaf und wandte kein Auge von ihr und schaute gar eifrig zu, wie sie atmete, wie ihr Mund sich dabei öffnete und die weißen Zähne hervorblitzten. Ach und ich dachte – –

Es war eben eitel Sünde und wohl noch Schlimmeres!

Wie nun die kühlen Herbsttage kamen, ward es ein rechtes Elend. Denn obschon sie das Fell einer schwarzen Ziege über ihrem Röcklein trug und ihre Füße in Sandalen steckten, fror sie häufig gar jämmerlich, daß ich mich ihrer von Herzen erbarmte, eilig trockenes Reisig zusammenschleppte und irgendwo an einem geschützten Ort ein Feuer anzündete. Davor kauerte sie sich nieder, ganz nahe, und schaute gierig in die Flammen, als wollte sie diese verschlucken, und hatte eine jauchzende Lust, wenn das Feuer hoch aufschlug, die Flammen prasselten und die Funken, vom Winde davongetragen, wild durch die Lüfte stoben.

Alles dieses bezeugt nur allzu sehr, wessen Stammes und Ursprungs das Holdseligste ist, was die Erde trägt.

Wir hatten aber einen Ort ausfindig gemacht, dermaßen heimlich und verborgen, daß daselbst niemand uns hätte aufspüren können. Besagtes Versteck war nichts Geringeres, als die Totenkammer eines gewaltigen Römergrabes, zu welcher Myrrha den Zugang gefunden. Dieses Grab gleicht einem prächtigen Turm, wie es denn auch am Dache einen hohen Mauerrand hat. Man stößt auf das Denkmal, wenn man vom egerischen Hain nach der Richtung der appischen Straße ein Stücklein Wegs über die Flur geht. Auch ist das Grab leicht an einem gar merkwürdigen Steingebilde zu erkennen, welches rings unter dem Dache hinläuft; darauf sind die Schädel von Stieren dargestellt, zwischen deren Hörnern, von einem Kopfe zum andern geschlungen, Blumengewinde niederhängen.

Dieses Grab war vor vielen hundert Jahren die Totenstätte eines römischen Weibes gewesen, dessen Name auf dem Stein in mächtigen Lettern noch heutigen Tages zu lesen steht: Cäcilia Metella. Es ist dies wohl der Name einer Fürstin der alten Römer, denn fürstlich fürwahr ist das Denkmal, welches errichtet wurde über dem Leichnam dieses Weibes.

Eines Tages nun, da es heftig zu regnen begann, liefen wir aus dem Hain über die Wiese zu dem Gräberturm hin. Hier raffte Myrrha ihr Röcklein zusammen und erkletterte auf der Seite der Straße eine Mauer, die an das Grab stößt und so hoch ist, daß ich vor Schrecken laut aufschrie. Sie aber stand droben gleich einem bunten Figürchen, gegen den grauen Himmel sich abhebend, schüttelte ihr leuchtendes Haupt, lachte unbändig, winkte mir zu und lockte mich, ihr zu folgen. Das ging nun nicht so geschwinde, indem ich doch von Natur ein sündiges Menschenkind war und kein teuflischer Lust- oder Feuergeist. Indessen meine Verliebtheit und meine Furcht, daß sie vor meinen Augen herabstürzen und zerschmettern möchte, halfen mir, die Stelle zu erklimmen. Als ich sie aber droben umfassen und halten wollte, entwand sie sich meinem Arm und lief vor mir her, den vom Regen schlüpfrigen, schmalen Mauerrand entlang, dem Grabgebäude zu, woselbst sie sich in eine enge, dunkle Oeffnung schwang, daraus sie mir vergnüglich zunickte.

Ich kroch ihr nach, und wir gelangten in einen schmalen Gang, darinnen es so finster war, als befänden wir uns im Schoße der Erde. Um mich tastend, stieß ich an Gestein und Mauerwerk. Zum Glück erwischte ich Myrrhas kleine, kühle Hand, sonst hätte mich wohl Bangen angewandelt. Aber ihre Hand in der meinen, war mir, als führte mich ein Cherubim durch die Dunkelheit dem ewigen Lichte entgegen.

