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19.
Der Handel.


§§§Glücklich wie eine Braut es nur sein kann, und jung und froh sich fühlend wie ein Kind, dankbar gestimmt wie ein frommes, von himmlischem Segen überschüttetes Herz, so nahm die Gräfin in ihrem Wagen wieder Platz und schlug den Schleier zurück, und lehnte sich in die Polster und sog den frischen Luftzug, den Athem des erwachenden Frühlings ein,der ihr entgegenschwellte.

»Wie himmlisch süß ist das Glück!«

»Wie hoch trägt es uns – wie immer höher in die klare, sonnendurchblitzte Atmosphäre.« –

Die Federn des Wagens wiegten dieses schöne, glückliche Wesen. Häuser und Bäume glitten an ihr vorüber, ohne daß der trunkene Blick auf irgend einem Gegenstande haften blieb. Sie kostete ihr Glück – sie empfand es durch und durch; bis in den [206] kleinsten Winkel des Herzens hinein drang das Bewußtsein dieses Glückes. Lange, schwere, kummervolle Nächte – angstdurchwühlte Stunden sanken wie dunkle Schatten vor dem Lichte eines neuen Tages nieder. Es wurde helle – helle. –

Der erste Gedanke, der dies edle, dankbare und demüthige Herz – nächst dem Bewußtsein des Glückes durchzog, war der: Hast du Niemand gekränkt? Ist dir Niemand böse? Hast du Keinen, mit dem du dich versöhnen mußt? Jetzt ist die Stunde da, wo du demuthsvoll Abbitte machen mußt, denn sonst verdienst du nicht glücklich zu sein.

Und die Gräfin befahl in eine Gegend zu lenken, wo eine jener gesellschaftlichen Bekanntschaften wohnte, die sich – sehr mit Unrecht – Freundschaften nennen. Diese Dame glaubte sich gekränkt, beleidigt, sie erwartete einen Besuch. Sie war im Unrecht, die Gräfin hatte sich fest entschlossen, diesen Besuch nicht abzustatten; jetzt aber fuhr sie hin. Ich will alle Welt mit mir versöhnen, rief sie lächelnd bei sich – denn sonst verdiente ich nicht glücklich zu sein.

Als dieser Besuch abgethan war, zog die Gräfin ihre Brieftasche hervor und sah sich die Namen einer Liste an. Sie gab Befehl, in eine entfernte Vorstadtgegend zu lenken. »Ich will in die Hütte der [207] Armuth treten,« sagte sie, »und mein übermüthiges und frohes Herz soll mir sagen: Hilf erst diesen, ehe du es wagst vor deinen Gott zu treten, es ihm zu danken, daß er dir gab, was du nicht verdientest.«

Am Beginn der Straße ließ sie den Wagen halten und setzte zu Fuß ihren Weg fort. Da hörte sie Jemand athemlos hinter sich herkeuchen. Umblickend erkannte sie den jungen Schweizer-Schützen.

»Ach, Madame!« rief er, eine ehrfurchtsvolle, militärische Verbeugung machend und sich erschöpft an das Geländer einer Treppe lehnend, »wie Sie gut zu Fuß sind! Wie Sie rasch gehen können. Ich bin Ihrem Wagen nachgerannt, da ich Sie an dem Zipfelchen Ihres blauen, wehenden Schleiers erkannte. Es giebt nur in ganz Berlin diesen einen blauen Schleier. Verzeihung, Madame, wenn ich Sie beleidige.«

Sie blieb stehen und sah ihn freundlich an.

»Ich habe vor einer Stunde Frau Wiesentrost gesprochen,« fuhr der Soldat fort, »gestern Nachts ist sie angelangt; ich war schon in der Stadt, aber fand Niemand in Ihrer Wohnung. Entschuldigen Sie, Madame, ich möchte lieber sterben, als Ihnen eine unangenehme Nachricht bringen. Es ist weiß Gott wahr, und ich wünschte, die Kugel bei Friedericia, [208] die dicht neben mir einem unserer Offiziere den Helm zersplitterte, hätte mir in's Herz getroffen, so wäre ich jetzt nicht gezwungen, Ihnen als ein schlimmer Botschafter entgegenzutreten.«

