Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VI.

Über das Tempelhofer Feld ratterte der Omnibus der Stadt zu. Die Pferde schwitzten, ganz naß waren sie. Der Kutscher auf dem erhöhten Bock schwippte mit seiner Peitsche nach den Stechfliegen, die sich seinen Gäulen in das struppige braune Fell einbohrten. Es war eine prallende Hitze in dieser Schattenlosigkeit; eine weißlich flimmernde Helle blendete die Augen, und der feine Sand, den ein trockener Wind emporpustete, flog in Mund und Nase.

Daß es noch so heiß sein konnte, und es war doch schon spät im Jahr! Das Sedanfest, das man nun abermals, am zweiten Jahrestag der Gefangennahme Napoleons, gefeiert hatte, war seit Wochen schon vorüber, der letzte Hafer in den Scheunen; wie lange noch, und man fing mit der Kartoffelernte an?!

Hanne Badekow, die ganz allein im Nachmittagsomnibus saß, lugte hinter der Leinwand, die gegen Regen und Sonne schützen sollte, hervor. Puh, war das noch mächtig warm! Sie knüpfte die breiten, schwarzseidenen Bänder ihres runden Strohhutes auf und wischte sich unter dem feuchten Kinn her. Es würde drinnen in Berlin noch heißer sein, aber was half's, sie mußte doch hin. Es hätte ihr keine Ruhe gelassen. Bei Jakob war gestern das siebente angekommen, und erst vorigen November, gerade als Auguste Hochzeit machte, hatten sie auch nicht kommen können, weil die Frau falsche Wochen gehalten hatte. Wäre doch lieber bei Auguste was los!

Mutter Badekow starrte mit leichtgerunzelter Stirn hinaus aufs Feld. Wie ausgestorben lagen Nähe und Ferne. Die alte Frau seufzte: es war kein gutes Zeichen, daß Auguste sich so wenig sehen ließ. Ob sie denn gar kein Verlangen nach Zuhause hatte? Ach, das würde sie schon haben, aber – aber –! Hanne dachte nicht zu Ende.

Ein Zuruf hatte die mit gesenkten Köpfen dahintrottenden Gäule geschreckt, daß sie einen Sprung zur Seite machten und der eingedruselte Kutscher fast vom Bock gestürzt wäre. Der Wagen schleuderte.

Ein Kerl stand plötzlich mitten im Weg: »Laßt mir ufsteijen!«

Der Kutscher fluchte, und dann lachte er: das machte der verdammte Pennbruder immer so, wenn er zu faul war, um nach Berlin zu Fuß zu laufen. »Det ick mir den Wagen verlause – nischt da! Wenn de dir 'nen Schnaps holen willst, kannste ooch zu Fuß jehn!«

»Meine Eltern sind dot, meine Frau liegt in de Wochen«, winselte der Strolch.

»Aus'm Weg!«

Der alte Mann sprang jetzt zwar zur Seite, aber einen Schmitz hatte er doch schon weg; die Peitsche hatte ihn gezeichnet, ein Striemen lief ihm über die Backe, vom Ohr bis zu den Kinnstoppeln.

»Laßt 'n schon mitfahren, ick wer' for ihm bezahlen«, rief die Badekow. Der Alte tat ihr leid. Und als der Kutscher nicht hörte oder nicht hören wollte, schrie sie dem Bettler, der, sich die schmerzende Backe haltend, dem rascher davonfahrenden Omnibus nachstarrte, zu: »Kommt man bei mir vor, Rixdorfer, wenn Ihr Hunger habt. Bei die olle Badekown in de Dorfstraße!«

»Det Mitleid wenden Se schlecht an, Frau Badekow!« Der Kutscher verrenkte sich fast auf dem Bock, um nach der Seite ins Omnibusfenster hineinzuschreien. »So'n Strolch!« Er schüttelte mißbilligend den Kopf. »Der steckt Ihnen am Ende noch de Bude über'm Koppe an!«

