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6.
Der Künstler.


In einer der Vorstädte des weitläufigen Paris, in einem Viertel, wo man öfters die Mütter ihre in der Gosse umherwatenden, baarfüßigen Kinder mit den Namen »Raphael,« »Michel,« »Horaze« anrufen hörte, und wo der Blick des Vorübergehenden aus den Fenstern der Mansardenstübchen öfters Paletten zum Trocknen aushängen sah, und wo zu gewissen Zeiten, wenn die große Kunstausstellung in den Sälen des Louvre nahte, man Karren und Tragbahren mit neuvergoldeten Rahmen in allen Formen und Größen anlangen sah, – befand sich die Wohnung eines deutschen Michel Angelo, des Herrn Joseph Gabriel Kriphuber. Er war ein junger Mann von höchstens achtundzwanzig Jahren und eine unbeschreiblich heitere und harmlose Natur. Er pflegte zu behaupten daß seine Bilder so wenig An [57]erkennung unter den Parisern fänden, weil es diesem Volke nie gelingen wollte seinen echt deutschen Namen auszusprechen, und er daher für seine ganze Lebens- und Wirkenszeit immer nur » un certain Allemand« bleiben werde. In Wahrheit war aber nicht sein Name, sondern der geringe Grad seiner Kunst an seinem unfreiwilligen Incognito beim Publikum Schuld, das nie anders als mit Lächeln an den seltsam in allen Farben des Regenbogens schillernden nackten Heiligen- oder Profanfiguren des » certain Allemand« vorüberging.

Herr Kriphuber saß eben an seiner Staffelei und trällerte ein Liedchen, als Robert Phare eintrat. Joseph Gabriel war ein unbeschreiblich gutmüthiger Junge, der ein Herz für seine Freunde hatte, wie es solcher Herzen wenige giebt; freilich hatte er auch dafür Freunde, wie es deren wenige giebt. Alle waren sie »große Charaktere,« »herzinnige Jungen,« »überwältigende Talente,« »noch nie dagewesene Genie's,« »Reformatoren,« »Männer des Jahrhunderts.« Robert Phare genoß die Ehre in die letztere Rubrik von seinem Freunde eingetragen zu sein und »ein Mann des Jahrhunderts« genannt zu werden.

»Ach, mein lieber Robert, Sie kommen, wie ich eben mein letztes Stück Kuchen verzehrt habe. Ma [58]demoiselle Adeline, meine Wirthin, feiert heute die Zurückkunft ihres alten Geliebten aus Algier. Hahaha! wir haben Alle gehofft daß er nicht wiederkommen werde; aber er ist wiedergekommen. Allein, es wird noch eine Cigarre dasein.«

Während der Künstler in seinem Farbenkasten nach einer Cigarre sucht und diese zwischen der Indigoblase und dem Crapproth findet, wirft Robert einen flüchtigen Blick auf das aufgestellte, fast vollendete Gemälde.

»Sie werden kaum errathen was das sein soll!« ruft der Künstler.

»Ein junges Weib im Bade,« antwortet Robert.

»Ja, aber wer ist das junge Weib?«

»Wahrscheinlich eine Susanne,« sagte Robert in einem ziemlich gleichgültigen Tone. »Ich sehe da auch ein paar alte Männer aus dem Gebüsch lauschen. Indeß ist's auffallend, lieber Gabriel, daß Sie die Susanne so roth gemacht haben; vom Knie abwärts wird sie blau.«

»Sehr natürlich, das ist der Wiederschein des Wassers. Aber bemerken Sie nicht, was sie auf dem Kopfe hat?«

»Eine seltsame Mütze.«

Der Maler sah mit einem triumphirenden [59] Blick in die Höhe: »Es ist die Freiheitsmütze. Mit einem Worte, meine Susanne ist nicht die gewöhnliche Susanne, obgleich sie das auch nebenbei ist, sondern es ist die Freiheit. Die Idee ist nicht übel. Sie wissen das Allegorisiren ist jetzt Mode. Nie ist ein Ding wirklich das, was es vorstellt. Man malt eine Amme – was ist's? – eine Amme? Nein es ist die Weltgeschichte: das Kind auf ihrem Schooße ist die Freiheit, die sie aufsäugt. Gut. Man malt einen Columbus in Ketten, im Kerker. Ist's ein Columbus? Nein – es ist der menschliche Geist, den die Despotie in Ketten legt, während er für diese Despotie Welten erobert hat. Gut. Endlich malt man eine Susanne! Ist's eine Susanne? Nein! Es ist die junge Freiheit, und das alte Europa und das alte Asien, diese beiden verbrauchten Welttheile, diese gichtischen geographischen Greise gucken lüstern hinzu aus den Büschen. Gut – ha! sehr gut.«

Robert setzte sich auf den Stuhl und seufzte.

