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2.
Vater und Tochter.


Der Besuch seiner Tochter setzte den Obrist in einige Verlegenheit, denn er sah jetzt die Nothwendigkeit, ihr einige Veränderungen seit dem letzten Besuche des jungen Mädchens, das Verschwinden mehrerer Gegenstände, namentlich aus dem Zimmer, zu erklären. Er warf einen Blick auf die Wand, indem ihm ein dunkles Gefühl sagte, daß hier der am auffallendsten dem ersten Blicke sich darbietende Gegenstand befindlich sei. Aber er täuschte sich. Die Freude den Vater wiederzusehen, die Befriedigung in seine geöffneten und ihr entgegengebreiteten Arme eilen zu dürfen, an seiner Brust zu liegen und die liebe Wange, das wolbekannte unrasirte Kinn an ihrer Stirn und ihrer Wange zu fühlen, und dann, aber nur auf einen äußerst flüchtigen Moment, das Herz des alten Mannes in dem harten, hochgewölb [16]ten Brustbau pochen zu fühlen, dieses treue Vaterherz, dieses Herz, das während eines langen Lebens nie zu einer ehrlosen oder auch nur schmachvollen Handlung gepocht hatte – alles dieses waren der Tochter köstliche Gaben, süße Genüsse, die ihre Aufmerksamkeit von jedem Dinge um sie her, das nicht mit dem Vater in der engsten Berührung stand, weit ablenkte. Sie hatte, um Geld zu sparen, das sie dem Vater brachte, den Weg von Berlin nach Charlottenburg nicht mit dem Omnibus, sondern zu Fuß gemacht, und nachdem sie rasch versucht, ihre durch den eiligen Gang in Unordnung gerathene Kleidung etwas zu ordnen, war sie nun sogleich, so glühend und freudevoll wie sie war, mit so freudig bewegtem Busen, zu dem Vater hinaufgeeilt, um ihn noch bei seiner »Morgentasse« zu finden.

»Papa!« rief sie, »Du bist heute zeitiger zum Denkmal gegangen wie gewöhnlich, denn sonst könntest Du jetzt mit Deinem Frühstück noch nicht fertig sein.«

»Mein Kind, es ist der dritte August heute,« sagte der Obrist. »Wie ich kam, standen schon die Kammerlakaien, die Aufseher, die Hofequipagen da. Der Inspector zog mich bei Seite und sagte: heute nicht gut, Herr Obrist. Der sämmtliche Hof ist in [17] Bewegung. Eine Stunde früher als im vorigen Jahre ist's bestellt. Da ging ich. Wie ich in den obern Baumgang einbog, sah ich den Wagen des – gnädigen Herrn. Er kam allein. Sieh, Louise, so dacht' ich, es ist wohl nöthig, daß der Sohn mit seinem Vater allein sei. Grade jetzt müssen sie sich viel einander zu sagen haben. Gott's Blitz! ich möchte nicht, nachdem geschehen ist was geschehen – die Marmorschwelle überschreiten – ich fürchtete mich – ja ja! Es ist etwas eigenes um einen todten König, dem der lebende Rechenschaft abzulegen kommt. Ich schlich mich zurück und sah noch wie – der gnädige Herr im Eingang in die weitgeöffnete Thür verschwand. Die blauen Lichter der gefärbten Gläser in der Rotunde ließen fahle, bleiche Lichttropfen auf die Schulter und auf das unbedeckte Haupt hinabfallen. So verschwand er, und war drinnen mit dem Todten allein.«

Der Greis hatte seine Erzählung geendet und saß nun stumm da. Die Tochter lehnte ihr Haupt an seine Schulter.

Mit einer Stimme, die eintönig und in dieser Monotonie schauerlich klang, sagte der Alte: »Es kommen die Tage der Freude und des Glanzes und – verschwinden: Eins aber bleibt ewiglich: das [18] Wort des Herrn in der Brust des armen Erdensohnes!«

»Mein Vater,« hob die Tochter, an, »wirst Du es mir nicht übel nehmen, wenn ich Deine Aufmerksamkeit auf ganz gewöhnliche Dinge, auf ganz alltägliche irdische Verhältnisse richte?«

»Warum soll ich Dir das übel nehmen, Kind?« fragte er.

Sie erwiederte bewegt: »Du bist seit einiger Zeit in einem seltsamen Schwunge. Deine Ideen und Gedanken sind nicht bei dem, was wir täglich erleben.«

»Grade bei dem sind sie! Ich hafte mit Seele und Gewissen an jedem Sandkorne, das in die untre Schaale rinnt. Ihr Andern nehmt aber das was geschieht so leicht hin, als könnte es alle Tage so kommen.«

»So will ich denn warten bis Du wieder in Ruhe bist,« sagte das schüchterne Mädchen.