Aber jetzt hörte sie nicht. Der Rixdorfer, den sie früher wohl einmal hatte hinten aufhocken lassen, wenn sie zu Markte fuhr, war ja so alt geworden! Lieber Gott, so alt und so erbärmlich! Es flimmerte ihr vor den Augen, alles kam ihr plötzlich trübselig vor: das graue Feld, trotz allen Sonnenscheins grau – der graue Mensch – war denn das nicht immer so gewesen?! Doch – aber das Berlin da hatte seine hohen Häuser noch nicht so weit vorgerückt gehabt; man hatte den Unterschied nicht so gemerkt zwischen der lebendigen Stadt und dem toten Feld. Jetzt sah sie plötzlich: tot war das wirklich. Und die Stücke Land, die man hier noch hatte, lagen wie abgeschnitten vom übrigen Besitz; allerlei fremder Ankauf streckte sich nun trennend dazwischen. Sie waren weniger wert geworden als Äcker, und doch mehr wert als früher – viel mehr. – Aber nein! Die alte Frau zog jäh den herausgestreckten Kopf zurück, setzte sich zurecht und band die Hutbänder wieder fest unterm Kinn: da machte sie nicht mit. Sie gehörte noch zum Alten. Und ihre Kinder würden hoffentlich auch so denken!

Der Omnibus rumpelte jetzt über Pflaster. In der Belle-Alliance-Straße wurden viele Häuser errichtet, rechts und links; vier, fünf Stock hoch, groß wie Kasernen. Oben wurde noch daran gebaut, unten wohnten schon welche darin. Karren mit Sand, mit Ziegeln, mit Hausteinen, mit Lehm und Zement, mit allem möglichen Baumaterial drängten schwer heran. Dort war ein Schutthaufen, hier eine Mörtelgrube. Achtung! Der Maurerlehrling rührte pfeifend den dampfenden Kalk. Anfeuernder Zuruf und Peitschenschlag; schnaufende Pferde rückten mühsam an. Bohlen krachten, Fensterglas klirrte, Gerüste schwankten, Flüche schallten: wollten die Gäule denn nicht besser anziehen?! Brrr! Steine wurden mit Poltern abgeladen, Bretter mit Krachen heruntergeworfen. War das ein Lärmen hier!

Und jetzt kam ein Wagen angerollt, eine offene Droschke erster Güte. Zwei saßen im Fond, zwei auf dem Rücksitz, in mörtelbespritzten Hosen auf den samtenen Polstern. Die Mützen hatten sie im Genick; der eine hielt eine Flasche, groß und dickbäuchig war sie, mit silbernem Hals. Das waren Maurer, die fuhren zum Bau; sie hatten gefrühstückt bis zum Mittag, jetzt nach dem Mittagessen fingen sie mal wieder ein bißchen mit der Arbeit an. Sie brachten Sekt mit; ohne einen Schuß Champagner schmeckte die Weiße jetzt nicht mehr, sie hatten ja Geld genug. Häuser, und immer wieder Häuser, Häuser überall; es konnten gar nicht rasch genug Häuser gebaut werden. Die Maurer waren der erste Stand, die begehrtesten Leute.

Laut gröhlten sie mit weinrauhen Stimmen:

»Als ich achtzehnhundertsiebzig
Bin nach Frankreich rinmarschiert,
Hat Napoljum mit Petroljum
Sich de Stiebeln injeschmiert!«

Der Hauptschreier, der die Flasche hielt, tat einen langen Zug, hob sie dann in die Höhe und winkte mit ihr den Genossen auf dem Bau.

Die alte Frau wickelte sich fester in ihre Mantille, es fröstelte sie plötzlich trotz all der Wärme: war das die neue Zeit?!

»Daß Jott uns bewahre!« sagte sie laut zu sich. Und dann stieg sie aus am Halleschen Tor, den schweren Henkelkorb, der ihr zu Füßen im Omnibus gestanden hatte, mit noch immer kräftigem Arm selber schleppend.

Von den Rosenkartoffeln aus dem Garten, die ihr Zweiter so gerne aß, hatte sie eine Probe darin, und dann noch ein Pfündchen selbstgebutterter Butter, eine Mandel ganz frischer Eier für die Wöchnerin und ein Suppenhuhn und ein paar Täubchen, Birnen und Pflaumen für die Kinder, einen Napfkuchen obenauf. Und dann zu unterst ein paar Pfund Fleisch von dem kürzlich geschlachteten Hammel für Auguste zum Sonntag, auch noch ein Gericht Kartoffeln und noch etwas Äpfel zu Mus. Das würde sie der Tochter nachher hintragen, wenn sie vom Sohne kam.

