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12.
Der Mann des Gesetzes.


Wer sitzt über Männerehre zu Gerichte?

Wir fragen, wer?

Ist es die bewegte und ewig wechselnde Meinung des Tages? Der Tumult der Stimmen, der verwirrend und betäubend über die Häupter der Kämpfer dahinfährt? Oder ist es der Urteilsspruch der Nachwelt, dieser kalte, starre, mitleidslose Urteilsspruch, in dem kein lebendiges, pulsirendes Herz mehr schlägt, das durch keinen warmen wehenden Athem erschüttert wird.

Wer spricht das Urtheil über Männerehre?

Weder jene lebendige, noch diese kalte Richterin. Beide können sich täuschen, beide ungerecht verdammen, beide ungerecht erheben.

Aber wer dann?

Das Herz! das eigene Herz in der Brust.

Nicht der Verstand, denn er hält sich an [116] Sophismen, nicht das Gewissen, denn es kann zu einer ängstlichen Höhe emporgetrieben werden, von wo aus es die irdischen Dinge nur in verwirrendem Maaßstabe und undeutlich anschaut. Aber in dem Herzen wohnt die Treue, und die Treue entscheidet. Ihr verwandt ist die Demuth, und die Demuth richtet! Wie köstlich, wenn in einem Männerherzen Treue wohnt und Demuth richtet. O über alles köstlich ist ein solches Herz! Wenn die stolzen Stirnen in Staub sinken, wenn die ängstlichen Gewissen verzweifeln, so ist das treue Herz da, das ausharrt bis an's Ende. Glaubt nicht, daß das Herz sich irren läßt! Es wohnt eine Kraft der Ueberzeugung in der Treue, die über alle Gefahren siegt! Es wohnt eine Fülle des Urtheils in der Demuth, die den Verstand der Verständigen zu Boden schlägt.

Ein treues, demüthiges Herz in der starken, festen Männerbrust! Das ist es, das entscheidet über unsere Thaten.

Es ist das Herz des Gerechten.

In der Verwirrung unserer Tage fragt eine Stimme: Wie viele sind solcher Gerechten da? Und die Antwort lautet: Ihre Häupter sind gezählt. Eine stolze und kalte Philosophie, die die Vergötterung des Menschen predigt, hat aus dem Herzen die [117] Kraft genommen zu lieben, denn die Liebe ist nichts anderes, als das Vergessen des eigenen Selbst. Eine maaßlose Genußsucht hat dem Verstande seine Klarheit geraubt, denn der klare Verstand übersieht alle Verhältnisse und weiß, daß die Welt nicht vollkommen ist, und endlich Beide zusammen, der verfinsterte Verstand und das liebeleere Herz haben das Urtheil getrübt. Und so sehen wir die Masse jetzt blind hintreiben von ihren Führern, die sie nicht zu führen wissen, bald hierhin, bald dorthin in die Irre geleitet. – –

Wir wollen hier das Bild eines Mannes aufstellen, der sich zu einem solchen Führer der Masse aufgeworfen hat.

Sonderbar; indem wir in sein Zimmer treten, in welchem er noch in später Abendstunde sitzt und schreibt, fällt unser Blick auf ein Bild an der Wand, das sich unmittelbar in den Kreis der oben berührten Gedanken und Bilder stellt. Auf diesem Bilde ist eine Frau dargestellt, die in Lumpen dahergeht und auf ihrem Arme ein Kind trägt. Sie schützt dies arme Wesen mit den Resten eines verstümmelten Regenschirms, den sie dem Andrang des bösen Wettersturms entgegenhält. Sie selbst ist dem Wüthen desselben blosgestellt. Seht da – ein Bild der [118] Treue! Das Köstlichste und Herrlichste, das Liebste und mit Schmerzen Erkaufte, das soll heilig gehütet werden, mag dann der eigne Leib von der Unbill leiden, mag alles Schlimme über den Träger einbrechen, wenn nur das Getragene, der Schatz vor Gefahr geschützt wird. – So handelt die Treue! Aber weiß der Mann, der unter diesem bedeutsamen Bilde sitzt, und dessen Feder eben flüchtig über das Papier gleitet, weiß dieser Mann von dieser Treue etwas? Ist er ein Hüter und Bewahrer des Schatzes, den man ihm anvertraut? Wir wollen ihn selbst fragen, und wenn er auch Alle täuscht, uns wird er nicht täuschen.

