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5.
Der Apotheker.


Daß sie sehr schön war, konnten die beiden Schützen deutlich bemerken trotz der im Stübchen schon stark überhand nehmenden Dunkelheit. Sie trug ein weißes Hütchen mit einem langen Spitzenschleier, und diesen Schleier hatte sie zum Glück zurückgeworfen, dann hatte sie ein grauseidenes Kleid, das dicht bis unter's Kinn schloß, und die Hand, die auf den Griff des kleinen Schirmes – war es nun ein Regen- oder ein Sonnenschirm, es konnte beides sein, – sich stützte, war in einen blaßrothen Handschuh gehüllt, und war, von einer durchsichtigen kleinen Manschette eingefaßt, von einer köstlichen Frische und Rundung. Der Fuß der Dame zeigte sich in ein Stiefelchen geschnürt, das – Tony Wickye hätte drauf wetten wollen – ebenfalls aus demselben lichtgrauen Seidenstoff bestand, wie das Kleid.

[29] Diese Dame trat einen Schritt in's Zimmer und fragte mit einer Stimme, die gleichsam das ganze Zimmer bis in seine äußersten Ecken hinauf mit Wohllaut füllte: »Wohnt hier nicht Madame Wiesentrost?«

Der alte Herr fühlte sich unfähig zu antworten, und glitt mit einer raschen Bewegung in die Tiefe seines Lagers hinab, von wo er, wie ein geschickter Schwimmer, nicht früher wieder auftauchte, als bis die Dame verschwunden war.

Friedrich und Tony sahen sich einander an, welcher zuerst vortreten sollte, um der Dame die begehrte Auskunft zu ertheilen.

Unterdessen hatte diese ihren Schleier niedergelassen. Es wurde viel – viel dunkler im Zimmer. Jetzt lüftete sie den Schleier etwas – und wie sonderbar! – es wurde wieder heller.

Die Dame war in der That von einer ganz wundersamen Schönheit.

Man hörte jetzt die Tritte der Frau Wiesentrost auf der Treppe, die Dame wendete sich um, öffnete die Thüre, und da sie den Gegenstand ihres Verlangens vor dem Flure bemerkte, zog sie sich dahin zurück, und man hörte sie ein ziemlich anhaltendes und leises Gespräch führen. Nach einer Weile [30] trat Frau Wiesentrost allein in's Zimmer, und zeigte auf der breiten Fläche ihres rothen, glänzenden Gesichts eine gewisse Befangenheit, indem sie zugleich ihre Blicke bald auf den einen, bald auf den andern der jungen Schützen weilen ließ.

Der alte Herr tauchte mit der Spitze seiner Nachtmütze aus der Tiefe des Bettes auf.

»Ich weiß nicht,« hub die Hebamme an, »ob einer dieser Herren artig und gefällig genug sein wird, um einer anständigen Dame einen Dienst zu leisten. Wenn mein theurer Arthur hier wäre, so würde ich nicht lange erst zu suchen nöthig haben, allein er kommt erst um zehn Uhr heim.«

»Einen Dienst der Dame?« riefen Friedrich und Tony mit einer Stimme. »Wir sind beide bereit!«

Hier erschien die Dame selbst auf der Schwelle der Thüre und sagte mit einem unbeschreiblich anmuthigen Lächeln: »Meine Herren, ich wünsche auf einem kleinen Gange, den ich mit dieser guten Frau unternehme, einen Begleiter, der uns allenfalls zu schützen im Stande ist, wenn wir dessen bedürfen. Ich werde höchstens nur auf eine halbe Stunde Ihre Güte in Anspruch nehmen.«

Frau Wiesentrost sagte, daß diese halbe Stunde, [31] wenn ihr Arthur da wäre, für diesen mit allem Gold der Erde nicht zu bezahlen sein würde.

»Ich bin bereit,« sagte Tony.

»Ich bin bereit,« sagte Friedrich. Beide legten sich ihre Hirschfänger um und griffen zu ihren Mützen.

»Nein, meine Herren,« hub die Dame an, »nur Einer, wenn ich bitten darf. Zwei wären zu viel und würden auffallen.«

»So werde ich das Glück haben,« sagte der Pommer, indem er sich rasch eines kleinen Päckchens bemächtigte, das Frau Wiesentrost unter dem Arme hielt.