Der Korb hatte gutes Gewicht, und die Friedrichstraße ging's ein Stück herunter. Als die Mutter vor dem Laden Jakobs anhielt und durch die große Spiegelscheibe hineinzublicken versuchte, perlte ihr der Schweiß auf der Stirn. »Nee«, murmelte sie, »wat hat der Junge allens für Delekatessen!«

Es standen im Schaufenster Sachen, die Hanne nicht einmal dem Namen nach kannte. Mit unruhigen Augen betrachtete sie die Auslage: war das auch alles noch frisch? Drinnen im Laden war kein Mensch zu sehen. Jakob nicht und selbst nicht der Kommis. Nun freilich, jetzt am Nachmittag war auch keine Geschäftszeit; am Abend, wenn die Herrschaften feinen Aufschnitt holten, dann würde es schon lebendiger sein.

Sie trat ein durch die breite Glastür, die Schelle gellte anhaltend. Von irgendwo her stürzte ein verschlafener Kommis hinter den Ladentisch: »Womit kann ich dienen?«

»Is mein Sohn nich zu Hause?« Je, das war ja schon wieder ein neuer Kommis! Er kannte sie nicht.

»Ick bin de Badekow aus Tempelhof!«

Der Kommis lächelte spöttisch: die Alte mit der Hutkiepe?! Er starrte sie unverschämt an.

Sie sah ihn wieder an, aber jetzt so ernsthaft, daß sein spöttisches Lachen rasch verschwand.

»Sagen Sie jefälligst meinem Sohn: Ick wäre da!«

Mit einem Bums setzte sie ihren Henkelkorb auf den Ladentisch, mitten hinein zwischen den Aal in Gelee und die getrüffelte Gänseleberwurst, zwischen die Kistchen mit den ausländischen Trauben und dem französischen Käse.

»Ich werde den Herrn sofort benachrichtigen!« Der Kommis verschwand. Mit wahrem Kummer sah Hanne Badekow die ausländischen Trauben an: die waren ja angeschimmelt, o weh! Jakob müßte besser aufpassen. Ja, wenn man so einem Kommis alles überläßt! Und der Käse, der weiß und weich sein sollte, war gelblich betrocknet. Sie nahm eine Glasglocke, die unbenutzt dastand, und stülpte sie über den Käse. Die Wurst beroch sie: die roch noch frisch, aber – ein Schrecken befiel sie plötzlich – war es denn wirklich so, wie Johann immer sagte, und wie es auch Marianne sagte, die doch immer von allen das Beste sprach? Der Jakob paßte nicht fürs Geschäft. Er hatte gar kein Interesse daran. Aber was sollte er denn anfangen?! Sie stützte beide Hände auf seinen Ladentisch und starrte auf seine Delikatessen.

Da trat er rasch ein. »Mutter!« Beide Hände streckte er ihr entgegen.

Sie mußte die ihrigen hineinlegen, sie mochte wollen oder nicht. Und dann fiel es ihr plötzlich auf, der Wilhelm, ihr Jüngster, hatte etwas von diesem Älteren gehabt! Eine weiche Zärtlichkeit kam plötzlich in ihr Gesicht. Hier im lebenden Sohn fand sie etwas von ihrem toten wieder. Daß ihr das früher nie so aufgefallen war! Wenn Wilhelm gelacht hatte, so wie jetzt der Jakob, so war's bei beiden ganz das gleiche Lachen. Wenn die Auguste doch auch was davon hätte! Es wäre ihr wohler; und anderen auch.

Jakob hatte sich gebückt und die Mutter geküßt. Sie küßte ihn wieder.

»Ick jratulier' dir«, sagte sie herzlich. »Nu wär' et aber jenug. Aller juten Dinge, scheint et, sind bei euch sieben. Nu hört aber uf!«

Er lachte, aber dann wurde er plötzlich ernst, ein Zug von Verbitterung verschmälerte sein Gesicht; er wendete es zur Seite. »Wenn sie doch nich eher Ruhe gibt! Das verstehst du nich, Mutter!«

Sie hatte aufgehorcht; er fühlte ihren fragenden Blick. Da nahm er sie rasch beim Arm: »Komm, sieh dir mal gleich das Kleine an. Jule hat gehört, daß du gekommen bist – sie denkt sonst, ich klage dir irgend was vor!«

Hinten heraus, in dem Berliner Zimmer, das so eingebaut war, daß man sich erst an die ewige Dämmerung gewöhnen mußte, ehe man irgend etwas genauer erkennen konnte, lag Frau Julie Badekow im Bett.

