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26.
Die beiden Schützen.


Friedrich Forst lag im Lazareth. Schon seit Wochen lag er da, und zwar litt er an den furchtbarsten Schmerzen, und bereits hatte ihm der Arzt das Leben abgesprochen; allein sein Leiden konnte sich noch weit hin verlängern.

Er litt ohne Klage. Nur wenn er aus kurzem Schlummer erwachte und Tony Wickye nicht an seinem Lager erblickte, nur dann klagte er, oder wenigstens sein schmerzvoller und umdüsterter Blick klagte.

Die Ursache dieses Unfalles war ein Handgemenge, oder vielmehr ein sehr ernstlicher Kampf, in welchem Friedrich dem Bruder Mariens gegenüber gestanden. Der junge Schütze, nicht wissend, daß der rohe, betrunkene Arbeiter der Bruder seines Schützlings war, hatte dessen Eindringen in ihre Kammer verhindern wollen, und hatte von dem Messer des [277] Wüthenden einen Stich in die Brust erhalten, der die Lunge tödtlich getroffen. Man brachte den blutenden Körper, den man für todt hielt, in die Kaserne. Wickye hatte gerade den Posten beim Gewehr und durfte nicht fort, und mußte, fast ohnmächtig werdend, die Leiche des Freundes vor sich vorübertragen sehen. Es war dies ein entsetzlicher Augenblick, ein Augenblick, der jugendliches Haar hätte bleichen, die Farbe der Freude und Jugend auf immer von den Wangen hätte scheuchen können. Zum Glück kam gleich darauf ein Kamerad hervorgestürzt und rief ihm zu: »er lebt!« Tony Wickye ergriff wieder seine Büchse und setzte seinen Gang, die wenigen Schritte auf und ab, fort. Er lebt! rief er ganz laut bei jedem Schritte – er lebt – er lebt – er lebt! –

Der arme Wickye, er hatte schon so schweres Leid zu überstehen; die Gräfin hatte ihm so großen Kummer bereitet. Diese Gräfin, die verliebt war und heirathete – alles so schnell und so unerwartet für ihn, und die dann auf den Einfall kam, alles mit einem Ringe abzumachen.

Und nun kommt Dieses!

Und was stand ihm noch bevor! – Es war nur gut, daß seine Dienstzeit zu Ende lief, und daß er in [278] kurzer Zeit, wenn das Glück günstig war, entlassen werden konnte. Und er hoffte dies auch.

»Ich werde entlassen und werde in meine Heimath zurückkehren« – sagte er zu seinem Freunde, »und Du –«

»Ich werde auch entlassen werden, und werde auch in meine Heimath zurückkehren,« erwiederte Friedrich leise und mit dem Zucken des Schmerzes.

»Sprich nicht so,« rief Tony, »Du wirst nicht sterben.«

»Ich werde und ich muß sterben,« entgegnete der Kranke. »Heute noch hat es unser Arzt gesagt. Es ist ein alter Mann, der nicht lügen wird. Es ist so sicher, antwortete er mir auf meine Frage, daß der Tod Sie ereilt, wie es sicher und ausgemacht ist, daß auf den Tag die Nacht folgt. Er sah mich darauf an und wollte merken, wie ich's aufnähme, allein ich habe mit keiner Miene gezuckt. Da hörte ich ihn zu Jemand in unserer Nähe sagen: ›ein ächter Soldat.‹ Ich hörte es und freute mich, denn ich habe den Ehrgeiz ›muthvoll‹ sterben zu wollen.«

»Wer hätte das Alles so kommen sehen!« hub der arme gedrückte Freund an.

»Ich hab' es so kommen sehen! Tony! Ich! Als ich die achtzehn und den einen halben Gitterstab [279] von dem Monde auf dem Boden vor mich hingezeichnet sah. In jener Nacht wußte ich, wo das Schicksal mit mir hin wollte, und daß ich jung sterben sollte.« –

Friedrich mußte jetzt die Ereignisse jener Nacht auf das genaueste erzählen.

Tony schüttelte den Kopf und sah starr vor sich hin.

