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16.
Das Gespräch um Mitternacht.


Clorindchen, meine arme Kleine, weißt Du auch, daß ich über unsre Bodenkammer verfügt habe? Du schlummertest so süß und ruhig, ich wollte – und wenn man mich mit Nesseln dazu gepeitscht hätte, Deine Ruhe nicht stören, um Dich um Deine Zustimmung zu fragen. Wie Du lagst, mein Kind, mit den unschuldigen, gerötheten Wangen, dem Lockenköpfchen – weiß Gott, ich war eine Närrin! Denn ich konnte es ja bei Deinem Wachen bequemer haben, aber ich raubte Dir einen Kuß.«

Rindchen fragte, wem das Zimmer, auf dem Boden eingeräumt worden.

»Das geht nicht so schnell mit der Antwort, kleiner Naseweis,« entgegnete Amenaïde. »Wenn Du nicht so ein ›Kiek in die Welt‹ wärest, so wüßtest Du, daß wir von den Zeiten unseres Vaters [171] gewissen Leuten einige Rücksichten schuldig sind. Aber davon schwatze ich vergeblich! Du weißt nichts, Strudelköpfchen; was geht Dich die rohe, wilde Welt an? Bin ich nicht da, um Dich auch nicht durch die kleinste Spalte hineingucken zu lassen.«

Clorinde hatte sich wieder auf die Fußbank niedergelassen, und das Köpfchen auf die linke Seite geneigt, sah sie schalkhaft und bittend zur Schwester auf: »Bitte, was ist's!« rief sie, »laß Dein armes Mäuschen nicht so lange schmachten.«

Amenaïde fuhr sich mit dem Tuch über die Augen und sagte: »Als der Vater starb, war ich fünfundzwanzig Jahr alt, und Du – ein so ganz – ganz kleines Schnippchen! Es ist nicht zu sagen, wie niedlich Du warst.«

»Ich bin ja nur fünf Jahre jünger als Du! – Ich besinne mich ganz wohl auf die Zeit.«

»Unmöglich!« rief die Schwester – »ich sage Dir, rein unmöglich! Wenn Du auch den Jahren nach alt genug gewesen sein magst, und das bedarf doch noch sehr des Beweises, – so warst Du doch so kindlich, so ganz noch frisches, unentwickeltes, grundliebes und grundzerstreutes Kind, daß man, so lang die Welt, nichts so himmlisch Unschuldiges wird gesehen haben. Nein, nein, ich weiß mich noch zu [172] besinnen, daß Du mir sagtest: Der Vater schläft, er wacht wohl noch auf. Siehst Du, so etwas sagt kein zwanzigjähriges Mädchen.«

»Gleichwohl war ich aber doch zwanzig Jahr. Und jetzt sind es bereits funfzehn Jahr, daß der Vater todt ist. Ach, Idchen, wie die Zeit vergeht.«

»Ja, sie vergeht!« sagte Amenaïde und seufzte. »Wir armen Waisen, die wir ohne Vater und Mutter dasitzen. Wenn man uns verderben wollte, ich wüßte nicht, was es verhindern sollte! Alle nur erdenkliche Bosheit kann die Welt an zwei so armen, schutzlosen Wesen ausführen, und sie führt sie auch aus. Aber sei nicht bange, Kindchen; eine Löwin ist nichts dagegen, im Vergleich mit mir, wenn ich sollte herausgefordert werden Dich zu schützen. Ein Griff, und gleich Blut und letztes Zucken!« –