Die starken Haare wirrten ihr um den Kopf, sie hingen rechts und links wie lange Schlangen über das Kissen. Die blonde Julie mußte einmal sehr hübsch gewesen sein; jetzt waren ihre Wangen eingefallen, sie hatte Zähne verloren, die ganze weiche Rundheit ihrer Mädchenjahre war weg. Sie war erschöpft von den vielen Geburten; schwach lag sie da.

»Sehn Se sich doch erst mal den Jungen an«, sagte sie, als die Schwiegermutter nach ihrem Befinden fragte. Und als Jakob ihr nicht gleich das Kind herlangte, das in einer Wiege unter übergehängtem Gardinchen lag – neben ihm im Wagen schlief das noch nicht zwei Jahre alte, die anderen fünf waren mit der Magd auf den Bänken des Ziethenplatzes –, verlangte sie ungeduldig: »Jib ihn doch her!«

Mit Stolz, mit triumphierender Freude wies sie der Schwiegermutter das Kind: »Das siebente! Und mir jleicht et, nich wahr? En schönes Kind! O, ich war auch schön!«

Ihr unruhiger Blick suchte den Mann, der am Fußende des Bettes stand und wie verloren durchs verbaute Fenster hinaus auf den Hof gegen die hohe Hinterwand starrte.

»Mutter meint: nu aber Schluß«, sagte er lachend. Aber sein Lachen war nicht wie vorhin, es klang verlegen, bedrückt.

»Was?!« fuhr Julie auf. Ihre Wangen erglühten, mit einem Ruck warf sie die Haarsträhnen über die Schultern zurück; nun erschien sie auf einmal nicht schwach und erschöpft mehr. »Das jeht keinen was an«, sagte sie grob. Und dann legte sie sich das Kind an die Brust: »Ich hab sie alle sieben jenährt – und wenn wir noch mehr kriegen, es sollten uns nich zu viele werden, was, Jakob!«

Er wich ihrer Frage aus. »Du mußt aber stille liegen, Julchen. Du weißt doch, was der Doktor gesagt hat. Beinahe wär's wieder –«

»Ach, was der weiß«, schnitt sie ihm hastig das Wort ab. Der Schwiegermutter, die ganz still dasaß, nur die Blicke hin und her wandern ließ zwischen Mann und Frau, ihr heißes Gesicht jetzt zuwendend, sagte sie: »Sie haben doch auch ihrer sieben – hätten Se nich noch mehr haben mögen?«

»Nee«, sagte die alte Frau. »Dazumal nich. Jetzt freilich – jetzt hätte ich jerne wenigstens einen mehr!«

»Na, sehn Sie!« Julie lachte überlaut. Triumphierend sah sie ihren Mann an: »Haste jehört, was deine Mutter sagt?«

Er erwiderte nichts darauf. »Ich werde mal Mutterns Korb herholen«, sagte er ausweichend, »denn kann sie auspacken. Ich glaube auch, es ist jemand vorne im Laden.« Er lief, holte den Korb ans Bett, und dann lief er wieder fort.

»So is er immer«, klagte die Frau. »Und ich hätte ihn doch so jerne mehr bei mir!« Sie wurde vertraulich. Daß die Schwiegermutter ihr so viel mitgebracht hatte, das gefiel ihr. Ja, sie war doch angesehen in der Familie, wenn sie auch früher nur Magd gewesen war bei ihm! Das wäre auch noch besser, eine Frau, die dem Mann sieben Kinder geboren hat, für nichts zu achten!

Sie sagte der Schwiegermutter mehr, als sie ihr sonst gesagt hätte. Das Geschäft ging ja soweit ganz gut, wenigstens besser als früher; wenn sie einen tüchtigen jungen Mann hätten, ginge es sogar sehr gut. Und daß sie oben im Haus zwei Wohnungen leer stehen hatten, das war nicht so schlimm; Jakob sagte, die Leute wollten jetzt alle neumodern wohnen und darum – die Frau unterbrach sich. In ihren fiebrigen Augen dämmerte eine geheime Unruhe, sie auf die Schwiegermutter heftend, sagte sie hastig: »Haben Sie jesehen, drüben baut auch einer. 'n neues Haus, 'n schöner jroßer Laden is drin. Aber ich jlaube« – sie holte tief Luft –, »es kommt einer mit Uhren rein!«

Nein, das würde ja auch gar keiner tun, hier so in der Nähe noch ein Delikateßgeschäft aufmachen! Darüber war Mutter Badekow vollständig ruhig. Anderes beunruhigte sie. »Der Jakob möchte wohl ooch bauen?« fragte sie.