»Aber was giebt's denn, Herr Wickye?«

Der junge Schweizer wurde jetzt wieder von einer heftigen Verlegenheit geplagt, als er das eigentliche Geheimniß, um das es sich handelte, aussprechen sollte. Er konnte mit bestem Willen nichts hervorbringen als die Worte: »Es ist leider der Herr Präsident, Madame« –

»Ich danke Ihnen, lieber Herr,« entgegnete die Gräfin sehr mild und freundlich – »ich weiß schon alles. Bemühen Sie sich nun meinetwegen nicht weiter. Ich bin Ihnen herzlich verbunden für das, was Sie für mich gethan.«

»Ach, Madame – es ist so wenig gewesen, und – auf meine Ehre! – ich möchte so viel thun!« Er legte die Hand auf's Herz und stand da wie ein junger Ritter vor seiner Dame. Die Gräfin betrachtete ihn, trotz dessen, daß ihr Sinn jetzt mit ganz anderen Gegenständen beschäftigt war, mit großer Theilnahme. Sie empfand den Strahl dieses jugendlichen Auges, der ihr eine kühne und heftige Leidenschaft kündete. »Erlauben Sie,« sagte der [209] Schütze, »daß ich Ihnen noch ferner Nachrichten bringen darf. Frau Wiesentrost wußte noch nicht, wohin man die Kranke gebracht, allein da sie eine Person ist, die alles erfährt, was sie erfahren will, so wird sie das auch bald wissen.« –

»Gut, mein Herr; ich werde Sie erwarten und Sie mit Vergnügen bei mir sehen, so oft Sie kommen wollen. Sie haben an mir eine dankbare Freundin.«

Das war sehr viel gesagt – aber doch nicht das, was Tony Wickye, der ganz von Sinnen war, aus Liebe zu der schönen Frau eigentlich wünschte. Er hätte gewünscht, sie hätte ihm verboten sie zu besuchen, aber mit einem Ausdruck und in einem Tone hätte dieses Verbot ausgesprochen werden sollen, so daß es geklungen: Komme bald – aber laß Niemand etwas davon wissen. Aber die Gräfin hatte ihm ausdrücklich gesagt, er möchte kommen so oft er wollte: so ladet man Niemand ein, den man liebt.

Tony Wickye war gar nicht erfreut über dieses Zusammentreffen. Er entfernte sich langsam wieder und schlug den Weg zu seiner Kaserne ein.

 Unterdeß betrat die Gräfin die Wohnung des alten dürftigen Paars, das von ihr Almosen empfing. Es waren wackre Leute, aber völlig unfähig sich ihren [210] Erwerb zu verdienen. Ein langwieriges körperliches Leiden, mit hartnäckigen, grausamen Schmerzen verbunden, hielt den Alten auf dem Bette gefesselt. In der Nebenstube befand sich eine Familie, die ebenfalls hülfsbedürftig war, und die diese engen Räume mit dem alten Paare theilte. Die Gräfin nahm Platz am Fenster, das die Aussicht auf den Hof und die Treppen und Eingänge der Nebengebäude hatte; die Alte setzte sich neben sie. Nach einigen Erkundigungen nach dem Haushalt und über die notwendigsten Bedürfnisse, brachte der Gast eine kleine Geldsumme hervor, die vertheilt werden sollte. Allein der Alte vom Bette aus that Protest dagegen. »Es wäre unverschämt, noch weitere Gaben anzunehmen,« sagte er, »da wir das Nöthige und bereits schon darüber haben. Wir sind durch die Freigebigkeit Ihrer Sendungen, gnädige Frau, und durch die Geschenke, die seit einiger Zeit ein junger Herr uns bringt, so reichlich versorgt, daß wir unserm Nachbar sogar etwas von unserem Ueberschuß haben mittheilen können.« Die Gräfin fragte, wer der junge Herr sei, allein das alte Paar wußte seinen Namen nicht, nur so viel wußten die guten ehrlichen Leute, daß ihr Nachbar, der Vater einer großen Familie, in Untersuchung sich befinde wegen der Vorfälle im [211] vorigen Sommer, und daß der junge Herr die Sache des Angeklagten führe.

