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15.
Der sechzehnte März.


Robert hatte lange in Neuwardt's Hause geweilt und kam erst gegen Mitternacht in sein Hotel. Er fand Molé, der ihn erwartete.

»Sie werden Ihre Forschungen jetzt angestellt haben, Herr Phare,« hob der Mann an, der so wenig den Beifall Roberts hatte, und der der einzige Sterbliche war, den er fast haßte – »ich habe Ihnen fünf Tage Zeit gelassen.«

Robert bemerkte, daß er mit Freundschaft in dem Hause des Herrn Neuwardt aufgenommen sei.

»Frag' ich denn danach wie Sie aufgenommen sind?« rief Molé ungeduldig. »Ich will wissen, was für Leute Sie daselbst fanden. Zuerst Herr Neuwardt selbst.«

Robert machte eine Schilderung, ähnlich der, die wir eben gegeben.

[205] Molé neigte das Haupt; der Bericht stimmte mit dem, den er von anderer Seite empfangen. »Seine Tochter?« fragte er weiter.

»Was können uns die Frauen helfen?« fragte Robert einigermaßen verwundert.

»Sehr viel. Sie enthusiasmiren, wenn sie jung und hübsch sind, und gießen siedendes Oel und werfen Steine unsern Feinden auf die Köpfe, wenn sie alt sind.«

Robert gab ein ziemlich ähnliches Bild der jungen Sophie, die schwärmerisch für die Freiheit glühte, und von deren Arbeitstischchen die Gedichtsammlungen Herwegh's und Freiligrath's nie verschwanden. Auch diese Schilderung nahm der strenge Molé wohlgefällig auf. Er fragte nun nach Weld.

Robert, noch glühend vor Bewunderung für ein begeistertes Gespräch, das er eben mit dem Volksfreunde geführt, gab ein Bild, wie etwa ein Jüngling, der eben den Thucydides gelesen, es von den edelsten Helden und Volksmännern der Griechen geben würde.

»Sie sind ein Kind,« sagte Molé.

»Mein Herr –«

»Ja wohl – ein Kind sind Sie. Wie können Sie sich so betrügen lassen? Dieser Weld ist der [206] nichtswürdigste Schurke von der Welt. Ich sehe schon, man kann Sie nur zu gewissen Missionen brauchen. Sie sehen nur, was Sie sehen wollen, und nach Ihren Begriffen besteht die Welt nur aus gewappneten St. Georg's, die von den Wolken niedersteigen, um die Tyrannen niederzuschmettern.«

»Und Sie, mein Herr, sehen lauter Teufel.«

»Nicht doch – aber ich sehe die Schufte und Gauner, die wir nutzen müssen, um das zu erreichen, wozu wir uns verbrüdert haben. Ich will mich herablassen, Ihnen ein Pröbchen von meinem Talent Menschen zu finden, zu geben. Treten Sie hier hinter diesen Schirm, und verhalten Sie sich ruhig.«

Robert folgte dem Befehl. Es klopfte an der Thür. Herein trat – Herr Weld.

Molé ging ihm mit großer Artigkeit entgegen.

Beide Herren becomplimentirten sich, und nahmen dann Platz. »Ich bin nur auf wenige Tage hier,« sagte Molé, »und konnte es mir nicht versagen, Sie persönlich kennen zu lernen, mein Herr.« – Molé sprach deutsch, und zwar sehr geläufig.

»Und ich – mein Herr,« hob der Journalist an – »wie soll ich Ihnen meine Freude genügend ausdrücken, einen Mann des Volkes, einen Mann der Zukunft vor mir zu sehen.«

