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5.
Die Mission.


Wir gehen in unsrer Erzählung ein halbes Jahr zurück, und versetzen den geneigten Leser in eine Straße von Paris, und zwar in ein unscheinbares Haus, in dessen Stube zu ebener Erde ein junger Mann und ein ältlicher Herr sich eben zusammen befinden. Der Jüngling steht am Fenster, sein Gefährte geht in der Stube auf und ab.

»Jetzt nicht« – sagte der ältere Herr – »jetzt nicht!«

»Und wann denn?« fragte der junge Mann. »Wann endlich? Sie sagen mir, daß ich in Deutschland zu Hause sei, nun denn, warum lassen Sie mich nicht in meine Heimath gehen?«

»Weil Du noch Pflichten hier am Ort hast, Undankbarer!«

Der Jüngling sagte mit einer sanften und trau [47]rigen Stimme: »Und ich möchte meinem Vaterlande so gern die Freiheit bringen!« –

Der ältliche Mann blieb stehen, sah den jungen Mann einen Moment durchdringend an, wollte etwas sagen, schwieg jedoch und setzte seinen Gang wieder fort.

»Sagen Sie mir, mein Vater« – rief Jener jetzt dringend: »warum wollen Sie mich nicht gehen lassen? Ich will Antwort. Was ein Andrer thun kann, kann ich auch. Weshalb senden Sie Molé nach Deutschland, weshalb nicht mich? Diesen schleichenden Molé, der mit der Sprache nie heraus will.«

»Eben weil er zu schweigen versteht.«

»Aber jetzt ist die Zeit zu sprechen!«

»Noch nicht. Kartätschen müssen vorher gesprochen haben, ehe wir das Wort ergreifen.«

»O Gott, ich verstehe Sie nicht. Seit einiger Zeit sprechen Sie so dunkel. Alles was mich umgiebt wird mir ein Räthsel.«

»Weil die Zeit immer näher kommt, wo wir handeln sollen.«

»Nun gut denn! So handeln wir. Das Evangelium, das wir predigen, ist das schönste, lieblichste, segensreichste der Welt. Wir bringen den Völkern [48] Frieden, Genuß, Einigkeit, Größe, Tugend. Kann es eine himmlischere Botschaft auf Erden geben?«

»Die himmlischen Botschaften,« warf der Aeltere ein, »sind der Erde von jeher die aller unwillkommensten gewesen.«

»Was heißt das nun wieder?«

»Das heißt, daß man uns mit Bajonneten empfangen wird, wenn wir Miene machen, unsere Lehre zu verwirklichen.«

»Thorheit! Ein Wort, und wir verständigen uns mit der Welt.«

»Sprich mal das Wort! dies Wort, das da gebietet den Reichen mit den Armen zu theilen, dieses Wort, das den Gebietenden zuruft, von ihren Thronen und Herrscherstühlen niederzusteigen, dieses Wort, das den Allmächtigen gebietet nicht mehr allmächtig zu sein, und Du wirst sehen wie die Welt es aufnimmt.«

»Sie wird uns um Erklärung bitten,« –

»Und wir werden sie mit Flintenläufen geben.«

»Nimmermehr, mein Vater! Wir werden sie geben mit Gründen der Ueberzeugung, des flammenden Worts, der liebedurchglühten Ueberzeugung.«

Der Mann im zugeknöpften schwarzen Ueberrock zuckte die Achseln und schwieg. Er schien es nicht [49] der Mühe werth zu erachten ein Gespräch fortzusetzen, das in diesem Augenblick zu nichts führte. Er klingelte und ein Diener trat ein. »Herr Molé soll kommen.«

»So werd' ich gehen!« sagte der Jüngling trotzig. »Ich will mit diesem Menschen, den ich hasse, nicht zusammentreffen.« »Geh,« sagte der Aeltere, »und schreibe den Artikel für unser Journal, den ich Dir aufgegeben habe; aber sei sorgsam und fleißig. Du bist seit einiger Zeit flüchtig.« –

Beschäftigt aus einem Portefeuille Briefpackete hervorzunehmen erwiederte der Obere nur flüchtig den Gruß des Eintretenden, eines Mannes von mittleren Jahren, mit einer düsteren und schweigsamen Physiognomie.

