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8.
Die Putzmacherin und die Geheimeräthin.


Wer ist der junge Offizier?« fragte Louise, als sie gegen Abend mit der Geheimeräthin, die sich in ihr Cabinet zurückgezogen und Louisen dorthin mitgenommen hatte, ein Gespräch über die Ereignisse dieses bewegten Mittagessens anknüpfte.

»Nicht wahr, der gefällt Ihnen?« rief die Frau lebhaft. »Er ist so ganz, was er sein soll. Preußischer Soldat mit Leib und Seele. Er heißt Lieutenant von Hohenheim.«

»Nebenbei, oder vielmehr zuerst ist er auch ein Ehrenmann,« entgegnete Louise. »Ich denke mir den Vater so in seiner Jugend. Nicht wahr, verehrte Frau Geheimeräthin, Sie nehmen es dem guten Vater nicht übel, daß er die Ordnung Ihres Hauses und Tisches also unterbrach?«

»Nein, nein, mein liebes Fräulein; Ihr Vater [91] hat mir sogar einen wesentlichen Dienst geleistet. Sie glauben nicht wie in meinem Hause seit einiger Zeit die ignobeln Redensarten Boden fassen. Diese Redensarten kommen mit dem Doctor Weld und seinen Freunden.«

»Diese Herren harmoniren nicht mit Ihren Ueberzeugungen?«

»Mein Fräulein, eine Dame wie ich findet es unbequem, Ueberzeugungen zu haben. Ich lebe den echt weiblichen Interessen; ich lese, ich arbeite, ich fahre spazieren – nebenbei putze ich mich auch, um meinen Freunden zu Gefallen zu sein. Ich für mich würde mich nicht putzen, denn ich wüßte nicht wozu. Die Männer heutzutage sind nicht mehr galant, die Frauen ihrerseits streben nicht mehr zu gefallen. Das ist Alles anders geworden.«

»Wer war der Mann an meiner Seite?«

»Ein Gutsbesitzer hier aus der Nähe; ein Mann der der neuen Umwälzung huldigt, ein Freund des Doctor Weld, wie Sie gesehen haben. Er hat dem Doctor große Wohlthaten erzeigt; als der arme Literat nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegen sollte, als die Regierungen des alten Systems ihn verfolgten, kam Herr Neuwardt, so heißt der Gutsbesitzer, und bot ihm ein Asyl bei sich an. So hat er denn [92] über ein Jahr dort gelebt, und wie man sagt, wird er die Tochter Herrn Neuwardt's heirathen. Mein Mann hat mir dies neulich so nebenbei gesagt, sonst wüßte ich's nicht, denn nach den Leuten zu fragen ist mir viel zu umständlich.«

»Ich möchte nun wissen,« hob Louise mit einiger Schüchternheit an, »welche meine Verpflichtungen sind hier im Hause.«

»Mein Himmel, mein liebes Fräulein, diese Verpflichtungen sind sehr wenig bedeutend. Es ist Ihnen überlassen zu thun und zu treiben, was Sie wollen, nur daß Sie hier und da – auch nur wenn Sie Gefallen daran finden, im Gesellschaftszimmer sich einfinden, und dort an der Unterhaltung Theil nehmen. Mit meiner Charlotte müssen Sie nothwendig englisch und französisch sprechen, auch dergleichen Bücher lesen. Das ist eine Bedingung, von der ich Sie nicht freisprechen kann. Sie werden die Gefälligkeit haben, zu bemerken, daß mein Haus sich auf einer gewissen Höhe hält: wir sind reich, allein wir haben nicht die alberne Ostentation, die man oft in reichen Banquierhäusern findet. Dazu besitzen wir zu viel Geschmack. Mein Mann ist der interessanteste und witzigste Kopf, den es geben kann, allein er ist durch eine lange Reihe äußerst thätiger Jahre, wo er mit [93] dem Ansammeln unserer Reichthümer zu thun hatte, etwas niedergedrückt, und man kann ihm nicht verargen, daß er die Dinge etwas obenhin nimmt. Er könnte über alles gründlich denken und sprechen, allein er thut es nicht, weil – wenn man einmal alles Große und Schöne schon gesehen, betrachtet und durchdacht hat – die gewöhnlichen Ereignisse niemals große Bedeutung haben. Er ist der edelste und vorzüglichste Mann, den es giebt, aber er hat die Eigenheit, es nicht zeigen zu wollen.«

»Ich werde mir Mühe geben,« sagte Louise, »mir Ihre und Ihres Gemals Zufriedenheit zu erringen.«

»O, mein Fräulein, zu gütig,« entgegnete die Dame. Der Bediente brachte eine Meldung, und Louise nahm die Gelegenheit wahr, sich zu entfernen. Im Vorzimmer begegnete sie der Putzmacherin, die vom Kopf bis zum Fuß ganz in die Farbe ihres Namens gekleidet, lebhaft durch das Zimmer eilte, gefolgt von dem Diener, der in einem Carton Putzsachen nachtrug. Sie blickte verwundert Louisen an, und erwiederte deren Gruß nicht.

