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14.
Die Braut.


In dem großen, schönen, hellen Zimmer, das die Aussicht auf die Linden hatte, unstreitig einer der schönsten Plätze Berlins, saß die Gräfin Constance von Waldensee, und noch im Morgenanzug weilend, beendete sie eben einen Brief an ihre Jugendfreundin. Das Zimmer war, trotz der Eleganz, die in demselben herrschte, einfach zu nennen; der Schmuck war so angebracht, daß er sich mehr versteckte als prahlend hervortrat. Der Teppich, der den Fußboden bedeckte, war von feinem Stoffe, allein ohne jene glühende und bunte Farbenmischung, die auffällig wird, prächtig polirte Möbeln, aber von dunkelm Holze, Tischdecken von Braun und Grün, die Wand in einem tiefen Violet und daran wenige, aber gute und große Gemälde, ein mit den schönsten Blumenstauden geschmückter Korbtisch am Fenster, Vorhänge [141] von schwerem Stoff – machten zusammen einen für den Eintretenden wohlthuenden, aber nicht blendenden Eindruck. In diesen Räumen voll Ruhe und Eleganz bewegte sich die hohe, schlanke Gestalt der Bewohnerin mit jener Anmuth der Formen, die eine in glücklichen Verhältnissen aufgewachsene edle Existenz bekunden. Die von den dunkeln Schattenfarben umspielten Wandspiegel gaben blendend im Lichte die in schneeweißen Mousselin gehüllte Gestalt. Aus dem weichen Flor traten die zarten Hände, die eben jetzt den gefalteten Briefbogen hielten, mit großer Feinheit der Linien und der Bewegung hervor. Das schwere, dunkelblonde Haar war in so weit geordnet, als seine Fülle an die Wangen hin geglättet hinfloß, dann aber unter einem Spitzenhäubchen sich verbarg. Den weißen Nacken mit seiner unbeschreiblich anmuthigen Biegung umschloß ein sauber gefältelter kleiner Batiststreifen.

Sie trat an's Fenster, und einen flüchtigen Blick auf die Pendüle werfend, beschäftigte sie sich wieder mit ihrem Briefe. Wir wollen über ihre Schulter hinüberblicken und den Schluß dieses Schreibens lesen. Er lautete: »Was hätte ich auch für Ansprüche zu machen, Therese? Mein Vater war ein reicher Banquier; durch seinen Ehrgeiz veranlaßt, kam ich dazu [142] in den Jahren, wo sich das Herz und mit ihm das Urtheil noch nicht entwickelt hat, einem Manne, den ich nicht liebte, noch weniger achtete, meine Hand zu reichen. Diese Ehe, die für mich eine Prüfungs- und Läuterungsperiode war, trennte der Tod. Jetzt darf ich wählen, kein Anderer für mich. Kannst Du Dich nun wundern, wenn ich meinen Geschmack, meine individuellen Meinungen und Ansichten zu Rathe ziehe? Und doch! Du hast sehr wahr – all unser Prüfen und Urtheilen schützt uns nicht vor einer Täuschung. Wie grausam wühlt dieser Gedanke seit einigen Tagen in meinem Herzen. Sellndorf hat sich mir als einen Mann gezeigt, der groß zu denken und kühn zu handeln fähig ist. Ich habe von jeher Sympathie für derlei Naturen gehabt. Er übt einen Trotz und eine Keckheit gegen mich, die mir imponirt. Er reißt mich im Sturme mit sich fort, und dieser bedeutend ältere Mann als ich, hat mich bis jetzt ganz zu seinem Eigenthum gemacht. Ich sage bis jetzt! Laß mich schweigen von dem, was Deine arme Constance seit wenigen Tagen leidet! Wie sie mit sich kämpft und wie sie unglücklich ist. Es wird vorübergehen. Meine edle Mutter erzog mich wahr gegen mich selbst, wahr gegen Andere. Könnte ich mich und Andere täuschen, ich wäre glücklicher –«

[143] Der Brief wurde in ein Couvert geschoben und mit einem Siegel versehen. In diesem Augenblicke öffnete der Diener die Thür und führte einen sechsjährigen Knaben herein, der lebhaft auf die Gräfin zueilte. Es war der jüngste Sohn des Präsidenten.