»Aber Du wolltest erzählen« –

»Nun ja. Du weißt Dich zu besinnen, unser Vater hatte eine große Parthie verschimmelten Tabak, den er gern los sein wollte, und da war ihm ein Herr Klapperson behülflich, der gerade die Lieferung für ein königliches Institut, ich glaube für irgend ein Invalidenhaus in der Monarchie hatte. In dieses Institut ging der verschimmelte Tabak ab. Es war, wie die Männer zu sagen pflegen, ein gutes Geschäft, [173] und unser Vater, der ein wahrer Engel an Güte war, gewann ein tüchtiges Stück Geld. Ich habe davon wie im Traume sprechen gehört, denn ich war damals auch noch sehr unentwickelt. Indessen als das Institut den Tabak zu schnupfen und zu rauchen begann, denn es war beides, Rauch- und Schnupftabak, merkte es etwas von der üblen Qualität der Waare. Das Institut wurde klagbar. Die Sache hätte für unsern Vater und Herrn Klapperson etwas unfreundlich endigen können, wenn nicht ein braver Advocat dagewesen wäre, der für ein Gewisses, das unser theurer Vater und Herr Klapperson zusammenschossen, es dahin brachte, daß der Prozeß zu unsern Gunsten entschieden wurde und das Institut den Tabak hinfort für echten Virginia consumiren mußte. Dieser Advocat, jetzt Justizrath, ist Herr Klimper, und er ist es, der das Frauenzimmer uns gebracht und sie uns empfohlen hat. Du siehst also, daß ich ihn nicht abweisen konnte, besonders da die fremde Dame seine weitläufige Anverwandte ist.«

»Ich will vor Dir in Staub vergehen,« rief Clorinde, »wenn ich von allem dem nur ein Wort verstehe. Allein was Du thust, ist gut gethan; das ist mir genug.«

Die Schwestern umarmten sich lange und heiß.

[174] »Ich wußte es,« Hub die Aeltere wieder an. »Wozu auch Kindern von der Welt Geschichten vorreden! Es war eine Thorheit. Für Dich, mein Herz, sind Blumen und Vögel! – Vergieb mir.«

Neue Umarmung und Thränen in Amenaïdens Blicken.

Beide Schwestern gingen nun hinauf, um das Zimmer für die neue Bekanntschaft einzurichten.

 Unterdessen war diese selbst mit ihrem Führer bei dem Justizrathe, einem langjährigen Freunde und Genossen des Präsidenten angelangt. Doctor Klimper kannte seine Gäste und erwartete sie. Obgleich tief in der Nacht, war er doch noch an seinem Schreibtische beschäftigt und leuchtete mit der Lampe hinaus, als er die Droschke halten hörte.

Der Präsident führte die junge Person in ein Nebenzimmer, wo er sie auf einem Sopha Platz nehmen hieß, indeß er zu seinem Freunde in's Studirzimmer ging. Der Arzt hatte sich entfernt.

»Ich bin Dir Dank schuldig, mein Theurer,« hub der Präsident an, sich erschöpft in einen Armstuhl am Schreibtische niederlassend, »daß Du in dieser Angelegenheit mir dienstbar geworden. Bedenke selbst, welch ein Verdruß mir hätte erwachsen können. Meine Braut war hinter diesen Schlich gekommen [175] und auf dem besten Wege, dem Geheimniß noch weiter nachzugehen.«

»Sei ohne Besorgniß,« entgegnete der Justizrath. »Ich schaffe die Kleine zu einem paar spröden Jungfern, die mir verpflichtet sind, und wo sie gut aufgehoben sein wird. Du kannst sie so lange dort lassen, bis Du mit Deinen Geschäften im Reinen bist. Zu den beiden alten Mädchen kommt Niemand, und keine Seele wird daher die Verlorene dort suchen.«

»Es ist gut. Schaff sie dort hin. Es ist mir wie ein Stein vom Halse. Auf die Dirne selbst kann ich mich verlassen. Ich hab sie ganz in meiner Gewalt! sie fürchtet mich und wird – selbst wenn sich die Gelegenheit bietet – nicht ein Wort über ihre Lippen gleiten lassen.«

»Ich kenne das,« lächelte der Freund; »Du hast von frühester Jugend an eine unbegrenzte Macht über das zarte Geschlecht ausgeübt. Sie haben Dir ohne Gnade ihr Theuerstes opfern müssen. Von diesem jungen achtzehnjährigen Geschöpf bis zur achtzigjährigen Alten, die wir zusammen gebrandschatzt haben. Du warst der Don Juan, ich nur der Cassirer.«

