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14.
Die erste Bekanntschaft.


Wir halten einen Augenblick inne, um die tiefe, dröhnende Saite austönen zu lassen, die wir eben angeschlagen. So wenig auch hier angedeutet worden, so flüchtig dieses Bild auch dem Beschauer vorüberzuziehen bestimmt ist, so ist dennoch einer der dunkelsten Schatten darauf angebracht, die unser Gemälde – da es der Wahrheit vollkommen treu zu sein sich verpflichtet – aufzuweisen hat. Es ist ein edler Stand, der Stand des Kriegers, der hier die ihm widerfahrene Zurücksetzung grollend beklagt. Mag diese Zurücksetzung immerhin in dem momentanen Bedürfniß des neuzugestaltenden Staatslebens begründet erscheinen, sie bleibt nichtsdestoweniger eine heftige und schmerzliche Beleidigung. Der Unfall, den Preußens Heer in jenen verhängnißvollen Tagen bei Jena erlitt, war eine scharfe Zuchtruthe des [182] Himmels, allein die Hand, die diese Geißel schwang, war eine fremde; die Hoffnung, sich Genugthuung zu verschaffen, lag nahe – allein wo liegt diese Hoffnung, wo darf sie liegen bei den Ereignissen des achtzehnten März? Friedrich Wilhelm IV. war der Erste, der es wagte, mit seiner Armee zu brechen. Friedrich Wilhelm I. bildete seine Soldaten heran und freute sich ihrer; Friedrich der Große war mit seinem Heere ein und dasselbe, sie waren unzertrennlich; Friedrich Wilhelm II., sonst lässig und wenig seinen Regentenpflichten genügend, bewahrte doch seine Armee, wie er seinen Augapfel bewahrte; Friedrich Wilhelm III. war der Vater, der Liebling, der Genosse seiner braven Soldaten, die ihn auf jedem Schritte seines Lebens begleiteten, die seinen Kummer wie seine Freude theilten, die mit ihm am Grabe seines Weibes weinten und in die Thore von Paris jubelnd mit ihm einzogen; Friedrich Wilhelm IV. war es vorbehalten, die Söhne und Enkel dieser Braven eine Zurücksetzung empfinden zu lassen, die an Beleidigung streifte, und die die erste war, die dies tapfere Heer ungerochen hinnehmen mußte.

Doch um dem Gange unserer Erzählung nicht vorzugreifen, fügen wir diesen Worten nichts weiter bei. Dieser Gang, um das breiteste Terrain zu [183] umschließen, muß sich nunmehr wieder nach der Seite zurückwenden, wo er begonnen. Um die Fülle der Ereignisse nebst ihren Motiven in ihrer Gesammtheit zur Anschauung zu bringen, ist's nöthig, daß wir Einiges nachholen, und somit erinnern wir den Leser, daß Robert Phare und sein Begleiter Paris zu verlassen im Begriff waren. Die Ereignisse der Februartage hielten sie um einige Tage auf und veränderten und vergrößerten ihre Mission. Als sie dem an allen Ecken in den Flammen des Aufruhrs brennenden Paris den Rücken wandten, hatte der flüchtende Greis bereits dasselbe verlassen, dem es nicht vergönnt war, in dem Lande seiner Väter sein müdes Haupt zur Grabesruhe niederzulegen. Louis Philipp war in England gelandet.

Deutschland war entsetzt; es sah mit starren Augen über den Rhein hinüber, aber es war noch ruhig.

Am zehnten März langten Robert Phare und Horace Molé in Berlin an.

Robert hatte, in Frankreich erzogen, sich Deutschland anders gedacht, als er es fand. Er hatte geglaubt in ein Land zu kommen, wo ein stiller See den andern, eine blumige Wiese die andere, ein idyllisches Pfarrerhäuschen das andere ablös't. Er hatte sich das weithingedehnte Land von einsamen Wal [184]dungen durchschnitten gedacht, in deren Dunkel tiefsinnige Denker wandelten. An den Bächen saßen jene Jungfrauen, die ewig nichts Anderes thaten, als Kränze winden und die übrigbleibenden Blumen dem Spiel der Wellen preisgeben. Auch den Klang der Flöte und der Schalmei glaubte sein Ohr zu vernehmen, wie sie der Hirtenknabe blies, der seine Heerde von der Höhe in die Niederung trieb. Irgendwo saßen Dichter, in ein Gewand von Purpur und Gold geschlagen, und mit einer fünfsaitigen Lyra in der Hand. Er hatte gelesen, daß in Deutschland um Mitternacht auf den stillen Wiesen die Elfen mit König Harold tanzten, und er wäre durchaus nicht überrascht gewesen, wenn er – aus dem Fenster seines Reisewagens ausschauend – diesen nächtlichen Tanz mit wachenden Augen gesehen. Aber er fand nichts von allem dem; er fand ein großes, prosaisch nüchtern gewordenes Land, von Eisenbahnen durchzogen und von Geldmärkten belebt, gerade so wie die andern Länder Europens, und um kein Haar besser, wie das gleichfalls prosaisch gewordene, ernsthafte, betriebsame Frankreich.

