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22.
Vater und Sohn.


Sehr selten ist ein Tag, den wir uns als einen Freudentag lange vorher in der Zukunft bezeichnet, ein wahrer Freudentag geworden. Es übt oft das Geschick, das uns beweisen will, wie sehr wir in seinen Händen sind, die bittere Ironie, daß es gerade zu einem solchen Festtage die Peinigungen und Schmerzen aufhebt, die es uns zugedacht. Wir stehen dann, mit den Blumen der Freude gekränzt, am Altare des scheinbaren Glückes und Friedens, um gerade auf den Stufen desselben die Geißelhiebe der Dämonen zu empfangen. An jedem andern Tage wären wir gefaßt gewesen auf ihr Auftauchen aus der Tiefe, an jedem andern Tage hielten wir irgend einen Zufluchtsort bereit, wendeten irgend ein Schutzmittel an, an diesem Tage aber haben wir alle Panzer und Schilde bei Seite geworfen, und die [338] Brust, die sich unter den vollen durstigen Athemzügen des Glückes erweitert, ist offen und nackt, jedem Angriffe preisgegeben. Furchtbar ergreifend sind die Niederlagen, doppelt beklagenswerth die Opfer. Man sieht die Armen erschreckt in die Tiefe ihres Elends wieder hineinflüchten, und sie schleppen zerrissene Blumenkränze, blutbefleckte Gewänder nach. Kein ferner Traum des Glücks vermag sie von Neuem hervorzulocken; sie sind auf immer entmuthigt, und halten die Nacht ihres Jammers für eine ewige. Für sie giebt's keine Festtage mehr, da gerade diese Festtage zu Sammelplätzen ihrer grausamsten Leiden werden.

Unser alter Braver, den wir bis hieher geleitet haben, um ihn nun zu verlassen, nachdem wir ihm eine Stätte in der Erinnerung des Lesers bereitet haben, wenn es uns nämlich geglückt sein sollte, seine Gestalt mit jenem Lichte sanfter und rührender Anmuth zu umgeben, die das Unglück doppelt fesselnd macht, und zugleich mit der Sonderbarkeit und den Launen eines Charakters uns versöhnt – unser alter Braver ging jetzt auch dem Freudenaltar dieses Festtags – der kein Festtag sein sollte – entgegen.

Wir können die Stelle im alten Schloßgarten zu Charlottenburg bezeichnen, wo das Wiedersehen zwi [339]schen Vater und Sohn stattfand, es war jene Bank am Teich, die ein heimliches verstecktes Plätzchen bildet, aufgesucht von den stillen Freunden der Natur und der Lektüre, die hier ihren Träumen sich hingeben, und den Frieden einer schönen, einsamen Stunde in ihr Herz aufnehmen. Das Geflüster der alten Buchen und Linden hier, hat manches eitle und allzu stürmische Verlangen eingewiegt, auf manche warme Wange hat sich der kühlende Schatten beruhigend gelegt. Das junge träumende Mädchen, der gebeugte kummervolle Mann – Beide so verschieden in ihren Hoffnungen und ihren Leiden, Beide oft entgegengesetzte Lebenspfade wandelnd – auf dieser stillen Bank hat Beiden der Engel der Einsamkeit in gleicher Fülle Trost gewährt.

In der frühen Morgenstunde, die der Obrist gewählt, pflegte der Garten unbesucht zu sein, es befremdete ihn, ein weißes Gewand durch die Baumstämme schimmern zu sehen. Unwillig wollte er sich eben wegwenden, als eine liebe Stimme ihn rief. Den kleinen Seitenpfad entlang flog Louise – frisch und lieblich wie der Morgen selbst – dem Vater entgegen.

»Du allein! Und wo sind die Anderen?

»Ich bin ihnen vorausgeeilt.«

[340] »Hm – der Schritt eines Sohnes, der seinen Vater findet, sollte rascher sein als der eines Mädchens.« –

»Schilt nicht – er fürchtet sich vor Deinem Auge zu erscheinen.«

»Weshalb? hab ich ihm nicht sagen lassen, daß ich ihm vergebe?« Der Greis blieb stehen und sah seine Tochter forschend an. »Oder ist noch etwas übrig, was Ihr mir nicht gemeldet habt?« fragte er, und eine dunkle Wolke flog über seine Stirn.

Louise schwieg.

Vater und Tochter ließen sich auf die Bank nieder.

Es war eine beklemmende, ängstigende, bleischwere Minute. Louise warf sich an den Hals des Greises und rief mit all der Innigkeit, der ihr volles, überströmendes Herz fähig war: »Vater – Vater! vergieb! Wir haben Dir nicht Alles gesagt. Paul hat sich an dem Kampfe betheiligt – an dem Kampfe am achtzehnten März! Von dort her hat er seine Verwundung.«

Der Greis saß zu einem Steinbilde geworden. Seine Augen blickten starr, seine im Schooß gefaltenen Hände zitterten. Louisens Augen überflutheten Thränen, als sie den Vater in diesem Zustande sah. [341] »Gott!« rief sie, und schlug ihren Blick thränenschwer gen Himmel, »Gott, leite uns über diese Stunde hinüber.«

»Sprichst Du wahr?« fragte mit tonloser Stimme der Greis.