Der Knabe rief: »Papa kann heute nicht kommen, er ist schon früh in die Sitzung gegangen, aber Bernhard wird kommen, wenn Du's erlaubst.« Die Gräfin neigte das Haupt. Der Tisch wurde an's Fenster geschoben, und Constance fing an ihren Zeichnenapparat auszulegen. Ein fast ganz beendetes Portrait wurde sichtbar, und der Knabe fragte, indem er sich mit einer bescheidenen und demüthigen Miene dem Tische näherte: »Darf ich sehen?« Die Erlaubniß wurde ihm ertheilt und er rief: »Ach, das ist ja Bernhard –«

»Nicht Bernhard,« entgegnete die Gräfin erröthend, »es ist Dein Vater.«

»Ah, nun sehe ich den Bart,« rief das Kind – »aber der ist so blaß. Wenn der Bart weg ist, so wäre es Bernhard. Der häßliche, große Bart! Der Vater spielt schon seit sechs Monaten Räuberhauptmann. Aber was wirst Du nun für einen Rock machen? Den braunen oder den blauen Frack? Nur [144] beileibe keine Orden! Der Papa hat gesagt, er wolle seine Orden aus dem Fenster werfen.«

Die Gräfin erwiederte auf dieses kindische Geplauder nichts, sondern zeichnete.

Der Knabe schwang sich mit einiger Mühe auf einen Stuhl neben dem Tisch und schien die Absicht zu haben, seine Mittheilungen noch recht weit auszuspinnen. »Der Papa hat unsere große silberne Suppenschüssel wiederkommen lassen, und eine Menge Löffel und Gabeln; der alte Anton bei uns sagt, die Schüssel wäre unterdessen auf Reisen gewesen und hätte sich die Welt angesehen. Wozu eine solche Schüssel das nöthig hat! – Der alte Vetter, der immer Sonntag bei uns ißt und immer ein Stück Pudding in die Tasche steckt, wird nicht mehr kommen; der Vater hat gesagt, er hätte solche alte, gebrechliche und gefräßige Verwandte nicht mehr nöthig. Der alte Vetter wird nun allein in seiner Dachstube sterben. Bernhard wird ihn aber dafür alle Sonntag besuchen und ihm das Stück Pudding mitbringen.«

»Ich denke, Du wirst doch auch zu ihm gehen?« fragte die Gräfin.

»Ach nein! Wenn der Vater Dich heirathet und dann viel Geld hat und Minister wird, dann würde [145] es sich nicht schicken, wenn ich in die Dachstuben hinausliefe.«

»Bernhard denkt nicht so.«

»Ja, der Bruder ist auch ganz verschieden von uns; ich meine von mir und Papa. Wir erleben wenig Freude an ihm. Soll ich Dir erzählen, was neulich sich zwischen Papa und dem Bruder begeben?«

»Nein, ich will nichts davon wissen.«

»Der alte Anton sagt, ich wäre ein ächtes Berliner Kind, ich hätte vor Nichts in der Welt Respekt, ich hätte einen Mund für Zehn, aber wenn man mir nur etwas die Fuchtel zeigte, kröche ich zu Kreuze und leistete passiven Widerstand.«

Die Gräfin lachte laut.

»Ja, so ist's. Wirst Du auch mich zeichnen, wenn ich einmal Dein Sohn bin? – Das könntest Du denn dort in Deinem Vorzimmer aufhängen, statt der Prinzen und des Königs. Der Vater sagt, diese albernen Portraits ärgerten ihn immer, wenn er herkäme, und an einem schönen Tage würde er sie alle in's Feuer werfen! Es glaubt doch Niemand mehr daran. Um's Jahr haben wir Republik, und da bin ich und der Vater und Bernhard – alle geborne Prinzen. Wie will ich da wirthschaften hier in [146] Berlin! Die Garden schicken wir sogleich nach Petersburg und Sibirien, damit sie da die Knute aufgezählt erhalten, die Barone und Grafen im Lande lassen wir unsre Stiefel putzen und unsre Kleider ausklopfen. Hast Du schon unsern Katechismus gesehen?«

»Nein.«

»Ich werde ihn Dir mitbringen. Der Vater und seine Freunde haben ihn drucken lassen, und mir hat er zehn Exemplare geschenkt, daß ich sie in der Schule vertheilen soll. Auf dem Titelblatte steht ein ganz proprer Kerl, der haut Köpfe ab, daß es nur fliegt! Hast Du nicht gesehen!« –

»Ich will Deinen Katechismus nicht. Du solltest in der Schule etwas Gutes lernen, damit Du einmal ein tüchtiger, braver Mann wirst. Das ist meine Meinung, lieber Felix.«