Wie schön dieses Gesicht ist! Es richtet sich eben auf. Obgleich nahe den Funfzigen, kann dieser Mann doch noch als in seiner Blüthe stehend betrachtet werden. Seine Züge sind kalt, aber ebenmäßig schön. Das Auge hat Glanz und Leben, die Stirn gewölbt, die Lippen in scharfen aber nicht ungefälligen Linien geschnitten, der Wuchs groß und die Haltung aufrecht. –

Das Zimmer ist elegant ausgestattet mit Sopha's und Polsterstühlen, Tischen mit Teppichen, Gestellen, auf denen Porzellan und silbernes Geräth prangt – Ehrenpokale darunter, von irgend einer Genossenschaft [119] dem freisinnigen Kämpfer übersendet und hier prunkend ausgestellt; dann sind noch einige Bilder da, die sich hinter grünen Vorhängen verbergen. Der Mann des Tages ist ein Priester des Genusses. Der Chef eines der ersten Gerichtshöfe des Landes bezieht ein ansehnliches Gehalt und lebt in Fülle. Der noch so wohl conservirte Mann, der eine schöne, vornehme und reiche Braut hat, will sich nicht in Räumen betreffen lassen, die an die trockene und außer Mode gekommene Gelehrsamkeit und Einfachheit des Geschäftsmannes erinnern; er ist der Liebling der Menge, und diese liebt ein glänzendes Spielwerk. Zu dem ist die Arbeit nicht immer erquickend, das Studium selten erfrischend, die Gelehrsamkeit kleidet nicht Allen gut – deshalb Polsterstühle, Spiegel, reiche Frühstücke, schwelgerische Mahle und behagliche Abende! Es ist der Mann, der in einer Stube so riesenhaft, so genial arbeiten kann, wenn er will, daß er damit das Product eines jahrelang mühsam thätigen Pedanten niederschlägt. Dies ist auch eine Eigenschaft des Mannes nach der Mode. Alles an diesem Manne ist interessant, ist die Aufmerksamkeit spannend, ist überwältigend. Dies weiß der Mann, aber man darf ihn deshalb nicht für eitel halten. Wenn man ihn vergöttert, muß er's nicht dulden? [120] Giebt es ein Mittel, sich der Menge zu entziehen, deren Gott man geworden ist?

Erst vor wenigen Tagen hatte er seinen Eintritt in die Kammer gefeiert. Von der Regierung verfolgt, mit ihr in offenem Zerwürfniß, erlebte er den Triumph, daß die selbe Regierung jetzt mit ihm über die Festsetzung der Verfassung unterhandelte. Er stand als ein geflüchteter Feind der Regierung da. Seine Partei hatte alle Mittel angewendet, ihn in die Kammer zu bringen, und sie hatte gesiegt, nachdem sie vorher die Kerkerthüren gesprengt hatte, hinter denen der Verfolgte auf wenige Tage geschmachtet hatte. Es folgten jetzt Deputationen und Adressen in großer Hast, und alle beglückwünschten ihn, und den Adressen und Deputationen folgten silberne Pokale und goldene Lorbeerblätter. Der Mann der Opposition, der »Volksmann« stand fertig da.

Aber die Revolution sollte nicht stille stehen, sie sollte weiter gehen. Der Umsturz durfte nicht feiern, er mußte rasch gefördert werden. Die Partei, gab zu verstehen, daß wenn sie jetzt das Ihrige gethan, es an ihrem Schützling sei, das Seinige zu thun.