Louise schluchzte und barg ihr Haupt an der Schulter des Vaters.

»Am Kampfe Theil genommen!« stöhnte der Mann; »An diesem Kampfe Theil genommen! – Mein Sohn – ein Empörer gegen König und Vaterland! Mein Sohn ein Mitkämpfer in den Reihen entmenschter roher Horden, die von Verbrechern angeführt und von Gaunern bezahlt worden! In diesem Kampfe mein Sohn! An diesem schmutzigen Verbrechen, das so unerhört auf diesem Boden ist, eine fremde, perfide, ekelhafte Schandthat, fremd dem Geiste des Germanen, des Preußen, fremd dem Geiste, der den Deutschen beseelt hat vom Anbeginn seiner Geschichte an, – an diesem schmutzigen Verbrechen mein Sohn betheiligt; sein Blut, mein Blut verspritzt in so ehrlosem Mord! – Oh – oh! mein graues Haupt erträgt diese Schmach nicht!« –

Er senkte dieses Haupt tief auf die Brust. –

Louise umfing seinen zitternden Leib. »Denkt [342] Vater,« rief sie, »denkt, daß er glaubte Ursache zu haben, mit seinem Fürsten zu zürnen.«

»Ein Preuße zürnt nicht so!« entgegnete der Greis mit einer Stimme, die aus einem tödtlich verwundeten Herzen hohl hervortönte. – »Ein Preuße zürnt nicht so! So kann das perfide Frankreich, so der wilde, giftige Italiener zürnen, der Deutsche nicht, der Preuße nicht. So wahr Gott im Himmel lebt, es ist ein fremdes, ekelhaftes Verbrechen auf unseren Boden verpflanzt! Es lebt eine Heiligkeit, eine Treue in dem Volke der Germanen, die ewig nicht dulden wird, daß solche Kämpfe bei uns Wurzel fassen. Auf eine andere Weise mögen wir mit unsern Fürsten rechten, nur nicht so. Und hier galt es nicht einmal gegen einen Tyrannen, gegen einen Despoten aufzutreten, Preußen kennt keine Wüthriche in Purpur, es hat nie unter einer Nationenruthe, unter einem Nero geseufzt, es kennt vielmehr eine Folge großer und edler Fürsten, die das Land geliebt und es blühend und groß gemacht haben – in Preußen ist ein so perfider Kampf eine doppelt und dreifach scheußliche Empörung! O Gott, und mein Sohn – mein Sohn in den Reihen dieser Kämpfer! Dieser Kämpfer, die die Folgezeit mit Scham und Ekel nennen wird, wie jeder wahre [343] Preuße den Namen des Mannes nennt, der vor wenig Jahren versuchte, die Sitte des Königsmordes auf unsern Boden zu verpflanzen! Ha! Fluch – Fluch über diese Kämpfer, sie haben durch ihre nächtliche That den Stern Preußens auf lange Jahre hinaus verdunkelt – Fluch! –«

»Um Gotteswillen!« rief Louise aufspringend – »nicht Fluch Deinem eigenen Sohne.«

Und zu den Füßen des Greises lag der Jüngling.

Vor seinen eigenen Worten, die eben der bleichen Lippe entglitten waren, zurückschaudernd, wandte sich der Vater zur Seite, um das aufblickende Antlitz seines Sohnes nicht zu schauen.

Adam und Hohenheim standen von ferne.

»Mein Vater, vergieb!«

»Warum ist Dein Arm in der Binde?« fragte der Greis mit einer Stimme, die die Umstehenden erbeben machte.

»Du weißt es,« stotterte der Jüngling, das Auge senkend.

Der Greis heftete einen langen, kalten, fast höhnenden Blick auf den Knieenden. »Ich focht für den König, Du gegen ihn: wir können nie Genossen und Freunde sein.«

[344] »Vater!«

»Nenne mich nicht so. Ein Vater legt sein theuerstes Vermächtniß, die eigene Ehre, in des Sohnes Brust. Ich habe in Deine Brust Nichts legen können.«

Der Sohn erhob sich langsam. Eine Purpurröthe umfloß sein Antlitz. Er sprach vor sich hin: »Ich bin nicht ehrlos.« Er wankte – plötzlich in Leichenblässe übergehend – zur Seite.

