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4.
Die Fahrt im Omnibus.


Der Obrist hatte das Geld in ein kleines ledernes Täschchen gebracht, hatte seinen Militärrock angelegt, eine neue, sorgsam geschonte Halsbinde umgethan, ziemlich vergelbte weiße Handschuhe hervorgesucht und stand nun da und gab seiner Tochter den Arm, um sie hinunterzuführen. Mitten auf der Stiege hielt er inne und sagte zu seiner Begleiterin: »Das Vorzimmer ist nicht rein! Wir wollen warten, bis die schwarz-roth-goldenen Weiber fortgehen.«

Fräulein Rosa Scholz stand in ihrer Thür, wieder ein Häubchen in den Händen drehend, und wieder rückwärts zu den jungen Damen im Atelier sprechend. Sie hatte eine Dame zu dem Obristen hinaufgehen sehen, allein nur das Ende des roth und grau gestreiften Umschlagetuches dieser Dame erspähen können. Sie war begierig zu erfahren, wer [33] diese Dame sei und was sie beim Obrist wolle. Eine der jungen Arbeiterinnen im Atelier hatte die fremde Dame um die Ecke biegen sehen, und beschrieb sie als ein Wunder von Schönheit, eine andere meinte dagegen, daß sie eine etwas geröthete Nasenspitze gehabt habe.

»Gleichviel,« sagte Fräulein Rosa, »mit weißer oder mit gerötheter Nasenspitze, so ist dieser Besuch doch immer sehr unpassend in seinem Alter, und in einem Hause, wo so viele unverheirathete junge Damen wohnen.«

»Unerhört!« rief Fräulein Betty. »Aber man sieht, wie unverbesserlich diese Aristokraten sind.«

»Still!« gebot die Prinzipalin; »ich höre sie die Treppe herunterkommen. Fräulein Angelica, bringen Sie mir doch gefälligst einen Stuhl heraus, ich will mich vor die Thür setzen. Der unmoralische alte Thor und seine Beute sollen gezwungen sein, dicht an mir vorüberzugehen.«

Der Stuhl wurde gebracht, und Fräulein Rosa setzte sich in ihrer ganzen Breite, und indem sie ihr hellblaues Linonkleid noch weit von einander breitete, vor die schmale Eingangsthür hin.

Der Obrist blieb stehen. Er wollte das Zuschlagen der Glasthür vernehmen, ehe er weiter schritt.

[34] Aber die Thür schloß sich nicht. Es wurde still auf dem Flur. Der Obrist flüsterte seiner Tochter zu: »Die Satansbrut; nun sitzt sie und lauscht.«

»Aber Vater,« hob Louise an; »haben wir denn diese Dame zu fürchten?«

»Alles, alles ist von diesen desperaten Weibsstücken zu fürchten, die sich heutzutage mit der Politik beschäftigen. Sie werden Hyänen, sie werden Tigerkatzen, Wehrwölfe – doch laß uns gehen. Sie sitzt und lauert! Da kenn' ich sie, da ist sie nicht fortzubringen. Wir wollen säuberlich mit ihr verfahren, denn ich werde ihr diese Quartalmiethe schuldig bleiben. Der Apfel ist sauer.« –

Mit diesen kaum hörbar hingemurmelten Worten erschien der Obrist mit seiner Tochter auf der letzten Stufe seiner engen und schon baufälligen Treppe. »Ha, ha,« rief er lachend, »da sitzt unser kleines niedliches Dämchen an der Hausthür! Ich grüße Sie, Fräulein Scholz.«

»Ihre Dienerin!« entgegnete die Putzmacherin, indem sie mit einer kleinen schnippischen Bewegung des Kopfes nickte. Ihre Blicke stahlen sich an die Gestalt des jungen Mädchens heran, das blühend und lächelnd an dem Arme des Greises hing.

Der Obrist schritt auf die Thür zu.

[35] Die Putzmacherin that bei sich das Gelübde, daß er nur über ihre Leiche hinausgelangen sollte. Sie mußte erfahren, wer der Gast war. »So früh schon hinaus, Herr Obrist?« sagte sie mit einem anmuthigen Lächeln, indem sie eine Rosenknospe an das Häubchen befestigte.

»Ich will nach Berlin!« antwortete der Obrist dumpf. Die Sirene fing schon ihre Bewegungen an. Die Putzmacherin sah es und lächelte. »Nur über meine Leiche!« wiederholte sie.

»Nach Berlin? Ei. Das ist auffallend. Es ist schon lange, daß Sie nicht dort gewesen sind?«

Der Obrist wollte fort. Der Stuhl blieb unbeweglich.

