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25.
Zwischenbemerkungen.


Wir müssen die handelnden Personen unsrer Erzählung verlassen in dem Zustande und in den Verhältnissen, in denen sie sich jetzt befinden. Ihre nächste Zukunft ist uns verhüllt, wie sie es dem Leser bleibt. Es ist das Besondere der Erzählungen, die ihren Schauplatz aus der eben lebenden und bewegten Menge nehmen, daß sich keine historisch abgerundeten Gruppen hinstellen lassen, wie man es leicht thun kann, wenn man seine Gebilde dem Zeitalter Carls V. oder Ludwigs XV. entlehnt. Was wir aber dem Leser als abgeschlossen und begrenzt geben können, das wollen wir ihm geben. Erstlich die Heirath unsrer jungen Wittwe. Das ist schon viel; man liebt ja Heirathen am Schlusse der Erzählungen. Wenn nicht alle Zeichen trügen, so ist dieses Paar, das Liebe verbindet und Muth zusammengeführt hat, das glücklichste, das das unglückliche Jahr 1848 hat erstehen sehen; denn das Bündniß der Herzen datirte [270] sich – und diesen Umstand wußten die Liebenden sich jetzt sehr genau anzugeben – aus den letzten Monaten jenes Jahres. Wenn wir irgend im Stande wären, und der Leser ist gewiß in unserm Bunde, ein glückliches Prognostikon zu stellen, so möchten wir es diesem jungen Manne stellen, der mit der Tüchtigkeit des Herzens und der Klarheit des Verstandes, die beide zusammen den ächten Mann und den wahren Patrioten bilden, ausgerüstet, seine Laufbahn als Staatsbürger beginnt. Für den Präsidenten haben wir weiter kein Wort. Ist es uns nicht gelungen, sein Bild naturgetreu, wie wir es hier auf den Straßen dieser Stadt haben wandeln sehen, dem Leser vor den Blick zu stellen, so werden unsre weiteren Prophezeihungen in Hinsicht seines Schicksals ebenfalls keinen Glauben finden. »Er ist gerichtet!« Dieses Wort, das das Grausen des Todes zugleich mit den Schrecken der Hölle in sich faßt – dieses Wort, das kein Sterblicher aussprechen sollte, weil kein Sterblicher es in seiner ganzen gräßlichen, betäubenden Schwere zu fassen vermag, dieses Wort schwebt über seinem Haupte. Wir sagen »schwebt« – es sinkt vielleicht nicht nieder; es wird vielleicht wieder hinweggenommen von einer Hand, die in unser irdisches Dunkel greift, [271] rettend, begnadigend, aufrecht haltend, immer und immer wieder noch Zeit gewährend. Nachdem der Präsident noch einen vergeblichen Versuch gemacht hatte, sich seine Braut wieder zu erobern, wandte er sich von ihr und dem Sohne verachtend ab, und richtete seine ganze Thatkraft auf das politische Ziel, das ihm vor Augen leuchtete. Hier hatte er viel zu thun, die Hindernisse hinwegzuräumen, die sich auf dem Wege aufthürmten. Wir müssen fürchten, daß die falsche, rechtstödtende und lügnerische Politik, die er vertritt, noch einige Triumphe feiern wird, es ist dem Geist der Lüge und der Selbstsucht eine zu große Macht verliehen worden – allein lange wird die Herrschaft dieser Geister nicht dauern. Die Revolutionen sind da, um das Institut des absoluten Königthums zu säubern, so wie die Reformationen da sind, um den Boden der Kirche zu reinigen. – Das absolute Königthum, das jetzt wieder aus dem Kampf und Tumult hervorgehen wird, kann nicht anders, als das Glück der Völker bilden, denn es wird in gereinigter und geläuterter Gestalt, die festeste und für die Stämme des civilisirten Europas passendste Regierungsform darstellen. Die Scheingestalten, die jetzt auftauchen, dort die Republik, hier das constitutionelle Königthum, sind [272] als Kinder der Revolution nicht im Stande, gegen ihre eigenen Erzeuger sich zu halten. Sie gehören, mit Durchgangs- und Reinigungsepoche, zur Revolutionsperiode, und werden mit ihr verschwinden. – Das absolute Königthum und die rechtgläubige katholische Kirche sind – dies ist unsre Ansicht– es giebt hundert andere, und der Leser hat vielleicht die hunderterste – die einzig möglichen Bande, die eine nach tausend Richtungen hin sich zu verstreuen stets Neigung habende Gesellschaft zusammenhalten können. –