»Also auch einer jener eitlen und verblendeten jungen Männer,« sagte die Gräfin, »die das schlimm verleitete Volk jetzt noch in seinem Unrecht bestärken und noch tiefer in's Unglück führen.«

»Gewiß nicht« – entgegnete der Alte; »ein solcher ist unser Wohlthäter nicht. Ich habe die Gespräche angehört, die er mit meinem Nachbar führt. Nie kommt dabei ein Wort vor, was da sagte, daß der Arbeiter sich gegen Gesetz und Ordnung auflehnen müsse, um zu Arbeit und reichem Verdienst zu gelangen, so wie's die Lehre der andern Herren war und noch ist. Durch ihn ist mein armer Nachbar auch bekehrt worden, und hat seinerseits wieder seine Genossen bekehrt. Allein es ist unglaublich, wie sinnlos die Leute gemacht werden, wie es schon so weit gekommen war, daß Niemand mehr arbeiten wollte, sondern Jeder von fremdem Gut in Saus und Braus leben. Seitdem der junge Herr hier ein- und ausgeht, schlägt mein Nachbar sein Weib nicht mehr, die Kinder fluchen und schreien nicht gegen ihre Eltern, es ist Ruhe und Stille, und wenn ich so sagen darf wieder menschliches Wesen bei den Armen eingekehrt. Es war früher, als wäre die Hölle hier losgelassen.«

[212] »Ich möchte diesen Herrn wohl sehen,« sagte die Gräfin.

»Da steigt er eben die Treppe hinauf!« rief die Frau. »Es trifft sich gut. Er kommt immer zuerst zu uns. Sie werden ihn sogleich hier eintreten sehen.«

Constance hatte Bernhard erkannt. Sie eilte, von der Röthe der Ueberraschung und Freude übergossen, auf die Schwelle des Nebenzimmers, indem sie den beiden Alten zurief: »Sagt nichts davon, daß ich hier gewesen, ich bitte Euch.« Damit verschwand sie in das Zimmer, wo die Familie sich befand. Hier theilte sie Almosen aus und nahm Platz in der Nähe der Thüre, die nur angelehnt blieb, und wo sie hören konnte, was in der Kammer, die sie eben verlassen, gesprochen wurde.

Mit welchem Entzücken hörte sie die Stimme des Geliebten, des Mannes, dem sie ihr Herz ausschließlich zum Eigenthum gegeben hatte, seitdem sie ihn frei von einer dunkeln Schuld wußte, und der von diesem beseligenden Geschenke noch keine Ahndung hatte.

Er kam mit einem andern Herrn, der ein verdächtiges und unangenehmes Aeußere hatte, und mit dem er sein Gespräch fortsetzte, nachdem er die beiden [213] Alten flüchtig gegrüßt. Constance vernahm folgende Worte:

»Nun denn, ich will Ihnen die Summe geben, die Sie fordern, obgleich dies eine niederträchtige Prellerei ist, die Ihnen theuer zu stehen kommen würde, wenn ich Sie vor die Gerichte brächte, allein dann müssen Sie mir auch alle Briefe ausliefern.«

»Alle. Ich habe keine weitern im Besitz, als die Sie hier sehen.«

»Sie lügen.«

»So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, nein.«

»So wahr Sie ein Schurke sind, ja.«

»Herr Assessor, es zwingt Sie ja Niemand, mir meine Briefe und Dokumente abzukaufen. Lassen Sie mich immerhin im Besitz derselben.«

»Damit Sie dann hingehen und von dem Manne, der durch diese Schriften hart compromittirt wird, durch Drohungen schwere Summen erpressen.«

»Das könnte allerdings so kommen. Zehn oder funfzehn Jahr Zuchthaus – wenn's Glück gut ist Festung, sind ihm gewiß, wenn ich auch nur einen dieser Briefe vor die rechte Schmiede bringe.«

»Sie könnten sich täuschen. Der Mann ist selbst Chef eines Gerichts« –

[214] »Ja – ja; es ist Ihr Herr Papa. Glauben Sie daß ich das nicht weiß?«

»Thut hier nichts zur Sache.«

»Thut sehr viel zur Sache. Der Sohn will nicht, daß der Herr Vater in's Zuchthaus gelange.«

»Schweigen Sie, Elender! oder sprechen Sie wenigstens nicht so laut. Ich wiederhole Ihnen, Sie werden bei diesen Gerichten nichts ausrichten.«

