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1.
Die beiden Schützen.


Es bläs't der Wind über die Haide. – –

Die Tage kommen und vergehen. Es kommt ein Geschlecht nach uns, wer mag uns sagen, wie es aussieht! Wer sagt uns, welche Geschicke für Die aufbewahrt sind, die ihre Tage aufgezeichnet finden, lange nachdem wir die unsrigen verlebt. Eine Blume blüht heute, und morgen wird ihre Stelle nicht mehr gefunden.

Es bläs't der Wind über die Haide.

Fürsten und Völker – alle miteinander sinken in ein Grab, und werden einer und der selben Vergessenheit anheimgegeben. Wie in einem großen Buche, das aufgeschlagen liegt, so rauscht es in den Blättern um uns her. Es ist eine kleine Weile, daß der Mensch wandelt im Lichte, dann verschwindet er und wird nie wieder gesehen. O seht, wie lieblich [2] die Jugend ist, wie süß das Herzklopfen in der festen Brust, die noch von dem Alter nichts weiß; aber fragt wieder nach, wenn Ihr künftigen Jahres des Weges geht, und höret, daß die Brust nicht mehr so fest ist, daß Alter und Krankheit in sie den Weg gefunden.

Es bläs't der Wind über die Haide!

Ich will Euch eine Geschichte unserer Tage erzählen. Höret mir zu.

 

»Was meinst Du, was dem Lieutenant wieder fehlt?« fragte der Pommer.

»Er hat wieder einen Korb mit Eichenlaub und Schleife bekommen,« entgegnete der Neuschateller.

»Ei, wie denn so?«

»Siehst Du, der Lieutenant hat dreierlei Arten, wie er Körbe bekommt. Gleichsam wie der rothe Adlerorden, die erste Classe ist simpelweg der einfache Korb. Da will ihn das Mädchen nicht, das ist der einhenkliche Korb; die zweite Art Classe ist der Korb mit Eichenlaub, da will ihn das Mädchen, aber Vater und Mutter wollen ihn nicht; die dritte Art Classe ist mit Eichenlaub und der Schleife, da wollen ihn alle Drei nicht, der Vater, die Mutter, das Mädchen. Und gerade einen solchen Korb hat der Lieutenant gestern bekommen, darum trägt er den [3] dritten Knopf an seiner Uniform von oben an gerechnet, los, was Niemand thut, der nicht sehr schweren Kummer oder ein Glas zu viel getrunken hat.«

Der Pommer pfiff ein kleines Liedchen vor sich hin.

Der Neuschateller zündete seine Cigarre an und sagte, indem er sich an dem Tische hindehnte und den Kopf auf den rechten Arm stützte: »Ja, wenn die Mädchen nicht wollen, da hilft es selbst nichts, Schütze und dazu noch Neuschateller zu sein. Es geht eben nicht.«

»Es ist wahr,« sagte der Pommer.

Und sie saßen eine Weile stumm und hörten auf den eintönigen Schritt des Kameraden, der draußen auf und ab ging und den Posten vor dem Gewehr hatte. Es war eine stürmische Nacht und das Gardeschützen-Bataillon war heute wieder in seine alte Kaserne eingerückt. Die Revolution in Berlin und der Kampf in Schleswig-Holstein lag zwischen dem Ausrücken des Bataillons und seinem jetzigen Einrücken. Damals waren der Neuschateller und der Pommer ganz blutjunge Rekruten gewesen und hatten sich schon Freundschaft zugeschworen, die sie bis an's Grab wollten halten und wo möglich noch weiter [4] hinaus, und damals hatte der Lieutenant schon drei einhenkelige und fünf dreihenkelige Körbe erhalten, und seitdem hatte sich die Zahl der Körbe und die Zahl seiner Schulden noch um vieles vermehrt – das war alles damals gewesen. Jetzt war es ganz – ganz anders! Die Kanonen hatten gebrummt, das kleine Gewehrfeuer geschmettert, der Pommer hatte eines Morgens alles Ernstes geglaubt, er würde sich die drauffolgende Nacht ohne Kopf niederlegen müssen, und der Neuschateller hatte bereits sechs Briefe an seine Schwester mit den Worten angefangen: »Ich schicke Dir meiner Mutter Bild und die sechs noch guten Hemden, nebst der neuen Halsbinde; das erstere hänge in meiner Kammer auf neben dem Bilde des Vaters, die anderen schneide Dir zurecht und trage sie selbst, und wird Niemand wissen, daß es eigentlich Männerhemden sind, wenn Du es nicht selbst sagst, und die Halsbinde kann für den kleinen Bruder zu seiner Confirmation die nächste Ostern dienen. Ich aber werde Morgen sicherlich erschossen; drauf kannst Du meinetwegen das Abendmahl nehmen.« Aber die sechs Briefe waren nicht abgeschickt worden, weil er immer noch selbst da war, um sie abzuschicken, was eben nicht hätte sein sollen, wenn die Briefe ihren Zweck erfüllten.

