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2.
Der Sonntag Abend.


Es war an einem Sonntag Abend, als die beiden Schützen sich recht eng in ihre schwarzen Gürtel geschnürt hatten, so eng, daß die Tochter im Materialwaarenlager drüben zu dem Aufwartemädchen gesagt hatte: »So kann's nimmermehr bleiben! die Schützen sind zu eitel. Das Volk kann sich nicht auf sie verlassen. Wenn es drauf und dran geht, so verkriechen sie sich, um ihre hübsche Uniform zu schonen, und ihre kleinen Händchen, und ihre hübschen frischen Gesichter mit den kleinen Schnurrbärten.« Darauf das Aufwartemädchen, die unterdeß heimlich eine Citrone und ein Stückchen geräucherten Lachs in ihre Schürzentasche geschoben hatte, ganz unwillig rief: »Fräulein! das sind Lügen. Die Schützen sind allesammt Helden! Vor dem Feuer wie Mauern. Jede Fingerspitze an ihnen ist ein Empörer und [9] Unruhstifter für sich, und der ganze Mann ist eine große Zündnadel, ein Vulkan, ein Schwefelholz und ein Dolch für Tyrannen! Fräulein, versündigen Sie sich nicht! Ich bitte Sie um Gotteswillen.«

Und das Fräulein im Materialwaarenlager schwieg.

»Wo willst Du hingehen?« fragte der Pommer den Neuschateller.

»Zu dem Manne,« entgegnete Jener, »der so aufmerksam den großen Haken an seiner Decke betrachtete. Ich hab ihm versprochen, so wie wir wieder heimgekehrt wären, zu ihm zu kommen.«

»Vielleicht lebt er nicht mehr.«

»Kann sein! Dann will ich fragen, wohin man ihn getragen hat. Ich werde mich dann auf sein Grab setzen und eine Cigarre drauf rauchen. Das bin ich ihm schuldig.«

»Auf dem Grabe eines Selbstmörders rauche ich keine Cigarre,« sagte der Pommer.

»Ei, mir gleich.«

»Neuschateller, Du mußt etwas mehr Religion haben. Hörst Du!«

»Ei, die Religion wird abgeschafft; die Freiheit tritt in ihre Stelle. Wenn wir Alle frei sein werden, ist der Himmel schon hier auf Erden, und dann ist kein anderer nöthig.«

[10] Der Pommer sagte kein Wort dazu. Er liebte es nicht, seinem Freunde zu widersprechen. Ueberhaupt dachte er, wer da widerspricht, thut dem Andern wehe, denn er sagt ihm mit andern Worten, du bist ein Lügner. Und dann dachte der Pommer: es giebt so entsetzlich viel Leute, die klüger sind, wie du, da gehört sich's zu schweigen.

Und nun gingen die beiden schlanken Burschen ihren Weg.

»Wie war doch die Geschichte des Herrn mit dem Haken?« fragte der Pommer nach einer Weile.

»Es ist wie ein Märchen!« entgegnete der Neuschateller, indem er zu der obern Etage eines Hauses hinaufsah, wo eben ein hübsches Mädchen erschien, und nach ihren gelben Hyazinthen sah. »Ich lernte ihn kennen, noch lange vor dem März. Er war damals ein Mann, der noch ein tüchtiges Büschel schwarzer Haare am Hinterkopf hatte, von denen jetzt keine Spur mehr zu sehen ist. Auch ging er damals, wie ich mich ganz gut besinnen kann, ohne Stock, und fegte die Friedrichsstraße hinab, gleichsam wie ein Sturmwind. Ich weiß noch, wie viel Werth er auf glattgeputzte Stiefeln und einen hübsch steifen Vatermörder am Hemdkragen legte, [11] und das ist nun alles hin. Welch ein hinfälliges Geschöpf ist der Mensch!« –

»Ja wohl,« sagte der Pommer.

»Wer das nicht glaubt, hat wenig Erfahrung in der Welt,« setzte der Neuschateller hinzu.

»Sehr wenig,« bestätigte der Pommer.

»Nun,« fuhr Jener fort, »als die Sachen noch ganz gut gingen, und Niemand an Unruhen und Umsturz dachte, betrachtete der Herr schon seinen großen gekrümmten Deckennagel mit großer Aufmerksamkeit, und fragte mich einst, ob er, nämlich der Nagel, wohl stark genug sei, ihn, nämlich den Herrn, zu tragen, und ich sollte doch den Versuch machen und mich zum Spaß einmal daran hängen.«

»Ach, das ist der Teufel! Du thatst's doch nicht?«

»Und warum sollt' ich's nicht? Ich zeigte ihm, daß der Nagel noch seine Dienste ganz gut zu thun im Stande war. Dafür gab er mir ein blankes Zweithalerstück.«

»Und dann?«

»Und dann – war es eben nichts. Er hängte sich nicht auf, sondern wir tranken zusammen Chocolade, die er sehr liebte.«

»Und was war denn der Herr?« fragte der Pommer; »ich meine, was hatte er für ein Amt?«

[12] »Das hat er mir nie gesagt. Ich weiß auch bis auf diese Stunde weiter nichts von ihm, als daß er Herr Eschenpauer hieß und glaub' ich Apotheker war. An diesem Namen will ich ihn denn wieder herauskriegen, und wenn er auch zwei Ellen unter der Erde liegt, und die Würmer bei ihm Visite machen. Der alte Junge muß meinen Besuch empfangen. Ach, wie oft haben wir von meinen schönen Bergen mit einander gesprochen, und er sagte immer: ja, wenn es nur nicht dort oben so pfiffe; man holt sich so leicht Zahnweh. Da lachte ich und er sagte: lache nur, ich seh das so gerne, Du hast – oder nein – er sagte, Sie haben so hübsche weiße Zähne. Ich habe die meinigen schon längst verloren.«

»Und darum wollte er sich aufhängen?«

»O! nicht darum! Dazu war er zu vernünftig. Ueberhaupt war er ein gar gescheuter Herr. Ueber alles hatte er nachgedacht, und über manches so viel und so oft, daß ihm der Kopf vom vielen Denken tief auf die Brust gesunken war. Und so mild war er, so liebevoll – verstehst Du mich? ich konnte ihm schon gut sein, obgleich er kein Neuschateller war und es in seinem Leben nicht geworden ist.«

»Und warum wollte er sich denn aufhängen?«

»Das hatte einen besonderen Grund!« entgegnete [13] der junge Schweizer unwillig. »Du mußt mich nicht fragen; ich darf's nicht eigentlich sagen. Es ist ein Geheimniß. Und vollends wenn er wirklich todt ist, darf ich es nun gar nicht sagen. Dann ist's erst recht ein Geheimniß.«

»Bei alle dem möchte ich's doch wissen,« sagte der Pommer.

»So komm hinauf zu ihm,« entgegnete der Neuschateller rasch. »Wenn er noch lebt, sollst Du es von ihm selbst erfahren; denn Du bist mein anderes Ich, und was ich weiß, sollst auch Du wissen.«

Dabei standen die Beiden an einer Thüre in der Friedrichsstraße still.


[14]


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