Der glückliche Maler sprach noch lange, dann merkte er daß Niemand ihm zuhörte und schwieg. Robert erhob sein Haupt und fragte mit einer sanften Stimme: »Geht's Ihnen gut, lieber Gabriel? Verkaufen Sie Bilder?«

»Ich verkaufe kein einziges.«

[60] »Kommen Sie mit mir nach Deutschland.«

Der junge Maler sprang in die Höh! »Nach Deutschland! In mein Vaterland!« – Aber schnell setzte er sich wieder und sagte: »Nein, ich muß erst warten bis die vierunddreißig Tyrannen fallen, bis meine Freunde, die Republikaner, dort reines Haus gemacht haben.«

»Das kann vielleicht noch lange dauern.«

»Gleichviel, ich kann warten; ich male unterdessen. Aber in ein geknechtetes Land gehe ich nicht. Nein, und wenn man mir auch alle meine Bilder dort, fünf Schock an der Zahl, abkaufte. Ich gehe nicht. Gabriel Kriphuber geht nicht.«

»Nun so bleiben Sie – ich gehe. Sie wissen ich bin Deutscher von Geburt.«

»Teufel, haben wir nicht oft genug davon gesprochen? Das ist ja der Grund unserer Freundschaft. Ich bin Ihnen mit Leib und Seele ergeben.«

Robert drückte die Hand des Malers und rief innig: »Ich weiß das und danke – ach, erlaube daß ich in der Abschiedsstunde ›Du‹ zu Dir sage.«

»Du! Du!« rief der Maler und warf sich an Roberts Hals. »Ich hab's lange geheim gewünscht. In Deutschland verbinden wir einen wunderbaren Sinn mit diesem kleinen Worte. Es ist zum Er [61]staunen was wir alles hineinlegen. Allein hier versteht man dies nicht, darum hab ich's Ihnen nie anbieten wollen – Dir nie anbieten wollen. Also Du gehst nach Deutschland. Wohin denn?«

»Nach Berlin.«

»Von da hat man mir neulich zwei Bilder zurückgeschickt. Aber das sage ich nur beiläufig, denn wenn ich Dir eine Stadt nennen sollte, von wo man mir noch kein Bild zurückgesendet, armer Freund, so müßtest Du hier bleiben. Ich habe von allen Orten Pinsel-Krebse erhalten; von allen Orten. – Ich werde Dir einen Brief von dem ›Mann unseres Jahrhunderts‹ mitgeben, an unseren Georg Herwegh, und dann ein Schreiben von Caspar Schindelschmeisser, einem Maler und Freund von mir, einem ›überwältigenden Genie‹, an Herrn Begaffe in Berlin. Er hat Adam und Eva gemalt, wie sie noch ungeboren im Schooße Gottes sich befinden. Die Idee wirkt göttlich-genial. Man weiß nicht wo Einem der Kopf steht, wenn man das Bild sieht. Ingres ist entzückt davon gewesen, und Delaroche schwärmt dafür. Das ist genug gesagt.«

»Laß uns auf andere Dinge übergehn. Mein Herz ist schwer. Ich kehre in das Land meiner Väter zurück und bringe ihnen ein theures, ein himm [62]lisches Evangelium. Die großen Meister Cabet und Fourier haben ihre Ideen in dieses arme, hinfällige Haupt niedergelegt. Ach, ich bin fast zu schwach wenn ich fühle, welch eine Welt ich trage. Aber die Liebe wird mir Muth geben – die Liebe trägt Welten.«

»Man sagt, daß sie das thue,« entgegnete der junge Maler trocken. »Wenigstens sagt das Herr Quinault zu Madame Lespinasse, als er ihr gegen Ende des fünften Theils den Entführungsvorschlag macht.«

»Ich meine nicht diese Liebe,« entgegnete der Jüngling finster. »Nicht die Liebe zu einem Mädchen. Ich habe noch nie geliebt. O nein, Gabriel – es sollte mir leid thun, wenn Du mich nicht verständest; ich meine jene unauslöschliche Liebe, die der Schöpfer unserer Tage in unsere Brust gesenkt hat, als er uns arm, nackt und verlassen in diese Welt voll Uebel setzte. Liebe nur! rief er uns zu, und du wirst dir Schutz erwerben! Liebe nur, und du wirst nicht allein, nicht verlassen sein. Siehst Du, diese Liebe meine ich. Es ist kein Leid so gering, keine Freude so klein, die um uns her vertheilt ist, wir nehmen Theil daran. Keine Macht der Erde kann uns hindern unseren Brüdern anzugehören.«

[63] »Wenn es nur nicht so kuriose Käuze unter diesen lieben Brüdern gäbe,« bemerkte Gabriel, indem er mit einem heimlichen Vergnügen die Kniee seiner Susanne noch etwas blauer färbte.