Wie sie das gleich erraten hatte! Julie nickte. »Er will nich janz' neu bauen. Aber bis zur ersten Etasche 'runterreißen. Drei Stock aufsetzen. Und unten vom Laden will er durchbrechen nach hier un nach der andren Stube – es wird unten alles ein jroßes Verkaufslokal. Wir wohnen dann oben!«

»So«, sagte die Alte. »Det kost' denn aber allens ville Jeld!«

Da fuhr Jakobs Frau gereizt auf: ihr Mann wußte schon, was er tat, o, der war klug! Das Geld lag jetzt sozusagen auf der Straße, man brauchte es nur aufzuheben. Sie selber verstand ja von so was nicht viel, aber er desto mehr. »Und er muß auch immer was vorhaben, sonst fühlt er sich eben nich zufrieden!« Das sollte eine Entschuldigung sein, aber, der Sprecherin selber unbewußt, klang es wie eine Klage.

Mutter Badekow hatte ausgepackt bis auf das Unterste, nun stand sie auf: das wollte sie jetzt zu Auguste hintragen.

Aber Julie hielt sie am Kleide fest: »Na, bei Augusten noch immer nischt los? Sagen Se doch!«

»Nee!«

Da schlug die Wöchnerin die heißen Hände zusammen, ein geringschätzendes Lächeln zog ihren Mund herab: »Nee –?! Na so'n Pech! Wenn 'ne Frau keine Kinder kriegt, wie soll se denn den Mann festhalten? Überhaupt so 'nen Windhund! Aber auch andere – andere –!« Sie sprach nicht aus, ihre Brauen schoben sich zusammen; als sähe sie Gespenster, so stierte sie in eine Stubenecke. Dann glomm ein Funkeln in ihren Augen auf, etwas förmlich Fanatisches kam in ihren Blick: »'ne Frau, die keine Kinder hat, die hat kein Recht. Jott sei Dank« – sie sagte es mit einem tiefen Atemzug –, » ich habe Kinder!« Ganz erschöpft sank sie aufs Kissen zurück.

»Na, was nich is, kann doch noch werden«, sagte die Badekow ärgerlich, Sie wußte selber nicht recht, warum sie sich so ärgerte. Sie machte ihr Kleid aus der jetzt schlaff gewordenen Hand der Schwiegertochter los, und dann zwang sie sich, ruhig zu sagen: »So, nu schlaf aber 'n bißken. Du hast viel zu viel jesprochen. Adjö!«

Im Laden war nur der junge Mann, der jetzt höflich dienerte; ihren Jakob fand die Badekow draußen vor der Tür. Da stand er und war ganz versunken, zuzusehen, wie sie gegenüber bauten. Sie legte ihm die Hand auf die Schulter, er fuhr herum; sie sah seine verfaltete Stirn und ein Auge, in dem neben einer gewissen Scheu doch eine Begierde brannte. Aber sie sah das nicht so klar; mehr aus ihrem Instinkt heraus fragte sie: »Red't Julie wahr, denkste im Ernst daran, ooch zu bauen?«

Er zuckte die Achseln.

Sie ereiferte sich: »Det is ja allens Schwindel!«

»Adieu!« sagte er da ungeduldig und gab ihr die Hand. »Reg dich man nich auf, Mutter. Es nützt dir ja doch nichts!« Aber als sie schon ein paar Schritte fortgegangen war, rief er hinter ihr her: »Du kommst doch bald wieder, Mutter?«

Da drehte sie sich noch einmal um und nickte ihm zu. Es war ein Verlangen in seinem Ton, das spürte sie deutlich. Gewiß würde sie wiederkommen; wenn eines ihrer Kinder sie brauchte, war ihr kein Weg zu weit!

Aber keine Freude lag auf ihrem Gesicht, als sie nun die Friedrichstraße noch ein Stückchen weiter hinunterging. Ecke von Koch- und Friedrichstraße war Paschkes Zigarrengeschäft; in der Krausenstraße hatten sie die Privatwohnung: vier schöne Zimmer und Küche. Auguste würde wohl bei ihrem Manne im Laden sein.

Aber Paschke war allein – das heißt ohne Auguste –, ein Herr war bei ihm, der, den Ellbogen aufgestützt, halblaut über den Ladentisch mit ihm plauderte.