Der Präsident verstand sehr wohl die Winke, die man ihm gab.

Er hatte aber mit einigen Schwierigkeiten zu [121] kämpfen. Nicht mit den Schwierigkeiten, die ihm sein Gewissen und seine Amtsehre in den Weg legten, über diese war er hinüber, aber die Zerrüttung seiner Kasse und die unangenehmen kleinen Verlegenheiten, die sich auf dem Wege eines Mannes ansammeln, der gerne verbotene Pfade geht. Er hatte große Summen zum Theil an seine eigennützigen Wähler verschwendet, seine eigenen Vergnügungen kosteten ihm nicht minder, und die reiche Braut konnte unmöglich jetzt schon zu einem Auskunftmittel in Finanzverlegenheit dienen. Zudem hatte der Präsident einen Sohn, der ihn befeindete, der unter dem Scheine der kindlichen Achtung ihm anfing den Gehorsam zu verweigern. Größere Operationen, zu denen Geld erfordert wurde, standen bevor. Korrespondenzen gingen geheim, aber doch nicht so geheim, daß der Sohn, der seit einiger Zeit den Späher machte, nichts davon erfuhr. Ansehen und Credit waren beide in Gefahr, wenn es dem Präsidenten nicht gelang, rasch die Braut zur Frau zu machen und den Sohn zu beseitigen.

Aber der Sohn war hartnäckiger und eigenwilliger wie jemals, und die Braut fing an Verdacht zu schöpfen und wurde kühl.

Die Gefahr wuchs mit jedem Tage.

[122] Dabei hatte die Regierung einige tüchtige Talente gewonnen und in die Kammer gebracht. Auch hier also wurde die Gewohnheit zu siegen, jetzt etwas weniger sicher. Die Regierung hatte eine imposante Kraft entwickelt und begann sich, nach langer Ohnmacht, wieder zu fühlen. Auch das war unangenehm.

Er hatte eben einen Brief beendet, in welchem er einen politischen Glaubensgenossen um ein starkes Darlehn anging, indem er zugleich den exaltirten Hoffnungen des Briefempfängers schmeichelte und für die Partei goldne Berge versprach. Nicht in der besten Stimmung erhob er sich jetzt, um seinem Diener zu klingeln, der ihm bei der Abendtoilette, um bei der Gräfin zu erscheinen, behülflich sein sollte. Der Diener führte einen Mann herein und entfernte sich wieder. Der eben Angelangte war einer von den geheimen Commissionären des Präsidenten. Er stattete Bericht ab über die Dinge, die unter der Hand betrieben wurden, und bei denen kein Name genannt wurde. Es waren Wühlereien gemeiner Art, ein Aufhetzen und Bearbeiten der armen und mißvergnügten Classen. Der Präsident hatte dieses Feld nie ganz aufgegeben. Trotz der Wachsamkeit der Polizei und der wiedererwachten Thätigkeit der [123] Behörden, trotz dessen, daß die ganze Stadt und der Umkreis derselben militärischer Bewachung übergeben war, gingen diese Operationen ihren Weg fort. Es wurden Versammlungen gehalten und unablässig Emissäre abgesendet, die in den entferntesten Vorstadtschenken den Saamen des Aufruhrs, die Hoffnung auf den doch gelingenden Umsturz bringen mußten. Schmähschriften wurden gedruckt und vertheilt, Verdächtigungen aller Art, Berichte, wie groß und wie weit der Aufstand schon überall verbreitet sei. Dies nannte man »das Volk aufklären,« und das aufgeklärte Volk wurde dann aufgefordert, seine Souveränetätsrechte geltend zu machen, das heißt Brand und Mord überall hinzutragen, wohin die Führer es für gut finden würden.

