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XIV.

Einige Tage schlich ich umher, alsdann war es um mich geschehen. Und weil nun doch einmal über mich beschlossen und bestimmt war, daß ich der Schmerzenssohn meiner Eltern sein sollte, so wehrte ich mich nicht länger dagegen, trat vor sie und bat:

»Gebt mir Myrrha, die Tochter der Judäa, zum Weibe; denn ich kann nicht leben ohne sie.«

Da schrie meine Mutter auf, als hätte ich ihr ein Schwert ins Herz gestoßen, und begann zu weinen und zu wehklagen. Mein Vater sprach eine lange Weile nichts und stand in tiefen Gedanken, bis er mich mit Milde anredete und mir sagte; ich möchte ihm und meiner Mutter alles berichten, was ich denn auch that, von der Stunde an, da ich beim Bogen des Titus Myrrha zuerst gesehen, bis zu der letzten wilden Rede ihrer Mutter in der Grotte der Egeria.

Während mein Vater mir mit großer Aufmerksamkeit zuhörte, rang meine Mutter ohne Unterlaß die Hände und rief einmal über das andere mit gellender Stimme: »Judäa, Judäa, das hast Du über uns gebracht!« Zuletzt fuhr mein Vater sie hart an, daß sie schweigen sollte.

Es war das erstemal, daß ich meinen Vater heftig gegen meine Mutter werden sah, und worüber diese auch dermaßen erschrak, daß sie sogleich stille wurde. Und mein Vater sagte in tiefer Bewegung:

»Das Weib ist unschuldig daran. Die Liebe, die unser Sohn zu der Jungfrau empfindet, kommt von Gott und nicht von einer argen Frau. Das solltest Du, Hannah, wissen, da auch Du Deine Liebe zu dem Vater Deines Knaben empfangen hast vom Himmel, von dem alles kommt, was gut und heilig ist auf Erden. Dennoch ist dieses eine schwere Prüfung, sowohl für uns, als für unsern Sohn, und wir mögen alle drei bitten, daß wir die Prüfung bestehen.«

Damit nahm er mich bei der Hand und führte mich aus der Kammer, darin wir meine Mutter mit der heulenden Magd allein ließen. Mein Vater ging mit mir in sein Gemach, woselbst er begonnen hatte, mir unsern heiligen Glauben auszulegen, auf dem seine Seele gründete wie ein Haus, das auf Felsen gebaut war. An diese ehrwürdige Stätte brachte er mich in dieser schweren Stunde, betete zuerst lange mit mir, hieß mich dann niedersitzen und sprach:

»Ach, mein lieber Sohn, ich kann Dir die Jungfrau, die Du von mir zum Weibe verlangst, nicht geben, und da Du von dieser Stunde an kein Jüngling mehr bist, will ich zu Dir reden, wie es sich vom Manne zum Manne geziemt. – – Du weißt, daß die Ebräer vom Thal der Egeria gelten als ein Stamm von Verworfenen und Ausgestoßenen; und zwischen jenen und unserem Volk ist nichts, was gemeinsam wäre. Ja, es wird befleckt der reine Jude durch die Berührung eines unreinen. Nun hat diese Schar von Parias mich häufig im Herzen gejammert. Ich habe Leid um sie getragen und hätte voller Freuden ihnen und uns von dieser Feindschaft geholfen. Aber es soll nicht sein. Denn weil wir römische Juden im Ghetto gleich allen, die unseres Glaubens sind, leben als ein verachtetes Völklein, in tiefer Erniedrigung und Schmach, so dürfen wir in unsere kleine Gemeinde nichts aufnehmen, was in Wahrheit verächtlich ist, wert jeglicher Erniedrigung und Schmach. Nun erkenne ich wohl, daß die Jungfrau, für die der Herr Dein Herz so gewaltig bewegt hat, holdselig ist und rein; und es rüttelt mein Geist schon lange Zeit an den Worten Jehovahs, daß die Sünden der Eltern sollen heimgesucht werden an den Kindern bis ins dritte und vierte Glied; also, daß ich ohne Besinnen gehen würde, um die reine und sündenlose Tochter des Weibes Judäa von der sündenvollen und argen Mutter zu holen und die Tochter in dieses Haus zu führen, dazu sprechend: ›Der Herr segne Deinen Eingang!‹ Indessen es kann nicht sein. Denn es darf in den Kindern, die meinem Sohne von seinem Weibe geboren werden, wohl ebräisches Blut der Juden aus dem Thal der Egeria fließen, aber kein Tropfen Christenblutes.«

Mein Vater schwieg und als er auf meinem Antlitz mein Erschrecken und meine Todesangst gewahrte, neigte er sich zu mir und flüsterte mir etwas zu, auf das hin ich mich zu Boden warf, aufstöhnte und mich in unsäglichen Qualen der Seele wälzte, gänzlich wie von Sinnen war und fortwährend den Namen des Weibes schrie, von dem ich auf ewig getrennt war.