Als Hanne Badekow eintrat, verstummten beide. Der Herr, in weißer Piquéweste mit vielen Berloques an der Uhr, mit einem Brillantring an dem kleinen Finger und bläulichen Schatten um das volle, glattrasierte Kinn, empfahl sich, und Julius begrüßte seine Schwiegermutter. Er war immer sehr zuvorkommend, das konnte sie wirklich nicht anders sagen. Angelegentlich fragte er nach ihrem Befinden und ließ nicht nach, sie mußte sich erst ein bißchen bei ihm niedersetzen und ausruhen.

Paschke sah wohl aus, frischer als früher; förmlich Fett hatte er angesetzt in dem einen Jahr. Dem bekam die Ehe gut! Mit kritischem Blick musterte die Badekow den Mann ihrer Auguste. »Wie jeht et denn Justen?«

»Danke, ganz gut!« Er sagte das leichthin, und dann erzählte er gleich, wie famos das Geschäft ginge, und daß er abends nie vor Zehn zumachen könnte, und dann noch oft die halbe Nacht zu tun hätte mit Korrespondenzen – und dem Ordnen der Dinge hier! Er machte eine umfassende Handbewegung.

»Wat – die paar Zigarrenkisten?«

»Erlauben Sie mal! Ich muß mir jetzt sogar einen jungen Mann engagieren. Auguste hat ja sonst gar nichts mehr von mir!«

»Hm!« Mutter Badekow nickte beipflichtend; aber dann sagte sie geradezu: »Wenn Se denn ooch man wirklich zu Hause jehen!«

Über diesen Zweifel amüsierte er sich so, daß ihn das Lachen schüttelte. Er klopfte seiner Schwiegermutter mit Gönnermiene auf die Schulter: nein, war sie 'ne Frau! Noch so recht vom alten Schrot und Korn. Wahrhaftig, eine naive Idee – wo sollte er denn anders hingehen als nach Hause?!

»Na«, sagte Hanne Badekow mit einem ganz undurchdringlichen Gesicht. Und dann erhob sie sich: »Jetzt wer' ick mir mal nach Aujusten umsehen!«

Mit einem leisen Pfeifen sah der Schwiegersohn ihr nach. Er stand auf seiner Schwelle, die Hände in den Hosentaschen, in die belebte Straße hinausblinzelnd; das Bild eines wohlhäbigen, mit sich und der Welt zufriedenen Bürgers. Wenn die Alte wüßte, daß er heute noch einen Besuch aus Tempelhof erhalten würde! Aber, pah, was könnte sie denn weiter dazu sagen?! War es nicht aller Ehren wert, daß Frau Ida Lietzow selber die Zigarren einkaufte, die sie im Geschäft brauchte? Ihr Mann kümmerte sich ja leider zu wenig darum; der hatte nur für seine Schenkstube Interesse. Wahrhaftig eine Schande, ein Mann, der eine so hübsche Frau hatte!

Vor Paschkes Augen stieg das Bild Idas recht lockend auf. Wenn er sie mit Auguste verglich – »ah!« Halb war es ein Seufzer, halb ein Ton des Behagens. Er reckte sich und warf sich in die Brust, sein leises Pfeifen wurde lauter und bekam etwas Triumphierendes: was mußte er für ein Kerl sein, daß alle Frauenzimmer so toll auf ihn waren! Und er war als Mann von Ehre der Ida doch nicht zu sehr entgegengekommen. Daß er, wenn er gerade in Tempelhof war, auch einmal bei ihr mit vorging – nur zweimal war er bei ihr gewesen, er kam ja nicht oft nach Tempelhof, und ihr Mann war auch gleich bei der Hand, und das unausstehliche kleine Mädchen mit den Teckeln hatte hinter der Tür gekraspelt – das war doch nicht mehr als nur ein bißchen liebenswürdig gewesen! Er hatte ihr nichts versprochen und auch nichts zu halten. Aber der Blick, den sie ihm zugeworfen hatte beim Ausgang der Kirche an seinem Hochzeitstag, dieser Blick aus brennenden Augen hatte ihm zu denken gegeben. Nur darum, nur darum war er überhaupt hingegangen. Was wollte sie eigentlich von ihm?!

