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X.

Es kam für den Ghetto eine Zeit schwerer Trübsal und harter Prüfung; denn der neue Papst trug in seinem Herzen einen großen Haß gegen Israel. Selbst unter dem gestrengen Paul II., welcher der erste war, der die Juden zum Karneval rennen ließ, bis zu dem vierten Paul, dem Caraffa, der die Ebräer in den Ghetto einsperrte, waren keine so grausamen Zeiten für Juda gewesen, wie sie jetzt kamen. Es erneuerte der Papst die Edikte von Clemens XI. und von Innocenz XIII., welche Stellvertreter Christi den Juden kein anderes Geschäft als den Handel mit Lumpen und altem Eisen gewährt hatten. Auch wurde ihnen von neuem eine schwere Last von Steuern auferlegt; und gerne hätte man dem geknechteten Volke, um es noch ärger zu drücken, das Jus Gozzaga genommen, welches weise und milde Gesetz den großen Judenfamilien ewige Erbpacht der von ihnen bewohnten und den Christen abgemieteten Häuser zusprach. Denn von den Häusern im Ghetto gehörten nur etliche schlechte Hütten und abscheuliche Höhlen den Ebräern, die ganze Judenstadt selbst war Besitz der Christen und befanden sich Fürsten und Herzoge als Mietsherren darunter. Aber nach dem Jus Gozzaga durfte kein christlicher Hausbesitzer den Zins erhöhen oder seine Mieter wegjagen – was mir jetzt, wenn ich es recht bedenke, als eine große christliche Milde und Barmherzigkeit erscheint.

Was indessen die Ebräer am härtesten schlug und sie mitten ins Herz traf, das war die Erneuerung und Verschärfung des Gebots: dem christlichen Gottesdienst beizuwohnen, und zwar an dem ersten Sabbath eines jeden Monats in den beiden christlichen Kirchen San Benedetto alla Regola und Sant' Angelo in Pescaria. Das erste Edikt über diesen Kirchenbesuch der Ebräer ist von dem dreizehnten Gregor erlassen worden, welcher heilige Papst einen bekehrten Juden, Andreas, getauft, diese Predigten zu halten bestimmt hatte. – Einst habe auch ich dem Namen jenes Andreas geflucht, wie jetzt von den Juden mein Name verwünscht wird – – An dem ersten Sabbath eines jeden Monats drangen also zur Abendzeit Häscher und päpstliche Soldaten in den Ghetto und jagten die Juden, wo es notthat, mit Peitschenhieben in die Kirchen. Es mußten jedesmal zweihundert Männer und hundert Weiber den Gottesdienst besuchen, nebst einer großen Anzahl von Kindern. Am Eingang zählten die Häscher die Juden und waren ihrer weniger, als die gebotene Zahl, so wurden die Fehlenden gewaltsam herbeigetrieben. Da standen sie nun in ihren Feiertagskleidern mit entblößten Häuptern, die Weiber mit gebeugten Knieen; und wer nicht achtsam zuhörte, der wurde von den Wächtern hart angefahren, mit langen Stöcken gestoßen, auch wohl geschlagen. In beiden Kirchen war das Allerheiligste vom Altar genommen, alle Heiligenbilder und der Gekreuzigte aber waren dicht verschleiert, auf daß die Gegenwart der Ungläubigen die höchsten Heiligtümer nicht verunreinige. Ein Dominikanermönch hielt die Predigt und zwar über den nämlichen Text aus dem alten Testament, der den Juden am gleichen Tage in ihrer Synagoge ausgelegt worden war. Ach, wie wurde da die jüdische Auslegung verdammt und schimpfirt und den scheußlichen Heiden die einzig göttlich christliche Wahrheit verkündet, damit sie in sich gehen, erkennen und sich bekehren sollten.

Herr, ich bekenne dir, daß ich zu jener Zeit meinem lieben Freund Mose sein schweres Siechtum bitter beneidet habe; denn man konnte den Jüngling seiner kranken Glieder willen nicht mit Peitschenhieben in den christlichen Tempel treiben, wie mich. Und ich bekenne weiter, daß mir zu jener Zeit der Tempel der Christen ein Greuel war und ich unaufhörlich aufschrie in meiner Seele ob der Gewalt, welche Israel angethan ward, und daß man die Juden zwang, ihren Feiertag zu entheiligen. Aber es war dennoch ein heimliches Frohlocken unter den Juden, indem niemand sich wollte bekehren lassen, sondern es umfaßte ein jeder nur um so fester den Glauben seiner Väter. Es wurde Brauch, daß der Rabbi jenen Konvertiten, den getauften Andreas, jeden Sabbath von neuem in der Synagoge vor allem Volke verfluchte, wobei ich eifrig mitthat.