»Wenn Du sie nur recht ins Auge fassest, auch der Verwildertste und Niedrigste hat sein Theil Ehrlichkeit und Offenheit. Wenigstens hab ich es immer so gefunden.«

»Du bist noch sehr jung,« sagte Gabriel altklug.

»Das sagen die Leute immer; aber ich habe ganz alte Männer gekannt, die eben so dachten, so der Pfarrer hier von St. Omer, bei dem ich einige Monate zubrachte.«

»Der Dich zum Katholiken machen wollte.«

»O nein! Ich habe ihm gleich gesagt, daß ich keine Religion habe, und keine haben wolle.«

»Wie nahm er dies auf?«

»Er schüttelte das gute, ehrwürdige Haupt und behauptete lächelnd ich hätte doch Religion, ich wüßte es nur selbst nicht. Wenn das ist, rief ich, so ist's nicht die katholische, nicht die protestantische, nicht die reformirte, überhaupt keine der herrschenden Religionen und Sekten, sondern es ist die Religion der Zukunft. Die Religion, die da lehrt daß wir für dieses Leben nur geschaffen sind, und daß wir in [64] diesem Leben Alle gleich berechtigt sind zu Glück und Genuß, und daß wir unsern Schöpfer am geeignetsten loben wenn wir selbst recht glücklich sind, und recht viel Glückliche um uns her machen.«

»Und was sagte er da?«

»Er lächelte wieder, aber so sanft, so wenig spöttisch, daß ich ihm nichts übel nehmen konnte. Worin besteht das wahre Glück der Sterblichen? fragte er mich.«

»Und Du antwortetest?«

»Was meine großen Lehrer mir zu antworten befehlen: Gleiche Vertheilung von Arbeit und Genuß. Wenn ich arbeite und genieße, so bin ich glücklich. Darum sollen die Menschen alle in gleichen Portionen Arbeit und Genuß zuertheilt erhalten. Wer nicht arbeitet, soll nicht genießen! Wem kein Genuß, in keinerlei Weise möglich ist, dem lege man auch keine Arbeit auf. Denn ein arbeitendes Geschöpf ohne Genuß ist ein Sklave, ein genießendes Geschöpf ohne Arbeit ist ein Verbrecher am Eigenthum Andrer.«

»Wann werdet Ihr denn Euer großes neues Phalanstère bauen, das dreimal so groß sein wird als der Louvre, und wo alle Handwerke und Künste der Welt drin getrieben werden sollen?«

»Ich weiß es nicht, wir haben kein Geld.«

[65] »Teufel – Ihr scheint nie Geld zu haben.«

»Wenn das Herz der Reichen nur weniger steinern wäre,« seufzte Robert. »Wir schicken Listen umher, aber Niemand unterzeichnet. Allgemein geht die Rede, daß wir gleichsam aus der Mode gekommen sind. Gütiger Himmel, kann ein Welt-Gedanke, eine Gott-Idee, ein Universal-Heilmittel für die kranke Menschheit behandelt werden wie der Schnitt zu einem Kleide? Aber das ist das frivole Paris. In Deutschland wird es ganz anders sein.«

»Meinst Du?«

»Die Reichen müssen ihr Geld hergeben – die Fürsten müssen von ihren Thronen steigen! Die Völker müssen die Lehren, die wir ihnen schon seit dreißig Jahren predigen, ausführen. Und es wird geschehn. Ich bin davon so innig überzeugt, wie von meiner eigenen Existenz. Die Welt wird immer vollkommener, die Menschheit veredelt sich immer rascher. Wir haben keine Kriege, kein kanibalisches Morden, keine blutige Parteikämpfe mehr zu fürchten. Alles was jetzt geschieht, wird durch Ueberzeugung und durch Liebe geschehen. Es müssen nur recht fromme, reine Herzen an dem Werke arbeiten.«

»Und Du meinst, daß deren in so großem Ueberflusse vorhanden sind?« fragte Gabriel.