Mit einem Lächeln, das seine Nasenflügel blähte und seine Augen verkleinerte, ging Paschke in seinen Laden zurück. Gestern hatte er ein Briefchen von Ida bekommen. Sie besuchte heute am Nachmittag in Berlin ihren Vater, sie würde sich bei der Gelegenheit die bestellten Zigarren abholen. Aber es konnte Abend darüber werden. Nun dämmerte es erst! Einen Seufzer der Ungeduld stieß Julius Paschke aus. –

Währenddessen saß die Badekow bei Auguste. Es wollte die Mutter fast bedünken, als sei die Tochter über ihren Besuch mehr erschrocken denn erfreut. Sie war hinten herum nach oben gegangen und hatte an der Küchentür geklopft. Auguste selber machte auf; im ersten Impuls wollte sie wieder zuklemmen. Aber: »Nanu«, sagte die Badekow und steckte den Fuß zwischen.

Da entschuldigte Auguste sich: sie war so allein, das Dienstmädchen wusch in der Waschküche oben auf dem Boden, sie hatte die Mutter gar nicht erkannt. »Warum hast du denn nich 'ne Zeile geschrieben? Es ist mir lieber, du schreibst, wenn du kommst,« quengelte sie. »Nu habe ich gerade gar nichts im Hause!«

»Ick will nischt essen, det kann ick bei mir zu Hause«, sagte die Mutter. »Ick will man bloß sehen, wie et dir jeht!«

»Wie soll es mir gehen?!« Aber dann ermannte Auguste sich, sie warf den Kopf in den Nacken: »Mir geht es sehr gut!«

»Na, det 's ja scheen!« Die alte Frau fing an auszupacken. »Da haste Fleisch for'n Sonntag. Vorjestern hat Johann jeschlacht – der Hammel is delekat, er hatte sich leider dat Bein jebrochen, er mußte weg!« Geschäftig kramte sie in ihrem Korb, aber dabei beobachtete sie verstohlen das Gesicht der Tochter. Blaß war die noch immer! »Na, wat machste denn nu eijentlich den janzen Dag?«

»Ich koche, ich nähe, ich häkle, ich – ich –«, die junge Frau stockte.

»Na? Un wat noch?«

»Gott, Mutter, ich bin doch kein kleines Kind mehr, daß du mich so ausfragst!« Auguste wurde ungeduldig. »Ich mache mir eben zu tun!«

»Hm. Spielste ooch noch Klavier?«

»Nein, nein!« Wie abwehrend hob Auguste beide Hände. Alles Blut strömte ihr ins blasse Gesicht und färbte es rot.

»Na, denn bin ick zufrieden; denn wird sich alles schonst machen. 'nem Mann nachlaufen, det is immer vom Übel. Aber maulen sollste ooch nich mit ihm. Ja nich, Juste!« Die Mutter hob mahnend den Finger.

Auguste war sehr still. Kaum daß sie nach Zuhause fragte. Sie sprach auch nicht von ihrem Mann. »Julius ist immer sehr nett zu mir«, das war das einzige, was sie von ihm sagte.

Mühsam schleppte sich das Gespräch so hin. Sie saßen in Augustens guter Stube, obgleich Mutter Badekow lieber in der Küche geblieben wäre. Da war es gemütlicher; viele blaugeringelte Töpfe und Töpfchen hingen an dem Küchenrahmen und standen oben auf dem Sims um den Rauchfang. Mit blauen Bändern durchzogene Spitzen zierten die Wandbretter, auf denen Kupferkasserollen glänzten. Alles war so hübsch und neu. Aber der jungen Frau verdrossenes Gesicht erhellte sich nicht; die Mutter studierte es: es war eigentlich nicht einmal so verdrossen, es war mehr trübselig. Aber Auguste klagte ja nicht. Ganz ruhig war sie, ihre Ruhe fiel doppelt auf nach dem aufgeregten Wesen von Jakobs Frau; und doch war diese der Mutter nicht wohltuender. Wenn man die Auguste so ansah, sollte man wahrhaftig nicht meinen, daß sie eine war, die aus Liebe geheiratet hatte, nur aus Liebe! Die Worte mußte man ihr förmlich herausziehen. Und wie müßte so eine überquellen!

