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4.
Der Besuch.


Zieh Du an der Klingel, ich hab' nicht den Muth,« sagte Tony zu seinem Kameraden, als sie in der Friedrichsstraße vor dem kleinen zweistöckigen Hause standen, dessen eine Seite roth angestrichen, und die andere weiß geblieben war, so daß das Häuschen aussah wie ein Kind, das durch langes Schlafen im weichen Kissen sich die eine Wange roth geschlafen hatte, oder ein Mann, der am Feuer sitzend, von der einen Seite sich übermäßig echauffirt hatte, während die andere noch fröstelte.

Der Pommer streckte seine Hand nach der Klingel aus.

»Halt,« rief sein Gefährte, »sieh erst zu, was auf dem Blechschilde steht. Es ist doch immer eine Beruhigung. Gewiß, wenn der alte Herr todt ist, wird man sein Schild fortgenommen haben.«

[21] Der Pommer konnte wegen der zunehmenden Dunkelheit und der hohen Häuser gegenüber nicht gut lesen, endlich brachte er die Worte hervor: »Ja – er lebt; aber kurios! er ist eine Hebamme geworden.«

»Hebamme!« rief Wickye, »Unmöglich! Sieh etwas deutlicher nach.«

»Ich will meinen Hirschfänger daran setzen, daß es so und nicht anders auf dem rothen Schilde steht: Madame Fanny Wiesentrost – Hebamme! Und es giebt nur das eine Schild am ganzen Hause. Doch nein – sei nicht ungeduldig Wickye, – es giebt noch ein zweites Schild, aber ein ganz kleines, so klein es der Guckuk lesen kann, was darauf steht. Doch halt! jetzt hab' ich's. E – Eschen – Eschenpauer – Pfarrer, – nein nicht Pfarrer; Pharma – zeut! O wenn er das nicht ist, weiß ich nicht, wo wir ihn sonst finden sollen.«

»Er ist es!« rief Tony und athmete auf. »Er ist also nicht todt. Laß uns nun hinaufgehen. Es wäre zu entsetzlich gewesen, wenn wir eingetreten wären in die niedrige Stube, und das erste, was uns an die Nasenspitze getroffen, wären zwei Beine in der Luft gewesen.«

»Sprich nicht so,« rief der Pommer; »mit einem [22] Menschen, der sich aufgehängt hat, will ich auch im Scherze nichts zu thun haben.«

Sie traten nun in die Stube. Sie öffneten so leise die Thür, daß eine corpulente Frau, die neben einem Sopha saß, auf dem Jemand tief in Kissen gedrückt lag, aus ihrem Schlummer halb erwachte und vor sich hinmurmelte: »Siebenundzwanzig Grad! – das ist zu warm! hm! Frau Troschel! Immer alles besser wissen! Ich kenne das! Frau Troschel.«

Die beiden Schützen näherten sich dem Sopha. Aus dem Kissen guckte eine rothe Nasenspitze hervor, und über die Spitze herüber senkte sich der weiße Zipfel einer Nachtmütze. Beide Spitzen hatten das Ansehen, als wollten sie sich nächstens berühren, um dann nie wieder von einander zu scheiden.

»Gott sei Dank, er lebt!« sagte Tony.

»Ja, er lebt!« wiederholte der Pommer.

Frau Wiesentrost erwachte und betrachtete sich die beiden jungen Soldaten mit einem erstaunten Blicke. »Was beliebt?« sagte sie. »Kommen Sie nach Waffen zu suchen, so sollten Sie doch schon im Nachbarhause erfahren haben, daß wir die unsrigen schon abgeliefert haben. Eine Büchse, ein Säbel, ein Degen. Der Letztere gehörte meinem Sohne Arthur, dem lieben Jungen.«

[23] Die beiden Schützen erklärten den Grund ihres Kommens, und Frau Wiesentrost gab mit ihrem Ellenbogen dem Schlummernden einen leisen Stoß. Dabei sagte sie: »Der arme Mann! Er wird sich freuen Sie wiederzusehen! Aber nehmen Sie sich in Acht im Gespräch mit ihm; er hat noch immer seine echappirten Verstandeskräfte nicht wieder eingefangen. Setzen Sie sich her, junger Mann, und nehmen Sie hier den Fliegenwedel, ich will unterdessen gehen und einige Geschäfte besorgen. Und Sie, junger Herr, nehmen Sie dort auf dem Koffer Platz. Du lieber Gott, einen zweiten Stuhl giebt's hier nicht.«

Der alte Herr hatte sich unterdessen aus seinen Kissen hervorgearbeitet.

»Gott ist mein Zeuge, daß ich mich wie ein Kind freue, Sie wiederzusehen, Herr Eschenpauer!« rief Tony, und hielt seine elegante kleine Hand, die feingegliederte eines Uhrmachers, dem Kranken entgegen, der sich erst sehr langsam auf seinen Gast zu besinnen schien.

»Mein guter – kleiner – grüner Soldat!« stammelte der alte Herr.

Seine Züge wurden gleichsam von einer glänzenden Freundlichkeit übergossen. »Mein guter – [24] kleiner – grüner Soldat!« rief er nochmals, und drückte die dargebotene Hand.