»Aber meine liebe Geheimeräthin, was haben Sie da für eine Person in Ihrem Hause?« rief sie nach den ersten Begrüßungen, und nachdem der Diener sich entfernt hatte.

[94] »Wie denn so? liebste Scholz.«

»Und Sie fragen noch, meine theuerste Geheimeräthin? Ich will Ihnen nur ein Wort ins Ohr flüstern. Diese Person ist die Freundin eines alten kuriosen Aristokraten, der bei mir wohnt, eines Obristen von Rechow.«

Die Geheimeräthin lachte laut. Der Irrthum wurde aufgeklärt und die nöthigen Versicherungen und Erklärungen gegeben. Die Putzmacherin äußerte das lebhafteste Erstaunen. »Man sehe diesen Sonderling!« rief sie. »Funfzehn Jahre in meinem Hause zu wohnen und mir nicht zu sagen, daß er eine Tochter habe! Unerhört! Diese tückische Verschlossenheit. Ist noch nie da gewesen! –«

»Das liebe Mädchen,« bemerkte die Geheimeräthin, »hat hier bei einer Verwandten gewohnt, die sie wie ihren eignen Augapfel hat hüten müssen. Nirgend ist das Kind hingekommen, nur hie und da, und das auch sehr selten, in mein Haus. Alle Woche zweimal kam der Vater herüber und hat ihr Stunden gegeben, in allen möglichen Wissenschaften und Künsten, und namentlich in Sprachen. Erst seit diesem Jahre, wo er, wie es scheint, sie für mündig erklärt hat, erlaubt er ihr eigne kleine Ausflüge zu unternehmen, namentlich ihn zu besuchen. Nun geht er [95] aber zum andern Extrem über, und läßt sie allein, zu Fuße, nach Charlottenburg wandern, weil er behauptet, wenn ein Mädchen, in den festesten Grundsätzen erzogen, nicht in ihrem neunzehnten Jahre sich selbst schützen könne, so werde sie es nie lernen.«

»Ach, welch ein Grundsatz das!« rief Fräulein Rosa. »Der Mann ist zu wunderlich.«

»Deshalb,« fuhr die Geheimeräthin fort, »hat das Mädchen ein so seltsames Gemisch an Schüchternheit und Festigkeit in sich. Sie ist im Stande, der allergrößten Gefahr schreckenfrei in's Auge zu sehen, und bebt oft vor einem leicht hingeworfenen Worte zurück.«

»Ein Phänomen! sag ich – ein wahres Phänomen! Aber was wollen Sie mit ihr anfangen, Frau Geheimeräthin?«

»Sie bleibt in meinem Hause.«

»Das adelige Geschöpf?«

»Hören Sie, liebste Rosa, das verstehen Sie nicht. Der Adel ist gar nicht so schlimm, als man glaubt. Man findet auch vernünftige Leute darunter. Sehen Sie, zum Beispiel, dieses Mädchen. Sie stammt von einer der ersten Familien; der Vater ist aber völlig mittellos, und sie steht nicht an, in meinem Hause ein Unterkommen zu finden. Das muß man [96] anerkennen. Gerechtigkeit muß geübt werden! Was würden wir in ähnlicher Lage thun? Gesetzt den Fall, ich oder Sie, kämen bei einem ehrlichen Pächter oder bei einem Bauer unter; würden wir nicht den guten Leuten, die uns aufnehmen, täglich und stündlich zu verstehen geben, daß wir ein Geschöpf, viel zu edel und viel zu erhaben seien, um anders als gezwungen in dieser Umgebung auszuharren?«

»Ach, Sie sind ein exemplarisches Wesen, Frau Geheimeräthin. Ich hab' das immer gesagt, daß Sie eine Perle sind. Ja es könnte sein, daß wir so thäten.«

»Ich mache keinen Anspruch besser zu sein, als jede Andere; allein ich will nur, daß man Gerechtigkeit übe,« sagte die Geheimeräthin, »und nun lassen Sie uns zu den Hauben übergehen.«

Die Hauben wurden hervorgebracht und geprüft. Die Geheimeräthin saß vor ihrem großen Spiegel, die Putzmacherin leistete ihr willig Kammermädchendienste. Das Gespräch kam wieder auf den Obristen.

»Was wissen Sie denn noch sonst von ihm?« fragte die Dame.

