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9.
Idchen und Rindchen.


Es war in der That schon ziemlich lange her, daß das obere Stockwerk eines mäßig großen Hauses, das in diesem entlegenen Stadttheile lag, in welchem wir uns noch immer befinden, von zwei Damen bewohnt wurde, von denen die Eine sich in einem Lockenkopf, ähnlich denen, die die kleinen Mädchen in der Pension tragen, zeigte, die Andere ein glattgescheiteltes Haar trug mit irgend einer Blume, oder wenn die Jahreszeit die Blumen unwahrscheinlich machte, mit einem bunten Bande verziert. In der Straße waren diese beiden Damen etwas sehr Bekanntes. Der Apotheker besann sich, daß vor vierzehn Jahren, als er sich eben seine erste steife Halsbinde umband, und sich seine erste Porzellanpfeife mit dem Portrait der Fräulein Sonntag kaufte, daß schon damals der Lockenkopf und das glattgescheitelte [81] Haar gerade so und nicht um ein Haar anders existirten, als eben jetzt, und seitdem war der Apotheker in die Reihen der seßhaften Bürger und Eigenthümer getreten. Die Besitzerin der feinen Fleischwaarenhandlung links in der Seitengasse besann sich, daß vor zwanzig Jahren, als die Wiener Würste zum ersten Male in Berlin erschienen und sich den Beifall der Kenner erwarben, daß damals, als sie, ein junges wildes Ding in unbeschreiblicher Unbesonnenheit fortwährend rosenrothe Kleider trug, und immer wieder sich Butterflecke darauf machte, daß damals schon der Lockenkopf und das gescheitelte Haar gerade so existirten wie jetzt, und seitdem hatte die Fleischhändlerin die rosenrothen Kleider – o wie lange schon – abgelegt, und hatte sich und ihr Herz und ihre Wiener Würste dem Geliebten ihrer Jugend geschenkt. Es war etwas Unverwüstliches mit dem Lockenkopf und dem gescheitelten Haar.

Wer jedoch die Dinge nur äußerlich aufzufassen verstand, der ahnete nicht, was im Innern dieser sauberen Zimmer mit den hellen Fensterscheiben und den glattgeputzten Tischen und Stühlen, mit den alten Stickereien und eingefügten verblaßten Bildern vorging. Welch ein Wunder von Schwesterliebe hier herrschte, und wie viel Unschuld und Lieblichkeit, und [82] wie viel Zartheit und Rücksichtnahme, wie sie nirgends anders in der Welt vorkam, hier täglich und stündlich, zu Tag und Nacht angewendet und verbraucht wurde. Die Schwestern liebten sich mit einer Frische, einer Jugendlichkeit, einer – wenn man so sagen darf – süßen Wildheit; – was alles gar nicht zu beschreiben ist, wenn man nicht will, daß gerade der Blumenstaub von der Blume abgeschüttelt werden soll.

Amenaïde und Clorinde hießen diese Schwestern; aber sie nannten sich selbst Idchen und Rindchen. Idchen war sechsundvierzig Jahr alt, Rindchen, das kleine Ding mit dem Lockenkopfe, neununddreißig. Idchen war um das Anstrengendste bemüht, daß Rindchens unbeschreiblich unerfahrenes und reines Gemüth auf keine Weise von den Dingen der Außenwelt verletzt wurde, und Rindchen dankte ihr diese Vorsorge durch eine so rührende, kindliche und aufopfernde Liebe, durch ein so stetes Hinlauschen und Hinhorchen auf Idchens Athemzüge bei Tag wie bei Nacht, daß kein Schutzgeist eines Gedichts, kein Hüter in einer Romanze erschütterndere Züge von Treue und Aufmerksamkeit an den Tag zu legen im Stande war.

Die Schwestern hatten jede ihr Lieblingsfenster, an dem sie saßen, und Idchen hatte oft gesagt, [83] daß sie sich das schlechteste ausgesucht hätte, mit der minder lockendsten Aussicht, aber es war nicht wahr. Rindchen freute sich heimlich unbeschreiblich, denn sie hatte sich das Fenster mit noch geringerer Aussicht ausgesucht, und war verurtheilt, mit ihrer unendlichen Unschuld im Herzen immerdar auf die getrockneten Häute zu blicken, die der Gerber ausgehängt hatte, während Idchen ein Fragment verdorrter Pappeln vor sich hatte, und im Hintergrunde einen Laternenpfahl. –

Die Schwestern saßen, jede an ihrem Fenster, und erwarteten die Milchfrau, die um die Morgenstunde immer kam und ihnen Neuigkeiten aus der Stadt brachte.

