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Erster Teil

I.

Heute, den dreizehnten Tag im Maimond des Heilsjahres 17.., gebot mir der hochwürdige Abt Evaristus, das Wunder meiner Bekehrung vom scheußlichen Judentum niederzuschreiben: getreulich, wie es sich zugetragen, auch was mir sonst im Leben geschehen.

Nachdem ich mich gebührendermaßen auf ein so großes Werk vorbereitet, lange gebetet und mich kasteit, bis meine Hände erlahmten, die Geißel über Brust und Rücken zu schwingen, beginne ich, dem Gebote des hochwürdigen Abtes nach meiner christlichen Pflicht zu gehorsamen.

Ach, es ist in meiner Zelle gar traurig und dunkel, und blaut nur ein ganz winziges Stück Himmels durch das Fensterlein, das sich oben an der Decke befindet, zu mir nieder. Könnt' ich meinen wunden Leib hinaustragen in den warmen, hellen Tag und mich draußen niederlassen auf einem Fels, unter einein Myrrhenstrauch! Das sollte meiner armen Seele gut thun, wenn ich die weite, schöne Welt schaute und die jungen Blumen des Jahres aus dem harten Gestein aufblühen sähe: Krokus und Tazetten, was mich ein viel größeres und lieblicheres Wunder zu sein dünkt, als dasjenige, wodurch ich aus der Nacht des Judentums an den Tag des Heils gedrungen. Aber mir scheinen solche Wünsche und Gedanken vom Uebel zu sein.

Ich thue also nach dem Willen des hochwürdigen Abtes, und soll meine arme Schrift allen wahren Christen zur Erbauung dienen, auch mir selber zum Heil gereichen. Denn ich bin mir gar wohl bewußt, daß meine Seele fort und fort wandelt auf dem Wege der Finsternis. Ich gelobe bei dem, was heilig, göttlich und ewig ist, lautere Wahrheit auszusagen, und sollte ich durch solche Zeugenschaft verloren sein an Seele und Leib. So will ich denn fleißig forschen in meinem Geist und meine Sünde hervorziehen ans Sonnenlicht und meine Schuld hinstellen, nackt und bloß, daß sie rede wider mich zu Evaristo, meinem hochwürdigen Abt und zu Gott, dem einzig wahren Himmelsherrn, der mich erlöst hat von den Greueln des Heidentums und mich errettet aus den Händen seiner Feinde. Also bekenne ich:

Man nennt mich den Bruder Angelikus; aber ich hieß einstmals Dahiel und stamme von ungläubigen Eltern. Es ist mein Vater – verflucht sei er! – ich setze diese christliche Formel auf Geheiß des hochwürdigen Abtes Evaristus hinter den Namen meines unchristlichen Erzeugers – mein Vater ist der Rabbiner Simeon Sarfadi; und es gebar mich Hannah Sarfadi – verflucht sei sie! – eine Frau, die mich heiß geliebt hat, wie auch mein Vater gethan. Ich bin meiner Eltern einziges Kind, ihr Erst- und Letztgeborener, und war ihr Stolz und ihre Hoffnung.

Es leben meine Eltern noch heute im Judenghetto der heiligen Stadt Rom, woselbst sie nicht aufhören zu wehklagen über den lieben Sohn. Aber verfluchen werden sie mich nicht, wie ich doch thun soll nach dem Gebot des hochwürdigen Abtes – wie zu thun ich mich redlich bemühe, freilich unter Stöhnen und Seufzen. Wehe mir, daß meine Gedanken rütteln an des hochwürdigen Abtes Gebot, welches doch gleich Gottes Gebot ist.