»Mein Himmel, liebste beste Frau, ich weiß ja eben sehr wenig,« sagte Rosa, indem sie das Häubchen feststeckte. »Sie sehen es schon daraus, daß diese Person – ich wollte sagen, sein Fräulein Tochter ihn [97] bereits schon dreimal hat besuchen können, ohne daß ich erfahre, wer sie war. Die zwei ersten Male, als sie kam, war ich freilich nicht zu Hause; das entschuldigt mich. Doch fällt mir eben ein, daß ich doch noch etwas weiß von dem alten Aristokraten, und zwar etwas sehr Pikantes.«

»So erzählen Sie.«

»Es war in der Nacht vom 14. zum 15. Juni, Frau Geheimeräthin, wo die Zeughausgeschichte vorfiel. Da hatte ich am Abend eine kleine Gesellschaft bei mir; Herr Sigribi, Frau Pollasch, Rieke Simpich und Andre. Plötzlich hören wir oben im Kämmerlein, wo der Herr Obrist wohnt, ein Gerumpel. Gleich darauf schwere Schritte die Treppe hinab. Wer ist's? – Ein Mann mit großen Stiefeln, der Waffen trägt, einen alten Säbel, Pistolen. Diesem Manne folgt der Obrist, in seinen alten Offiziermantel gehüllt, in dem ich ihn nur einmal in meinem Leben mich besinne gesehen zu haben, wo ich schon damals dachte: er sieht doch just so aus wie in der Ballade ›Lenore fuhr um's Morgenroth‹ der Mann aus dem Grabe ausgesehen haben muß. An jenem Abend sah er nun aber ganz frappant dem Manne in der Ballade ähnlich. Draußen vor meiner Thür stand ein Pferd, und der [98] Obrist schwang sich drauf. Obgleich es bereits stark zu dämmern begann, und wenig Leute auf der Straße waren, haben ihn doch einige gesehen. So ging es denn in Carriere, was das Thier laufen konnte, nach Berlin. Wo der Begleiter blieb, weiß ich nicht.«

»Ei seht einmal!« rief die Dame dazwischen.

»Nun warten Sie nur, liebe Geheimeräthin: das Beste kommt noch. Meine Gesellschaft war schon in alle vier Winde zerstoben, so kommt der Obrist heim, ganz allein; es war tiefe rabendunkle Nacht. Er kam zu Fuß, ohne Pferd, ohne Begleiter. Ich steh' in meinem Nachtjäckchen auf der Küchentreppe, als ich ihn vorn im Flur die Thür aufschließen, und schweren Schritts seine Stiege hinauftrampen höre. Was thu' ich? Ich schleiche ihm nach. Es kann dem alten Mann ein Unglück passiren, denke ich, dann ist doch ein lebendes Wesen bei der Hand. So gelange ich dicht vor seine Thür, die ein bischen offen steht. Was sah ich – sollten Sie's glauben, liebste Frau? – ich sah ihn am Tische sitzen, den alten siebzigjährigen Mann, die Hände gekreuzt, das Haupt drauf gelegt und weinen wie ein Kind! Ja weinen – weinen! die hellen, lichten Thränen, und dabei seufzte er und arbeitete mit der alten Brust, [99] daß ich dachte, dem Mann springt das Herz vor Jammer. Nein, so etwas hab' ich noch nie gesehen, daß ein menschliches Wesen so jammern kann.«