»Vor einem halben Jahre zurück hätte ich allerdings nichts ausgerichtet, aber jetzt – werde ich etwas ausrichten. Ich und meine Freunde wissen das; wir bekümmern uns um Alles.«

»Um die ärgerliche Geschichte zu endigen, werde ich Ihnen noch das Doppelte von der versprochenen Summe geben, wenn Sie mir die zwei Dokumente schaffen, die zuletzt in Breslau gesehen worden sind. Ich weiß, daß Sie in deren Besitze sich befinden.«

Der Aufgeforderte sah listig und boshaft den Sprechenden an. »Ich möchte erst das Geld in meiner Hand sehen!«

»Damit Sie mich nachher betrügen! Keinen Pfennig ohne die Papiere.«

»Gut, hier sind sie.«

»Und hier das Geld. Jetzt machen Sie, daß [215] Sie aus Berlin kommen. Wenn Sie neue Waare zu verkaufen haben, so melden Sie es mir auf dem gewohnten Wege, und wir treffen uns dann wieder hier zusammen. Sollte ich nicht mehr in Berlin sein, so wird Jemand anders, der sich beglaubigen wird als von mir dazu angestellt, Ihnen Ihre Sachen abnehmen.«

Die Thür ging; Jener hatte sich entfernt. Constance wollte entfliehen, allein eine Macht, der zu widerstehen sie zu schwach war, hielt sie an der Stelle gebannt, von wo aus sie die edle Gestalt, die theuren, von Kummer und Schmerz getrübten Züge betrachten konnte. Er hatte sich auf dem Platze am Fenster niedergelassen, den sie vor wenig Minuten inne gehabt, und eine lange Pause herrschte, denn die beiden Alten wagten es nicht, nach dem kurzen, leidenschaftlichen Wortwechsel, den sie eben mit angehört, von dem sie aber nur wenig verstanden hatten, ihren jungen Wohlthäter aus dem unruhigen Sinnen zu stören, in das er versunken war. Allein er ermannte sich selbst und sagte mit einer noch von lebhafter Bewegung erschütterten Stimme: »Ihr guten Leute, ich werde nicht mehr so oft zu Euch kommen können; vielleicht reise ich schon in diesen Tagen ab, vielleicht schon morgen.« – Er setzte hinzu, indem er vor [216] sich hinstarrte: »Es könnte sein, daß ich diese Nacht nicht mehr in der Stadt bin.«

Constance lauschte in fiebernder Angst und mit zurückgehaltenem Athem.

»Sie wollen fort, lieber Herr – und wohin?«

»Kümmert das Jemand was?« fragte er unmuthig. »Ich geh, weil ich eben nicht länger bleiben will und kann. Die Welt ist groß.«

»Ja, das ist sie; allein Sie haben hier Ihren Vater und Ihre Freunde, und sind in dieser Stadt groß geworden.«

»Das macht Alles nichts aus,« entgegnete der Kummervolle. »Wenn in einer Stadt Einem Pein und Leid zugefügt wird, so nutzt es wenig, daß sie unsere Vaterstadt ist, wir müssen doch fort.«

Die Alten sahen sich einander an; Keines wagte ein Wort weiter vorzubringen, so bestimmt und fest klang die Stimme, die diese trostlosen Aeußerungen that.

Bernhard erhob sich, um in das Nebenzimmer zu gehen, und diesen Augenblick benutzte Constance, um daraus zu entschlüpfen. Als er hereintrat, war sie nicht mehr dort.

In ihrer Wohnung angelangt, zerfloß die Glückliche in Thränen. Diese wenigen Stunden, welche [217] Fülle von Seligkeit hatten sie über ihr Herz ausgegossen! Sie war ihrer Liebe zum ersten Male auf das Entschiedenste bewußt geworden, sie wußte den Geliebten rein von Schuld, sie sah ihn aufopfernd für einen Ehrlosen handeln, der sein Vater war, und der – wenn diese seligen Stunden nicht gewaltet– ihr Gemahl, ihr Peiniger, ihr Dämon geworden. Nun konnte kein Zweifel weiter sein, was die nächsten Stunden brachten. Sie flog an ihren Schreibtisch, um einen Brief an den Präsidenten aufzusetzen.


[218]


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