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3.
Das Garde-Schützen-Bataillon.


Ehe wir erzählen, welche Aufnahme die beiden Schützen bei dem alten Herrn fanden, müssen wir nothwendig dem Leser etwas über das Garde-Schützen-Bataillon und dessen Entstehung sagen. Lange vor dem, ehe die Könige von Preußen Fürsten von Neuschatel wurden, war das Ländchen bevölkert von einem tüchtigen Schlag Menschen, die die schweizerische Ehrlichkeit mit der französischen Sitte vereinigten. Es herrschte Reichthum unter der höhern, so wie unter der niedern Bürgerclasse. Die ältern Söhne blieben daheim und bildeten bei häuslichem Geschäft den Stamm der Familie, die jüngern wanderten frühzeitig aus, besahen sich die Welt, und nahmen jene leichten, gewandten Umgangsformen an, die sie unter den Bewohnern der verschiedensten Erdtheile beliebt und gesucht machen. Es gab junge [15] Elegants unter den Bauern, so wie kecke Abenteurer unter den jungen Handwerkern. Als Seine Majestät der König von Preußen das Glück und die Ehre hatte, den kleinen rothen Löwen Neuschatels in das Wappenschild der Hohenzollern aufzunehmen, sah Berlin plötzlich eine Menge junger Stutzer in seinen Straßen erscheinen, die sich in die Uniform der preußischen Garden einkleiden ließen. Es waren die Söhne reicher Gewerbtreibender, oft sogar Patrizierfamilien, die ihre Sprößlinge hieher sendeten, weil es einen Reiz hatte, unter den Fahnen der siegreichen Preußen zu dienen, die damals gerade ihre Kämpfe mit dem Unterdrücker beendet hatten. Diese jungen Schweizer waren die Helden des Tages; man drängte sich um sie, man fand, daß sie vortreffliches Französisch sprachen, und daß sie gute Sitten hatten. Die Frauen waren außer sich. Jedes Haus mußte wenigstens einen jungen Stutzer aufzuweisen haben. Das Regiment Gensd'armes, das sonst die » beaus« und » seducteurs« der Hauptstadt gespielt hatte und sich jetzt bei Seite geschoben sah, wurde neidisch auf die Schützen. Aber die Schützen waren vortreffliche Kämpfer und schreckten vor keinem Duell zurück. Nachdem man diese Eigenschaft bei ihnen entdeckt hatte, ging man vorsichtig mit ihnen um. Aber man [16] hatte nicht nöthig, diese Vorsicht lange zu üben; die edlem Geschlechter, die jungen Aristokraten der Schweiz, blieben nach und nach weg; die Neuheit der Situation hatte sich abgenutzt, die Welt ist groß, und Paris und London sind am Ende für junge Raufbolde und Weiberjäger ein noch ergiebigerer Boden als Berlin, obgleich das damalige Berlin frivol genug war. Statt der Patriziersöhne kamen jetzt Gewerbtreibende nach Berlin, ein paar Hundert Uhrmacher, ein kleiner Theil von den sechstausend Uhrmachern, die Neuschatel producirt. Es waren immer hübsche elegante Burschen von feiner Sitte, aber es waren nicht die Schweizer von 1815 und 16. Es waren bloße Knaben von siebzehn Jahren, denen man es anmerkte, daß sie schon früher in der Arbeitsstube hinter der Lampe gearbeitet, die das Picken der Uhren belauscht, und deren schmale, feine Finger mit dem künstlichen Räderwerke Bescheid wußten, das sich im Innern eines so complicirten Geschöpfes, als eine Genfer Uhr ist, bewegt. Jetzt ging das goldne Reich für die Ladenmamsells, für die Ausgehemädchen und für die feinere Sorte der Köchinnen an. Für sie waren diese jungen Schweizer wie geschaffen. Es war die Zeit der Clauren'schen Romane und der Mimili's. Die Neuschateller Schützen [17] waren wiederum sehr gesucht, denn sie mußten erzählen, wie es am Fuße des Jura aussah, und ob die wirklichen Mimili's in der That so kurze Röcke trügen, und so große Strohhüte. Wie mancher junge Uhrmacher vergaß da zum erstenmal, daß die Stunde nur sechszig Minuten hat!