Nicht lange, so standen wir in einer Kammer, die ein blasser Glanz einhüllte, welcher unirdische Schein von dem weißen Marmor herrührte, damit das ganze Gewölbe ausgemauert war, und hatte dieses verwunderliche Gemach einen langen Spalt, durch welchen das Tageslicht schwach hereindrang. Nun gewahrte ich auch auf zwei hohen Marmorkufen zwei lichte Menschengestalten liegen: einen Mann und ein wunderschönes Weib, als hätten sich beide, in Tücher und Linnen gehüllt, zur Ruhe gebettet, wären erwacht, hätten sich mit dem halben Leibe aufgerichtet und wollten sich jetzt erheben. Zuerst entsetzte ich mich über diesen Anblick, bis ich sah, daß es die steinernen Abbilder der Gestorbenen waren, wohl diejenigen der Cäcilia und ihres Gemahls oder Liebsten.

Auf solche Weise gelangte ich mit Myrrha in das Innere des Römergrabes, welches auch mir großem Kinde dermaßen wohl gefiel, daß wir aus dem Grabe eine Wohnstätte machten, dahinein wir uns bei Regen und Kälte oder wenn uns sonst die Lust dazu anwandelte, verkrochen. Dann saßen wir in dem dämmerigen Raum, schauten durch den Mauerspalt auf das Stücklein Himmel, zu dem wir wie aus der Tiefe eines Brunnens emporblickten und welches an hellen Tagen gleich einem Stücklein blauen Seidenbandes zu uns niederleuchtete, beim Regen aber gleich einem dichten grauen Schleier vor der Oeffnung herabhing. Oder wir schauten zu, wie die vom Winde gejagten Wolken vorüberzogen, darin wir lauter Gebilde erkannten: Schlangen und Ungetüme, Riesen und Götterbilder. Und jeden Nachmittag, zu einer bestimmten Stunde, funkelten bei hellem Himmel die Sonnenstrahlen wie eine Menge kleiner, leuchtender Schlänglein zu uns herein, glitten die Wände hinab, schnellten von dort zu den Marmorgestalten hinüber und sanken zuletzt wie matt und müde in unsern Schoß, woselbst sie eine Weile stille liegen blieben, bis sie auf einmal verschwunden waren.

Alsdann verzehrten wir mitsammen die guten Dinge, die ich jeden Tag aus dem Ghetto für Myrrha mitbrachte; denn diese liebte überaus alles Süße und Leckere, obgleich sie nicht mehr davon aß wie ein Singvögelchen. Jeden Abend kaufte ich im Ghetto für sie ein: geröstete Haselnüsse, gequollenen Mais, getrocknete Kürbiskerne oder ein Stück Pizzakuchen, Ciambellikringel oder mit braunem Honig bestrichene Maratozzi. Diese süßen Dinge schüttete ich ihr jeden Morgen in den Schoß; und was wir nicht aßen, das streuten wir aufs Feld für die Vögel aus, damit diese auch satt und glücklich würden.

Am schönsten jedoch war es – wie es mich zu jener unheiligen, aber seligen Zeit bedünkte – wenn Myrrha Geschichten erzählte: mit leiser Stimme, geheimnisvoll raunend, als spräche sie zur Luft oder sonst einem unirdischen Wesen, daß mich oft jähe Furcht anwandelte und ich doch wiederum voller Entzücken auf das lauschte, was sie mir von allen Dingen der Natur zu sagen wußte; denn von den Dingen des Lebens und der Menschen wußte sie nichts – – Da gab es Blumen, die keine Blumen waren, sondern Geschöpfe, die so und so hießen, soundso aussahen, dieses oder jenes thaten, oder unter einander besprachen und abhandelten: die allerseltsamsten, allerheimlichsten Dinge, ganz wie Menschen, nur viel zarter, feiner und geheimnisvoller! Und wie die Blumen, ebenso die Bäume, die Quellen, die Steine; alle hatten Gestalt und Wesen und alle führten ein Leben, das niemals aufhörte. Keines von allen litt, keines wußte von sich, keines fühlte etwas anderes als – was Myrrha auch fühlte; und diese hätte ich oftmals voller Todesangst, mit aufgehobenen Händen fragen mögen: »Wo ist Deine Seele?«