»Ach, nicht wahr, ich soll wohl in die Kirche gehen und Gebete plärren? Der Vater lacht darüber. – Nicht wahr, liebe schöne Mama, Du giebst mir heute wieder ein Zweithalerstück. Ich hab gestern Knöchelchen gespielt und alles verloren, was Du mir vorigen Sonntag gegeben.«

»Ich werde Dir das Zweithalerstück geben, dann mußt Du Dich aber im Vorzimmer ruhig hinsetzen und [147] Bilder sehen.« – Der Knabe ging, und der Diener meldete einen jungen Mann vom Garde-Schützen-Bataillon. Tony Wickye, trat ein. Die Gräfin wendete sich nach ihm um. Die schlanke, in den glänzenden schwarzen Gürtel geschnürte Gestalt, das erröthende Gesicht, das in der vollen Schöne der Jugend prangte, machten ohne Zweifel auf die Empfängerin dieses Besuchs den günstigsten Eindruck. Sie lud ihn ein näher zu treten, und mit freiem Anstande folgte der junge Soldat dieser Einladung.

»Nun, was bringen Sie mir, mein tapferer Begleiter?« fragte die Dame lächelnd.

»Zuerst dieses Taschenbuch zurück,« entgegnete der Gefragte. »Es enthält die Geldsumme unberührt, die Sie hineingelegt, zugleich einen kleinen, beschriebenen Zettel. Ich mußte mich von dem Inhalt in Kenntniß setzen, um zu wissen, daß nichts fehle.«

Die Gräfin nahm das Päckchen Kassenscheine und legte es bei Seite; dann öffnete sie nochmals das Täschchen und zog ein sauber zusammengefältetes Papier heraus, das sie flüchtig und erröthend betrachtete und es dann zu dem Gelde legte, indem sie sagte: »Ich habe nicht gewußt, daß dieser Brief darin war. Sie haben ihn nicht gelesen?«

»Wie sollt' ich?« sagte der junge Mann, und [148] eine Miene des Unwillens und der Beschämung glitt über sein Antlitz. »Was Sie mir anvertrauen, gnädige Frau, ist mir heilig.«

»Verzeihen Sie, es war auch eine müssige Frage. Nun, und weshalb bringen Sie mir das Geld zurück?«

»Weil ich die Kranke nicht mehr in dem Krankenhause fand.«

»Wie! Ist's möglich! Wo ist sie denn geblieben?«

»Sie ist fortgeschafft worden. Gestern Nachmittag. Ein Herr mit einem ärztlichen Zeugniß versehen und sonst noch durch Papiere sich legitimirend, hat die Kranke in einem Wagen abgeholt.«

»Und die Oberin hat sie ihm ohne Weiteres ausgeliefert?«

»Sie gesteht, daß sie geglaubt habe, dieser Herr sei von Ihnen abgesendet.«

»Wie kann sie das glauben! Mein Himmel! Und wohin ist die arme Todtkranke gebracht worden?«

»Das weiß man nicht. Das Kind ist für's Erste noch dageblieben.«

»Wie, ein Kind?«

Der junge Schütze erröthete wie ein Mädchen, indem er der schönen Frau gegenüber, die ihn [149] aufmerksam und mit gespannten Blicken ansah, herausstotterte: »Sie ist niedergekommen vor drei Tagen – das Kind ist sehr schwächlich; es wird nicht lange leben. Die Oberin wollte Ihnen das ausführlich schreiben, gnädigste Frau. Mich wundert, daß sie es nicht schon gethan hat.«

Die Gräfin schwieg verstimmt und überrascht. Sie wollte noch eine Frage thun, aber auf das peinlich verlegene Gesicht ihres Gastes blickend, unterließ sie diese Frage.

Der Schütze erhob sich. »Mein Auftrag ist ausgerichtet,« sagte er, »ich darf nicht länger lästig fallen.«

»Wollen Sie nicht bei mir speisen?« sagte die Gräfin mit großer Anmuth. »Sie finden ein paar Freunde, die viel gereist sind und auch in Ihrer Vaterstadt sich aufgehalten haben.« Der Soldat dankte höflich und nahm die Einladung an. Die Gräfin stand auf, um aus einem Kästchen etwas für ihren Zeichnentisch zu nehmen; sie ging dem Spiegel nicht vorüber, ohne einen Blick hineinzuwerfen. Ihre Augen begegneten denen des jungen Schweizers, der ihr mit einem verklärten, aber dabei ehrerbietigen Ausdruck nachschaute. Sie erröthete.