»Herr Molé?«

»Ich bin's.«

»Sie werden reisen müssen; vielleicht noch in dieser Woche – nach Deutschland.«

Der Eingetretene erwiederte nichts.

Der Obere hatte ein besonderes Päckchen Briefe herausgefunden und öffnete es, indem er die Schriften auf den Tisch ausbreitete. Dabei sprach er mehr für sich, als zu seinem Zuhörer. »Wir sind so ziemlich gut versehen. Wir haben Corresponden [50]zen, Personalschilderungen, Beschreibungen von Instituten, Ansichten und Pläne, Detailschilderungen und eine Menge – Träume, wie ich sie nenne; deutsche Träume. Nun, man kann Alles brauchen. Hier haben Sie den Packen, mein Herr. Ich schiebe Ihnen ganz Berlin in die Tasche.«

»Also nach Berlin?« fragte eintönig der Beauftragte. »Ich hoffte nach Wien gesendet zu werden.«

»Dorthin geht Colbert.«

»Und wo bleibt Tribouret?«

»O Tribouret, diesen unerschrockenen Braven, den haben wir hier in Paris nöthig. Wir werden hier bald zum Ausbruch kommen. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß wir bald die Bühne betreten.«

»Wen finde ich in Berlin?«

»Sie finden Coszinsky dort. Er wird Ihnen berichten, wie weit es in Polen gekommen. Wir arbeiten Hand in Hand. Die Polen hoffen Alles von uns, wir Viel von ihnen … Aber Sie müssen Vorsicht üben. Mit Versprechungen können Sie freigebig, mit Geld müssen Sie geizig sein. Es wird gut sein, wenn die ersten Summen von den Polen geliefert werden, bis wir hier unsere Einnahmen halten.«

[51] »An wen bin ich in Berlin gewiesen?«

»An die verschiedenartigsten Personen in höchsten wie in niedrigen Stellungen. Auf der Liste stehen die Namen. Die Hauptperson, an die Sie gewiesen sind, ist der Herausgeber eines Journals, Herr Weld. Er wird Ihnen die Andeutungen und Erklärungen geben, deren Sie bedürfen, um sichere Schritte auf dem Ihnen angewiesenen Terrain zu machen.«

»Kann ich Niemand mitnehmen?«

»Wen wollen Sie?«

»Charlot.«

»Der ist schon dort. Wir haben ihn an die Seite einer einflußreichen Dame postirt. Er ist Träumer, Philosoph von der confusen Sorte, Clairvoyant, Prophet und Poet. Er prophezeit die Geschicke, die wir später ausführen. Ich habe auch bereits von ihm erfreuliche Berichte.«

»Ich gehe ungern hin.«

»Das weiß ich, das thut aber nichts zur Sache.«

»Es ist nichts widerwärtiger, als in Deutschland Politik zu machen. Dieses Volk der Ideologen weiß nicht, um was es sich handelt; ist frech, wo es nicht hingehört, und sentimental zaghaft, wo sie mit den Zähnen die blutige Beute zerfleischen sollten.«

»Darum muß man ihnen praktischen Unterricht [52] und sehr deutlich geben. Man muß sie fanatisiren durch ihre Lieblingsideen. Herr Weld wird Ihnen Näheres sagen und Ihnen von Nutzen sein. Er kennt die schlechte Bevölkerung von Berlin, so wie ich die von Paris kenne. Mit dieser Kenntniß greift man bei Revolutionen nie fehl.«

»Kann ich Robert Phare mit mir nehmen?«

»Robert Phare? Warum gerade diesen?«

»Er ist ein Deutscher.«

»Aber ein Schwärmer, mit dem ich überdies noch meine besonderen Absichten habe. Doch wenn Sie es lebhaft wünschen – ich könnte ihn mitgeben. Lassen Sie sehen; die Papiere über ihn lauten für meine Pläne besser, als ich zu hoffen Grund hatte. Die Person, auf die es mir ankommt, befindet sich jetzt gerade in Berlin. Gut; nehmen Sie ihn denn mit. Er ist ein Schwätzer, Sie sind stumm; Sie sind ein Mann der That, er ein Mann des Worts; ich kann mir denken, daß Sie wohl zusammenpassen und sich gegenseitig bei Ihrer Mission ergänzen. Nur vertrauen Sie ihm nichts an, wo die Klugheit des Kopfes allein entscheidet; mit einem Wort, wo dunkle Wege gegangen werden müssen.«