[207] »Die Sache des Volkes liegt Ihnen am Herzen?«

»Ich kenne keine andre. Meine ganze Existenz geht in dieser einen Idee auf: dem Volke anzugehören – es zu retten aus den Banden, in denen es schmachtet! Mein Herz kennt nur eine Empfindung, es ist die glühende Liebe für dieses arme, unterdrückte Volk, dessen Tyrannen und Peiniger mit jedem Tage wachsen. O, mein Herr! wenn Sie wüßten, wie rührend dieses arme Volk leidet, wie es in seinen Klagen, in seinem endlosen Jammer, so still sich verbirgt. Während die Geißel seinen Nacken zerfleischt, wagt es kaum seine wimmernde Stimme zu erheben! Und nun dieser ewige, göttliche Spruch: Wir Menschen sind alle gleich – sind alle Brüder! Wie grausam wird dieser Spruch verhöhnt, wie blutig das Gesetz der Liebe, dieses Gesetz, das in jeder fühlenden Brust mit Flammenzügen geschrieben ist, zertreten! O, nur das Knirschen der Wuth kann die Thräne unendlicher Wehmuth zurückdrängen, nur die mit dem Dolch gewaffnete Faust die Geberde des unsäglichen Mitleids verscheuchen.«

Molé sah den Sprecher an und sagte mit dem Ausdruck von starrem Hohn, der sein Antlitz und Wesen Robert so entsetzenvoll machte, in welchem aber des gebietenden Mannes ganze Gewalt über [208] seine Nebenmenschen lag: »Herr Weld – ein Wort im Vertrauen: Wir sind unter uns, sparen Sie die Redensarten.«

Der Literat blickte sich mit dem Ausdruck der Verblüfftheit um; aber dieser Ausdruck war sehr flüchtig vorübergleitend; er faßte sich und sagte ruhig: »Es ist wahr.«

»Ich überhebe Sie der Mühe Phrasen zu machen.«

»Ich danke Ihnen.«

»Zur Sache.«

»Und die ist?«

»Die Republik kann nicht bestehen – wir haben unsern Plan in Frankreich geändert, die Kräfte wirken jetzt nach einer andern Richtung. Es liegt uns nichts mehr dran, in Deutschland den Samen der Revolution auszustreuen, im Gegentheil, wir wollen, da wir früher dem Volk schmeichelten, jetzt die Fürsten auf unsre Seite haben.«

»Die Fürsten!«

»Ja, die Fürsten. Es muß demnach Alles rückgängig gemacht werden, was Sie, mein Herr, und ihre Verbündeten bis jetzt geleistet.«

»Das wird schwer sein zu bewerkstelligen.«

[209] »Aber nicht unmöglich. – Sie sind der Mann, der die Massen lenkt! Ketten Sie sie wieder an, wie Sie sie eben losgekettet haben. Das Ende der Kette ist noch in Ihrer Hand. Es muß aber schnell geschehen, denn morgen vielleicht schon ist Ihnen die Bewegung über den Kopf gewachsen, die Sie selbst hervorgerufen, und Sie sind ihrer nicht mehr Meister.«

»Alles das überrascht mich. Lassen Sie mir Zeit zur Ueberlegung.«

»Es ist keine Zeit mehr zu vergeben. Sie wissen, wir zahlen großmüthig.«

»Ich weiß es. Gut, mein Herr; ich übernehme es. In drei Tagen sollen die Köpfe nach Westen sehen, die jetzt nach Osten gewendet stehen.«

»Schuft!«

»Was?«

»Schurke!«

»Mein Herr!«

»Kein Wort! Ich habe Briefe, Papiere, Unterschriften, Quittungen: Sie sind in meiner Hand. Sie sind die niedrigste, käuflichste Schurkenseele, die ich kenne.«

»Das fordert blutige Rechenschaft!«

[210] »Keine Drohung. Ich wollte Ihnen nur zeigen, daß ich Sie kenne, daß ich Sie kannte, bevor Sie noch meine Schwelle überschritten hatten. Sie sind in meiner Hand, aber ich werde meine Gewalt nicht mißbrauchen. Wir sind unter uns, Niemand hat uns gehört.«

Der Journalist eilte zur Thür, indem er rief: »Zittern Sie vor meiner Rache, mein Herr! Ich gebiete über Kräfte, die Sie nicht kennen!«

»Meuchelmörder!«

»Immerhin!«

»Bevor Sie Ihre Drohung ausführen, werde ich Sie unschädlich zu machen wissen. Diese Papiere sind in einer Stunde in der Hand der Gerichte. Was meine Person betrifft, so wird die Gesandtschaft mich zu schützen wissen, für die paar Stunden, die ich noch in dieser Stadt weile.«

Der Journalist stand unbeweglich. Endlich rief er mit einer dumpfen und bewegten Stimme: »Was wollen Sie denn? Was soll geschehen?«

