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7.
Das Abenteuer der schönen Dame.


Die schöne Dame saß an Tony's Seite in der Droschke so mäuschenstill und mit niedergelassenem Schleier, als ginge es zum Blutgerüste. Frau Wiesentrost hatte mit ihrem Regenschirm zu kämpfen, der eine große Widerspenstigkeit entfaltete, und ein Gelüste, sich seine Fischbeinrippen unzeitig auseinanderzuschlagen. Zugleich war das mitgenommene Bündelchen von einer ungewöhnlichen Behendigkeit und Rührigkeit, und schlüpfte an dem rechten Kniee seiner Trägerin, auf dem es seinen Platz angewiesen erhalten, hinab auf den Boden, wo es sich im Gewühl des feuchten Strohes verlor. Während Tony wieder einmal das Bündelchen auffischte, streifte seine Hand das Knie der schönen Dame, die gleichsam in ihrer Ecke etwas zusammenzuckte; wenigstens schien es dem [53] jungen Schützen so. Dies gab ihm Stoff, ungewöhnlich viel und ungewöhnlich lange über die ganz besondere Lage, in der er sich befand, nachzudenken. Die Droschke verlor sich endlich in eine sehr enge und abgelegene Straße, nachdem sie das Thor schon längst passirt hatte. Es war in der Nähe einer weitläufigen Baustelle; auf einem öden Platze konnte das Auge, trotz der Dunkelheit, aufgerichtete Gerüste und Baumaterialien aller Art bemerken. Dabei war der Fluß nicht sehr entfernt, und man sah in seinem schwarzen Spiegel die wenigen Lichter wiederscheinen, die aus den verstreuten Hütten hervorleuchteten. Tony konnte sich nicht besinnen, diesen Ort jemals gesehen zu haben; seine beiden Begleiterinnen ließen ihm Zeit, hierüber nachzudenken; sie gingen beide in eines der niedrigen Häuser, und gaben ihm auf, Wache vor der Thüre zu stehen. Er setzte sich auf die Bank und stützte sein Haupt in die Hand. Es dauerte nicht lange, so fragte eine rauhe Stimme, was er da wolle. Ein breitschultriger Mann mit einem niedergekrümpten Hut stand vor ihm. Tony erwiderte, daß er mit zwei Frauen gekommen sei, die sich in dem Hause befänden. Der Mann murrte etwas in den Bart und setzte sich neben Tony auf die Bank. Beide saßen lange Zeit stillschweigend neben einander. [54] »Wer sind die Weiber darinnen?« fragte endlich der Mann.

»Ich kenne sie nicht,« entgegnete Tony.

Der Fremde suchte etwas unter der Bank; endlich zog er eine Axt hervor und sagte, indem er seine derbe schwielige Hand über die Schärfe des Instruments gleiten ließ: »Besinne Dich wohl, Soldatchen, Du kennst sie wohl.«

Tony antwortete nicht. Jener fragte, indem er die Hand an den Hirschfänger des jungen Schützen legte: »Ist das Messerchen scharf?«

»Ja,« erwiederte Tony.

»Nun, meine Axt ist auch scharf.«

Frau Wiesentrost trat auf die Schwelle der Thür und sah sich nach ihrem Begleiter um. »Lieber Sohn,« sagte sie, »Du wirst eine Droschke holen müssen; suche eine große und geräumige aus.« Jetzt bemerkte die Hebamme den Mann auf der Bank und wich in die Hausthür zurück. Jener stand auf, trat in die Thür und rief, indem er seine Axt schwang: »Ihr sollt mir alle heraus! Was wollt Ihr hier? Gesindel! Soldatenpack! Verfluchte Gesellschaft!«

»Bleibt! bleibt!« flüsterte die Erschreckte Tony zu; und dem Sprechenden zugewendet sagte sie: »Ich [55] bin die Hebamme, und drinnen liegt eine Frau krank. Versteht Ihr!«

»Sie soll sterben, sie soll nicht leben bleiben! Ich will es, daß sie sterben soll! Die dort – und er zeigte zur Stadt, haben sie zu Grunde gerichtet, nun mögen sie auch ihren faulenden Leichnam haben. Ich selbst trag' ihn dahin, wenn es so weit ist.«