[66] »Sie sind unzählig vorhanden!« rief der Jüngling in Begeisterung. »Wie viel Tugend, Größe und Aufopferung habe ich nicht schon in dem engen Kreise, in dem ich mich bis jetzt bewegt, erfahren. Wie selig werd' ich durch das Anschauen dieser Männer und ihrer Thaten. Könntest Du Dir zum Beispiel noch wenige Jahrhunderte zurück, einen Fourier, einen Cabet denken? Ich sage Dir, nicht möglich! Nur unser großes, schönes, von allen Schlacken gereinigtes Jahrhundert konnte diese Männer hervorbringen, die die Welt auffordern, mit dem Wort der Liebe auffordern, endlich einmal so zu werden, wie sie ursprünglich sein soll, nämlich eine Wohnstätte von lauter glücklichen Wesen, denen Laster, Verbrechen, Schmach und Erniedrigung unbekannte Dinge sind.«

Der Maler legte seinen Pinsel weg, sah seinen Freund aufmerksam an, und rief dann: »Wenn Euer Phalanstère fertig wird, geh' ich vielleicht auch hinein. Unterdessen noch eine Frage, lieber Junge: wovon wirst Du in Deutschland leben?«

»Der Vater Oberer sorgt für mich« – entgegnete Robert. »Auch denke ich dort durch schriftstellerische Arbeiten mir selbst Einiges zu verdienen. Ich habe Dir noch nicht meinen größten heimlichen [67] Schatz im Herzen genannt; es ist die Hoffnung meine Eltern dort zu finden.«

»Deine Eltern!«

»Denke Dir, Gabriel, ich werde einen Vater haben, dem ich an die Brust sinken kann, dem ich unter Freudenthränen den stolzen Gedanken, aussprechen darf, daß ich seiner würdig sein will!«

»Was ist Dein Vater?«

»Das wußte der Vater Oberer selbst nicht;« entgegnete Robert. »Ich vermuthe daß es ein Landpfarrer sein wird. Am liebsten wäre es mir wenn er Bauer wäre, und recht arm. Dann könnte ich die Freude haben ihn zu ernähren.«

Das Gespräch der Freunde wurde hier durch ein leises Klopfen an der Thür unterbrochen. Gabriel ging hin und führte ein kurzes Gespräch, eine Frauenstimme antwortete. »Was war das?« fragte Robert, als der Maler sich kopfschüttelnd wieder auf seinen hohen Sessel schwang. »Mademoiselle Adeline« – entgegnete dieser. »Sie sagt mir eben, daß ihr Geliebter betrunken sei, und daß ich ihn in einem Miethwagen fortschaffen solle. Das ist eine Wirthschaft! Und immer soll ich bei der Hand sein! Als ich Herrn Pierre fragte, warum er aus Algier zurückgekehrt – was meinst Du wohl, was er mir [68] antwortete? – Paris habe jetzt sein Gesindel nöthig, denn man werde in Kurzem Großes erleben. Ein toller Bursche, dieser Pierre! Ein Mensch wie ein Eichbaum, roh und unschlächtig wie der Oger in der Fabel, und doch hab' ich ihn mit ganz feinen Leuten im Zwielicht im Jardin des Plantes herumgehen sehen.«

Robert stand auf und reichte seine Hand zum Abschied hin. – »Nun leb' wohl! Erinnere Dich meiner, wenn es Dir gut geht. Denke an das kleine Gartenstübchen, wo wir manche Sommernacht zusammensaßen, und ich mit Dir von meinen Plänen für die Zukunft sprach. Wir wollten Beide einst etwas recht Tüchtiges werden, so daß die Welt ihr Staunen und ihre Freude an uns haben sollte. Und dabei flüsterte es im Epheu, und dabei funkelte des Mondes Silberlicht durch das Dunkel, und ich wußte nicht, wo ich mit der Fülle meines Herzens hin sollte. Jetzt gilt's, daß wir erfüllen, was wir dem Geist der Geschichte, der in jedem Jünglingsherzen lebendig ist, zuschworen. Die Zeit kommt, und giebt sich uns hin wie eine Braut einem Knaben. Unser – unser ist die Zeit, Gabriel! Wehe uns, wenn wir dahingingen, und keine Werke folgten uns nach.«

[69] Er hielt die Hand des Malers und schüttelte sie kräftig, dann wandte er sich zum Gehen.

»Du sollst von mir hören!« rief Gabriel, »wenn diese verwünschten Franzosen endlich werden gelernt haben, meinen Namen auszusprechen. Ich werde sie zwingen, so wie die Kanonen vor Toulon Europa zwangen, den schweren Namen Napoleon Bonaparte auszusprechen. Und jedes Kind konnte es nachher auf der Straße.«


[70]


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