Auch von dem geheimnißvollen Sänger erzählte Friedrich, und daß er bestimmt hoffe, ihn noch einmal vor seinem Ende zu hören. Dann aber konnte er nicht weiter sprechen und mußte schweigen, weil, wie er behauptete, er das Gefühl habe, als ginge seine Lunge auseinander und theilte sich in sechs, sieben, acht verschiedene Lungen, die jede um die Wette Luft schöpfen wollten, und keine es so recht eigentlich verstand, so daß die arme Brust ohne Luft blieb, trotz der vielen Lungen, die sie in sich bewahrte.

Es war ein erbärmlicher Zustand.

Und Friedrich hatte doch noch so viel zu erzählen, aber er mußte schweigen. Jedes Wort, das heraufkommen wollte auf die Lippen, fragte erst beim Vorbeigehen bei der kranken Lunge an, und der Bescheid lautete immer: zurück! zurück! Da nahm er denn Tony's Hand, hielt sie fest in der seinen und sah ihn an.

[280] Und dieser Blick war der Blick der Liebe, der hinopfernden, treuen Liebe, der Gott großen Lohn verheißen hat.

Tony wußte erst jetzt, wie sehr ihn Friedrich liebte, und er schämte sich fast, daß er neben Friedrich noch die Gräfin, und dann noch so manches Andre geliebt hatte.

»Und nun eine große Bitte,« hub Friedrich an, als die Worte wieder Erlaubniß erhielten hinauf zu den Lippen zu steigen – »wenn ich doch sterben muß, möchte ich mich nicht lange quälen, ich möchte den Tod bald – bald haben.«

»Wie läßt sich das machen?« fragte Tony ängstlich lauernd.

»Ich wüßte wohl, wie sich das machen ließe.«

Beide Freunde waren jetzt lange Zeit still. In Jedem arbeitete es, und Jeder versuchte die Gedanken des Andern zu denken. Endlich warf sich Friedrich mit großen Schmerzen auf die Seite, hielt die Hand halb vor den Mund, so daß die nebenliegenden Mitkranken auch nicht das leiseste Wörtchen hören konnten, und lispelte: »Wenn Du mir mit Deiner Büchse den Garaus giebst!«

»Friedrich!« rief Tony entsetzt, aber immer ganz leise: »Was sagst Du da! Glaubst Du denn an keinen Gott?«

[281] »Ich glaub' an ihn,« entgegnete der junge Mann fest; »allein ich meine, weil ich doch sterben muß –! Aber – überlege es Dir.«

»Nie und nimmer! Ich, einen Mord begehen, und an Dir

»Du hörst ja, ich bitte Dich darum. Einen Mord begeht man nur, wenn man Jemand das Leben nimmt, der nicht getödtet sein will. Und was Gott betrifft, so werde ich redlich versuchen, mit ihm über diese Angelegenheit in's Reine zu kommen. Ich habe jetzt immer schlaflose Nächte, und in einer solchen langen, schmerzvollen, schlummerlosen Nacht läßt sich schon ein Wort mit ihm sprechen. Er hört die Creatur, die zu ihm in ihrer Drangsal hinaufschreit.«

Jetzt mußte er schweigen, denn die Worte erhielten keine Erlaubniß mehr. Statt der Worte kam ein Blutstrahl, so heftig und so unerwartet, daß Tony's Kinn einige Blutspuren auffing. Sorgsam trocknete der Kranke es weg: »Siehst Du,« sagte er, »mein Blut kommt Dich zu rufen.«

Tony schauderte.

Es vergingen drei Tage, und es war von diesem finstern Plane zwischen den beiden Freunden nicht mehr die Rede. Allein Wickye hatte mit dem Arzt [282] gesprochen und bestätigen gehört, was Friedrich ihm vorhin gesagt. Dann hatte er auch mit dem Geistlichen seiner Gemeinde über einen ganz dunkeln, ungewissen Fall gesprochen, der eine ungefähre Aehnlichkeit mit dem vorliegenden hatte, und die Worte des würdigen Mannes hatten fast wie Billigung und Zustimmung gelautet; allein wie er nun näher die Verhältnisse angab, da hatte es wieder anders geheißen, und es klang wie Abrathen und Mißbilligung. Tony war nicht recht klug aus dem eigentlichen Sinne des Rathes geworden.