Wir könnten den Leser nochmals nach dem Köpenicker Felde, und nach dem Krankenhause Bethanien führen, allein er würde dort immer den selben Gestalten begegnen. Unverändert würde er die gelangweilte Oberin erblicken, die in ihrem schönen Saale wandelt und kein Gedächtniß hat, weder für das Leid, noch die Freude der Menschen, der selbst ihre eigenen Erinnerungen kein Interesse gewähren. Wenn wir auch unsre Erzählung erst nach dreißig Jahren schlössen, würden wir doch nichts anderes zu berichten haben, als daß die schöne, gelangweilte Gestalt in dem kleinen Hermelinpelz immer noch zwischen dem fünften und siebenten Fenster sich hin und her bewegt, Besuche empfängt, welche abstattet, und die Klingelzüge im Hause von Zeit zu Zeit in eine [273] lautschallende Bewegung setzt. Wenn eine matte und müde Seele eine Krankheit ist, und dagegen eine frische, liebende und feurige die Gesundheit, so ist diese arme Oberin, trotz ihrer Jugend und Schönheit, vielleicht die Krankeste unter all' den vielen Kranken in diesem großen, weitläufigen Kranken-Pallast.

»Nro. 9.« läßt sich dem Leser empfehlen. Es geht ihr wohl, und sie kann versichern, daß sie vortreffliche Senfpflaster auf Lederläppchen zu streichen versteht, und fast fabelhaft schnell einen Kamillen- oder Hollunderblüthenthee zu Stande bringen kann. Mit der Pförtnerin geht's noch besser: sie heirathet, und wen? Den wahnsinnigen Apotheker, der übrigens nicht mehr wahnsinnig ist. Der Paroxismus, den wir geschildert haben, war sein letzter. Mit der unglücklichen Pandoren-Büchse und ihrem Inhalt war auch sein Irrsinn verschwunden. Er zog wieder glatte, hellpolirte Stiefel an, einen bouteillengrünen Frack, und lief wieder, ganz wie vor den denkwürdigen Märztagen, die ewig lange Friedrichsstraße auf und ab, zu großer Freude der Straßenjungen aus dem ancien-régime, die sich seiner und seiner Apotheke noch ganz wohl erinnern konnten. Diese Apotheke wieder zu erlangen, war nun sein Trachten und sein Streben. Er nahm daher, als ganz passender [274] Anfang, eine Frau mit einigem Ersparniß, und dies war die Pförtnerin, die es nicht mehr im Krankenhause aushalten konnte, seitdem sie wußte, daß der todte Herr Piefke die Sache mit dem versilberten Löffel nun und nimmer vergessen werde, und seitdem ein neues kleines Kindergespenst hinzugekommen war, das an den goldenen Knöpfen oben auf dem Dache sog, im Irrthum, als sei dies die Mutterbrust. Dieses Kind war das arme Wesen, dessen Mutter Marie war. Frau Wiesentrost brachte die Heirath ihres Verwandten mit der Pförtnerin zu Stande.

Wir haben also dem Leser noch eine Heirath geliefert.

Die Schwestern Ziebitz bleiben – Schwestern Ziebitz. Sie hielten sich wieder umschlungen wie früher, sie waren wieder glücklich, als ihr Haus gereinigt war, und wieder fand sich Vormittags zwischen eilf und halb zwei Uhr der lange Sonnenstreifen in dem Zimmer ein, und der Kanarienvogel sang, und die grünen Stauden glänzten goldig, und Amenaïde saß am Fenster mit der Aussicht auf die getrockneten Häute, und sah nur zuweilen verstohlen hinüber auf das kleine, sechsunddreißigjährige Kind Clorinde, und winkte ihm lächelnd Küsse zu. Die Nachbarin stellte ihre Besuche nicht ein.

[275] Der armen Marie nahm sich die glückliche Constance an.

Jetzt kommen wir zu unsern zwei Lieblingen, zu den beiden Schützen, und da wollen wir den düstern Schluß unsrer Erzählung geben. Nicht umsonst haben wir den schwermüthigen Accord durch die bunten, lärmenden Gruppen durchklingen lassen. Alles Weh unsrer Zeit, aller Jammer, den kalte, glauben- und liebeleere Herzen über die Welt gebracht, als dunkle Ahnung sehen wir hier diese schweren Gewichte auf eine junge Brust niederfallen, die unter dieser Last bricht. Es giebt unschuldige Wesen, die wie verschleierte Gottheiten unter uns stehen, die sich in ihrem kurzen, aber reinen Dasein zu einer Mission vorbereiten, welche erst nach ihrem Tode beginnt. Man lasse uns diesen Glauben. Weshalb sonst würde uns denn oft eine anscheinend unbekümmerte Existenz so tief und warm ansprechen? Es sind die Grundzüge künftiger Größe, die durchschimmern.


[276]


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