Er sah sie an, schüttelte den Kopf, und rief: »Auch ich habe Dir etwas mitzutheilen. Sprich zuerst, ich will wissen, was es sei.«

»Nun, der Herr Geheime Finanzrath Laubmann« – hob Louise an – »wünscht, daß ich die Stelle in seinem Hause bald antrete. Der Geburtstag der [19] Frau Geheimeräthin fällt in die kommende Woche, und da scheint es, daß man meiner bedarf, um bei den Festlichkeiten im Haushalte behülflich zu sein. Ich wollte Dich demnach bitten, daß Du mich wo möglich heute hinführest. Es ist dann abgemacht.«

»Es kann geschehen« – erwiederte der Vater nach einigem Sinnen. »Am dritten August pflegte sonst alles, was ich unternahm, gut auszugehen. Gieb mir meinen Rock, wir wollen aufbrechen.«

»Nicht so eilig, Vater. Die Dame empfängt erst um zwei Uhr.«

»Ah so – sie ist reich, sie ist vornehm – sie empfängt erst um zwei Uhr. Das hätte ich wissen sollen. Als ihr Mann sein Geschäft antrat als Spediteur und kleiner Börsenmäkler wird sie wohl früher aufgestanden sein.«

»Wahrscheinlich,« bemerkte Louise, »allein das geht uns nichts an. Damals konnte sie uns nichts nutzen, jetzt kann sie's. Und dann, lieber Vater, etwas, was mit dieser Angelegenheit sehr eng zusammenhängt, ich bedarf einer kleinen Summe, um meinen kleinen Kleidervorrath wieder etwas in Stand zu setzen. Du siehst selbst, da ich im Hause der Geheimeräthin als »Gesellschafterin« engagirt bin, so muß ich, wohl oder übel, im Salon eine Art [20] Figur machen. Die Kenntnisse, die ich besitze und die ich Dir danke, eben so wie mein Französisch- und Englisch-Sprechen, in dem Du mich unterwiesen, ist nicht genug, ich muß auch gekleidet gehen, wie es meinem Stande zukommt.«

»Deinem Stande?« wiederholte der Alte finster.

»Nun ja. Wird man nicht immer sagen, ich sei die Tochter des Obristen von Rechow?«

Der Obrist schwieg. Nach einer Pause sagte er: »Mein Kind, wenn Du Geld verlangst, so sollst Du wissen, daß ich keins habe, und auch für meine übrige Lebenszeit keins haben werde.«

Sie sah ihn betroffen an; er zeigte mit der Sirene in die Ecke der Kammer, wo ein kleines Schränkchen stand.

»Mein Himmel, wo ist Dein silberner Ehrenbecher, Vater?«

»Du wirst ihn nicht wieder erblicken. Und dort – und Jenes und Dieses – es ist Alles, Alles fort. Ich habe reines Haus, und meine Schuld mit einemmale abgetragen. Aber nun habe ich nichts – für Dich nichts, für mich nichts!« Er neigte sein Haupt tief auf die Brust, als er diese Worte geredet hatte.

Louise saß ganz erstarrt da, endlich raffte sie sich [21] auf und rief: »So werden wir auf das Quartal Deiner Pension warten müssen.«

»Ich habe keine Pension mehr zu erwarten,« entgegnete er.

»Um Gotteswillen, Vater, was ist das?«

Er zeigte mit dem Stocke rückwärts auf die Wand, über dem Bette. Dort befand sich ein Bild, über das ein schwarzer Flor gebreitet war. Es war das Bild des Königs.

»Nun?« rief sie immer ängstlicher und beklommener.

Der Obrist sagte mit einer dumpfen und feierlichen Stimme: »Ich habe ihm sein Gnadengehalt zurückgegeben, seitdem er nicht mehr mein König ist.« –

»Nicht mehr Dein König, Vater?«

»Nur noch – mein gnädiger Herr. Es war ein furchtbarer Tag, Kind – ein Tag des Entsetzens als ich am neunzehnten März hier in mein kleines Stübchen trat. Ich war in Berlin gewesen, ich hatte ihn den Umzug halten sehen – mit der dreifarbigen Binde um den Arm, ihm zur Seite ein bestrafter Verbrecher, ihn umgebend die rohe Hefe des Volks – man rief ihn zum Kaiser von Deutschland aus, und der Hohn zischte um ihn her [22] – und das war Preußens König – das war mein König! Da trat ich vor sein Bild, und legte den Trauerflor über. Meine Hand zitterte, mein Herz brach – aber ich that es. Eine Stunde darauf schrieb ich an das Ministerium und stellte den Herren, die jetzt geboten, meine Pension zur Verfügung. Ich war arm, aber ich war – ihm keinen Dank schuldig. Das war Glück, das war Reichthum, das war Segen!«

Der Greis hatte sich erhoben, und beide Arme gen Himmel streckend leuchtete sein Gesicht stolz vor Glanz und Siegesfreude. »Mein Kind!« rief er, »mein Kind! Weißt Du, was es heißt, wenn ein Herz, unbeirrt und unbescholten zu dem zurückkehrt, was sein Gott und sein Hort ist? Mein Herz ist wieder bei seinem alten Könige, bei dem alten Preußen. Und nun – stille! nun kein Wort mehr!«

Er setzte sich wieder und nahm der Tochter Hände, sie stumm in den seinigen haltend. So saßen Vater und Tochter lange beisammen. Endlich stand der Greis auf, und sagte: »Da es so ist, so will ich denn doch noch einen Gang thun. Bleibe hier, Kind, und erwarte mich. Ich komme bald zurück.«


[23]


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