In der einen der beiden christlichen Kirchen, der Kirche des heiligen Engels, welcher Tempel in die Trümmer der Halle der Oktavia eingebaut ist, also an der nämlichen Stätte steht, von wo aus die Kaiser Titus und Vespasianus mit dem Juden Josephus dem Triumphzug über die Juden zuschauten – in dieser Kirche predigte ein junger Franziskanermönch, ein schöner und feuriger Jüngling, den Ebräern das Christentum. Er hatte eine gar gewaltige Beredsamkeit, als spräche er mit Engelszungen, und es that mir in der Seele weh, daß gerade von diesem solches uns angethan ward.

Alles, was ich dort sah und hörte – sehen und hören mußte – alles, was der Franziskaner redete, berichtete ich getreulich meinem armen Mose. Dieser geberdete sich wie ein gefesselter Simson und klagte laut Gott an, daß er nicht aufstehen und die Säulen des Christentempels einreißen könnte. Am heftigsten eiferte er wider den Jüngling in der braunen, armseligen Kutte und wider dessen Lehre. Aber diese war gar nicht so voller Donner, Fluch und Verdammnis wie die Predigten der anderen christlichen Priester; sondern sie war bei allem Feuer seiner Rede milde und voll heißer Trauer über die im Heidentum und Irrglauben befangenen Juden, welche der gute Jüngling gar zu gern für den wahren Glauben gerettet hätte.

Wie ich berichtet habe, wohnten dem jüdischen Gottesdienste häufig Christen bei. Man sagte mir, daß sie hauptsächlich kämen, um meinen Gesang zu hören, von dem in ganz Rom geredet würde. Meine Mutter trug darüber eine Freude und einen Stolz zur Schau, wie wenn ich ein Wunder von Anmut und Geschicklichkeit wäre, in welchem unverständigen Wesen ihr sowohl unsere treue Magd als unsere sämtlichen lieben Nachbarn eifrig nachthaten; ja, der ganze Ghetto nahm teil daran, selbst mein weiser Vater hörte gern seines Sohnes Ruhm. Zu welchem Hochmut ich in meinem Herzen durch dieses viele Preisen gebracht wurde, habe ich bereits gemeldet.

Als ich eines Tages während des Gesanges, anstatt mit ganzem Gemüt bei den erhabenen und frommen Worten zu sein, nach meiner schändlichen Gewohnheit hinunterschaute auf die, welche meiner Stimme lauschten, gewahrte ich unter anderen christlichen Priestern auch den jungen Franziskanermönch, dessen Predigten ich anhören mußte. Nur zu sehr bemerkte ich, daß seinen Begleitern mein Gesang überaus wohl gefiel. Sie horchten mit aller Aufmerksamkeit, ja mit wahrer Andacht, besprachen sich auch leise darüber. Allein der junge Priester machte eine Miene, als hörte er lieber Hunde bellen, als mich singen. Das verdroß mich nun über die Maßen, denn dieses Menschen Wesen hatte es mir, obgleich er ein Christ war, dermaßen angethan, daß ich ihm von ganzem Herzen geneigt war, wie denn auch seine mächtigen Reden mir stark ins Gemüt gingen. Ich bemühte mich daher außerordentlich, gut und rein zu singen, nur damit diesem einen mein Gesang zu Herzen dringen sollte.

Später sagte man mir; ich hätte gesungen, wie noch niemals, selbst nicht, da ich vor dem Papst gestanden. Damals war ich voller Freude darüber; heute weiß ich, daß ich mich an jenem Tag ins Verderben gesungen, nicht nur mich, sondern auch die, welche mich liebten.

Wollte ich auch alle Versuchungen, denen ich in meiner Schwachheit erlegen, alle meine sündigen Zweifel und sonstigen schweren Schulden der Wahrheit gemäß mit zerknirschter Seele bekennen, so vermag ich doch nicht auszusagen, wie es geschah, daß ich mich eines Tages vor dem capenischen Thore und auf der appischen Straße befand. Ich muß eben gänzlich vom bösen Feind besessen und auch sonst jeglicher Vernunft los und ledig gewesen sein, wobei mir meine jungen achtzehn Jahre gewißlich nicht zur Entschuldigung gereichen sollen. Ach, ich wußte nicht, was ich that, sondern war voller Sehnsucht und sträflichen Verlangens.