»Mein Gott, was war denn geschehen?«

»Nichts – daß ist ja eben das Curiose – das Zeughaus war gestürmt und die Waffen waren gestohlen worden. Ein ganz unbedeutendes Ereigniß, das auf unser Einen nicht die mindeste Wirkung gethan. Aber da saß der alte Mann und weinte. Aber ich hörte auch einzelne Worte, die er in seiner unbändigen Aufregung ausstieß. Lieber Gott, rief er, und faltete immer dabei die Hände, als betete er, warum hast Du mich das erleben lassen? Warum mich diese Schmach meines eigenen Volkes ansehen lassen! Da fallen sie wie die Diebe her über den Ruhm und den Glanz ihrer Vorfahren, da zerreißen und schänden sie die köstlichsten Zeichen der Ehre und des Sieges, durch Blut der Väter erobert, und bestimmt, daß daran einst die Erinnerung der Enkel hafte. Und sie kommen und plündern – und sie kommen und rauben! Und Niemand ist, der ihnen wehrt! Vor Aller Augen, die zuschauen, und in der Hauptstadt des Reichs, das ehrwürdigste Haus der Nation von frechen Buben angetastet und geschändet, und Niemand wehrt! Was selbst den Wilden heilig [100] ist, was selbst der Cannibale mit Ehrfurcht betrachtet, die Hütte seiner Eltern, in der die Waffen der Väter ruhen – diesen Buben ist nichts heilig und es ist ihnen freies Spiel gegeben in das Herz der Nation zu schneiden. O warum, warum muß ich das erleben! Und wieder warf er sein Haupt auf die Hände, und wieder weinte er so bitterlich, so herzzerschneidend, daß ich fast nicht weiter hören mochte. Und ich bin ein einzelner Mann! ein einzelner schwacher Mann! rief er, und schlug auf den Tisch, und ich kann nicht wehren und nicht dreinschlagen! Und er! und er! Er kommt nicht inmitten seines Volkes um den ungeheuren Frevel zu strafen, um rasch mit einem Worte die zügellose Rotte zu zerstreuen! Er kommt nicht – obgleich ihn die fliegenden Wagen im Nu herführen könnten; er kommt nicht – er läßt das Sieges- und Ruhmeshaus seines Volkes plündern und kommt nicht! Hei! wie wäre der alte Fritz herbeigeflogen! Wie ein Donner Gottes, der zündet und schlägt in einer Sekunde! Und er kommt nicht – er läßt sich von zehn Minuten zu zehn Minuten Berichte erstatten. Berichte! Wo er selbst sehen und hören könnte? Wo er selbst sehen und hören müßte! Und ich – ich bin ein einzelner schwacher Mann – So ging es eine Weile fort, daß es zum Erbarmen [101] war, dann wurde es stille, ganz stille. Ich dachte, er hätte sich ein Leids angethan, so todtenstille ward es. Aber am nächsten Morgen sah ich ihn wieder herabkommen, um seinen täglichen Spaziergang zum Grabmonument anzutreten. Aber wie sah der Mann aus! Um zehn Jahr noch älter geworden! Seitdem gelingt es ihm nicht, sich ganz so gerade zu halten, wie er bisher gewohnt war. Sehen Sie, liebe Frau Geheimeräthin, das hab' ich mit dem Manne erlebt. Es ist mir ordentlich schauerlich mit ihm allein unter einem Dache zu wohnen. Er thut sich noch ein Leid an; geben Sie Acht. Herr Sigribi sagt's auch. Rosa, sagte er, Sie sind eine junge Dame, und dürfen nicht ohne männlichen Schutz mit einem Sonderling unter einem Dache wohnen. Ich bin nur begierig zu wissen, wen er mit dem so oft wiederholten Ausdruck ›er‹ gemeint hat. Er kommt nicht, er ist nicht da – ja wer?«

»Mein Mann sagte damals lächelnd,« bemerkte die Dame, »daß dergleichen Vorfälle bei allen Revolutionen vorzufallen pflegten. Für ihn giebt's eben nichts Neues und Auffallendes.«

»Der Herr Geheimerath ist auch ein Phänomen« – bemerkte die Putzmacherin, »das habe ich schon lange gesagt. Aber jetzt werde ich mich mit Ihrer gütigen [102] Erlaubniß beurlauben; ich sehe eben, daß eine Botschaft an mich kommt.«

»Wo wollen Sie hin, meine Liebe?«

»Ach, es ist etwas, was ich eigentlich unterlassen könnte. Herr Sigribi hat mir nämlich sagen lassen, daß er heute den Wachposten unterm Gewehr bei der Königswache hat, und daß er hofft, ich werde nicht verfehlen, meinen Weg seinem Posten vorbei zu nehmen. Er schickt mir zu dem Zwecke seine Cousine, die mich unter ihren Schutz nimmt.«

»I, liebste Rosa! also ist's doch was mit dem Sigribi.«

»Ja, ich leugne nicht,« entgegnete die Putzmacherin, »es ist Etwas, Frau Geheimeräthin. Der Mann zeigt sich mir immer mehr von immer neuen guten Seiten. Und dann, meine Fräulein dringen so sehr in mich, zu heirathen. Sie meinen, das Atelier wäre dann unter einen weit besseren Schutz gestellt, wenn es heiße: Madame Sigribi, Firma: Rosa Scholz. Neulich hat die kleine impertinente Betty mich schon vor allen Leuten Madame genannt. Als ich Herrn Sigribi das erzählte, lachte der gute Mann so, daß er sich gar nicht wieder zufrieden geben wollte.«

Die Putzmacherin empfahl sich jetzt und ging [103] bald darauf über die Straße in Begleitung eines kleinen weiblichen Wesens, das in ein aschgraues Gewand gehüllt war, und einen feuerfarbenen Hut trug, wodurch sie einer kleinen unscheinbaren Schlange mit einem prächtig gefärbten Kopfe ähnlich wurde. Fräulein Rosa war so leuchtend roth, daß der Wiederschein ihres Kleides selbst die graueste Wand, an der sie vorüberstreifte, mit flüchtigen Rosen überstreute.


[104]


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