Molé nahm die Miene der Höflichkeit wieder an. »Sie werden thun, was ich Ihnen auftrage, und wir werden gute Freunde sein.«

»Ist dies nicht wieder eine Falle?«

[211] »Auf Ehre, nein!«

»So sprechen Sie.«

»Wie weit sind Sie?«

»Nun, wir sind bereit. Das Geld und der Plan des Angriffs mangelt noch.«

»Beides bring' ich. Hier ist der Plan der Stadt; wir wollen die einzelnen Stellen durchgehen, wohin wir für's Erste die Barrikaden hinversetzen. Haben Sie Vorschläge zu machen, so machen Sie sie. Auf die Nacht vom siebzehnten bis zum achtzehnten ist der Angriff festgesetzt.«

»Da muß ich Einsprache thun. Der Pöbel muß noch etwas Zeit haben, sich mit den Soldaten zu necken. Das Spiel dauert erst ein paar Tage, es muß wenigstens eine Woche anhalten. Die Soldaten müssen gereizt, erhitzt, ermüdet werden.«

»Ich kann Ihnen nur einen Tag höchstens zugeben. In Wien ist man schon drauf und dran gegangen, wie Sie gehört haben.«

»Wir haben es hier mit zäheren Naturen zu thun. Doch wie schon gesagt, eine große Masse ist schon mobil gemacht, und mit ihr kann man schon manövriren. Ich würde dann auch mit einem Tag, den wir dazu erhalten, zufrieden sein.«

[212] »Gut, so sei es also die Nacht vom achtzehnten zum neunzehnten.«

»Es sei. Wie steht's mit den Polen?«

»Sie werden bei der Hand sein. Die Emissäre sind in voller Thätigkeit. Wenn man die Gefangenen, und besonders Miroslawsky nicht frei giebt, so wird das Gefängniß erstürmt.«

»Sie werden frei gegeben werden.«

»Ich hoff' es.«

Molé stand auf, und gab damit seinem Gaste das Zeichen, sich zu entfernen. Briefe, Geld, Papiere wurden eingehändigt, Quittungen ausgestellt. Während dieses Geschäfts wurde kein Wort gesprochen. Robert hörte nur die Dukatenrollen schwer auf die Decke des Tisches niederfallen, und dann das Geräusch, das eine schreibende Feder auf dem Papier macht.

Es war eine schauerliche Stille.

Ein heller Pfiff auf der Straße ließ sich hören.

Molé ergriff das Licht, und hob es dreimal hoch in die Höhe, dann setzte er es wieder auf den Tisch. Der Journalist blickte auf, als er eben eine Quittung unterschrieb. Sein Auge heftete sich einen Moment forschend auf das Antlitz des Fran [213]zosen, dann glitt es wieder herab auf die Geldrollen, und er vollendete die begonnene Unterschrift.

Beide Männer schieden von einander. Molé bestimmte eine Stunde, wo sie sich wieder treffen sollten. Als der Journalist die Thür geschlossen hatte, wurde sie einige Minuten später vorsichtig wieder geöffnet, und jener kleine Mann mit dem krausen schwarzen Bart, in dem unscheinbaren Röckchen, den Robert an dem ersten Tage, am Hotel vorbeischleichend und auf das herausgehängte Tuch achtend, bemerkt hatte, trat ein. Molé sagte zu ihm: »Haben Sie sich genau diesen Herrn gemerkt, der mich eben verließ?« Auf die Bejahung setzte er hinzu: »So folgen Sie ihm auf Schritt und Tritt, und melden mir, was Sie Auffälliges bemerken.« Der Mann grüßte demüthig und verschwand.

Molé ging an den Schirm, und hieß Robert hervortreten: »Nun?« sagte er, »hab ich Talent Menschen zu entdecken?«

Robert preßte die Hand an die Stirn. »Ich beneide Sie nicht um dies entsetzliche Talent,« sagte er dumpf. »Wie klein schrumpft Gottes [214] schöne Schöpfung zusammen, wenn man sie so sieht!«

Molé lachte und wandte dem Jüngling den Rücken.

Vom nahen Gensdarmenmarkt-Thurm schlug die Glocke zwölf.


[215]


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