Hohenheim trat hinzu. »Nein – nein! Du bist nicht ehrlos, mein Freund, mein Bruder. Diese schmachvollen Tage werden vorübergehen, die edle Nation, zu der jener ehrwürdige Greis, zu der ich und Du das Glück haben zu gehören, die edle Nation wird zum Bewußtsein ihrer Würde gelangen, und die unreinen Elemente, die ihr jetzt anhaften, von sich stoßen. Sie wird aus diesem heißen Blutbade empörter Parteikampfe geläutert hervorgehen, und Preußens Stern wird glorreicher schimmern als je, und Preußens Adler wird einen höhern Flug machen, als er je gemacht!«

Der Greis hörte zitternd zu. Die Stimme that ihm wohl; begierig sog sein Ohr die schöne Prophezeihung ein. In diesem Moment war sie ihm ein [345] Lobsingen mit Engelstimmen. Er war so tief, so unbeschreiblich tief gebeugt.

Louise, die günstige Wendung gewahrend, und in das von Hoffnungslicht wieder beleuchtete Antlitz des Vaters blickend, reichte dankbar, unter Thränen lächelnd, dem Geliebten die Hand.

Adam Braun trat herzu. Er sagte, mit einem kräftigen Schritt auf den Obrist zuschreitend: »Ick gloob, Herr Obrist, daß wir unserem Sohn verzeihen können. In det Colbergsche Regiment pflegen de Offiziere wie de Soldaten gute Kerls zu sind, die willig Pardon geben, wenn man se gebührend drum ansprechen thut. So meene ick! Gott straf mir, so meene ick!

»Und so mein' auch ich!« rief Louise triumphirend, den Bruder umfassend und ihn dem noch immer abgewendeten Vater zuführend.

»Herr Obrist« – sagte Braun – »thun Se man an den denken, der dort schlummert« – er wies nach der Richtung der Grabkapelle zu – »würde der nicht ok seinem Sohn vergeben, wenn der zu ihm träte und sagte: Vatter, ick hab' meine Sache nicht so ganz jut gemacht und etwas den Brei verbroddelt, alleene ich meinte es jut, darum keene Feendschaft nich!« Der Bauer sagte dies nicht in heiterm Tone, [346] sondern mit einer Stimme und einer Miene, als stände er an dem Grabe seines einzigen Kindes.

Der Obrist wendete sich zu den Umstehenden und sagte mit einem raschen Entschlusse, indem er mit der Hand über die Augen fuhr, als verjage er einen bösen Fiebertraum: »Laßt mir Zeit, Freunde, Kinder – laßt mir Zeit! –«

Sie wichen Alle zurück.

Der Obrist sank auf die Bank zurück und saß hier, das Haupt wie nachsinnend gesenkt, die Hände in den Schooß gefalten. Die Morgensonne warf ihre feurigen Strahlen wie eine Glorie um sein Haupt.

Hohenheim umschlang Louisen, und Paul in ihre Mitte ziehend, rief er leise: »So sitzt die ehrwürdige, alte, ruhmvolle Zeit vor uns! Achtet dieses Bild Ihr Neuern! Erkennet an, daß Ihr Söhne glorwürdiger Väter seid, die ihre Pflicht erfüllten, und ruhmgekrönt in das Grab niederstiegen. O! Ihr habt noch nichts gethan, um denen zu gleichen, die ihr Leben mit Thaten füllten, nicht unwerth von Geschlecht zu Geschlecht zu tönen, und das Lob künftiger Jahrhunderte zu bilden. Beugt Euch – beugt Euch vor der alten, biedern Preußenehre!« –

* *
*

[347] Es bleiben uns nur wenige Worte zu berichten übrig. Da unsere Erzählung unmittelbar die Tage, die wir selbst eben erlebt haben, berührt, so können wir natürlich, so gerne wir es wollten und so sehr wir einsehen, daß dies auch die Pflicht jedes Erzählers ist, über den endlichen Schluß der Lebensschicksale unserer hier auftretenden Personen nichts berichten. Wir können jedoch den Leser versichern, daß er nicht sehr weit von dem Ziele abirrt, wenn er annimmt, daß Louise und Hohenheim noch im Laufe des Jahres ein Paar werden, und daß der Obrist sich nach und nach daran gewöhnen werde, seinen verirrten Sohn mit mildern Augen anzusehen. Mit Augen der Liebe sieht ihn die Tochter Neuwardt's jetzt schon an – dessen können wir den Leser versichern. Was den Herrn Sigribi betrifft, so drängen ihn seine Gläubiger seit einiger Zeit so ungestüm, daß nicht zu glauben ist, er werde die schöne Rosa Scholz lange in Ruhe lassen mit seinen erneuten Anträgen um Beschleunigung der Hochzeit. Wenn [348] es uns gelungen ist, das zärtliche Herz der Putzmacherin nach der Natur treffend zu schildern, so haben wir damit schon längst die Voraussetzung beim Leser erweckt, die interessante Dame werde ihren Bewerber nicht unerhört schmachten lassen. Der junge Bürgergardist Oskar, und der Maler der Susanne, Herr Joseph Gabriel Kriphuber, mußten sich schon mit den Beschlüssen ihres Schicksals, wohl oder übel, zufrieden erklären. Für Oskar Laubmann möchten wir aber – und vielleicht bittet der Leser mit – eine schöne, lohnende Zukunft erbitten.



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