Der Stand des Bataillons veränderte sich nun wesentlich nicht mehr; es blieb dabei, daß die jungen schweizer Professionisten nach Berlin kamen, um hier ihre vorschriftmäßige Dienstzeit abzuthun bis auf die neuesten zehn Jahre, wo nur noch sehr wenige Schweizer sich im Bataillon befinden. Es wurde – wie die andern preußischen Garderegimenter der Hauptstadt – aus Landeskindern zusammengesetzt, nur hier und da unter dem Offiziercorps erinnerte ein fremd klingender Name an die frühere Bestimmung und Zusammensetzung dieses Truppentheils. Tony Wickye war einer von den letzten Neuschatellern, die die vielen Compagnien noch aufzuweisen hatten; aber in ihm hatte sich, gleichsam als dem Letzten seines Stammes, das volle stolze Bewußtsein eines Sohnes der freien Berge concentrirt, so wie er den Adel und die Schönheit der Gestalt von seinen besten Vorgängern überkommen hatte. Tony Wickye war nur ein Uhrmacher, aber er hatte die Manieren und das Aeußere [18] eines jungen Grafensohnes; der Unteroffizier mochte wollen oder nicht, er mußte Tony Wickye mit »Sie« anreden, und dies geschah zwar lange vorher, ehe die Kabinetsordre des Königs das »Sie« in die ganze Armee einführte.

Nachdem wir den Ursprung des Bataillons nachgewiesen, müssen wir auch etwas über das Gebäude sagen, das seine Kaserne bildete. Weit hinaus von dem bewohnten Theile Berlins, an dem schlesischen Thore liegt ein pallastähnliches großes Haus, von einer Reihe Pappeln umgeben, und dieses weitläufige Haus, an dem eine Schwimmanstalt, die der ehemalige Gouverneur von Neuschatel, der General von Pfuel gegründet hat, bewohnt das Bataillon. Das Gerücht geht, daß deshalb die Neuschateller Schützen so weit hinaus verlegt worden seien, weil sie zu großen Unfug in Mitten der Stadt ausgeübt, daß man dieses lebendige und bewegliche Truppencorps etwas in die Ferne und Einsamkeit absichtlich verbannt habe, der Familienväter und der Pensionsanstalten wegen, die beide auf gleiche Weise von dem Bataillon behelligt wurden. In der That herrscht jetzt eine große Oede um die Kaserne herum. Wenn man den Plan von Berlin in die Hand nimmt, erblickt man gegen Süden zu eine geisterhafte Stadt, [19] nämlich lauter Straßen und Plätze, die noch gar nicht existiren, sondern der Zukunft vorbehalten sind, auszubauen. Ein Geschlecht, das erst kommen wird, soll auf diesen Plätzen herumwandeln, in diesen Häusern wohnen, die, der Himmel weiß was einst für Namen und Nummern tragen werden, und in deren Mauern der Himmel weiß welche herrliche und welche schändliche Thaten einst vollführt werden sollen. Auch projectirte Kirchen giebt es darunter, wundervolle Meisterwerke, die nur im Traum ihres künftigen Architekten existiren, und wo einst, wenn Berlin stehen bleibt und nicht in dem Strome einer neuen Völkerwanderung untergeht, ein noch unerforschliches Geschlecht seine Sünden und seine Verirrungen abbüßen wird. Das einzige wirkliche Gebäude in diesem traumhaften Stadttheil ist das kolossale Krankenhaus Bethanien, ein einsamer Pallast, um den die Winde der Haide wehen, und gegen den der Sand der Wüste sich aufwellt. Die Zinnen dieses Krankenpallastes, so wie die Giebel einiger Fabrikgebäude, und das Dach der Kaserne des Bataillons sind die einzigen Gegenstände, auf die der Blick in der monotonen Ebene dieses einsamen Winkels trifft.


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