*

Soeben geht der hochwürdige Abt von mir aus meiner trübseligen Zelle, nachdem er den Anfang meines Bekenntnisses gelesen und solches für sehr unchristlich befunden. Er hat mir deswegen wiederum Buße auferlegt und mir geboten, von meinen lieben Eltern – verflucht seien sie! – zu berichten, wie man von Gestorbenen berichtet; also, daß ich von ihnen, die doch noch leben, nicht sagen darf: sie sind, sondern sagen muß: sie waren. Es wird mich hart ankommen, zu handeln nach solchem Gebot, da ich doch Gott danken möchte jede Stunde meines Lebens, daß sie, die mir das Leben gegeben, das ihre noch haben. Aber es lebt meine Hoffnung; der Herr möchte auch an ihnen ein Wunder thun, sie ihren Aberglauben erkennen lassen und sie also erlösen und retten, wie er ihren Sohn erlöst und errettet hat. Dann wiederum befällt mich Angst und Zagen; denn es sind sie, die mich lieb haben – es waren sie, die mich lieb hatten. – Gott stärke mich, daß ich dem Gebote des Abtes streng gehorsame – Es waren meine Eltern gar fromme, strenggläubige Juden, die nimmer gelassen hätten von Jehovah, diesem falschen und ungöttlichen Gott. Also werden sie ausgestoßen bleiben in Ewigkeit von dem Paradiese, darinnen ich weilen soll in Ewigkeit, wenn meine Sünden, deren eine erschreckliche Menge sind, Gnade finden vor dem Herrn. Doch ich muß meine Feder niederlegen, um das an mir zu vollziehen, was der hochwürdige Abt Evaristus mir zur Sühne meiner Schuld aufgetragen. Auch bin ich ja aus Rom hinweg, wo ich Schreckliches begangen, in dieses entlegene Bergkloster gesendet worden, um nicht aufzuhören mit Sühnen und Büßen. Vor allem muß ich mich durch vieles Kasteien und strenges Fasten der unchristlichen Gedanken erwehren. Denn eben im Denken besteht meine Todsünde. Denken heißt zweifeln – zweifeln ist nicht glauben – –

Ich schreibe weiter, nachdem ich meine langwierige Buße gethan und mein rinnendes Blut gestillt habe. Es ist mir zum Heil geflossen: denn es ist in meiner Seele um vieles stiller geworden und eine süße Mattigkeit ist über mich gekommen.

Meine Eltern – verflucht seien sie in Ewigkeit! – gehörten, wie ich bereits berichtet habe, zu jenem Stamme, dessen Kinder das Lamm Gottes geschlachtet: ja, es war mein Vater – sei er darum geschlagen an seiner unsterblichen Seele! – ein Priester der Ebräer, ein weiser und großer Rabbiner der römischen Judengemeinde. Als ich unter dem Herzen meiner Mutter lag – – Da ich von denen, die mich erzeugten, vieles zu sagen und niederzuschreiben habe, will ich die mir von meinem hochwürdigen Abt Evaristus gebotene Verwünschung jedesmal in Gedanken hinter den Namen meiner Eltern setzen und im übrigen in Demut die Strafe hinnehmen, mit der eine solche Unterlassungssünde nach Gottes und des hochwürdigen Abtes Willen gesühnt werden muß – als meine liebe Mutter Hannah mich unter ihrem Herzen trug, fand sie kein Ende, Gott dafür zu danken; denn es hatte der Herr an ihrem Leibe ein Wunder vollbracht, indem er ihren bis dahin unfruchtbaren Schoß mit mir gesegnet. Zehn Jahre hatten meine Eltern – ich gedenke beständig der erforderlichen Verwünschung – Gott mit heißem Bitten und Flehen angelegen, ihnen ein Kind zu bescheren. Es erhob sich daher im Hause ein großes Freuen und Frohlocken. Mein herrlicher Vater Simeon aber ging still in seine Kammer und legte dem Herrn, dessen Wort und Lehre er dem bedrückten Volk der Juden verkündete, das Gelübde ab: so es ein Sohn wäre, wollte er den Knaben Gott darbringen; nicht wie Abraham den Isaak zu opfern beabsichtigt, sondern der Knabe sollte ein mächtiger Verkündiger des Herrn Zebaoth werden, ein starker Tröster des armseligen Volkes, das durch den Feldherrn Pompejus, sowie durch die Kaiser Vespasianus und Titus in römische Knechtschaft geführt worden war.