»Du vergißt,« bemerkte Tony, »daß deine Cousine heute auf Dich wartet. Ich werde die Dame begleiten, wenn sie es befiehlt.«

»Meine Cousine,« sagte der Pommer gereizt, »ist gar nicht von der Art, daß sie es mir übel nimmt, wenn ich einmal wegbleibe. Uebrigens erwartet sie mich heute auch gar nicht.« Er behielt standhaft das Päckchen unter dem Arme.

»Mein Himmel,« sagte die Dame besorgt, »es wird spät und immer später, und unsre Angelegenheit eilt.«

[32] »So wollen wir gehen;« sagte der Pommer. »Worauf warten wir noch?«

»Ja wir wollen gehen,« bemerkte Frau Wiesentrost. Sie richtete noch einen besorgten Blick auf das Sopha. Da sie aber in dem Berge von Kissen nicht die kleinste Bewegung spürte, gab sie Tony den Fliegenwedel in die Hand und sagte: »Nicht wahr, lieber Herr Schütze, Sie bleiben hier bis mein theurer Arthur kommt! Um eine halbe Stunde muß der Kranke von dem Fläschchen dort einnehmen, zwei Löffel und einen halben. Nun wollen wir gehn.«

Tony war an's Fenster getreten und sprach kein Wort, wendete sich auch nicht um, als die Drei fortgingen. Auf der Treppe kehrte Friedrich rasch wieder zurück, legte das Päckchen in Tony's Hände und sagte: »Geh Du!«

Tony nahm rasch das Päckchen und verließ das Zimmer; Friedrich sah ihm nach und sagte: »Er hätte mir auch danken können! Es ist mir wahrlich schwer genug geworden. Aber so ist er, er dankt nie; dazu ist er viel zu stolz. Es ist ein Neuschateller.«

Ueber die dunkle Straße, an der Laterne vorbei, die eben angezündet wurde, sah er die Drei vorbeischreiten; dann bemerkte er noch, wie Tony eine [33] Droschke herbeischaffte, und wie er zuerst die schöne, graziöse Dame hineinhob, und dann die dicke Frau Wiesentrost, und wie er dann zuletzt selbst einstieg. Dann bog die Droschke um die Ecke und war verschwunden.

Unterdessen war der alte Herr wieder auf der Oberfläche seiner Kissen erschienen, und Friedrich zündete eine kleine überdeckte Lampe an, die er vom Schrank in der Ecke herablangte. Es wurde so heimlich in dem niedrigen Zimmer; der grüne Schein ließ die Ecken dunkel, und dem Pommer war es, als bewegten sich von dort aus allerlei Schatten, die da Lust bezeigten an das Sopha heranzuhuschen, die aber doch nicht kamen, sondern in ihren Winkeln blieben, wo sie unter dem alten Gerüll herumhüpften. Dann war es ihm wieder, als öffnete sich die Thüre leise, und das helle, liebliche Gesicht, das noch vor wenig Minuten sich hier gezeigt, blickte hinein, und die süße Stimme erfüllte wieder den Raum mit Wohllaut.

Der alte Herr brauchte Zeit, von seinem Schrecken sich zu erholen. Er fing ein langes, zeitraubendes Manöver mit seiner Nachtmütze an; endlich brachte er diese in eine Lage, wie sie ihm der Zeit und den Umständen angemessen schien; dann warf er einen [34] unbeschreiblich freundlichen Blick auf den jungen Mann, der an seiner Seite Platz genommen.

»Ich bin zu Ihrem Beistand da,« sagte Friedrich.

»Ich danke Ihnen, lieber, kleiner, grüner Soldat.«

Es ward wieder still im Zimmer, und die Schatten singen ihr altes Spiel an. Durch Friedrichs Kopf gingen allerlei Gedanken. Es kam ihm erst jetzt recht in den Sinn, daß er ganz allein bei einem Wahnsinnigen Wache hielt, daß dieser arme Verrückte Lust bezeigte ein Selbstmörder zu werden, und daß der Nagel an der Decke, mit Hülfe dessen die schauerliche That vollbracht werden sollte, gerade jetzt Friedrich so recht mit seinen langen, krummen Schatten in die Augen leuchtete, als wollte er sagen: seht, seht, ich habe gerade solch eine überhangende Spitze, wie jene Nachtmütze dort in den Kissen! Und es war auch wahr. Der Nagel und die Nachtmütze waren sich gleich wie zwei Stiefgeschwister, die den selben Vater haben. Je länger Friedrich den Nagel an der Decke betrachtete, desto unheimlicher wurde ihm das Zimmer und dessen Bewohner; er mußte schnell an etwas anderes denken, und da kam ihm nichts anderes in den Sinn, als die schöne Dame. So geblendet er auch war von ihrer Schönheit und ihrem Liebreiz, so wollte es ihm doch nicht [35] behagen, daß sie so allein in der Nacht mit einer Hebamme und einem jungen Schützen herumzog, und er wurde ordentlich böse auf sie. Wie er so finster vor sich hingrübelte, schlug eine Uhr im Nebenzimmer, und dies erinnerte ihn an die Medicamentflasche, aus der er dem Kranken einzugeben versprochen hatte. Er that es mit der besten Art und verschüttete keinen Tropfen.