Sie war eine Jüdin, aber vom Judentum wußte sie nichts, nichts von Jehovah und den heiligen Erzvätern, nichts von den Geboten und dem Tempel zu Jerusalem. Sie wollte auch nichts davon wissen, schüttelte zu allem, was ich ihr von dem heiligen Glauben ihres Volkes sagte, den Kopf. Oder sie sprang auf, warf die Arme in die Luft, den Kopf in den Nacken und tanzte zu meinen frommen Worten, als wären diese wilde Melodeien, um mich herum hüpfend, bis es ihr den Atem versetzte und sie sich, wo sie gerade stand, auf den Boden niederwarf.

Wollte ich nun mit Mahnen und Lehren gar nicht aufhören, so geschah es wohl, daß sie mich umfing und heftig auf den Mund küßte. Da mußte ich wohl stille sein.

Ebensowenig wie von Juden, wußte sie von Christen. Juden und Christen waren für sie eins: beides waren Menschen – obgleich gerade ihr Stamm weder von den einen noch von den andern als Menschen behandelt wurde. Aber auch die Menschen waren für sie Gegenstände, an denen sie vorbeiging wie an Steinen. Daß die Christen die Juden verachteten, bedrückten und mißhandelten und daß für diesen Auswurf der Menschheit wiederum ihr eigener Stamm Auswurf war – um alle diese schrecklichen Dinge kümmerte sie sich so wenig wie ein Vogel; und als ich einigemale von meinen Eltern zu ihr sprach, sie alsdann nach ihrer Mutter fragte und nach ihrer Liebe zu dieser, sah sie mich aus großen Augen staunend an und wußte mir nichts zu erwidern.

Durch solche Zeichen mußte ich denn bald, ob ich wollte oder nicht, zu der Erkenntnis gelangen, daß dieses Kind, welches doch kein Kind mehr war, von der Liebe nichts wußte, ja die Liebe gar nicht begriff, auch nicht meine Liebe zu ihr, und daß die Gottheit ihre Seele noch gar nicht berührt hatte; also, daß diese sich wohl in dem holdseligen Leib befand, aber gleichsam in tiefen Schlummer versunken. So wähnte ich zu jener Zeit, obgleich ich es schon damals hätte besser wissen können, indem sie mir eines Tages selber bezeugte, daß sie ein Kind der Hölle sei – von welcher ich freilich dazumal nichts wußte. Dieses geschah, als ich sie einstmals inbrünstig, voller Verzweiflung und mit Thränen anflehte, mir zu sagen, was auf Erden sie liebe. Sie schaute lange vor sich hin, als besänne sie sich, bis plötzlich ihre Augen leuchteten, ein wundersamer Glanz über ihr Gesicht ging und sie mir zur Antwort gab:

»Das, was schön ist.«

Ich fragte:

»Was ist schön?«

Sie erwiderte mir und sah dabei aus wie eine junge Sibylle:

»O Du Thor, weißt Du das nicht? Schön sind die Blumen, schön sind die Sterne und das Licht: schön sind Himmel und Erde, schön bist Du.«

Ich aber, anstatt zu bedenken, daß nur die schöne Sünde selber also reden könne, bedachte nichts, als daß ich für Myrrha schön sei und deswegen von ihr geküßt wurde.

Sie war eben eine rechte Heidin, wie weiland die Nymphe Egeria gewesen.

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