»Ich werde ihn brauchen, wie es mir gefällt.«

»Das thun Sie; nur nehmen Sie sich in Acht: [53] die Unschuld eines Kindes sieht oft verwünscht klar. Ich könnte Ihnen Beispiele aufzählen, wo die herrlichsten Pläne an dem Widerstand eines Menschen scheiterten, den Jedermann lenken zu können glaubte, und der sich nachher von Niemand lenken ließ. Wenn Sie so etwas merkten, müßten Sie ihn schnell bei Seite schaffen. Wenn wir jetzt scheiterten, wären wir wieder auf ein halbes Jahrhundert gelähmt. Darum nirgends Nachsicht oder Rücksicht. Ein Wink und wir müssen plötzlich Alle aus den Coulissen hervortreten. Darauf ist's abgesehn.«

Molé verbeugte sich und war entlassen. Der junge Mann, den wir oben Robert Phare genannt haben, trat wieder ein, und der Obere ging ihm mit einer lebhaften Gebehrde entgegen. »Urtheilen Sie, wie groß die Gewalt ist, die Sie auf mich ausüben, mein Theurer, indem ich Ihnen hiermit gestatte nach Deutschland zu reisen.«

Der Jüngling dankte in frohen Worten.

»Aber ich werde Sie mit Molé reisen lassen.«

»Mit Molé? dann verzichte ich auf die Reise.«

»Nicht doch; Sie verzichten nicht – Sie reisen. Entschlagen Sie sich einmal für allemal dieser kindischen Aufwallungen. Molé ist ein Mann, den ich [54] achte, und dem Sie folglich gehorsamen müssen, wenn ich es verlange. Ich habe ihm eine sehr geringe Macht über Sie gegeben, indeß ist's doch eine Macht. Er ist älter wie Sie, er kennt die Welt und unsere Zwecke. Was er in Sachen unserer Verbrüderung beschließt, darin müssen Sie ihm folgen und ihm Beistand leisten, wenn er es verlangt. In Ihren persönlichen Angelegenheiten sind Sie natürlich völlig frei. Sie empfangen hier einen Brief an einen Mann, der sich Ihrer annehmen wird. Hoffentlich werden Sie aber keines Menschen Hülfe nöthig haben. Wir, die wir aus dem Schooß der Armuth emporgestiegen, wir, die wir dieser Armuth die Schätze der Welt erobern wollen, wir haben früh gelernt für uns selbst nichts zu bedürfen. Erinnern Sie sich was ich Ihnen oft sagte: Wir sind die Jesuiten unserer Kirche. Wie Jene für die Reichen und Gewaltigen in den Kampf gingen, wie sie für Kirche und Staat sich opferten, so wir für Armuth und Proletariat, so wir um Kirche und Staat zu vernichten. Von den Vätern müssen wir lernen, daß kein Mittel zum Zweck zu gelangen uns verwerflich erscheinen darf; von den Vätern müssen wir lernen, daß ein unzerreißbares Zusammenhalten zum Siege führt. Was haben Sie noch zu sagen?«

[55] »Nichts; als Abschied zu nehmen. O Gott! mein Vater, ich sehe Sie vielleicht nie wieder.«

»Möglich. Dann werden Sie jedoch hören, daß ich männlich gestorben bin für unsere Sache.«

»Der Himmel gebe mir auch einen so würdigen Tod.«

»Er gebe Ihnen fürs Erste ein würdiges Leben. Sie haben noch nichts gethan und sprechen schon vom Ausruhen. Das ist echt Deutsch. Gehen Sie – Geschäfte rufen mich. Aus Straßburg erwarte ich von Ihnen den ersten Brief. Leben Sie wohl.«

Robert Phare küßte die Hand des ernsten, strengen Mannes.


[56]


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