Es war still im Zimmer; ein Morgenstrahl drängte sich durch die Zweige des Epheu's im Vorzimmer und trat in die Stube ein, gleichsam neugierig, um zu sehen, was da geschehe. Die Kanarienvögel sangen laut. Die Portraits an der Wand hatten ein aufgewecktes und fröhliches Ansehen.

Rindchen sprang auf, legte ihre Arbeit bei Seite und blieb, wie im Anschauen ihrer Schwester versunken, mitten in der Stube stehen, das Lockenköpfchen gesenkt und die Hände in dem Schooß gefalten.

»Was giebt's Kind?« fragte Idchen mit einer Stimme, der man es anmerkte, daß sie nicht mehr [84] ganz fest war, daß sie schon die herannahende Rührung erschütterte.

»Idchen, willst Du glauben, daß es mir das Herz abpreßt, daß ich nicht ruhig schlummern kann, daß ich nicht eher meinen Frieden wieder haben werde, als bis ich Dir gebeichtet habe?« – Und hiermit kam sie näher, knieete auf das Bänkchen zu den Füßen der Schwester und sah zu ihr hinauf – so seeleninnig! so fromm und rein!

Idchen kämpfte mit einer unbeschreiblichen Rührung.

Rindchen hatte ihr Haupt tief gesenkt und sprach halb flüsternd und fast ängstlich zögernd: »Ich habe meine Blumen heute begossen, während Du schlummertest, that ich's! O – nun sei böse! recht böse – damit das arme Rindchen ihr ganzes Unrecht fühle.«

Aber Idchen nahm sich fest und verständig zusammen. »Kind,« sagte sie, »Du wußtest, daß es unsere Abmachung war, daß ich Deine, Du meine Blumen begießen solltest. Es war ein kleiner muthwilliger Scherz unserer Liebe, wenn Du so willst, allein ich will nicht leugnen, es lag eine gewisse Bedeutung darin. Eine Kinderei war es.«

»Gott, Gott! Idchen; sprich nicht so. Es war ein Heiligthum unserer Liebe! Ein Gottestempel.«

[85] »Nein, ich bleibe dabei, eine Kinderei. Wir sind eben noch Kinder. Ich hatte mir ausgedacht: Du willst der Schwester Blumen auf ihrem Lebenspfade pflegen, sie die Deinigen! Siehst Du nun, Engel, daß das eine reine, alberne Kinderei war.«

»Es war ein Vermächtniß und ein Abdruck!« rief Rindchen; »ein Abdruck von Deiner reinen Seele, die so schön und unvergleichlich in ihrer Liebe ist.«

»Kleine Unschuld, willst Du schweigen. Die Sache ist abgemacht, und zur Strafe werde ich morgen und übermorgen, also zwei Tage nach einander Deine Blumen begießen und Deine Vögel füttern.«

Rindchen erhob sich wie in trostloser Demuth über dieses harte aber gerechte Strafurtheil. Die Schwestern saßen nun wieder und arbeiteten.

Wieder war es still; der Sonnenstrahl guckte sich im Zimmer umher, die Vögel sangen.

Da sprang Idchen auf und umarmte ihre Schwester, und rief mit einer Stimme, der man ganz deutlich die erstickten Thränen anhörte: »Engel, Engel! – böser Engel!«

Und das Lockenköpfchen wandte sich um, lächelte verklärt und flüsterte: »Bin ich das?« Dann sprang [86] sie im Zimmer hin und her und klopfte in die Hände und sang:

Das Schäfchen auf der Weide
Hat Wolle weich wie Seide,
Und um den Hals ein rothes Band;
Frißt Brötchen aus der Kinderhand –

Mitten in diesem anspruchlosen Liedchen öffnete sich die Thür, und eine Dame in einem gelben Hute, dessen Wiederschein die Kupferröthe des Gesichts mit einer Art Goldschimmer überfärbte, trat ein, und nahm sogleich, ermüdet, und nach einem flüchtigen Gruße, den Platz auf dem kleinen Sopha, über welchem die zufriedenen und vergnügten Portraits sich befanden.

