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24.
Ein Unglück kommt nie allein.


Kaum hatte der Präsident sich in etwas erholt über die »unermeßliche« Dreistigkeit, die sich eine Frau, ein schwaches und bis jetzt für lenksam gehaltenes Wesen gegen ihn erlaubt hatte, als auch schon ein neuer Angriff seines böswillig gestimmten Geschicks ihn traf. Er erhielt die Nachricht, daß der Staatsanwalt gegen ihn die Klage auf Hochverrath beantragt hatte, und daß man von den Kammern die Einwilligung erwarte, ihn frei gegeben zu sehen, um ihn den Gerichten zu überliefern.

Mit diesem Schreiben noch in der Hand, traf ihn sein Unterhändler, der ihm meldete, daß das in Sicherheit geborgene Opfer, jene unglückliche Verführte, abermals verschwunden sei.

Der Präsident schlug ein kurzes, helles Lachen auf. Er winkte dem Commissionair, sich zu [260] entfernen, und als er sich allein befand, warf er das Papier auf den Tisch und blieb mit auf der Brust verschränkten Armen und starrem Blick mit einem bittern und höhnischen Lächeln vor demselben stehen. Plötzlich riß er sich aus seinen Gedanken empor, eilte zu dem Päckchen Briefe und Schriften, die ihm der Sohn übergeben, und nachdem er ein paar Sekunden darin gewühlt, legte er befriedigt und mit geglätteter Miene das Päckchen wieder bei Seite.

In diesem Augenblick trat der Justizrath ein.

Die Thüre wurde sorgfältig verschlossen.

»Wissen Sie schon?«

»Ich weiß.«

»Aber, mein Freund, lassen Sie sich darum kein graues Haar wachsen. Wir wollen Sie schon durchbringen. Für's erste, kommt es wirklich zur Untersuchung, so erklärt sich der Gerichtshof für incompetent. Allein es wird gar nicht zur Durchführung der Klage kommen. Schon die Kammer wird Sie nicht frei geben. Ich meine die Kammer, zu der Sie gehören.«

»Das ist auch meine Hoffnung,« sagte der Präsident. »Allein wenn diese Kammer geschlossen wird, wenn man uns auflös't? Wie dann?«

»Das wird man nicht wagen.«

[261] »Was wagt die Regierung, die sich wieder stark fühlt, nicht alles!«

»Nun – auch dann! Sie wissen, wie man Urtheil spricht heutzutage.«

»O, wie ich und meine Genossen Urtheil sprechen! Das weiß ich. Allein es hat sich ein neuer Geist eingeschlichen. Ich erleb' es an meinem Sohne. Diese Thoren wollen das Gesetz wieder in seiner ganzen Kraft« –

»Albernheit. Der Geist der Zeit« –

»Ist ein perfider Geist; er wendet sich jetzt gegen uns. Aber wollen wir die kostbaren Minuten nicht mit Reden verlieren. Sie sind mein Freund, wir handeln zusammen. Zum Glück sind die gravirendsten Schriften und Papiere in meinen Händen. Namentlich der Brief, der – Sie wissen – über die versprochene Auslieferung der Zündnadelgewehre handelt. Die Quittung des – Gesandten hatte ich die Unvorsichtigkeit, oder vielmehr das einfältige Vertrauen gehabt, unserem Breslauer Agenten, der sich als ein Schurke und Verräther erwiesen hat, in Händen zu lassen.«

»Ei – wie haben Sie denn diese kostbaren Indizien erhalten?«

»Zufällig.«

[262] »Nun, das ist ein liebenswürdiger Zufall gewesen. Möchte ein ähnlicher Zufall uns auch das Geld wieder zuführen, mit dem die beiden Brüder H – uns entlaufen sind.« –

»Darauf hoffen Sie nicht. Im Gegentheil, wir werden noch Summen dazu opfern müssen. Ich sage Ihnen, wenn man mich fallen läßt, so reiße ich Euch Alle mit in den Abgrund.« –

Der Justizrath fuhr erschreckt zurück, und seine große Nase wurde kreideweiß.