Er zog sich zur Thür zurück. Noch einmal [150] umschauend fragte er: »Darf ich meinen Kameraden mitbringen?«

»Ich wollte Sie eben darum bitten.« Tony Wickye entfernte sich. Die Gräfin, als sie sich allein sah, nahm jenes Billet nochmals zur Hand, und es an ihre Lippen ziehend, hauchte sie einen flüchtigen Kuß darauf. »Das ist das Einzige, was ich von ihm habe,« flüsterte sie; »wie unvorsichtig geh ich mit meinen Reichthümern um.«

Felix riß die Thür auf und rief: »Bernhard ist da – darf er hereinkommen?«

Sie versteckte rasch das Billet in ihr Arbeitskästchen, und jetzt winkte sie dem Knaben bejahend zu. »Komm Du nur auch,« setzte sie hinzu, »ich höre Dich doch im Nebenzimmer poltern und singen und hab' keine Ruhe.« Der Knabe stürmte mit seinem Bilderbuche hinein, und ihm folgte der Assessor.

Die Gräfin ging ihm entgegen und reichte ihm die Hand. Er hielt sie eine Weile in der seinigen. Dann wandte er sich zum Bruder und sagte: »Geh hinaus!«

»Oho! ich geh nicht! ich bleibe! Mama hat gesagt, daß ich hereinkommen soll.«

Bernhard sah die Gräfin an mit einem flüchtigen, verdüsterten Blicke des Vorwurfs. Sie senkte [151] die Augen. Es entstand eine kleine Pause. Er setzte sich auf den Stuhl an ihrem Zeichnentisch nieder. »Ich bringe Ihnen die Bücher, die ich versprochen,« hub er an. »Sind Sie heute Abend zu Hause, und kann ich kommen und Ihnen vorlesen?«

»Es wird mir lieber sein, wenn Sie heute Mittag kommen; Sie sollen mir helfen die Berichte eines meiner gelehrten und weitgereisten Verwandten ertragen. Für meine Schultern allein ist diese große Gelehrsamkeit und Liebenswürdigkeit zu schwer.«

»Gut, ich werde Mittag kommen und auch Abend.«

»Erlaubt das Ihre Zeit?«

»O, Bernhard ist ein fauler Arbeiter, sagt der Vater,« rief Felix vom Buche aus; »er thut nie das, was er soll. Und dann läuft er immer in allerlei Stadtwinkel, Gott weiß wohin. Gestern zum Beispiel ist er mit einer ganz fremden Person in der Louisenstraße umhergefahren, in der Nähe der Charité« –

Constance fuhr sichtlich zusammen bei diesen Worten.

Bernhard achtete des Geplauders nicht. Erst als er die Gräfin zusammenfahren sah, fragte er rasch: »Was ist Ihnen?« Sie bezwang sich und sah ihn [152] ruhig und lächelnd an. »So kommen Sie denn am Abend,« sagte sie, »ich werde Sie erwarten. Sollte sich Ihr Vater nicht bewogen fühlen, auch mit uns Theil an der Lektüre zu nehmen?«

Der junge Mann sagte halb leise und mit einer vor innerer Erschütterung schwankenden Stimme: »Sie wissen, wenn er kommt, so komme ich nicht. Und Constance, ich habe Ihnen so viel – so viel zu sagen. Es sind Dinge, die ich nur Ihnen, und zwar Ihnen allein mitzutheilen beabsichtige. Warum denn auf einmal das Mißtrauen? Was ist geschehen? Bin ich Ihnen nicht mehr das, was ich früher war?«

Die Gräfin antwortete eben so leise. »Früher brachten Sie mir Botschaften von Ihrem Vater; ich mußte Ihnen wohl zu jeder Stunde und in jeder Stimmung Gehör geben. In letzter Zeit ist nie mehr von Ihrem Vater zwischen uns die Rede gewesen.«

»Sie haben Recht,« entgegnete er, und eine tiefe Wolke des Unmuths verdüsterte seine Stirn; »und was ich Ihnen zu sagen – das heißt von mir – zu sagen habe, interessirt Sie nicht.«

Sie schwieg.

Er fuhr in demselben gereizten und leisen Tone fort: »Nun denn, so will ich mit Ihnen von meinem Vater sprechen. Er hat mich aus seinem [153] Hause gewiesen. Es hat ein offener Bruch stattgefunden. Wenn Sie in dieses Haus ziehen, werden Sie mich nicht mehr darin finden. Ich gehe, grenzenlos elend, in die Welt hinaus. Was aus mir wird, wen kümmert das?«

Sie sah ihn mit einem Blicke des tiefsten Kummers und des lebhaften Vorwurfs an.