Die Schwestern legten ihre Arbeit bei Seite, um sich ganz den Nachrichten zu widmen, die Frau Carlinchen mitbrachte. Auf einige Zeit wurde jetzt die Zärtlichkeit und die Kindlichkeit bei Seite gethan.

»Nein, die Welt! die Welt!« stöhnte die Frau. »Ich sage, es ist jetzt bald aller Tage Abend. Länger kann es mit Ehren nicht weiter gehen. Die Butike muß zugeschlossen werden.«

»Nun nun, was giebt's?« fragten die Schwestern. »Giebt's wieder Emeute auf den Straßen?«

»Wenn es das wäre! Ich bin eine brave [87] Republikanerin, mir soll man nicht nachsagen, daß ich mich da widersetzte, wenn die Nation aufsteht, aber nur nicht solche böse Zucht! Ich sage Ihnen, liebe Damen, die ganze Jägerstraße hinunter ein Skandal! Die ganze Krausenstraße ein Skandal! – Die kleine Jacobsstraße – ein Skandal! Vom ersten Hause bis zum letzten Familienzank! großer Tumult, Ehescheidung, Verführung, Untreue! So ist's noch nie gewesen. Meine Mutter hielt sich einen Plan der Stadt, wo alle die Straßen roth bezeichnet waren, wo es einen fortwährenden Skandal gab, ich sage Ihnen, meine Damen, jetzt kann ich meinen Plan nur getrost ganz und gar in rothe Tunke stecken.«

Die beiden Schwestern waren über diesen Zustand der Stadt im höchsten Grade aufgeregt.

»Zuerst komme ich in die Friedrichsstraße. – Es ist richtig: er hat Banquerott gemacht. Mein erster Blick trifft auf den geschlossenen Laden. Die acht Kinderchen, die liebe Frau – es ist gut! Am Bettelstabe! Mein zweiter Blick fällt auf den Seidenladen: Ausverkauf! Also auch! Zehn Kinderchen – keine Mutter, aber dafür ein Geschöpf, das sechs Falbulos an ihrem Kleide trägt, und ächte Granaten in dem Ohrschmuck. Es ist gut: mir recht! rufe ich und koche schon vor Wuth. Da begegnet mir Die, nun, [88] ich will sie nicht nennen – sieht mich nicht, grüßt mich nicht, ist hochnäsig, hat einen Muff und einen neuen Mantel. Es ist richtig, sie hat ihren Mann betrogen, sie hält sich einen Liebhaber.«

»Aber lieber Engel!« rief Jochen, »willst Du nicht draußen nachsehen, ob Jemand an der Thür ist, mir war es so, als klopfte es.«

Frau Carlinchen lachte laut auf: »Ach thun Sie doch nicht so!« rief sie. »Mir werden Sie doch nichts weiß machen! Das liebe Fräulein könnte ja meine Mutter sein! Die kann alles hören!«

Die Schwestern waren empört über diese Roheit der Nachbarin; allein sie befanden sich zu gleicher Zeit in einer zu ängstlichen Spannung, die weiteren Nachrichten zu hören, um für's Erste an ein Strafgericht zu denken. –

»Jetzt bieg' ich in die Französische Straße, wer wandelt mir da entgegen? Die Wiesentrost. Sie will mir anfangs von ihrem Sohne vorreden, von dem Jüngling, der bei der Thierarzneischule angestellt ist, aber da ich mich für dieses Kalb wenig interessire, bringe ich sie rasch auf andere Gegenstände, und da erfahre ich – Herr Gott, man möcht' die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen über diese Welt!« –

Die beiden Schwestern rückten wie auf ein [89] Commando, ihre Stühle ganz dicht heran zur Nachbarin, so daß die sechs spitzigen Kniee sich einander berührten, und riefen: »Was denn? Nun, was denn?«

»Nun, es ist richtig.«

»Was ist richtig?«

Die Nachbarin warf ihr gelbes Hütchen mit einem kühnen Stoß in den Nacken zurück und rief: »Nun, es ist die alte Geschichte; ich hatte wieder einmal Recht. Alle Welt ruft: Wer hätte das von dem Manne gedacht! Eine oberste Gerichtsperson, ein Herr in so vornehmem Amte; ich aber sagte schon damals: so stehen die Sachen mit dem Herrn Präsidenten. Doch nebenbei gesagt: Er ist denn nun endlich ganz verrückt geworden.«