Es war eine finstre Regennacht, der Sturm tobte, da kam der Wächter des Lazareths an sein Bette und sagte: »Kommen Sie herüber. Es ist grausam, was der Arme leidet. Kommen Sie herüber!« Tony nahm sich Urlaub und ging rasch hinüber.

Bleich wie der Tod, von Schmerzen zerwühlt, lag Friedrich auf dem Lager. Aber er lächelte, als er Tony kommen sah, und hastig griff er nach seiner Hand.

»Willst Du?« fragte er leise. »Willst Du?«

Tony machte sich von der Hand los und wollte rasch fortgehen. Ein banger, leiser Seufzer drang ihm nach. Er mußte umkehren; er mochte wollen oder nicht, er mußte.

[283] Friedrich hatte sich aufgerichtet; wollte nun auch die Brust zerspringen, die Worte mußten heraus. »Tony, mein ganzes, junges Leben ist Liebe zu Dir gewesen – neben Dir hab' ich meinen Vater und meinen König geliebt. Willst Du jetzt mir die letzte Bitte abschlagen? Tony, Du thust nicht Recht – bei Gott, nicht Recht. In jener Nacht, vor der Einnahme Schleswigs, als wir im Bivouac zusammen im dunkeln Felde lagen, Du Deinen Mantel um mich schlugst und Deinen Arm unter mein Haupt legtest, damals gabst Du mir Dein heilig Wort, und ich gab Dir das meine, daß wenn Einer von uns in Gefahr und Noth käme, der andere, ohne Verzug und ohne Grübeln und Deuteln, ihm mit seinem Leben Beistand leisten wolle. Siehst Du – die Sterne schienen nieder, als wir uns das Wort gaben. Es war ein Wort für's ganze Leben. Weiß Gott, ich hätte, wenn's so gekommen, mein Wort nicht gebrochen, brich Du nun auch nicht das Deine. Thu', was ich von Dir verlange; denn in gräßlicher Noth, in entsetzlichem Elend bin ich, das weißt Du. Meine Schmerzen zerreißen mich wie grimmige Löwen und dennoch – tödten sie mich nicht.«

»Es ist ein Verbrechen!« stöhnte Tony.

»Es ist keins,« entgegnete Friedrich sanft – »würde [284] ich Dich dazu auffordern, wenn ich dies glaubte. Ich habe einen Traum gehabt, der mir das, was ich schon wußte, noch deutlicher gesagt. Sieh', ich hatte eine weite Fläche vor mir, und über diese dunkle Ebene kam ein langer, unabsehbarer Zug. Es waren die Leidtragenden der Erde, die Pilger des Schmerzes; sie gingen Alle ein in das Haus des Friedens. Vorher aber mußten sie einem Manne, der ihnen entgegenkam, bekennen, wie sie den Tod gefunden. Und je nachdem ihre Antwort gelautet, entließ er sie gütig, aber ernst. Einer unter dem Zuge war, der trat vor und sagte: mich hat des Freundes Hand getödtet, nachdem ich doch bereits dem Tode verfallen war. Wie ich diese Worte hörte, lauschte ich gespannt, was jener Mann sagen würde, allein er erhob seine Hand und legte sie segnend auf die noch blutende Wunde auf der linken Brust des jungen Mannes. Da dachte ich: nun weiß ich's.«

Er mußte wieder schweigen. Aber er bezwang sich mit wüthendem Schmerz und fragte: »Du willst? nicht wahr, Du willst?«

Tony stand auf und ging fort.

Aber drei Nächte waren ebenso, wie diese Nacht war, in der vierten Nacht, als er nicht mit Bitten nachließ, versprach ihm Tony und gab sein heiliges [285] Ehrenwort, vor Gott und Menschen unantastbar, daß er thun wolle, was Friedrich von ihm verlange.

Als er dieses Wort gegeben, sagte er zu sich selbst: aber gleich darauf, und mit derselben Büchse schieß' ich mich selbst todt. Wenn er weg ist aus dem Leben, und wenn ich selbst ihn fortgeschafft habe, was soll ich dann noch hier!

Er bedachte nicht, daß Jugend, Hoffnung und Gesundheit noch in seiner Brust lebten, und daß es sich nicht so leicht stirbt.


[286]


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