Mein Vater kauerte sich zu mir nieder, nahm mein Haupt, legte es in seinen Schoß und streichelte mir leise die Hände.

*

Es begann ein neues Leben für mich, darin ich als ein neuer Mensch stand und wobei ich mir selber so fremd vorkam, als wäre ich nicht mehr Dahiel Sarfadi, sondern müßte auf einen andern Namen hören. Ich verließ die jüdische Stadt nicht eine Stunde, sang fleißig in der Synagoge und ließ mir von meinem Vater die göttlichen Dinge deuten, über die ich anfing nachzudenken. Aber der Ghetto schien mir ein Gefängnis, mein Gesang nichts als Schall, der Gott meines Volkes eine Gottheit unversöhnlichen Zornes, grimmigen Hasses und ewiger Vergeltung. Ich befand mich mit solchen Gedanken in einer Nacht, finster wie das Dunkel, das über Aegypten gelegen, und fühlte mich verzehrt von Sehnsucht nach dem Tage.

Ich konnte nun Mose keinen Abend mehr Blumen und Kränze auf die Schwelle legen, brauchte aber dafür mit ihm nicht mehr Mitleid zu haben, als mit mir selber; denn auch mich hatte der Herr geschlagen und mir das junge Leben gelähmt – auch mir war Myrrha genommen.

Ich wußte, daß Mose jeden Tag in aller Frühe aufstand und sich, ohne seine Mutter zu rufen, durch die Kammer und vor das Haus schleppte, daß er jeden Tag vergeblich nach dem suchte, womit, wie er glaubte, Myrrha aus Mitleid ihn hatte grüßen lassen: durch einen, der glücklich war! Ich wußte auch, daß Mose jeden Tag unglücklicher wurde, ging indessen nicht zu ihm, ihn aufzuklären und mich von ihm trösten zu lassen. Da er mir keinen Boten sandte, stolz, wie er war – aber die Kränze hatte er doch genommen und mag wohl gegen die Liebe kein Stolz helfen – so hörten wir diese ganze Zeit nichts von einander.

Es war wieder Frühjahr geworden, wovon man freilich im Ghetto wenig verspüren konnte; ich saß eines Abends vor unserem Hause, müde und ruhebedürftig wie ein Mensch, der den ganzen langen Tag eine schwere Arbeit gethan – keine andere als zu leben! – Und ich mußte denken, wie ich noch vor kurzem um diese Zeit jeden Abend zu Mose gegangen war, welcher wohl wußte, wo ich den Tag über gewesen und von wem ich zu ihm kam. Trotzdem war er stets überaus liebreich gegen mich gewesen, gar nicht mehr der Mose, aus dessen Munde ich das Evangelium vernommen: Hasset eure Feinde, fluchet denen, so euch fluchen, thut Uebles denen, die euch Uebles gethan! Je scheuer ich zu ihm getreten, je bedrückter ich bei ihm verharrt war, desto sanfter, milder und gütiger hatte er sich gegen mich bezeigt. Ich mußte mich zu ihm setzen, er faßte meine Hand, hielt sie in der seinen und fragte mit leiser Stimme: »Ist es schön draußen? Thut es Dir gut, auf den Wiesen zu weilen? Blühen daselbst viele Blumen und scheint die Sonne recht warm?« Und er ermahnte mich: »Sei glücklich! Denn es hat Gott Dich erschaffen zum Glück; sowohl um die Menschen zu beglücken, als auch, um selber glücklich zu werden. Siehe, wie herrlich der Tag dem Glücklichen leuchtet!« Er sprach niemals von ihr, nannte niemals ihren Namen, dachte indessen immer an sie und hatte von dem immerwährenden Denken an das sonnige Kind in seinem armen Antlitz ein solches Leuchten, daß ich es häufig nicht ertragen konnte und vor seinem strahlenden Blick meine Augen senkte ...