»Du bist wohl auch ein Apotheker, mein Sohn?« fragte der alte Herr.

»Nein, ein Büchsenspanner,« antwortete Friedrich. »Mein Vater und Großvater waren Büchsenmacher.«

»Ehre Deinen Vater und Deine Mutter, auf daß Dir's wohlgehe auf Erden!« sagte der alte Herr.

»Versteht sich,« sagte der Pommer.

»Was sagtest Du?«

»Ich sagte, das verstände sich von selbst; wo wäre wohl ein Sohn, der seinen Vater nicht ehrte!«

»Ich bin ein solcher!« erwiederte der alte Herr. »Darum fingen die Gläser auch bei mir zu sprechen an. Sie hätten es sonst nicht gewagt. Aber sie wußten es, sie waren im Hause eines Verfluchten.«

»Das ist ja entsetzlich!« sagte der Pommer.

»Es ist auch entsetzlich!« wimmerte der alte Herr. »Die böse Zeit ist über uns gekommen, weil [36] wir's an unsern Vätern verdient haben. Wer Vater und Mutter nicht ehret, deß Leuchte wird verlöschen in der Finsterniß. Wenn Du einen Stab nöthig hast, so nimm den Segen Deines Vaters; bedarfst Du eines Lenkseils, so nimm die Liebe Deiner Mutter. Wird ein Sohn gerecht befunden, so hat er Söhne, die ihm dienen; ist aber ein Sohn ein Schalk, so zeugt er ein Haus voll Betrüger und Diebe.« –

»Ihr habt da eine Handvoll hübscher Sprüche,« sagte der Pommer treuherzig.

»Ich habe noch mehre gewußt,« sagte der Kranke, »aber mein Kopf ist so voll Pulverdampf, und ich höre immerfort schießen, bald das grobe Geschütz, bald das Musketenfeuer. Immerfort!«

»Es ist alles ruhig,« sagte der junge Mann.

»Aber es wird nicht so bleiben. Von der geheimnißvollen Büchse des Fremden ist erst ein Drittel geleert; erst ein Drittel!«

»Von welcher Büchse?« fragte der Pommer. »Still!« rief der Kranke, indem er sich aufrichtete; »er ist überall und so könnte er auch hier sein. Still!«

Der Schütze sah sich überall um, besonders richtete er seinen Blick in die unheimlichen Winkel. [37] Dann sagte er mit fester und ruhiger Stimme: »Es ist Niemand hier.«