»Wohin, Unmensch?«

»Ich weiß schon wohin.«

»Wie Ihr schlecht seid!«

»Die Brut dort hat uns dazu gemacht!«

Die schöne Dame zeigte sich jetzt auch auf der Thürschwelle; ihre sanfte Stimme sagte: »Mein Gott, so eilt doch – was zögert Ihr! Es ist die höchste Zeit!« – Auch sie bemerkte jetzt den Arbeiter: »Lieber Mann,« rief sie bittend, »kommt herein, und helfet uns die Frau drinnen in Betten packen und hinaustragen.«

»Ist sie schon todt?«

»Nein – nein! Aber damit sie nicht sterbe, muß sie jetzt gleich in's Krankenhaus.«

Die melodische Stimme schien Eindruck auf das verhärtete Gemüth des Mannes zu machen. Ohne den Hut abzunehmen, oder sonst ein Zeichen der Ehrfurcht oder auch nur des äußern, rücksichtsvollen [56] Benehmens zu geben, näherte er sich der Dame, und ihr dicht unter den Hut blickend, und mit dem Daumen rückwärts in die Gegend der Stadt zeigend, fragte er barsch: »Kommen Sie von dort?«

»Ja, ich bin das Kammermädchen der Gräfin Waldensee, und bin hergeschickt worden, um die kranke Frau hier zu pflegen.«

Mit einem wilden Hohn in Stimme und Geberde sagte der finstere Mann: »Sie ist keine Frau, sie ist ein Mädchen!« Er schlug ein lautes Lachen auf, das über den öden Platz und über den einsamen Fluß tönte.

»Gleichviel,« entgegnete die Dame stockend.

Ein Schrei, aus dem Innern des Hauses kommend, ließ sich hören.

»Um Gotteswillen!« rief die junge Dame, wieder in die Kammer zurückfliehend: »Eilt! – Rettet!« – Frau Wiesentrost gab Tony einen Wink, und dieser entfernte sich, um den Wagen zu holen. Aber wenige Schritte gethan, kehrte er wieder um; es war ihm unmöglich, das schöne Mädchen hier allein zu lassen, obgleich es ihm nicht wenig aus seinen angenehmen Träumen gestört hatte, zu hören, daß sie nur ein Kammermädchen war. Unentschieden, was er beginnen sollte, hörte er mit Freuden einen Wagen [57] langsam über die Brücke fahren. Er rief ihn an; es war eine leere Droschke. Jetzt machte man Anstalt, die Kranke, die bewußtlos dalag, aus dem kleinen dumpfen Zimmer zu schaffen.

»Ich werde mitfahren!« sagte der Mann; »ich muß sehen, wo Ihr sie laßt. Es ist meine Schwester.«

»Seine Schwester!« rief das schöne Mädchen! »Seine Schwester!«

Die Leblose wurde in Betten gehüllt, und mit der Decke umhüllt, aus dem Bette gehoben. Frau Wiesentrost und der Schütze faßten an's Kopfende, das hübsche Mädchen faßte an's Fußende. Der, der sich eben für den Bruder ausgegeben, stand, die Hände auf dem Rücken gekreuzt, mit einem gleichgültigen und rohen Ausdruck, zuschauend da.

»Helft doch!« schrie ihm die Hebamme zu.

»Nein!« tönte die kalte Antwort wieder; »ich hab' versprochen, wenn sie todt ist, sie ihrem Schatze hinzutragen, und das Bündel Sünde und Unglück und Schande und Fäulniß ihm vor die Thür zu werfen, damit er dann den Schinder rufe und den Schmutz zu anderem Schmutz tragen lasse. Ich hab' dann das Meinige gethan. Ehe sie nicht todt ist, rührt meine Hand sie nicht an!«

[58] »Entsetzlich!« rief die junge Schöne, die Hände ringend. »Entsetzlich!«

Er betrachtete sie mit einem rohen Lachen und erwiederte nichts. Die Drei trugen die Kranke hinaus. Der Bruder blieb zurück und sah sich die leere Stelle an, dann klopfte er das übriggebliebene Stroh auf, das den Holzboden der baufälligen Bettlade deckte, und suchte hier, indem er ein Liedchen pfiff, nach etwas. Offenbar wollte er irgend eine kleine Schmucksache oder ein Stückchen Geld entdecken; da ihm dies nicht glückte, warf er mit einem Fluch die schmutzigen Lumpen zusammen auf einen Haufen, verließ die Kammer und schloß die Thür ab. Auf dem Wagen, in welchem die Kranke lag, nahm er den Platz neben dem Kutscher ein, an dessen brennender Tabakspfeife er seine Cigarre anzündete.