»Der Präsident?«

»Nein! der Apotheker.«

»Ach – was Sie sagen!«

»Total! Man kann ihn nicht mehr bändigen. Er will auf die Straße. Hinaus unter Menschen, weil er immer sagt, der Teufel sei hinter ihm drein, und wolle die Büchse wieder haben, die er ihm zum Aufbewahren gegeben. Da hat sich die Wiesentrost wieder gut geschnitten, sie dachte an dem Banquerottirer noch ein Profitchen zu machen, und behielt das Ungethüm im Hause, anstatt daß sie ihn mit beiden [90] Fäusten in die frische Luft hätte setzen sollen. Jetzt hat sie ihn, nun rumort er in ihrem Hause, schreckt die Kunden weg, und keinen rothen Heller hat sie von ihm. Das Kalb muß ihn noch pflegen. Aber ich komme von meinem Kapitel ab.«

»Ja, Sie wollten vom Präsidenten sprechen!« riefen die Schwestern.

»Accurat. Doch eine Frage will ich mir noch erlauben. Kennen Sie, mein liebes Fräulein« – diese Worte waren an Rindchen gerichtet – »den jetzigen Standpunkt in der Politik?«

»Was weiß die Kleine davon!« rief Idchen. »Ich bitte, fragen Sie sie nicht.«

In der That hatte der Lockenkopf sich niedergesenkt und die Hände im Schooß gefallen. »Nun, gleichviel,« sagte die Nachbarin: »wissen könnte sie's, denn alt genug ist sie dazu. Ich sage immer, wenn man mich fragt, haben Sie wieder die beiden Fräuleins bei den alten Häuten besucht? Ja, ich besuche sie oft, denn schon als Kind kam ich in's Haus, und sie haben mir Zuckerwerk gegeben. Damals lebte ihr Vater noch, der reiche Tabakshändler Ziebitz, der nur die einzige Albernheit hatte, daß er die wildfremden Namen seinen Kindern beilegte, was damals etwas vorstellen sollte.«

[91] »Idchen!« rief Clorinde! »Man spricht von unserm Vater!« Die Schwestern umarmten sich. Frau Carlinchen schaute aus dem Fenster und trommelte auf dem Tische, indem sie in ihrem angeblichen Bericht weiter murmelte: »Durch das affectirte Schönthun und die Ziererei haben sie auch nie Männer bekommen, und sind nun mit der Zeit alte süße Zwiebeln geworden, bei deren Anblick Einem schon das Wasser in die Augen tritt. – Doch,« setzte sie laut hinzu, »wieder auf den Präsidenten zu kommen, so hatte er schon als junges Assessorchen ein lustiges Leben geführt, und das große Amt und die große Gage kam eben recht, um das Haus vom Keller bis zum Dachgiebel zu retten, das den Einsturz drohte. Mein Männchen aber wirthschaftete wieder drauf los, und saß bald wieder so tief, wie er früher gesessen hatte. Man munkelte sogar von Angriffen auf königliche Gelder, allein ich will nichts gehört haben; aber wahr ist's; wenn nicht zum Glück die Demokratie gekommen wäre und die reiche Braut, ich hätte nicht einen faulen Fisch um meinen saubern Herrn gegeben. Jetzt aber ist er oben auf. Die schöne, reiche Braut, die Reden in der Kammer, das liebe gottlose Wesen, das heutzutage so viel Geld einbringt, hat ihm brav die Rippen auswattirt. Mein Mann [92] ist jetzt ganz schmuck, trägt einen Bart wie ein Don Juan und geht keinem Menschen aus dem Wege. Aber der Teufel ist auch jetzt hinterher. Da wohnt nicht weit vom Schifferdamm ein Kind, achtzehn Jahr ist's jetzt geworden – die, die wird dem Herrn Präsidenten das Leben noch sauer machen. Die reiche Braut ist hinter manche Dinge gekommen, und gestern – ich sage gestern – ist sie mit der Wiesentrost selbst in der Wohnung des armen Wurms gewesen und hat dasselbe nach Bethanien gebracht. Ich will nun sehen, mit welcher Cabinetsrede der Herr Präsident diese Interpellation beantworten wird. He! sind das nicht saubere Geschichten?«

Beide Schwestern legten wie verzweifelnd die gefallenen Hände in den Schooß und saßen da, wie zwei Madonnen, aber alte Madonnen, ohne Heiligenscheine und Kinder.