»So höre,« sagte der Kranke. »Ich war in jener Nacht, die ich nicht nennen will, allein im Laboratorium, als es plötzlich im Laden klingelte. Die Burschen und der Unterprovisor waren hinaus, ich weiß nicht wohin. Es war eine Unruhe in der Stadt, eine schreckliche, entsetzliche Unruhe. Das Kind auf dem Schooße der Mutter wollte nicht bleiben. Also, ich kam hinaus, obgleich ich mit Anfertigung eines sehr schwierigen Recepts beschäftigt war. Wer stand da draußen? Ein Mann, fahl und blaß wie der Tod, und auch eben so dürr, in einen kleinen, dürftigen Paletot gewickelt, der ihm kaum bis an die Kniee reichte und eine fatale aschfarbige Couleur hatte, gerade so eine Couleur, wie ich sie nie geliebt habe. Er hatte eine versiegelte Büchse unterm Arm. Was wollen Sie? fragte ich. Wohnt hier, entgegnete er mit einer Stimme, die so klang, als würfe man im Beinhause die Knochen der Todten gegen einander, wohnt hier Herr Eisenhorst, der seinem Vater die Apotheke durch Proceß abgewonnen hat? Ich bin Herr Eisenhorst, sagte ich, das Uebrige geht Sie nichts an. Er lächelte – es war ein ganz verfluchtes [38] Lächeln, und sagte dann, indem er die versiegelte Büchse halb unterm Paletot hervorbrachte und sie auf den Ladentisch setzte: Ich bin auch ein Apotheker. Ich bitte Sie, mein Freund, diese Büchse für diese Nacht aufzubewahren. Morgen in aller Frühe komme ich sie abzuholen. Bitte, nehmen Sie sich in Acht und lassen Sie Niemand über die Büchse kommen, denn wenn sie geöffnet würde, entstände großes Unheil. – Ich wollte ihm erwiedern: ei, scheeren Sie sich sammt Ihrer Büchse zum Teufel! als ich bemerkte, daß ich allein im Laden war und der Fremde mir gleichsam unter der Hand entwischt war. Aber die Büchse stand auf dem Ladentisch. Ich besah sie, sie hatte eine undeutliche Aufschrift, ich suchte ihren Inhalt zu errathen, es war nicht möglich. Darüber war es bald Mitternacht geworden, und ich ging in mein Schlafkammerlein, mich zu Bette zu legen. So sehr ich mich mühte einzuschlafen, ich vermochte es nicht: der Fremde und seine Büchse schwebten mir immer vor dem Sinn. Ich hörte den Provisor nach Hause kommen, und die Stimme des dienstthuenden Gehülfen, der im Laden irgend ein bestelltes Medicament verabfolgte. Nun wurde alles still. Es duldete mich nicht im Bette, ich erhob mich leise und schlich in den [39] Laden. Da stand die Büchse noch, und es war mir, als ginge ein geheimnißvolles Leuchten, wie von Phosphor, von ihr aus. Meine Neugier peinigte mich, ein Fieber schüttelte mein Gebein, ich stand im Hemde und hatte bereits die Hand angelegt, um den verpichten Deckel der Büchse zu lösen. Da dachte ich, es ist doch besser du läßt es, und schlich in mein Bette zurück; ein paar Minuten darauf war ich aber wieder da. Diesmal öffnete ich die Büchse. Es stieg ein dünner, schwärzlicher Rauch hervor, der sich an der Decke des Zimmers verdichtete und dann in schwarzen Flocken niederfiel, gleichsam wie Brandreste; dann kam ein bläulicher Schimmer, der oberhalb der Büchse schwankte und wankte und endlich in einer großen Menge feiner Strahlen emporschoß, die sich überall hin vertheilten. Das ganze Zimmer schien wie in blauem Feuer zu leuchten. Ich stürzte hin an's Fenster, öffnete es, weil ich zu ersticken und zu verbrennen fürchtete. In diesem Augenblick schlüpften eine ungeheure Anzahl kleiner schwarzer Gestalten aus der Büchse und purzelten über meinen Kopf und meine Schultern hinweg auf die Straße. Ich wußte nicht, wo mir der Kopf stand: in dem Augenblicke hörte ich's gegenüber schreien: Um Gotteswillen! beim Apotheker brennt's! Wo –? wo? rief [40] ich. Da kam es die Straße herunter, allerlei Volkes! unbekannte Gesichter, und ich glaubte in ihnen, wie sie so vorbeizogen, die allerhand Geister der Büchse wiederzuerkennen. Unglück über die Welt! Unglück über die Welt! rief eine Stimme, und eine andere aus der Ferne antwortete: Ja, Unglück! schweres Unglück! – Ich wußte nicht wer da sprach. In diesem Augenblick ging das Schießen los, und Geschrei, Tumult in den Straßen. Ich stürzte vom Fenster und eilte auf die Büchse zu, die ich nun schloß, aber zu spät, denn ihr Inhalt war schon zu einem Drittel geleert. Ganz außer mich rief ich: Fluch über den Fremden! Fluch über seine Gabe! Fluch über Dich selber! tönte es plötzlich um mich her, und ich vernahm nun, wie alle meine Büchsen und Gläser gegen mich zu revoltiren anfingen, wie die Schwämme und die Kräuterbündel sich aufrichteten und über mich in Verwünschungen ausbrachen. Fluch dem schlechten Sohne! schrieen sie, der seinem Vater das Grab gegeben! Fluch über die Zeit, wo alle Ehrfurcht und alle Treue verschwunden ist! Unglück über die Welt! Unglück über Dich! – Und aus der Ecke des Laboratoriums bewegte sich schwerfällig der Destillirkolben, und wälzte sich auf mich zu, und die kleinen und großen [41] Spritzen schossen dünne, giftige Strahlen ätzender Flüssigkeiten auf mich. Aus der Arsenikbüchse stieg ein blasses, fadendünnes Bürschchen hervor, mit blauen Lippen und einer zerfressenen Nase, das öffnete den Mund und wollte mich anhauchen. Ich wendete mich schaudernd ab, da kamen, wie kleine, im Grabe zusammengeschrumpfte häßliche Kinder, die Schwämme auf mich zugehüpft und riefen: Du hast Deinen Vater betrogen, und nun hast Du auch die Welt unglücklich gemacht! Jetzt bist Du uns verfallen! – Und aus allen Ecken und von allen Gestellen und Repositorien rief es: Hinaus, mit dem unnatürlichen Sohn! Hinaus! Er soll mit der Welt untergehen! Hinaus mit ihm! – Da lief ich denn, nachdem ich ein dünnes Röckchen übergeworfen, in die Nacht hinaus, und hab' seitdem die Schwelle meines Hauses nicht wieder betreten. Draußen baueten sie Barrikaden und schossen. Ich war mitten darunter, aber mich traf keine Kugel. Ich erkannte alle die Geister wieder, die aus der Büchse des Unbekannten emporgestiegen waren. Sie lachten mir zu, sie grüßten mich. Du hast uns befrei't! riefen sie: nur eine verfluchte Hand konnte uns befreien!« –