Die zwei Wagen bewegten sich langsam durch die enge Straße, deren Lichter nach und nach zu verlöschen anfingen. Tony hatte die Absicht gehabt, sich hier zu empfehlen, allein ein Blick auf die zwei niedergedrückten, rathlosen Frauen hatte seinen Entschluß bald wankend gemacht. Er fragte bescheiden, wohin man jetzt zu fahren gedenke. Nach einer kleinen Pause tönte die hierüber erschütterte und wie mit Thränen kämpfende Stimme der jüngeren seiner [59] zwei Schutzbefohlenen: »In das Krankenhaus auf dem Köpenicker Felde!« – Tony hörte dies mit Vergnügen. Von jenem Krankenhause, dessen Dasein wir schon erwähnt haben, war es nur eine kurze Strecke zu seiner Kaserne, und er konnte hoffen, zur rechten Zeit zu Hause zu sein.

Durch die stille Nacht hörte man das laute Pfeifen des Mannes auf dem Kutschensitze. Ein leises Bewegen des tiefgesenkten Hauptes, und ein gewisses Etwas, das sich wie eine Art magnetische Wunderwirkung mittheilte, und das der Schütze nicht zu erklären wußte und auch nicht erklären wollte, dessen Wichtigkeit er aber empfand, zeigte ihm an, daß die junge Person in der Wagenecke weinte, und zwar heftig weinte.

Frau Wiesentrost hatte wieder mit ihrem Bündel und ihrem Regenschirme zu thun.

Jetzt erwachte der Sturm wieder, der eine Zeitlang geruht hatte, und er trug die Himmelskraft, große, schwere Wolkenmassen, die er vor sich hinwälzte, und die unter ächzendem Gewimmer einen kalten Nebel und einen feinen, prasselnden Regen niedergleiten ließen. Tony schloß die Fenster des Wagens an der Seite seiner Nachbarin; um dies zu thun, mußte er sich nothwendig weit über sie [60] hinbeugen, und so vorsichtig er auch zu Werke ging, und so wenig Anlaß er dem armen, der Himmel wußte, mit welch einem Kummer ringenden Mädchen noch zum Schrecken oder Unwillen geben wollte, er mußte doch auf einen Augenblick seinen Ellenbogen auf ihr Knie stützen. Sie wich wieder etwas zurück, dann aber legte sie ihre Hand – und es war die selbe hübsche, kleine, runde Hand, die Tony schon damals, als sie den Regenschirm hielt, zu bewundern Gelegenheit hatte – auf seine Schulter und sagte ein Paar Worte des Dankes. Diese wenigen Worte klangen so lieblich, und es ging von ihnen so eine unerklärliche, fast wunderthätige Macht aus, daß Tony sogleich in seinem Innern den Schwur that, daß er mit dieser interessanten Bekanntschaft heute Nacht nicht zum letzten Male zusammensein werde, daß er sie noch später, und womöglich recht oft wiederzufinden wissen werde. Wir können nicht sagen, ob die Dame, durch dasselbe sympathetische Mittel, durch welches ihr junger Begleiter früher ihre Thränen und ihren Kummer mit empfand, auch seinen Entschluß jetzt sich mitgetheilt fühlte; allein es läßt sich erwarten, daß ihr Genosse, je länger sie in seiner Nähe verharrte, und ihn, vielleicht ohne es zu wollen, beobachtete, ihr immer lieber wurde. [61] In ihrem Tone, wenn sie zu ihm sprach, in ihrer Geberde, wenn sie sich zu ihm wendete, lag so etwas.

Endlich hielten die zwei Wagen vor dem Thorwege des Krankenhauses.


[62]


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