Der Präsident lächelte. Aber seine Miene nahm [176] sogleich wieder einen Zug von Bekümmerniß an. »Es geht nicht rasch vorwärts,« hub er an. »Wir müßten weiter sein und endlich einmal die Erndte vor uns haben. Die Reaction siegt überall. Was sollen wir unsern Leuten sagen, die auf uns hoffen.«

Der Justizrath schob einige Papiere auf dem Tische zusammen, sah nach der Uhr und unterdrückte ein Gähnen. »Du hast es ja so haben wollen,« bemerkte er scharf. »Ich und meine Freunde waren für die Empörung und das Blutvergießen. Du sagtest damals: Nein, Freunde; der sicherere wenn auch langsamere Weg ist durch die Kammern zu wirken. Der Scheinconstitutionalismus, zu dem wir die Fürsten schon gezwungen haben, führt, wenn wir ihn consequent fortführen, zur Republik; das heißt, zur Herrschaft unsrer Partei. Die Kammern, wenn wir sie mit den Unsrigen füllen, bringen langsam und unaufhörlich den Fürsten, dem Adel, dem Heere und der Geistlichkeit Todeswunden bei. Das sagtest Du damals, besinne Dich. Darauf hin, haben wir das Volk zu bearbeiten, einstweilen eingestellt.«

»Es ist dies auch noch meine Ansicht,« begann der Präsident. »Wir sind mit den Kammern auch schon so weit, daß wir kaum weiter gelangen können, wenn wir die Maske noch irgend vorbehalten [177] wollen. Viele von uns sind schon so unvorsichtig, offen den Republikaner, den Umsturzmann zu zeigen. Merkt die Regierung, die, Gott sei Dank, jetzt noch dumm genug ist von uns zu glauben, daß wir es ehrlich mit ihr meinen, merkt sie, woran sie mit uns ist, so hat sie noch die Macht in Händen uns zu beseitigen. Auf diesen Punkt sind wir nun angelangt. Der Regierung gehen die Augen auf; wir haben es in Wien erlebt, wir werden es hier in Preußen auch erleben. Ehe wir dies aber erleben, muß eine große und gewaltsame Anstrengung von unsrer Seite geschehen.«

»Eine Schilderhebung?« sagte der Justizrath.

»Etwas dergleichen; wir verstehen uns. Aber wir – unsrerseits müssen den Massen zu Hülfe kommen. Es ist bereits Vieles geschehen – ein Netz anarchischer Bestrebungen ist über Deutschland ausgespannt. Dadurch, daß wir die Regierung wiederum durch die Kammern gezwungen haben, Amnestie über alle politische Verbrecher zu erklären, haben wir das Volk so weit geführt, daß es nunmehr vor keinem Verbrechen zurückschreckt. Die Regierungen selbst drücken uns den Dolch in die Hand, um ihnen den Todesstoß beizubringen. Wollen wir denn auch nicht zögern. Ich theile Dir hier Briefe mit, die ich aus [178] Süddeutschland, aus Paris erhalten. Es gilt vor allen Dingen Preußen zu schwächen, und seine noch kolossalen Kräfte unschädlich abzulenken. Man benutzt die Ehrlichkeit des Königs, und an dem Faden dieser Ehrlichkeit leitet man ihn in ein Labyrinth, aus dem er nicht wieder wird heraus können. Im Tumult und der Verwirrung, die, wenn wir so weit sind, über Deutschland losbrechen wird, müssen wir dann rasch auf unsern Posten eilen und die mürbe gemachte Mauer an tausend Punkten durchbrechen und stürzen. Sie wird fallen und muß fallen.«

»Aber die Armee?« fragte der Justizrath.