Nachdem der Bericht über diese Dinge abgethan war, kam der Commissionär auf das Verschwinden eines gewissen Mädchens zu sprechen, dessen Schicksale wir schon dem Leser mitgetheilt haben. Der Spion wußte nicht, wohin man die Kranke gebracht habe; er versprach aber so bald als möglich darüber Auskunft zu geben. Der Bruder sei verschwunden und die Hütte leer.

»Bringen Sie nur vor allen Dingen heraus, wer die Dame war, die das Mädchen fortgeschafft hat.«

[124] Mit diesem Auftrag entfernte sich Jener, und der Präsident blieb zurück, unangenehm berührt durch dieses neue mysteriöse Ereigniß. Er brachte unwillkührlich mit diesem Vorfall das entschieden kühle und zurückhaltende Benehmen seiner Braut in Verbindung.

Aber wie sollte sie? – rief die innere Stimme lebhaft. – Ich weiß durchaus keinen Weg, der aus ihrem Cabinet in jene weitentlegene Hütte führte. Aber freilich, den heutigen Frauen ist nichts unmöglich. Die vielen wohlthätigen Vereine, diese boshaften Störenfriede und Spielverderber unsrer Freuden, geben einen so willkommenen Vorwand, sich in die geheimsten Histörchen zu mischen. Es könnte also sein – nun, und wenn auch, ein Grund mehr meine Heirath zu beschleunigen.

Ein Geheimer Obertribunals-Rath, der seinen Abschied aus dem activen Dienst genommen hatte, aber sich noch immer lebhaft an dem Gange der Angelegenheiten betheiligte, trat ein. Es war ein Mann in weißem Haar, mit einer freundlichen und höflichen Miene. So unlieb sein Erscheinen dem Präsidenten auch in diesem Augenblick war, er konnte ihn nicht abweisen.

»Sie und ihre Freunde,« hub der alte Mann [125] an, »werden morgen, wie ich höre, der Kammer wichtige Vorlagen machen, namentlich über die neue Organisation des Gerichtswesens. Ich habe da Einiges mitgebracht, diesen Gegenstand betreffend, auf das ich Ihre Aufmerksamkeit hinlenken möchte.«

Der Präsident nahm höflich lächelnd die Papiere und legte sie auf den Tisch.

Der alte Herr sah ernst und klug seinen Mann an.

Der Präsident, mehr um etwas, zu sagen, als weil ihm gerade diese Frage wichtig war, sagte: »Sie gehören nicht zu meiner Partei.«

»Doch« – entgegnete der Alte, indem er dazu ganz besonders freundlich und klug aussah. – »Ich mache schon seit vierzig Jahren Opposition.«

»Mein Himmel, so lange können Sie ja kaum dienen.«

»Gerade so lange. Ich mache Opposition so lange ich diene.«

»Ah –«

»Ja.« Die großen, freundlichen Augen des alten Herrn schwammen in einem Meer von Runzeln. Er legte die abgemagerte Hand auf den Griff seines Stockes und blickte nun den Präsidenten an mit dem herzlichen Wohlgefallen, wie man ein schönes Gemälde ansieht.

[126] Der Präsident wurde etwas befangen und versicherte nochmals, daß er die Papiere beachten werde.

Der alte Herr rückte etwas näher und sagte: »Ja, sehen Sie, lieber College, wir Männer von der alten Richtung, die wir es treu mit unserm Herrn und dem Lande meinen, wir machen Opposition unser Leben lang.«

»Aber es fruchtete nichts?« sagte der Präsident etwas unhöflich.