Ich gelangte an ein Kapellchen, welches zu einem christlichen Gedenken dorthin gesetzt worden: als nämlich der Apostel Petrus aus dem mamertinischen Gefängnis und aus Rom entwichen war, begegnete er vor dem capenischen Thor auf der appischen Straße dem gekreuzigten Gottessohn, den er anrief: »Domine, quo vadis?« – »Herr, wohin gehst Du?« Ihm erwiderte der Herr: »Nach Rom, mich für Christus kreuzigen zu lassen.« Da kehrte der Apostel zurück und erduldete den Märtyrertod.

Ach, daß auch ich also angerufen worden wäre! Vielleicht, daß auch ich umgekehrt sein würde von dem Wege des Verderbens.

Aber ich ging weiter; an dem Kapellchen vorüber und in die Wildnis des römischen Landes hinein. Diese war voller Schrecken für mich; auch sah ich sie zum erstenmale und hatte lediglich Fürchterliches davon gehört.

Das Gras und die Blumen wuchsen so dicht und hoch, daß ich mich mühsam durchzwängen mußte. Ich geriet in Sumpf und Dickichte, so dunkel, als würden sie von bösen Geistern bewohnt. Die Macht der Sonne konnte nicht durch das Gewirr des Gezweiges bis auf den schwarzen Boden dringen, woselbst es von Schlangen und anderem giftigem Getier wimmelte. Allerorten traf ich auf altes Trümmerwerk, versunken und verschüttet, auf Gänge und Grotten, deren schwarzer Schlund aus dornigem Gestrüpp hervorbrach, und häufig stolperte ich über zerbrochene Marmorleiber und Säulenstümpfe. Gewißlich hausten hier Dämonen und Wölfe; hatten daselbst doch auch die aussätzigen Juden ihre Hütten.

Wie aber sollte ich Myrrha finden? Ueberall sah ich zwischen dem schwarzen Lorbeer und Taxus die wilden Myrrhenbäume, die dem Mädchen seinen lieblichen Namen gegeben, doch nirgends sie selber. Auf einmal vernahm ich wütendes Gekläff von Hunden, welche das jüdische Lager bewachten, und welche, von Myrrhas Mutter auf mich gehetzt, mich zerreißen würden.

Hätte ich nun den Geist meines Mose gehabt, so wäre ich gewißlich um des lieblichen Kindes willen den wütenden Tieren gerade in den Rachen gelaufen; indessen obschon auch ich von einem Geist besessen war, schlich ich mich dennoch furchtsam durch die Büsche um das Lager herum, welches nach meiner Mutmaßung zwischen den Sümpfen in der Niederung liegen mußte. Ich erklomm einen Hügel und gelangte auf eine schöne Wiese, die zu einem Wäldlein von Steineichen führte, darinnen ich mich vor der mörderischen Sonnenglut verbergen wollte.

Unter den Wipfeln der Bäume herrschte denn auch eine Dunkelheit wie in einem Gewölbe und wuchs kein Gräslein auf dem braunen Boden. Ich legte mich nieder und fühlte mich zum Sterben ermattet. Ans dem ganzen weiten Weg von der Stadt hieher hatte mir nämlich das Herz gleich einem Hammer gegen die Brust geschlagen und ich war gelaufen, als wären die Häscher des Papstes hinter mir her.

Als ich nun so dalag, das Haupt auf der kühlen Erde gebettet, über mir die schwarzen Stämme mit ihren krausen grauen Wipfeln, mußte ich der alten Zeiten und des Königs Numa Pompilius gedenken: wie dieser fromme Heide in dem nämlichen Wäldlein mit der schönen Teufelin, der Egeria, heimlichen, holden Umgang gepflogen; ach, und ich war schon so gänzlich dem Bösen verfallen, daß ich gar zu gerne der Heide Numa gewesen – hätte nämlich meine Egeria Myrrha geheißen! – und jenen unchristlichen Mann um seine liebreizende Buhlin von Herzen beneidete. Darüber schlief ich ein und ward im Traum durch allerlei heidnischen und höllischen Spuk in arge Versuchung geführt, mußte es auch geduldig geschehen lassen, daß mich ein junges Hexlein umgaukelte, welches nicht einmal ein Hemdlein über ihren weißen Gliedern hatte, sondern nur in ihr langes goldiges Haar eingewickelt war. Das nahm sie mit beiden Händen, knotete es zusammen und schlug mich damit, wohin sie gerade traf, und das gar kräftig! Aber es war doch schön, daß ich mich mit Freuden eine halbe Ewigkeit hätte auspeitschen lassen, wenn ich dabei auf ihr Lachen hätte hören dürfen; denn das Hexlein wollte sich ausschütten vor Lachen, wobei ihr fortwährend kleine nackte Knäblein aus dem Munde sprangen – wohl lauter arge Teufelchen, obwohl sie Flügel hatten und sich überaus holdselig geberdeten.