»Und wie ich sehe, reisen Sie nicht allein; in artiger Begleitung –«

»In sehr artiger.«

»Man sieht's.« Sie machte eine Verbeugung, die Louise erwiederte. Die Sirene machte eine schnelle Wendung von Nord nach Süd-Süd-West. Das war die Gegend, von wo der Sturm kam. Fräulein Rosa sah es und lächelte. »Wenn das Quartal nicht wäre!« brummte der Obrist.

»Sie werden Berlin verändert finden! Die Sitten viel reiner.«

[36] »Donnerwetter, Madame! Waren sie denn früher unrein?«

»Sehr unrein! o, kein Zweifel,« sagte mit ihrer stachelichsten Stimme die Prinzipalin. »Es war nichts Ungewöhnliches, daß ganz alte Herren noch auf ihren Zimmern Besuche von sehr jungen Damen bekamen, deren Namen selbst die Hauswirthinnen nie erfuhren. Das wird jetzt, Gottlob, anders werden. Das Volk herrscht, das Volk ist sittlich durch und durch! – Wir schaffen den Adel ab.« –

»Madame, ich will zur Thür hinaus! Bringen Sie Ihre Peripherie etwas bei Seite!« Die Sirene berührte mit ihrem netten, starren Busen von Elfenbein den großen, weiten, warmblutigen der Prinzipalin. Diese sprang auf, trat zornglühend bei Seite und rief, indem sie eine tiefe Verbeugung machte: »O ja doch, mein Herr, sehr gern. Eine Frau von meinen Ansichten macht einem Herrn von Ihren Ansichten sehr gerne Platz. Ich wüßte nichts Angenehmeres, als gewissen Leuten, mit denen edle Seelen auf ewig in einen Bruch gerathen sind, aus dem Wege zu gehen.«

Der Obrist schritt zur Thür hinaus. Das sämmtliche Personal des Ateliers hatte sich auf dem Vorplatz versammelt und sah den Abgehenden nach. [37] Fräulein Adele machte die Bemerkung, daß »die Person« sehr auffällig ein Kleid zusammengesetzt aus den preußischen Farben trüge, und daß keine Spur der »Farben der Bewegung« bei ihr zu entdecken. Dergleichen dürfe man nicht dulden.

»Sie soll auch nicht wieder in mein Haus, verlassen Sie sich darauf, meine Liebe,« sagte die noch immer rothglühende Prinzipalin. »In dergleichen verstehe ich keinen Scherz. Ich habe Nachsicht geübt, diesmal, und zwar aus dem Grunde, weil der Obrist ein langjähriger Miether ist, und man in so unruhigen Zeiten einen militärischen Hausgenossen nicht aufgeben darf, allein im Miethcontract steht kein Wort davon, daß es ihm gestattet ist, mir gewisse Geschöpfe in das Haus zu bringen.«

Fräulein Constanze fand den Ausdruck »gewisse Geschöpfe« ungemein bezeichnend.

»Und überdies,« sagte die Prinzipalin, »man gewöhnt sich an Gesichter, die man einmal täglich zu erblicken gezwungen ist. Ich lag in Windeln, als der Obrist schon hier einzog.« Dieser Ausdruck war nicht buchstäblich zu nehmen. Die Windeln, in denen Fräulein Rosa Scholz lag, waren ein schwarzsammetnes Mieder, eine Schürze von rosafarbenem Taffet, und ein Rock von Seide. Sie war bereits [38] fünfundzwanzig Jahr alt, als der Obrist einzog, und funfzehn Jahr wohnte er bereits hier. Diese Rechnung wurde von Fräulein Adele im Geheim angestellt und mit einem eben so geheimen, mitleidigen Lächeln auf die Prinzipalin geschlossen.

Da der Obrist nicht weiter zu erblicken und über seine Begleiterin kein Aufschluß zu erlangen war, so begab sich die Gesellschaft der »Damen der Nadel« wieder in das Zimmer zurück.

»Warum sagtest Du nicht, Vater, daß ich Deine Tochter sei?« fragte Louise.

»Mein Kind,« entgegnete der Greis »ich habe den Grundsatz, von dem, was mir lieb ist, so wenig als möglich vor den Leuten zu sprechen. Und nun vollends vor diesen schwarz-roth-goldenen Närrinnen! Sieh da, der Omnibus, wie gerufen! – He! guter Freund, wir wollen einsteigen!«

Der Omnibus hielt, und Vater und Tochter stiegen ein.