»Ja, ja, machen Sie mir nicht glauben, daß Sie für mich empfinden. Sie empfinden nichts. Niemand empfindet etwas für mich. Es ist nur ein Glück, daß ein großer Gedanke, eine schöne und gewisse Zuversicht mich aufrecht hält.«

»Und die ist?«

»Die feste Treue an meinem Vaterlande und meinem Könige. Jetzt, da der Staat in Trümmer zu brechen droht, haben ich und meine Freunde sich das Wort gegeben, unser Leben ihm ohne allen Vorbehalt zu weihen. Wir wollen das Land unserer Kindheit schützen gegen Verrath und Gemeinheit, das schöne Reich, das unserer Seele die großen und heiligen Vorbilder des Ruhmes und der Vaterlandsliebe gab, soll, ehe es dem Feinde zum Raube wird, an unserer Brust noch einen Schild finden. Ich gehöre einer Verbindung zu, die diese Grundsätze bekennt.« –

[154] Felix hatte sein Bilderbuch verlassen, und auf den Zehen schleichend, näherte er sich dem Tische und strebte die leise geführte Unterredung zu erspähen. Ein Blick der Gräfin, die sich umsah, trieb den kleinen Spion rasch wieder zu seinem Platze zurück.

»Sie sind so jung,« hub die Gräfin an, »warum huldigen Sie nicht dem Aufschwunge, der unsre ganze Jugend entflammt? Wer möchte jung sein und heutzutage zurückbleiben.«

»Ich habe diesem Aufschwunge gehuldigt, aber ich huldige ihm nicht mehr. Ein ernstes Nachdenken hat mir gezeigt, welcher Art die Freiheit ist, die man den Völkern bietet. Es ist der maaßlose Ehrgeiz und die wilde Genußsucht der falschen Führer, die uns in namenloses Elend zu stürzen trachtet. Es ist wahr, daß wir an den Sünden unsrer Väter tragen, allein wir thun selbst nichts dazu, aus diesen Sünden frei zu kommen. Wären wir selbst edel und frei, wir wären würdig, der Welt die Freiheit und die Größe zu bringen. Ein Geschlecht, ohne die Tugenden der großen Republikaner will Republiken gründen; ein Geschlecht, das Demuth und Selbstverleugnung verlacht, das nur in sybaritischen Genüssen leben will, spricht von Umgestaltung der Welt! – O, mich ergreift eine tiefe Verachtung gegen dieses Geschlecht, das sich das [155] junge, neue nennt. Die Welt war früher geknechtet, aber sie wird es durch diese Freiheitsschöpfer doppelt und dreifach werden.« –

»Haben Sie Ihrem Vater diese Ansichten mitgetheilt?« fragte die aufmerksam Zuhörende.

»Er kennt sie und verlacht sie,« sagte der Sohn bitter. »Nach seinem Sinn repräsentirt er das junge Preußen, ich das alte. Er ist stolz, daß hier der Vater jünger ist als der Sohn. Ich könnte ihm beweisen, daß es ein noch ganz junges Preußen giebt, das allerjüngste, das offen gesteht, daß es die alte Treue anerkennt, in ihr nur das Heil sucht.«

Felix that einen Freudensprung und klopfte an die Scheiben des Fensters, indem er rief: »Der Vater, der Vater! Da kommt er. Er hat sich von der Sitzung frei gemacht.«

Constance erhob sich, um dem Eintretenden entgegen zu gehen, der einige Papiere und Druckschriften unterm Arm, eintrat. Er warf einen zornigen Blick auf den Sohn, der sich neben dem jüngern Bruder an's Fenster stellte. Nach einer kleinen Weile entfernten sich die Brüder.

»Ich muß Sie bitten, theure Constance, daß Sie meinem Sohn keinen Zutritt weiter bei sich gestatten. Ich muß Sie recht ernstlich darum bitten.«

[156] Die Gräfin sah ihn befremdet an.

»Ja, ja!« rief er mit tönender Stimme, »das ist meine Meinung, und ich will, daß man sich danach richte.«

»Erlauben Sie, Heinrich!« entgegnete die Gräfin mit einem kalten und gemessenen Tone, »daß ich für's Erste noch meine volle Freiheit behalte und bei mir sehe, wen ich sehen will.«

»Es war nicht so gemeint,« entgegnete der Präsident und küßte ihre Hand. »Sie haben ganz Recht mich zurückzuweisen. Ich bin zu ungestüm in meiner Liebe.«


[157]


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