Alsdann wachte ich auf, hörte indessen immer noch das liebliche Schalkslachen, also daß ich anfangs glaubte; ich sei immer noch im Traum, was mir denn auch gar wohl gefiel.

Als ich aber endlich die Augen aufreiße, gewahre ich zu meinem Schrecken, daß ich mich nicht mehr auf der Erde befinde, sondern wahrscheinlich unter der Erde in einem Sarge liege, welcher, wie mir's erscheint, aus frischen Zweigen und Blumen gebildet ist, sowohl die Wände wie der Deckel. Ich taste ängstlich um mich und ritze mich dabei an spitzen Dornen, welche teuflischen Gewächse mich – denn ich hatte mich nach meiner Gewohnheit im Schlafe halb umgedreht und lag halb auf dem Bauche – gar übel zurichteten. Daran merke ich, daß ich noch am Leben bin, fange mörderisch an zu schreien und fahre mit dem Kopf aufwärts, daß ich den Blumendeckel durchstoße und bis an den Hals in rotem Mohn und bunten Winden sitze. Es waren aber auch Disteln darunter.

Wer aber steht vor mir?

Niemand anders als das Teufelsmädchen, die Myrrha! Und sie lacht und schüttelt sich vor Lachen, daß die ganze Pracht ihrer goldigen Haare ihr wie Sonnenstrahlen um das reizende Gesichtchen flattert. Daraus läßt sich erkennen, in welcher Weise der Böse seine Fallen stellt. Wie aber soll man solcher Versuchung widerstehen?

Während ich ruhig sitzen bleibe, vor mich hinstarre und kein Wörtlein zu sagen weiß, auch keinen andern Gedanken habe, als daß ich ewiglich so dasitzen möchte, mitten unter Blüten und Dornen – währenddessen hüpft und tänzelt die Liebliche gleich einer Nymphe um mich her, wobei die Arge gar zu singen anhebt: sie sei von den Grotten zum Hain hinaufgestiegen, den Hirten ein Zicklein zu stehlen, da habe unter den Eichen ein junger Widder gelegen, um den sie schnell ein Gehege gezogen; nun sei er gefangen und gehöre ihr an. Alsdann ruft und lockt sie mich und reicht mir ihre Blumen hin, als wolle sie mir zu fressen geben. Ich stehe auch allsogleich auf, wickle meine Füße aus dem Gerank, schüttle mein blühendes Gehege von mir und laufe ihr, die mit ihren Blumen von mir fortweicht, eiligst nach, kurzum geberde mich wie eine hungernde, zutrauliche Bestie. Sie aber schwingt sich behende hinter die Stämme, huscht gleich einem Lacertlein vor mir hin, und wenn ich sie zu fassen wähne, halte ich zärtlich einen groben Knorren im Arm und höre von weit her ihr silberhelles Lachen. Endlich jage ich sie aus dem Hain auf die Steppe hinaus, was mir aber auch nicht viel hilft. Denn sie schlüpft gar zierlich durch das hohe Gras, während ich ungeschlachter Gesell kaum vom Fleck komme, häufig sogar hinstürze, bis ich es aufgeben muß, sie zu verfolgen, einfach stehen bleibe, beide Arme nach ihr ausstrecke und recht traurig und inniglich: »Myrrha! Myrrha!« rufe. Da kommt sie gleich zu mir gelaufen, stracks in meine offenen Arme hinein und – küsset mich.

Es war, als streifte meine Lippen ein Sonnenstrahl; aber in meine Seele schlug es ein wie ein Blitz.

*

Du lieber Gott! Da lagen wir zwei großen Kinder im hohen, blühenden Grase, dicht neben einander, und schauten durch die lichten Gewebe von bunten Kelchen und grünen Halmen ins blaue, leuchtende Luftmeer hinein.

Es war zum erstenmal in meinem Leben, daß ich mich in der weiten und wilden Natur befand, aber es ging an jenem Tage alles dermaßen verwunderlich zu, daß ich mich über nichts mehr wunderte. Hätte ich statt der Schmetterlinge und Käfer, die bunt und glänzend über unseren Häuptern flatterten und summten oder sich ganz nahe unseren Gesichtern an die Knospen hingen – hätte ich statt ihrer auf einmal Engelsscharen erblickt und statt der weißen Wolken die Glorie des offenen Himmels geschaut, so wäre es auch nichts Wundersames gewesen. Wir sprachen nichts. Ueber uns sangen die Lerchen und ein Jubel war in den Lüften wie von Cymbeln und Schalmeien. Da konnten wir armen, glückseligen Menschenkinder wohl stille sein.

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