»Ach! Himmel! ach Himmel!« stöhnte Amenaïde, und blickte zu Clorinde hinüber. »Du hast doch nichts davon verstanden, Kind! Es würde mich unendlich schmerzen, wenn Dein Zartgefühl, mein kleines Herzchen, beleidigt worden wäre. Die Welt ist so schlimm.«

Clorinde stand auf und umarmte die Schwester.

Frau Carlinchen nahm eine Prise Tabak. »Sind [93] das nicht Geschichten?« wiederholte sie triumphirend. »Wo würden Sie in Ihrer Einsamkeit bleiben, meine Fräuleins, wenn ich nicht wäre. Der Präsident ahnt nicht, daß seine Braut hinter seine Schliche gekommen ist. Er ist vergnügt und ruhig. Man hat es ihr schon längst untern Fuß gesteckt, sie hat's aber nie glauben wollen, so fest versichert war sie von dem hohen Werthe des Mannes. Wir Weiber sind darin närrisch. Wenn wir lieben, sind wir schwach.«

»Ich bitte Sie ernstlich, liebe Freundin,« sagte Idchen, »sprechen Sie in Gegenwart des Kindes nicht von dergleichen. Sie sehen wie sie leidet.«

Der Lockenkopf hatte sich tief auf die Brust gesenkt und saß unbeweglich.

Die Nachbarin sprang wüthend auf: »Na, da hört alles auf!« rief sie, ihren gelben Hut wieder geschickt mit einem Wurf auffangend, »da muß ich doch sehr bitten. Ich dachte nicht, daß ich in Gesellschaft von Säuglingen wäre! Wahrhaftig, ich glaubte, ich spräche zu Personen, die da längst wüßten, wo Bartel Most holt. Oho! ich will nur fort. Es wirbelt mir vor den Augen. Seht doch – immer wollen Sie doch etwas wissen, und peitschen mich hierher, und wenn ich komme, machen Sie mir [94] mit Ihren Redensarten und Gesichterschneiden die Hölle heiß. Guten Morgen, guten Morgen; ich komme nicht mehr wieder.«

Die beiden Schwestern schlossen die Erzürnte ein und suchten sie zu beruhigen; dann umarmten sie sich unter einander, indem sie sich, der Himmel weiß zum wie vielten Male, ewige Treue und Liebe schworen.

Frau Carlinchen hatte versprechen müssen, wiederzukommen, und noch recht viel Nachrichten zu bringen. »Wir dürfen diese Frau nicht erzürnen,« sagte Idchen zur Schwester, »sie zeigt uns immer wieder in lebendigen Beispielen, wie schlecht die Welt ist und wie gut wir daran thun, uns von ihr fern zu halten, und uns zu lieben. Uebrigens sei versichert, Herzchen, ich stürbe auf der Stelle, wenn ich nur einen Tag, nur eine Stunde, was sag' ich, nur den vierten Theil einer Secunde, Dich, mein silberweißes Schäfchen, den Blicken dieser Männer ausgesetzt sähe, welche nichts Hohes und Reines achten. Du kannst es glauben, man trüge mich als Leiche hinaus, wenn ich dergleichen erlebte! Schon der Gedanke daran, daß Deine Blumenfrische von dem leisesten Stäubchen verunreinigt würde, machte mich auf der Stelle zur Leiche.«

[95] »Sei ruhig,« flüsterte das Lockenköpfchen, »ich gehe ja nicht in die Welt, ich gehe ja nicht von Deiner Seite! Gott, sei nur ruhig!« –

»Was wäre ich denn,« rief Idchen, »wenn ich anders handelte? Bin ich nicht die Aeltere? Ist mir nicht Dein wildes, stürmisches Herzchen anvertraut? Wer soll denn darüber wachen, wenn ich nicht wachte?«

Und beide alte Mädchen setzten sich an ihr frugales Mittagmahl.

Der Sonnenschein hatte sich bereits zurückgezogen, wie Jemand, der schon genugsam erfahren hat, wie es im Zimmer aussieht, und dem man nichts Neues mehr sagen kann.


[96]


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