»Aber, mein Liebster, man wird Sie nicht fallen lassen. Unser Phalanx hält, wie im Feuer verschmolzen, zusammen. Keine Fliege kann sich durch unsere Reihen hindurchdrängen.« –

»Im schlimmsten Falle,« fuhr der Präsident fort, »könnte man diese Beweise und Schriften, die noch über mich sich finden werden, einem Andern zuschieben.«

»Einem Andern? Offenbar muß dieser Andere Ihren Namen führen?«

»Ja.«

»Also demnach« – der Justizrath fand doch für gut, wenigstens des Anstandes wegen, etwas zu zaudern, ehe er hinzusetzte – »Ihr Sohn?«

»Er hat denselben Vornamen wie ich.«

[263] »Hm!«

»Was sagen Sie?«

»Eine gute Idee!« Der Justizrath nahm rasch eine Prise. »Sie machen alsdann den jungen Mann unglücklich.«

»Nicht doch! Ich werde ihm behülflich sein zu entwischen. Alsdann hab' ich noch den großmüthigen Vater für mich, und der Junge hat eine Lection verdient. Ich theile Ihnen das nur als Plan mit – im schlimmsten Falle.«

»Ich verstehe. Jedenfalls würden Sie den Eid ablegen, daß die Handschrift der Briefe nicht die Ihrige ist.«

»Das würde ich, versteht sich!« entgegnete der Gefragte mit großer Sicherheit und Ruhe, und in dem Tone, wie Jemand sagen würde: ich werde heute meinen wattirten Ueberrock anlegen.

»Man muß nicht von Dingen sprechen, die noch nicht da sind,« hub der Freund wieder an. »Vor allen Dingen tüchtige Arbeit in der Kammer! Sturz dieses Ministeriums! Bildung eines neuen! Dann vorwärts. Deutschlands Einheit nach unserm Sinn! Einführung der Grundrechte, damit endlich einmal die Revolution einen legalen Boden hat, auf dem man weiter bauen kann.« –

[264] »Nun ja doch! – ja. Dazu sind wir ja da!« sagte der Präsident ungeduldig.

»Gut, denn! Das Uebrige sind Kleinigkeiten. Sind wir Minister des einigen Deutschlands, so werden wir über diese Stunde lachen. Noch Eins, unsre Kleine ist wieder entschlüpft. Ich war bei den zwei alten Jungfern, sie sind wüthend, daß ich es gewagt, ihnen unter falschem Namen die Kindbetterin in's Haus zu bringen.«

Der Präsident hörte nur halb hin. »Ich weiß – ich weiß!« sagte er zerstreut.

Der Diener trat ein und gab einen Brief ab, indem er zugleich meldete, daß im Vorzimmer der Ueberbringer warte. Diesen Augenblick benutzte der Justizrath, um sich zu entfernen, um zu einem Austernschmaus zu eilen.

Der Präsident machte aus dem Brief einen Ball und schleuderte diesen in die Ecke des Zimmers. Dann öffnete er die Thüre, blickte hinaus in's Vorzimmer, und als er einen Soldaten dort stehen sah, winkte er ihn herein. Friedrich Forst trat ein.

»Sie sind ein Schütze.«

»Ja, von der fünften Compagnie.«

»Was geht Sie das Mädchen an, und wie kommen Sie dazu, mir jenen Brief zu überbringen?«

[265] »Sie bat mich darum.«

»Einfältig, mein Freund! Muß man alles thun, um was die Leute Einen bitten?«

»Wenn man's kann, und wenn's nichts Unrechtes ist, und wenn man dadurch helfen kann– ja!« sagte Friedrich bescheiden und freundlich.

»Wo ist sie denn?«

Friedrich nannte den Ort, wohin er Marie gebracht.