An Mose dachte ich an jenem Frühlingsabend vor dem Hause meiner Eltern und plötzlich stand ich auf und begab mich eilig, fast laufend nach der Via Fiumara. Auf diesem Wege geschah es, daß das Bildnis meines siechen Freundes vor meine Augen trat, in einer solchen Verklärung, daß ich auf einmal die gewaltige Schönheit dieses Menschenbildes erkannte, eine Schönheit, gegen welche meine Wohlgestalt wahrlich einer Grimasse des Schönen glich. Ich kam zu dem elenden Hause, welches er zusammen mit Ratten und Skorpionen bewohnte, und fand ihn, wie gewöhnlich um diese Zeit, vor der Thür des Hauses am Boden liegend und nach dem Sternenhimmel schauend, davon ein winziger Streifen zu ihm herabschimmerte. Er erkannte meinen Schritt, grüßte mich, ohne den Kopf zu wenden, als wäre ich keinen Tag fern geblieben, und hieß mich auf der Schwelle niedersitzen. Sodann sagte er und senkte seine Stimme, als befände er sich im Tempel:

»Siehe, mein Dahiel, dieses Stücklein Himmel, welches ich schaue und welches so klein ist, daß ich es mit meiner Hand zudecken kann – es ist mehr als groß genug, dem Menschen die ganze Herrlichkeit Gottes zu offenbaren. Wahrlich, und wenn ich von Gottes Welt niemals etwas anderes erblicken würde, als dieses Häuslein Himmelslichter, es wäre wert, zu leben und Gott anzustaunen in seinen Werken. Und da sollte ich mich über meine gelähmten Glieder beklagen, wo doch diese Sterne niederglänzen zu mir und ich noch viel mehr des Schönen und Wunderbaren besitze: Sarah, meine Mutter, Dich, meinen Freund, Jehovah, meinen Gott, und meine Seele, welche alles dieses empfinden kann, währenddem mein Leib siech und elend ist. Wie es auch ein schier unfaßliches Glück ist, daß ich als Jude geboren und nicht als Christ, und daß ich eines Frühlingstages Myrrha gesehen, die mich noch ein viel größeres Wunder däucht, als droben jener leuchtende Stern. Ach, mein Dahiel, fürwahr, auch ich bin ein glücklicher Mensch!«

Er schwieg und sah unverwandt das Häuflein Sterne an. Es war aber zum erstenmal geschehen, daß er Myrrhas Namen genannt.

Eine Weile saßen wir stumm; alsdann hob er wiederum zu reden an, mit derselben leisen, feierlichen Stimme:

»Warst Du in der Zeit, da ich Dich nicht gesehen, jeden Tag vor dem capenischen Thor? Und wie blüht draußen in der Wildnis die holdselige Myrthe?«

Ich konnte nichts erwidern, denn ich fühlte, daß Thränen meine Stimme erstickt haben würden. Auch fuhr er sogleich fort:

»Erzähle mir von ihr. Sie muß Dich sehr lieb haben; denn Du bist schön wie der junge Tag und sie muß lieben, was schön ist. Erzähle mir von euch, auf daß ich euer Glück mit euch teilen kann. Und gebt ihr mir von eurer reichen Tafel auch nur die Brosamen, wird es mich dennoch satt machen. Also erzähle.«

Er wandte sein Gesicht mir zu. Da ich aber stumm dasaß, wurde sein Blick angstvoll und immer angstvoller:

»Was ist Dir und Deiner Myrrha geschehen? Denn Du und sie, ihr beide gehört zusammen.«

»Ich werde Myrrha nicht wiedersehen.«

»Ist sie tot?« schrie er auf.

»Sie lebt,« erwiderte ich rasch, indem mich bei dem Gedanken, sie könnte tot sein, ein Schauer überlief, als stünde ich an ihrer Leiche. Doch sie lebte! Und plötzlich wurde mir unendlich friedlich ums Herz, als gäbe es gar kein Leid der Trennung und Entsagung, wenn sie nur im Licht der Sonne weilte.

Aber Mose sagte, und aus seiner Stimme klang es beinahe wie Zorn:

»Wenn sie lebt, wie kannst Du sie alsdann nicht mehr wiedersehen? So gehe doch zu ihr, so bleibe doch bei ihr! Wer hindert Dich?«

»Ich darf nicht. Myrrha ist mir genommen.«

»Wer hat sie Dir genommen? Warum hast Du sie Dir nehmen lassen?«

Also fragte er zornig, mit einem schier feindseligen Blick.