Der Wagen war ziemlich angefüllt. Fünf junge Leute in bunten Mützen, mit langem flatterndem, ungeordnetem Haar, offenem Hemdkragen, und in kurzen Röcken, über denen tricolore Bänder prunkten, saßen auf der einen Bank, ihnen gegenüber hatte ein kleiner Herr, in einem grauen Hut und einem grü [39]nen Frack mit blanken Stahlknöpfen Platz genommen. Dieser Herr sprach nicht, und schnupfte viel Taback, indem er unter seinem breitkrämpigen Hut hervor seine Reisegesellschaft scharf beobachtete. Der Obrist und seine Tochter setzten sich neben diesen Herrn. Zwei von den Studenten rauchten, obgleich dies im Omnibus verboten war, allein sie kümmerten sich wenig um die Mahnungen des Portiers und des Conducteurs. Der Obrist sagte zu seiner Tochter: »Ich weiß nicht, liebes Kind, ob Du den Tabacksgeruch vertragen kannst? Wenn dies nicht der Fall ist, so sage es, diese Herren werden dann so viel Rücksicht für eine Dame haben und ihre Cigarren wegthun.« Diese Worte, in einem höflichen Tone gesprochen, machten die Wirkung, daß die zwei Raucher sich gegenseitig lächelnd ansahen und nur noch stärkere Wolken vor sich hinbliesen. Louise mußte sich wegwenden, um freie Luft zu athmen. »Ah,« sagte der Obrist, »als ich jung war, genügte das leiseste Zeichen der Mißbilligung, von einer Frau gegeben, einem jungen Manne von Erziehung, sein Betragen vollkommen zu ändern. Es gab keinen Fall, wo man das schwächere Geschlecht absichtlich durch Rohheit demüthigte.« Er hatte diese Worte geendet und gab ein Zeichen, den Wagen halten zu [40] lassen. »Herr Conducteur,« rief er, »ich habe das Recht, darauf zu bestehen, daß der Wagen nicht weiter fährt, ehe der Ordnung Genüge geschieht. Entweder diese Herren verlassen den Wagen, oder sie stellen ihr Rauchen ein.« Die feste, gebietende Stimme des Mannes, dem man anmerkte, daß er gewohnt war, Gehorsam zu finden, weil er ihn nie anders forderte, als wo er ihn zu fordern berechtigt war, bewirkte, daß die Cigarren verschwanden. »Ich danke Ihnen, meine Herren,« sagte der Obrist freundlich. Bald darauf gab der Portier das Zeichen und ein junges Mädchen in ärmlicher Kleidung und von schüchterner Haltung näherte sich dem Wagen. Sie hatte auf der Landstraße gewartet, vielleicht hatte sie dort von Jemand Liebes Abschied genommen, denn sie war sichtlich bewegt und an ihrer rosigen Wange hafteten noch Thränen. Die übelgelaunten Studenten vergaßen die eben erlittene Niederlage und bewillkommneten den neuen Gast mit einem kecken Zuruf: »Hierher! hierher! in unsere Mitte, Kleine! Wir haben Dich schon lange erwartet – wo bist Du geblieben? Aha! vom Liebsten Abschied genommen? Nicht wahr?« – Das Mädchen sah verwundert und scheu die Fragenden an, dann warf sie einen Blick auf die andere Seite des Wagens, und [41] dort den Obristen erblickend, schien sie zweifelhaft, ob sie den Platz an Louisens Seite einnehmen dürfe. Der Obrist winkte ihr, und Louise nahm das dürftig gekleidete Mädchen freundlich auf. Die Musensöhne verabredeten sich durch Zeichen, ihre Angriffe auf den neuen Gast lebhaft fortzusetzen, wenn auch nur, um ihrem Beschützer einen Streich zu spielen. Dieser jedoch blieb sehr ruhig. Das stille, ärmliche Mädchen hatte seinen Beifall, und er wußte den Schutz, den er ihr gewährte, eben so kräftig durchzusetzen, als er früher der Ungebühr hatte Schranken zu setzen verstanden. »Mein Kind,« fragte der Obrist das Mädchen, »fährst Du oft mit dem Omnibus?« – »Dazu würde das Geld nicht reichen,« entgegnete eine sanfte, liebliche Stimme. »Ich mache den Weg zu Fuß und meine Mutter begleitet mich. Sie hat sich jedoch seit einigen Tagen den Fuß beschädigt, und so hat sie mich diesmal den Wagen benutzen lassen.« – »Dein Vater wohnt in Berlin?« – »Er arbeitet dort in einer Schreinerwerkstatt; aber es geht ihm kümmerlich. Die Mutter hat sich nach Charlottenburg verdungen als Wirthschafterin. Mich sendet sie mit dem Ueberschuß unseres spärlichen Verdienstes, um dem Vater einen frohen Sonntag zu bereiten.« – »Ich denke, [42] wenn er Dich sähe, so hätte er diesen frohen Sonntag schon?« – Das Mädchen verstand nicht recht, was der Obrist meinte, aber es sah, daß es gut gemeint war; des alten Mannes Augen waren so treu und ehrlich. – »Hat Dein Vater gedient?« – »Freilich, mein Herr. Jeder Preuße muß ja seinem König und dem Vaterlande dienen. Mein Vater war bei den Ohlauschen Husaren. O, meine Mutter bewahrt noch sein Bild in der braunen Uniform!« – Hier stockte das Mädchen plötzlich, wurde roth und warf einen seltsamen Blick auf den Mann im grünen Frack. Dieser trommelte unbefangen an der Fensterscheibe. Der Obrist bemerkte es – in diesem Augenblicke hielt der Wagen; die Studenten stiegen im Thiergarten aus. Sie verließen den Wagen, indem sie dem Mädchen auf den Fuß traten und dem Obristen einen höhnenden Blick zuwarfen. »Auf Wiedersehen! alter Kamaschenheld!« brummte ein Blondkopf, »mit Deiner verrosteten Klinge wollen wir schon fertig werden, wir haben ganz andere, blanke, zerbrechen gemacht.« Im Gelächter, das außerhalb des Wagens die Commilitonen laut werden ließen, flüsterte der Herr mit dem grünen Frack ein paar Abschiedsworte und wollte mit entschlüpfen. Das [43] Mädchen ergriff mit einem raschen Entschluß die Frackschöße des schon aus dem Wagen sich Entfernenden. »Herr! Sie haben gestohlen!« schrie sie mit einer wilden Stimme! »Sie dürfen nicht fort!« – »Was thust Du, Kind?« rief der Obrist entsetzt. Die Studenten blieben um den Wagen geschaart. Der grüne Herr suchte sich vergebens von der Haft frei zu machen; auch draußen stellte man sich auf, um ihn nicht durchzulassen.