Der Schütze hatte diese lange Erzählung mit [42] Aufmerksamkeit angehört, dann schwebte ein Lächeln um seinen Mund, allein er unterdrückte, was er sagen wollte und schüttelte nur leise den Kopf.

»Seitdem hab' ich alles verloren, was ich besaß,« sagte der Kranke, »und seitdem trachte ich sehnlich darnach, aus dieser Welt zu gehen, in welche ich das Unglück gebracht.«

»Sie sind krank, lieber Herr,« sagte Friedrich. »Das ist das Ganze. Ich habe immer gehört, daß in jener Nacht einige Leute den Verstand verloren hätten, weil sie sich gar so arg erschreckt hatten.«

»Aber ich bin nicht unter diesen Leuten!« rief der Apotheker finster. »Nicht auf eine Secunde hab' ich mein gutes Bewußtsein eingebüßt. Alles das, was ich eben erzählt habe, ist buchstäblich wahr. Und, lieber kleiner, grüner Soldat, ich kann Ihnen die Leute zeigen, die jetzt offen in den Straßen herumgehen, und in den Kammern tagen, die früher in der Büchse des teuflischen Apothekers gesteckt haben. Es ist nur gut, daß ich den übrigen Inhalt der Büchse noch beisammen habe; ich will ihn schon hüten. Ich habe ihn hier unter dem Sopha verwahrt, und Niemand weiß davon.«

Dem Schützen fröstelte. Er wollte gehen, er wollte diesen Mann und dieses Zimmer verlassen, [43] er wollte wieder auf der Straße unter gesunden Menschen sein; allein er wußte wohl, daß er nicht fortgehen dürfe, weil sonst der Kranke den Versuch zum Selbstmorde wiederholen würde. Und dieser Gedanke war ihm entsetzlich. Er blieb also – es war ein Abend, der gar kein Ende nehmen wollte, der einsamste und niederträchtigste Sonntagabend, den er jemals verlebt zu haben sich besann. Der Wahnsinnige war, nachdem er seine Kräfte durch die aufreizende Erzählung erschöpft hatte, wieder in Schlummer gesunken, und die Lampe, da ihr das Oel ausging, drohte zu verlöschen. Bei diesem Kranken, und in diesem Zimmer – allein und in Finsterniß! Das war eine trostlose Vorstellung für den armen Jüngling. Er verwünschte es unzählige Male, seinem Kameraden hierher gefolgt zu sein, aber, indem er seinem Groll diese Richtung gab, fiel ihm ein, daß, wenn er nicht der Einladung Gehör gegeben, er auch die wunderschöne fremde Dame nicht zu Gesicht bekommen, und, indem er sie geschau't, ihr himmlisches Lächeln gesehen, mit dem sie ihm gedankt, als sie ihn so bereitwillig gesehen, ihr den geforderten Dienst zu leisten, schien ihm dies eine zu kostbare Erinnerung, selbst für seine ganze spätere Lebenszeit zu sein, als daß er sie durch die [44] Schrecken dieser Nacht als zu theuer erkauft betrachtet hätte.

Endlich kam der Sohn der Hebamme, und lös'te den erzwungenen Wärter von seinem Posten.


[45]


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