»Wer sagt Ihnen, daß diese Person gerade mich meint?«

»Sie hat mir die Wohnung beschrieben und Ihre Person mir bezeichnet.«

»So? That sie das! Wirklich. Und sagte Ihnen zugleich, was sie von mir wolle?«

»Nein, das hat sie mir nicht gesagt.«

»Woher wissen Sie denn, daß« – er hielt inne und an dem treuherzigen, unbefangenen Blicke Friedrich's glitt seine Frage ab, und er setzte hinzu: »daß Jene unglücklich ist?« –

»O, mein Herr, das braucht mir Niemand zu sagen. Das lese ich aus den Augen und Mienen eines Menschen.«

»Sie können sich verlesen. Nun, es ist gut; Sie können wieder gehen. Bringen Sie ihr diese [266] fünf Thaler und setzen Sie mir darüber eine Quittung auf.«

Friedrich wurde roth bis an die Stirne heran. »Ich bin Soldat,« sagte er.

»Nun ja – was heißt das? Das seh' ich.«

Er nahm die Feder und unterschrieb. Der Präsident sah den Zettel an, und während er Sand darüber streuete, heftete er einen beobachtenden Blick auf den jungen Mann. »Sie müssen nicht glauben, mein Freund, daß ich die Befürchtung hatte, Sie könnten vielleicht das Geld unterschlagen.«

Friedrich antwortete nicht, sondern grüßte militärisch und wollte gehen.

Der Präsident hielt ihn auf. »Die Schützen sind brave Leute,« hub er nach einer kleinen Pause an. »Sie stehen in dem Rufe, daß es ein intelligentes Corps sei. Sie besuchen die Clubs! Man kann mit ihnen ein Wort sprechen; es sind wahre Patrioten.«

Der Fragende hatte etwas Lauerndes, als er diese Worte sprach.

Friedrich sah ihn mit seinen dunkeln Augen ernst und schweigend an.

»Hab' ich nicht Recht?«

»Freilich. Daß wir gute Patrioten sind, versteht [267] sich. Daß wir für unsern König und unsern Eid unser Blut lassen, das haben wir in Schleswig gezeigt, und wollen es wieder zeigen, wenn Gelegenheit dazu da ist.«

»Hm. – Hat man Euch nie gesagt, daß etwas im Werke ist?«

»Was?«

»Wie kann man so fragen. Ihr seid gewiß ein Pommer.«

»Ja, das bin ich auch!« rief Friedrich, ganz erfreut, daß man sein Vaterland ihm angemerkt.

»Nun, und was sagte man Ihnen im Club, junger Freund?«

»Was man mir da sagte,« entgegnete der Soldat, »verglich ich mit dem, was mir mein Vater gesagt hat, und ich fand, daß mein Vater besser gesprochen hat, kürzer, bündiger, und verständlicher.«

»Und was sagte Ihnen der Vater?«

»Junge,« sagte er, »und schlug mir mit seiner alten, dürren, haarigen Faust auf die Schulter: Habe Gott vor Augen, willige in keinen Bubenstreich, bleib Deinem König treu und Deinem Eide, und das Uebrige laß – Gott machen!« –

»Das war die ganze väterliche Lehre?« –

»Das war sie.«

»Sehr kurz.«

[268] »Ja, sehr kurz.«

»Nun, Sie können gehen. Sagen Sie der Person, daß ich in dieser Woche noch Jemand zu ihr schicken werde. Sie soll sich ruhig verhalten.«

Friedrich legte die fünf Thaler vorsichtig in die noch neue Tasche seines kleinen Gedenkbuchs. In dieser Tasche, die noch in dem Glanz der rosenrothen Seide schimmerte, hatte sich noch nie Geld befunden; dieses, für seine arme Schutzbefohlene sollte das erste sein.

Der Präsident sah ihm nach und murmelte vor sich hin: »Wenn wir nur diesen kindischen ›Glauben‹ ertödten könnten, eine Armee würde uns auf der flachen Hand wachsen.«


[269]


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