»Empörend!« rief der kleine Mann, und zwängte beide Arme an den Leib. »Man insultirt hier rechtschaffene Leute! Herr Conducteur, ich rufe Sie zum Schutz an!«

Es entstand ein Auflauf um den Wagen. Der Grüne machte immer neue Versuche, die Menge zu durchbrechen und das Freie zu gewinnen.

»Gestohlen haben Sie! Gestohlen! Dem Herrn Militär haben Sie Etwas aus der Tasche gezogen! – Ich sah es,« rief das Mädchen fast athemlos vor Aufregung und Zorn.

Der Obrist fuhr in die Tasche – der kleine Lederbeutel mit den Louisdor war fort. Jetzt ergriff auch er den Arm des Grünen. Das Geschrei um den Wagen wurde stärker. Ein Diener der Polizei [44] erschien. In diesem Augenblicke fiel zu den Füßen des Mädchens der Beutel nieder.. »Ha!« rief der Grüne, »sie hat das Geld selbst gestohlen – da hat sie's eben von sich geworfen. Ich bin unschuldig.« Allein es half ihm nichts. Die Umstehenden hatten ihn den Beutel werfen gesehen. Er wurde festgenommen und abgeführt.

Louise umfing ihren Vater und bat ihn, den Mann befreien zu lassen.

»I, Kind, wo werd' ich das!« entgegnete er sehr ernsthaft. »Die Putzmacherin hat uns gesagt, es gäbe jetzt nach der glorreichen Revolution keine Verbrecher mehr; es kann nicht schaden, daß man merke, daß es schlimmer geworden ist wie früher, auch in dieser Beziehung. Ich bin noch nie so frech bestohlen worden.«

Dem armen Mädchen dankte der Obrist. »Laßt's gut sein,« entgegnete diese. »Ich muß Ihnen danken, daß Sie mir Schutz gewährt haben.«

»Wo wohnt Dein Vater?«

Das Mädchen gab genaue Auskunft.

»Ich werde ihn besuchen, wenn ich dazu Zeit finde.«

Sie schieden am Brandenburger Thore. Der Obrist warf einen Blick auf die Wache. Der große [45] Lederstuhl des frühern Offizierzimmers war hinausgestellt worden, dicht an dem Fußstege, und darauf saß, ihr Jüngstes im Arm, die Frau des wachhabenden Schlachtermeisters, der eben der Magd, die auf den Markt ging, das Geld in die Hand zählte zum Einkauf für den Tag. Dann schritt er, das Gewehr über die Schulter nehmend und mit seinem Nachbar plaudernd, auf seinem Posten aus und ab.

»Eine gemüthliche Wache das!« bemerkte der Obrist zu seiner Tochter. »Ob die liebe Frau da sich wohl irgend genirt, mit ihrem Manne zusammen auf den Posten zu ziehen?«

Louise wollte etwas erwiedern. Der Obrist hob seinen Stock und sagte ernsthaft drohend: »Eine neue Zeit! eine neue Zeit! – Habe Respect! – habe Respect!« –


[46]


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