»Ihre Mutter hat mich davongejagt.«

»Ihre Mutter – –«

»Ich sollte meinen Eltern sagen, daß sie kommen sollten, bei ihr für mich um ihre Tochter zu werben.«

»Und Deine Eltern?«

»Sie gehen nicht zu dem Weibe.«

»So gehe Du zu Judäa und sage Du der Mutter Myrrhas: Deine Eltern kämen nicht, aber Du kämst und Du wolltest bleiben; und Judäa wird Dich nicht zum zweitenmal davonjagen.«

Ich stammelte:

»Also sollte ich meine Eltern verlassen – –«

Mose rief:

»Es stehet geschrieben: ›Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und an seinem Weibe hangen, und sie werden sein ein Fleisch.‹ Aber es stehet nicht geschrieben, daß der Mann das Weib seiner Liebe verlassen solle und anhangen Vater und Mutter. Denn es lebt auch der Mann im Weibe wie dieses im Manne; und es soll der Mann sein Leben erhalten, welches von Gott ist und nicht von dem Vater, der ihn gezeugt und nicht von der Mutter, die ihn gebar. Und wenn Deine Eltern sich und ihren Sohn hoch halten, weil sie Juden sind aus dem römischen Ghetto, und das Weib Judäa und deren Tochter verachten, weil diese Ebräer sind aus dem Thal der Egeria, so sollen Deine Eltern bedenken, daß sie und jene angehören einem Volk, daß sie und jene beten zu einem Gott, schmachten in einer Gefangenschaft, unstät und flüchtig sind auf Erden durch einen Fluch. Und bedenken sollen sie, daß beide einen Todfeind haben: das Christentum! Einen Haß: wider die Christen! Ein Gebet um Rache und eine Hoffnung auf Vergeltung. – – Aber Du, was wirst Du beginnen?«

»Ich habe meinem Vater in die Hand gelobt –«

»Von Myrrha zu lassen? Freilich, Du bist ein gehorsamer Sohn.«

Er sagte das mit einem Hohn, daß es mich traf, als hätte ich von ihm einen Schlag empfangen. Kaum wissend, was ich sprach, fragte ich ihn:

»Was soll ich thun?«

Die Nacht war dunkel geworden; aber wenn ich ihn auch nicht sah, so fühlte ich doch den Glanz seiner Augen auf mir brennen.

»Was Du thun sollst, weiß ich nicht zu sagen, da ich nur weiß, was ich thäte, hieße ich Dahiel Sarfadi und würde von Myrrha geküßt.«

»Was thätest Du?«

»Nicht lassen würde ich von meiner Liebe, welche mehr als mein Leben ist; sühnen würde ich meines Volkes Schuld, welche von Juden an Juden verübt ward; verlassen würde ich Vater und Mutter, weigerten sich diese, mir eine reine und unbescholtene Jungfrau zum Weibe zu geben. Leben doch Ebräer genug in der Wildnis, warum soll nicht auch eines Rabbi Sohn ausziehen aus seiner Eltern Haus in die Wälder und Steppen, das ausgestoßene Volk zurückzuführen zu seinem Volke und Frieden zu stiften in Israel?! Ich freilich könnte nur kriechen wie ein Tier und müßte mich füttern lassen von einem Weibe und liege hier in Zorn und Gram, in Schwachheit und Ohnmacht.«

Mit solchen Reden fuhr er fort; und er sprach mit einer solchen Macht und Leidenschaft, daß ich jeden Augenblick wähnte, er würde aufstehen mit seinen lahmen Gliedern und von dannen gehen in die Wildnis, zu dem verfehmten Volk und zu Myrrha. Seine Mutter kam aus dem Hause gelaufen, lauschte voller Schrecken auf ihres Sohnes Rede und begann zu weinen, aber mit ersticktem Schluchzen und leise, damit ihr Sohn es nicht vernähme.

Nach einer Weile ließ sich Mose von der armen Mutter aufhelfen und ins Haus führen, ohne mich zu grüßen oder sonst ein Wort an mich zu richten. Ich wagte nicht, hinzuzuspringen und ihm beizustehen, als er auf der Schwelle strauchelte und beinahe hingefallen wäre; denn ich fühlte, daß ich von ihm verachtet wurde. Ich aber liebte ihn unsäglich und er dauerte mich unsäglich: und das einzige, was ich ihm zu liebe thun konnte, war, daß ich ihm nicht verriet, wessen Abstammung der Vater seiner Myrrha war: denn er liebte sie größer und heiliger als ich.

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