»Ich habe noch einen Kameraden mitgebracht,« hub Wickye an. »Er freut sich ebenfalls, Sie noch am Leben zu finden, Herr Eschenpauer. Nicht wahr, Friedrich Forst, Du freu'st Dich?«

Der alte Herr begrüßte auch diesen, indem er rief: »Noch ein kleiner – grüner Soldat! Aber« – setzte er hinzu – »in meinem Gedächtniß ist so viel Pulverdampf! ich besinne mich wirklich nicht, Jenen da« – er zeigte auf Friedrich Forst, der seinen Platz auf dem Koffer wieder eingenommen hatte – »schon gesehen zu haben!«

»Sie haben mich auch nicht gesehen« – sagte der Pommer treuherzig. »Ich bin nur hergekommen, weil – weil ich dachte, daß Sie todt wären.« Der Pommer wurde hier unbeschreiblich verlegen, denn er fühlte, daß er einestheils etwas Dummes, anderntheils etwas für den armen kranken Herrn Kränkendes gesagt hatte.

Der alte Herr schien nichts davon bemerkt zu haben. Er fuhr sich nach dem Kopf und schob die Nachtmütze weit zurück. Da kam denn ein ganz liebes, altes, aber etwas verwirrtes Gesicht zum Vorschein, mit einem kleinen, spitzen, grauen Bart am [25] Kinn, der sehr sonderbar aussah, und dem Manne gewiß ganz gegen dessen Willen – etwas ganz Ritterliches gab. Er hob seine dürre Hand auf, und sie auf die Schulter seines Gefährten fallen lassend, sagte er: »wie lange ist's nun her, seitdem sie schossen, und nun seid Ihr wieder hier. Und alles ist vergessen!«

»Nicht alles!« sagte der Pommer. »Um Gotteswillen, nicht alles.«

»Nein, nicht alles!« wiederholte der Kranke, und faßte sich an die Stirn. »Er hat Recht – nicht alles! Einst werden die Kinder Rechnung halten mit den Vätern« –

»Und mit den Großvätern!« rief der Pommer.

»Und mit den Großvätern!« wiederholte der Herr. »O – mein Kopf! Seit jener Nacht – wo es in meiner Apotheke, unter meinen Gläsern lebendig wurde – kann ich nicht wieder ruhig schlafen, und ich glaube, Niemand kann es. Oder es müßten denn die sein, die sich in der Schenke betrinken. Ich habe bitter beklagt, daß mein Magen so schwach ist, daß er keinen Tropfen Branntwein vertragen kann – ich hätte mich keinen Abend nüchtern erhalten. Es war seit jener Nacht, wo es in meinen Gläsern zu sprechen anfing, ein Glück für [26] Jeden, der die Gabe empfangen hatte, sich zu betrinken. Aber ich – bin immer nüchtern und wach geblieben – und habe unausgesetzt in die schwarze Tiefe meiner Nächte gesehen. Ich habe meinen Schmerz und mein Herzklopfen so regelmäßig eingenommen – alle zwei Stunden einen Eßlöffel voll – wie nur irgend ein Kranker, der sich ein Recept bereiten ließ.«

»Wir wollen davon nicht sprechen,« sagte Tony. »Jetzt sind wir wieder da, und es wird ganz so werden, wie früher.«

»O nimmer! nimmer!« sagte der kranke Herr.

»Nein, niemals!« setzte der Pommer hinzu.

Es trat eine lange Pause ein in dem kleinen Zimmer.

»Wenn wir bedenken,« fuhr Friedrich auf, »was wir früher waren. Wir des Königs treue Soldaten, wir den König liebend und er uns! Wir die Söhne des Landes, und von diesem Lande geliebt – und nun! Die Garde-Schützen Seiner Majestät des Königs können nie verzeihen, wie man ihnen begegnet hat! Nein, sie können es nie verzeihen!«

»Und das alles ist geschehen,« stöhnte der Kranke – »als die Gläser in meiner Offizin zu sprechen anfingen. Es war in der denkwürdigen Nacht des –«

»Nennt keine Zahl und keinen Ort, ich bitte!« [27] sagte der Pommer. »Komm, Wickye, laß uns wieder gehen; ich hab' vergessen Dir zu sagen, daß mich meine Cousine heute erwartet, und es ist schon spät.« Der Pommer war in seinen heiligsten Gefühlen beleidigt. Es hatten sich sämmtliche Kameraden der fünften Compagnie das Wort gegeben, nie von einem gewissen Tage und einer gewissen Nacht im Monat März zu sprechen – es ist zu verletzend für ein patriotisches Herz! hatte Friedrich dabei gesagt – und nun mußte er in einem fremden Hause diesen Gegenstand einer schmachvollen Erinnerung berühren hören. Er stand auf, und näherte sich der Thüre.

»Mein lieber, kleiner, grüner Soldat!« rief der alte Herr, sich in seinem Kissen mühsam aufrichtend – »ich habe Sie doch nicht beleidigt?«

Der Schütze wollte etwas erwiedern, als er die Thür sich öffnen sah, und eine junge Dame von einer außerordentlichen Schönheit eintrat.


[28]


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