Meine Geburt wurde meinen Eltern geweissagt; es kam diese Prophezeiung von einem jungen jüdischen Weibe, welches in dergleichen teuflischen Dingen wohl erfahren war, auch sonst allerlei mächtigen Zauber wußte. Dieses solche Künste der Hölle betreibende Weib war von großer Wohlgestalt, wie sie die Bräute des Teufels stets zu haben pflegen. Mit ihren Augen verhexte sie jedweden Mann, sei er Christ oder Jude, und es wirkte ihr Lachen gleich einem Zaubertrank. Sie führte den heiligen Namen Judäa. Selbige Judäa war unter ihren Glaubensgenossen gar übel beleumdet, also daß sie ausgeschlossen war von der Gemeinschaft der gerechten Juden, auch im Ghetto nicht mit ihnen leben durfte. Sie hauste mit anderen ihresgleichen vor einem der vielen Thore Roms und zwar vor dem appischen, welches wiederum vor einem andern römischen Thor, der Porta Capena, steht, nach unserem großen Heiligen Porta San Sebastiano getauft. Dort liegt auf freiem Felde, gegen die Albanerberge zu, über einem engen Thale ein Wäldlein dunkler Steineichen, und sind ringsum Sumpf und Wildnis. Auch gibt es daselbst viele Ruinen und sonstiges Trümmerwerk der alten, hochherrlichen Roma, und in der Tiefe mitten in Dickicht und Schlamm, ein uralter Heidenbau: »Grotte der Egeria« benannt. Diese Egeria ist eine schöne und weise Heidin gewesen – wohl eine Lockung des Satans – mit welcher der Römerkönig Numa Pompilius Buhlschaft getrieben.

Der liebliche Teufelsspuk hauste in jenem schattigen Wäldlein über der Grotte und badete seinen weißen Leib tagtäglich in dem hellen Quell, der heute noch aus der Grotte gar munter hervorrieselt. Dahin schlich alle Nacht der König Numa aus seinem Palast auf dem palatinischen Hügel. Und es ist noch heute in der Grotte der Hexe blasses Marmorbild zu sehen, darein sie zur Strafe ihrer Sünden verwandelt worden. Die liebreizende Frauengestalt steckt bis zu ihrer schönen weißen Brust im schwarzen Sumpf und hat sich aus Scham ob ihrer schändlichen Nacktheit mit Epheu und Rosen behängt. Ich kenne die verzauberte Stätte gar wohl: denn ich bin als Jüngling – Gott sei es geklagt! – häufig genug hingekommen, ganz heimlich und verstohlen, just wie weiland der Römerkönig Numa Pompilius. Der Herr sei seiner und meiner Seele gnädig!

Nach der schönen Teufelin, der Egeria, bewohnten die Juden den bösen Ort. Denn der schreckliche Kaiser Domitian trieb sie aus der römischen Stadt, woselbst ihnen erlaubt worden war, jenseits des Tiberstroms Hütten zu bauen. Sie mögen in der Wildnis ein überaus elendes und erbärmliches Dasein geführt haben. An welchen Stätten freilich hätten sie ein solches nicht führen sollen, sie, die in Knechtschaft waren und verfolgt wurden gleich den wilden Tieren des Waldes – wie ihnen auch recht geschieht. Ist doch das jammervollste Leben noch zu gut für sie, die den lieben und unschuldigen Herrn Jesus Christus an das Kreuz gebracht haben. Der Herr vertilge sie!

In späterer Zeit, unter einem andern Kaiser, durfte das verfluchte Volk in den Stadtteil, der Trastevere genannt wird, zurückkehren. Aber einige Familien, wohl die schlechtesten und schändlichsten – Auswurf des verworfenen Volkes – verharrten an der wilden Stätte unter Wölfen und Geistern: und ich mutmaße, daß jene Leute, um sich vor den höllischen Gewalten zu schützen, vielerlei Zauber erlernten, also mit Leib und Seele der Hölle verfielen.