Der Alte erhob das Haupt und sagte: »Es sollte eben Früchte tragen, als Sie kamen und uns um den Lohn einer fast vierzigjährigen Arbeit brachten.«

»Wie versteh' ich das? Mir scheint das ein Widerspruch.«

»Es ist keiner. Unser altes, liebes Vaterland, dieses schöne Land des Ruhms der Väter mußte umgestaltet werden; allein – um Gotteswillen nicht auf diesem Wege. Die Redlichen im Lande, und vor Allen unser guter König, sind um ihr Theil betrogen worden. Die Aufgabe unsers Herrn, die heiligste Aufgabe seines Lebens war, dem Volke die freisinnige Verfassung zu geben, die schon der Vater versprochen. Er war eben daran sein Wort zu lösen, als diese schmutzige Emeute –«

»Herr – eine schmutzige Emeute, und ich nenne [127] es eine siegreiche Revolution, einen großen Act der Geschichte! Doch lassen wir das!«

»Ja, lassen wir das. Geschehen ist geschehen. Den König, unsern Herrn, hat man um den Glanz und die Palme seines unsterblichen Unternehmens gebracht, und uns redliche Männer, wenn wir nicht ganz umsonst wollen gelebt und gewirkt haben, zwingt man, mit offenkundigen Verräthern zusammen in der Kammer zu sitzen.«

Der Präsident sprang auf und rief zornig: »Herr Geheimerath – ich kenne keinen Verräther in der Kammer.«

»Aber ich kenne welche!« entgegnete der Alte, und seine Stimme klang sanft, und sein Auge glänzte wo möglich noch freundlicher als früher. Er sah unverwandt den Präsidenten an, indem er fortfuhr: »Sehen Sie einmal, lieber College, zwischen Opposition machen und Opposition machen ist ein Unterschied. Sehen Sie mich an, ich bin auch so ein alter Junge von der Linken, ein unverbesserlicher alter Junge. Aber es lebt in mir ein ungeheurer Gedanke, ein Gedanke, der so riesengroß und so riesenmächtig ist, daß diese Schultern ihn kaum zu tragen vermögen: Es ist der Gedanke: An der preußischen Justiz kein Makel! Sehen Sie, lieber [128] College, eher die Welt zerschmettern, eher den Altar berauben und das Allerheiligste stehlen – nur an der preußischen Justiz kein Makel!« –

»Ich muß gestehen« – hub der Präsident an.

»College!« sagte der Alte und griff nach dessen Arm. »Wir leben nicht ewig. Was hinterlassen wir unsern Kindern? Schätze, die da Motten und Rost verzehren? Pfui doch! nein. Wir hinterlassen ihnen unser ›Recht.‹ Daß Einer sein Lebtag ein treuer, gewissenhafter Richter gewesen ist, kann für eine große Sache gelten; es kann aber Niemand ein treuer Richter sein in einem Lande, wo das Recht nicht in seiner ganzen, vollen Glorie dasteht.«

»So will ich Ihnen mittheilen, verehrter College, daß unter dem vorigen Regime das Recht sehr oft gebeugt worden ist.«

»Wird zugestanden,« entgegnete der Alte; »deshalb machte ich ja Opposition. Aber es war dennoch immer die alte preußische Justiz, die Justiz, die sich einen guten Klang in der ganzen civilisirten Welt erobert hat. Beim Volke war die Justiz in Ehren, jetzt aber ist sie's nicht mehr.«

»Der Beweis möchte Ihnen schwer fallen.«

»Im Gegentheil sehr leicht. Sehen Sie, liebster College, als Sie – fast lauter Richter – damals [129] zusammensaßen und die aufgelös'te Versammlung ihrerseits fortsetzten, als Sie in heimlicher, scheuer Berathung die Steuerverweigerung proclamirten, da wäre – wenn Sie im Recht gewesen wären, das ganze Land aufgestanden, um zu Ihnen zu stehen. Aber es stand nicht auf; Sie hatten ihr Spiel verloren, und nun hieß es: Die, die gegen ihren König, dem sie den Eid geleistet, sich verschworen haben, die sich das Wort gegeben, Aufruhr und Brand in alle Theile der Monarchie zu schleudern – diese sind ›Richter‹.«

»Aber mit Unrecht heißt es so! Das Volk ist noch immer bei uns! Nur der rohen Gewalt sind wir gewichen.«