»Diese Armee,« entgegnete der Präsident, »diese preußische Armee, unser hartnäckigster Feind und der Zerstörer aller unsrer Pläne bis jetzt – geben Sie Acht, Freund, wie ganz anders diese Armee sich zeigen wird, wenn es nicht mehr ein Preußen giebt, sondern ein einiges Deutschland. Diese Armee, die ein Tiger, ein Löwe, ein unbesiegbares Ungeheuer ist, so lange sie unter ihrem rechtmäßigen Fürsten, für den Ruhm und die alte Ehre des Preußenlandes ficht, die selbe Armee wird ihre Arme lose herabhängen lassen, so bald sie merkt, daß sie eine ungewisse, zweifelhafte Sache verfechten soll, so bald sie merkt, daß sie für uns die Kastanien aus der Asche holen [179] soll. Es war dies ein schlauer Griff der Frankfurter Freunde, und so sah ich ihn auch an. Der König und sein Heer müssen in unser Labyrinth gezogen werden, um dann nimmer wieder herauszukönnen.«

Der Justizrath brachte aus einem verborgenen Schubfach einige Briefe hervor. »Lesen Sie das!« sagte er. »Die Hand, die diese Feder geführt, ist zu jedem Dienst bereit.« –

»Für's Erste noch nicht nöthig,« murmelte der Präsident – »allein es könnte nöthig werden. Wird viel Geld gefordert?«

»Ja doch! Sparen können wir nicht. Denke doch nicht, daß wir sparen können. Schon durch Deine Saumseligkeit, Geld mit vollen Händen auszustreuen, hast Du unser hiesiges Hülfscorps übler Laune gemacht. Ich kann mich auf gewissen Plätzen und in gewissen Stadtvierteln nicht sehen lassen, ohne daß unsre Agenten auf mich losstürzen und für das sogenannte ›Volk‹ rückständige Diäten betteln. Unsre Freunde wären im Stande, uns das Haus über dem Kopfe anzuzünden, wenn wir sie nicht bald auf die Häuser unsrer Nachbarn verweisen können. Es kommt übrigens jetzt so viel Skandal heraus, bloß deshalb, weil wir nicht gut zahlen, sondern immer versprechen.«

[180] »Und wovon zahlen?« fragte der Präsident gereizt. »Wir haben nichts. Die einzelnen reichen Demokraten sind ausgepreßt. Oeffentliche Cassen à la Struve haben wir noch nicht in Beschlag nehmen können. Ein Proudhon'sches System, das in Frankreich zündet, würde hier nicht zünden. O wir Deutschen sind leider immer arm an Hülfsmitteln gewesen, wenn es darauf ankommt, Staatsumwälzungen hervorzubringen.«

»Die Franzosen und die Polen bezahlen gut, das ist das ganze Geheimniß,« rief der Justizrath. »Man macht keine Revolutionen auf Borg.«

Der Justizrath legte das Päckchen Briefe bei, ohne es wieder einzuschließen.

Die da so sprachen, waren preußische Justizbeamte, im Solde und im Eide der Regierung, die sie zu stürzen beabsichtigten.


Und wieder zog der Wind über die Haide; die Geschlechter der Menschen standen enggeschaart und harrten der Geschicke, die da kommen sollten. Der Wind zog über Gräber dahin, über Gräber, in denen [181] Herzen schlummerten, die den Verrath und den Treubruch geübt, und die jetzt ihren Lohn davon hatten. Der Wind zog über die Haide! – Es sinken blühende Saaten, es sinken stolze Herrscherreiche vor dem Hauche der Allmacht. Wieder kommt eine Zeit, und wieder kommt eine eitle und verführerische Macht, die sich über die Häupter der Menschen erhebt. Und eine andre Zeit kommt, wo diese Macht gebrochen und zerstückelt in die Tiefe sinkt. In den Urnen und Aschenkrügen wird der Staub Derer gesammelt, die einst für eine Ewigkeit zu regieren meinten. Aber sie sanken, und ihr Geschlecht sank! – Der Wind zieht über die Haide! Es wandeln die Propheten und singen heil'ge Lieder, aber wer ist, der ihrer achtet? Wie Spreu im Winde, wie die Blumen im Wüthen des Orkans, so verweht ein unsterblich Wort vor dem sterblichen Ohre. Die Fürsten und Völker hören nicht. Es ergeht über sie ein Geschick, und sie haben nicht geahndet, daß es komme! – Es zieht der Wind über die Haide! – –


[182]


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