»Ick war eben bei Jakob'n«, sagte die Badekow zuletzt; sie wußte nicht viel mehr zu sagen. »Ach, det weeste ja am Ende noch jar nich! Se haben jestern 'nen kleenen Jungen bekommen. Schonst wieder!«

Ein Seufzer antwortete. Auguste war noch blässer geworden, ihre Augen wurden groß; wie ohne Atem saß sie neben der Mutter auf dem Plüschsofa. »So – das freut mich. Ich wollte – ich wünschte – ich –« sie sagte nichts weiter. Ihre Lippen zuckten. – – –

Hatte die Auguste weinen wollen? Darüber zerbrach Mutter Badekow sich den Kopf, als sie in abendlicher Dämmerstunde nach Hause fuhr. Wie früh es jetzt schon dunkel wurde! Und feucht. Nebelschwaden standen auf im Feld und legten sich wie schattenhafte Gestalten nieder. Sie krochen heran. Hanne Badekow faltete die Hände im Schoß. Trübe Ahnungen wollten ihr kommen, die heranschlichen wie jene Schatten, nicht zu erkennen – sie wehrte sie ab. Wie es kam, mußte man es nehmen, aber ehe es da war, brauchte man doch keine Angst zu haben davor!

Sie fing ein Gespräch an mit der jungen Frau Lietzow, die sie zufällig am Halleschen Tor getroffen hatte, als sie da auf den Omnibus wartete. Im letzten Moment war die Lietzow angestürzt gekommen; nun saß sie im Omnibus, noch ganz außer Atem, guckte starr vor sich nieder und rang nach Luft.

»Sind Se denn noch immer nich bei Puste? Herrje nee!«

Ida schreckte zusammen. Ein abweisender Blick traf die Fragerin: daß sie auch gerade mit der hatte zusammentreffen müssen! Es war ihr doch unangenehm. Widerwillig nur gab sie Antwort. Wenn die Badekow wüßte, daß der Mann ihrer Auguste sie eben geküßt hatte! Daß er sie, als es an der Ladentür klinkte, rasch in das kleine Stübchen gestoßen hatte, das hinter dem Laden lag! Kein Fenster war darin, und es brannte auch kein Licht drin. Und daß er dann zu ihr hineingekommen war, und daß er sie da – da –, aber was brauchte sie sich Gewissensbisse zu machen anderer wegen?! Idas starrer Blick belebte sich, ihr Atem wurde ruhiger, ein heimliches Lächeln öffnete ihren fest geschlossenen Mund: sie wollte, sie mußte ja leben, leben – sie liebte den Julius – das war doch kein Leben in Tempelhof!

Freundlicher sprach sie jetzt mit der alten Frau, aber sie sah dabei nicht sie an, sondern durchs Fenster hinaus auf das nächtliche Feld: das war wirklich gar nicht so schaurig, wie sie sich's immer gedacht hatte. Einsam nur war es, und das war ja auch gut. Es war auch einsam am hellen Tag. Überall sonst war man nicht sicher; hier aber würde kein Aufpasser sein.

Ein bitterer Zug verhäßlichte das hübsche Gesicht der jungen Frau: Karl –?! Ach was, der kümmerte sich ja nicht mehr um sie. Der saß immer in seiner Kneipstube. Und die Kleine?! Etwas wie Haß kam in das aufglimmende Funkeln ihrer Augen. »Schweig!« würde sie der Stieftochter befehlend zuraunen, wenn sie aus dem Hause ging. Und die war klug genug, die würde schweigen.

»Wat macht denn Ihre Hulda? Is se denn noch immer so kleen un behende?« fragte die Badekow.

Ida erschrak so, daß sie erblaßte; mußte die Alte auch gerade jetzt an die denken?! »Sie ißt, trinkt genug, wird doch nicht groß«, sagte sie kurzab.

Na, die Lietzow schien ja nicht gern nach der Stieftochter gefragt zu werden! Hanne Badekow schlug ein anderes Gesprächsthema an. Sie wußte selber nicht warum, aber heute hatte sie so sehr das Bedürfnis, zu reden. »Wat sagen Se denn nu zu de neue Filla, die Längnicks Paule jebaut hat für seine junge Frau? Fenster, hoch, beinahe wie in de Kirche, und über jedes 'ne schöne Verzierung von verjoldeten Stuck. 'nen Balkong, ooch verjoldet, is in'n ersten Stock. Un ›Filla Ethel‹ steht in Bunt, so jroß, über der Türe. Teppiche hat se durch alle Stuben. 'nen Springbrunnen kriegt se noch außen hin. Aber se is ooch 'n liebes Herz. Ein Frauchen, wie'n Engel!«

Ida gab keine Antwort. Das Geschwätz der Alten ärgerte sie: was ging sie's an, wen die »Engel« nannte?! Er sagte auch »Engel« – zu ihr!


 << zurück weiter >>