»Lieber College, Sie täuschen sich. Wäre hinter Ihren Thaten wirklich das Volk gestanden, was hätten diese zwanzigtausend Mann Soldaten hier in der Hauptstadt gefruchtet? Aber nur der Pöbel stand hinter Ihnen und steht noch hinter Ihnen.« –

»Sie sagen ja doch selbst, auf friedlichem Wege ließe sich keine Besserung hoffen?« –

Der Alte erhob sich, und die Rechte auf den Stock gestützt, rief er: »Wie Herr! Wann hätte ich das gesagt? Wir gutes Preußenvolk sollten die häßliche, schmutzige Pariser Erfindung mit den Emeuten [130] und Barrikaden nöthig haben? In unserm klaren, deutschen, ehrlichen Lande sollte es jemals Brauch werden, daß das Volk mit seinem Fürsten so spitzbübisch rechtete? O, Herr College, Sie könnten mich böse machen! Man hätte uns nur machen lassen sollen. Die Alten mit den schlaffen und schlimmen Grundsätzen starben aus, und eine junge Welt trat an die Reihe, eine gute, kräftige, junge Welt – ich habe einen Sohn darunter und auch Sie, Präsident – einen herrlichen Jungen. Sehen Sie, das ist Jugend! Sie bemerken, ich rühme nicht nur das Alter, ich rühme auch die Jugend. Aber es giebt zweierlei Jugend heutzutage, die eine, die ihren braven Vätern ähnlich sieht, die andere, die ihnen nicht ähnlich sieht.«

»Was beweist das Alles?« fragte der Präsident ungeduldig. »Wollen wir bei dem frühern Gegenstand bleiben. Ich gehöre selbst zu den Steuerverweigerern, ich sage das mit Stolz, und ich bin dennoch vom Volke wieder zu den Kammern gewählt worden!«

»Nicht von dem Volke, von Ihrer Partei, Herr College. Das ist ein großer Unterschied. Sie können es noch lange so treiben; die französische Mode läßt sich noch lange fortsetzen; aber geben Sie [131] Acht – immer geht's nicht. Es kommt eine Zeit, wo das alte Mode ist, ganz alte, ganz verachtete Mode. Und dann nehmen Sie sich in Acht. Das Volk, mit dem Sie jetzt gespielt haben, wirft Sie in die Plunderkammer. Herr College, es ist sehr bitter eine abgetragene Mode zu sein, wenn man eben nichts als Mode war.«

»Was soll ich denn nach allen diesen Reden mit Ihren Schriften?« fragte der Präsident gereizt.

»Die Mißbräuche – die Mißbräuche« – entgegnete der Geheimerath.

»Also Sie geben zu, daß nur durch unsre Kammern der Weg zur Abhülfe möglich ist?«

»Für's Erste, ja; und wir müssen uns Ihnen anschließen. Unser König hat diesen Weg vorgezeichnet, und das Land hat eingestimmt. Aber nur für's Erste. Es werden andere Zeiten kommen.«

»Sie haben eine starke Zuversicht« –

»Ja, die habe ich. Ich gehe mit dieser Zuversicht in's Grab. Preußen bleibt groß. Die Zeiten der Schmach gehen vorüber.«

»Rechnen Sie die jetzige dazu?«

»Ja.« –

»So nehmen Sie Ihre Papiere zurück. Ich kann die Ansichten nicht bevorworten, die den [132] Ursprung einer so entgegengesetzten Meinung, wie die meinige ist, haben.«

»Gut, gut, College, so werde ich meine Papiere einem Mitgliede der ersten Kammer übergeben.«

Der Präsident langte nach den Papieren: »Nein, nein!« rief er. »Bleiben Sie an der Thür, an die Sie einmal angeklopft haben. Wir sind mächtig; ich kann und will in jeder rechtlichen Opposition mitwirken. Mein patriotischer Ehrgeiz schreibt mir dies vor.«

Der Geheime Obertribunalsrath empfahl sich.


[133]


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