Bewußtes Weib Judäa gehörte zur Sippe derer, die im Hain und in der Grotte der Egeria ihr gottloses Wesen betrieben. Während die römischen Juden – es war ihnen unterdessen an der andern Seite des Flusses in der römischen Stadt, nahe dem kapitolinischen Hügel, eine andere Wohnstätte, einem Zwinger gleich, angewiesen worden, darinnen sie, die das Lamm Gottes zerrissen, als wilde Bestien gehalten wurden – ich sage: während der Judengemeinde im Ghetto erlaubt war, mit Lumpen und altem Eisen ehrlichen Handel zu treiben, schlichen die Weiber jener Verfehmten aus dem Thal der Egeria heimlich in die Stadt und in die Häuser der Christen. Hierselbst übten sie Teufelswerk an Frauen und Jungfrauen: vornehmlich an Frauen, so Mütter werden wollten, und an Jungfrauen, so gerne aufgehört hätten, welche zu sein. Sie weissagten aus dem Gedärm von Hühnern und jungen Hündlein, deuteten Träume und mischten höllische Tränke. Vor allen anderen erwies das Weib Judäa dem Teufel viel Liebes und Gutes – sie wird wohl gewußt haben, warum. Eines Tages nun begibt sich die ruchlose Hexe in den Ghetto und daselbst in das Haus des Rabbiners Simeon Sarfadi, tritt vor meinen Vater und beginnt ihn jammervoll anzuschreien: mein Vater möchte über ihrem Haupte Gebete sprechen; – wohl um dem Satan, ihrem höllischen Bräutigam, einen Streich zu spielen. Mein Vater in seiner Güte, die groß war wie die Güte des Herrn selber, mein Vater also – verflucht sei er doch! – läßt sich von des schlechten Weibes Jammer das Herz rühren, spricht nicht nein, nicht ja, streckt aber seine Hände aus über sie, die vor ihm niedergesunken unter der Last ihrer Sünden. Da fügt es Gott, daß meine Mutter Hannah hinzukommt. Als meine Mutter jenes Weib vor meinem Vater knieen sieht, erhebt sie ein gellend Wehgeschrei, daß von der Gasse alle ins Haus gelaufen kommen, und ist auch sogleich, unter Geschrei und Verwünschungen die Judäa von meinem Vater hinweggerissen worden. Da ist das schändliche Weib vor meine Mutter getreten, hat ihr mit ihrem bösen Blick in das himmlisch schöne Angesicht gesehen und ihr geweissagt: sie werde unter tausend Schmerzen einen Sohn gebären und es würde der spätgeborene Knabe Tod und Verderben bringen über Vater und Mutter und über viele vom Stamme Judä.

Alsdann ist sie davon gegangen, stolz und hehr wie eine biblische Königin, hat sich fluchen lassen von ihrem Volk und hat laut dazu gelacht.

Drei Monde nach dieser Begebenheit geschah es, daß meine Mutter es unter ihrem Herzen sich regen fühlte, und war der Jubel groß im ganzen Hause. Aber mein frommer und weiser Vater ist, wie ich erzählt habe, in seine Kammer gegangen, woselbst er sich lange Zeit mit seinem Gott beredet, der ihm von jeher ein guter Gott gewesen war. Darauf ist auch mein Vater fröhlich und guter Dinge worden, hat für das Haus ein Fest bereitet und dem Himmel für den Segen, der über den Schoß seines lieben Weibes gekommen, in Demut reiche Dankopfer dargebracht.

Ich aber danke meinem Gott, der da ist der einzig wahre und ewige Gott, daß ich meinen Eltern zwar die Herzen zermalmt, indessen sie nicht gemordet habe, atmen doch beide heute noch. Und es lebt noch heute Myrrha, die holdselige Tochter des argen Weibes Judäa. Also hat die schlimme Weissagung sich nicht erfüllt, obschon eingetroffen, daß meine Mutter mich meinem Vater unter tausend Schmerzen gebar, wie sie selber mir berichtet hat.

Ach, daß das Gedenken an alle, die ich liebte, da ich noch Dahiel hieß und in Finsternis wandelte, ausgetilgt sei aus meinem Herzen! Darum schrei' ich dich an in meiner Not, Herr, Herr!

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