[5] Aber gute Freunde waren sie geblieben; zwei Kameraden wie sie sein sollen.

Der Neuschateller glaubte gegen Jedermann das Recht zu haben, hochmüthig zu sein, und er machte auch ungenirt von diesem Rechte Gebrauch, nur nicht gegen den Pommer; denn er sagte: »Der kann nichts dafür, daß er ein Pommer geworden; er verdiente ein Neuschateller zu sein.« Der Neuschateller war ein feiner, schlanker, zierlicher Schweizer, mit großen braunen Augen, die er nur manchesmal zusammenkniff, wenn er davon erzählte, daß sein Großvater Ackermann und Freisasse im Canton gewesen, und ein Haus wie ein Palais bewohnt habe, auch ein eigenes Wappen geführt. Als Neuschatel preußisch geworden, habe der Großvater noch auf dem Sterbebette gesagt, das würde nicht lange dauern, denn die Schweizer seien das erste Volk der Erde, und nach ihnen kämen die Franzosen, und dann noch allerlei anderes Volk, und dann erst die Preußen. Der Neuschateller liebte auch die Freiheit, denn, sagte er, »ein Schweizer muß frei sein.« Und als im Frühjahr des Jahres 1848 Neuschatel sich von Preußen lossagte, nahm er seine preußische Trodel von seinem Hirschfänger, legte sie von sich und sagte: »Nun, was meinst Du, Schwarzweißer? Wie lange werden [6] wir noch beisammen bleiben? Denkst Du, daß es so immer fortgehen wird, und daß ich und Du nie uns kennen sollen? Schwarzweißer, da irrst Du Dich. Aber versteh' mich recht, so lange mein Eid noch in Kraft ist, bleib' ich Dir treu. Denn ein Schweizerblut hält seine Eide gut – Ein Schweizergewissen ist ein ehrlich Ruhekissen – Eine Schweizer-Rechte hält sich brav im Gefechte.«

Aber dann ließ er den Kopf in den Arm sinken und seufzte so aus tiefster Seele vor sich hin: »Aber die Freiheit! die Freiheit! Es ist doch schön in unsern Bergen.«

Wenn der Pommer das hörte, ging er schnell hinaus aus der Wachtstube und sah nach, wie das Wetter war, und ob gerade viel Spaziergänger vorübergingen, oder ob ein Sperling wieder auf der Spitze des Wachthäuschens säße – denn er konnte seinen Kameraden nicht traurig sehen.

Der Pommer konnte überhaupt Niemand in der Welt traurig sehen. Es war ihm nicht gegeben. Er hatte ein Herz, das so weich, so weich war, viel zu weich für einen jungen Burschen, und nun gar für einen Soldaten. Vor allen Dingen kümmerte es ihn, daß er, der Lieutenant, so viel Schulden hatte, und daß sein Kamerad nicht so ganz zufrieden war. [7] Wären diese zwei Dinge nicht gewesen, er wäre kreuzfidel gewesen, denn ihm selbst fehlte nichts; er war gesund und lebendig wie der Fisch im Wasser, und die schöne Stadt Berlin, und der König, und das schöne Land Vorder- und Hinter-Pommern, und seine hübsche grüne Uniform, und seine brennende Cigarre, und seine gute Büchse, die auf fünfhundert Schritt trug, alles war ihm ganz recht und machte ihm unendliches Vergnügen.

»Wenn ich doch unserm Lieutenant eine Frau verschaffen könnte!« rief er vor sich hin. »Ich würde Millionen geben.«

»Wenn ich doch Neuschatel nach Pommern hintragen könnte; ich würde eine Million geben!« so sagte er auch.

Aber der Lieutenant kriegte keine Frau, und Neuschatel blieb an den schweizer Bergen haften, wo es Jahrtausende schon gehaftet hatte.

Den Pommer ärgerte dies ganz gewaltig; und er ging oftmals hinaus, um zu sehen, wie das Wetter wäre.


[8]


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