Robert Phare fühlte sich in seinen Erwartungen getäuscht; es war dies das erste Glied einer langen Kette von Enttäuschungen.

[185] Als sie in Berlin festen Fuß gefaßt, sagte Molé, der sich die ganze Reise über schweigsam verhalten, zu Robert: »Wir werden jetzt an unser Geschäft gehen.«

»Ich bin bereit.«

»Sie kennen unsere Instructionen. Unbedingter Gehorsam für das, was ich Ihnen vorschreibe.«

Robert seufzte. Molé bemerkte es und setzte in einem Tone, der mild klingen sollte, hinzu: »Da wir Beide nur einem und demselben Ziele zustreben, so wird das, was ich Ihnen zuweise, eben das sein, was Sie sich selbst auferlegen. Indeß werden wir nicht ewig zusammen gefesselt sein. Es wird ein Zeitpunkt eintreten, vielleicht bald, wo ich Ihnen nichts mehr zu sagen haben werde, und wo unsere Wege – wenn es Ihnen so beliebt – völlig auseinander gehen.«

Robert wollte sagen, daß ihm dies gewiß so belieben würde – allein er war vorsichtig, er schwieg.

Molé nahm einen Streifen Papier zur Hand und sagte: »Hier steht ein Name – Herr Neuwardt – Gutsbesitzer – reicher Privatmann – den suchen Sie auf. Machen Sie, daß man Sie in's Haus aufnimmt, wo möglich, daß Sie darin intim werden. Es ist eine hübsche Tochter daselbst. Melden Sie [186] mir dann, wie Sie das Haus gefunden, welche Personen Sie daselbst aus- und eingehend finden, welche politische Ansichten diese Personen äußern. Es versteht sich, daß ich weiter keinen Gebrauch von diesen Mittheilungen machen werde, sie bleiben unter uns; Sie brauchen also nicht zu fürchten, eine Indiscretion zu begehen. Es kann sein, daß Sie mich selbst eines Tags in diesem Hause finden, dann haben Sie die Güte, mich nicht zu kennen.«

Mit diesen Worten hatte Molé seinen Oberrock umgelegt, um einen Gang zu machen. Er nahm aus seiner Brieftasche zwei Schreiben. »Dies ist das Empfehlungsschreiben an Herrn Neuwardt, das Sie abgeben, das andere ein Creditif an einen Banquier, dessen Sie sich bedienen mögen, wenn Sie mich nicht finden und Geld nöthig haben.«

Robert nahm die Briefe, legte sie neben sich auf den Tisch, und Molé ging. Das Gasthaus, in welchem unsere Reisenden abgestiegen, lag nicht in der Reihe eleganter und renommirter Hotels, die »unter den Linden« befindlich sind, es war ein ziemlich unscheinbares Gebäude, das mit nur sechs Fenstern Front machte gegen eine zwar breite, aber etwas einsame Straße.

Robert hatte Kopfweh – es war ein Geist des [187] Trübsinns, der Niedergeschlagenheit über ihn gekommen. Er glaubte zu fühlen, daß eine schwere Luft auf ihm laste, die das Athemholen ihm zur Pein machte. Er öffnete das Fenster, und sein Blick fiel auf einen Mann, der jenseits der Straße auf dem Trottoir stand und auf das Haus mit beobachtenden Blicken schaute. Es war ein kleiner Mann mit einem krausen, schwarzen Bart, und in einem ärmlichen Rocke. Als er sich erspäht sah, ging er einige Schritte eilig weiter und verschwand um die Ecke. Robert bemerkte jetzt, daß eines der rothseidenen Taschentücher Molé's aus dem Fenster heraushing; er vermuthete, daß der Wind es erfaßt, fand jedoch, daß es um einen Nagel der Fenstereinfassung herumgeschlungen und festgeknotet war.

Es schlug die Mittagstunde; er begab sich zur Wirthstafel hinunter. Der Tisch war wenig besucht; nur ein Herr von gutem Ansehen saß da, und während er aß, überlief sein Auge die Berichte der Zeitung, die gerade voll der wichtigsten Nachrichten war. Robert grüßte und der Herr dankte. Während der Teller mit Suppe für Robert gebracht wurde, hatte der Zeitungsleser eben einen sehr aufregenden Artikel beendet, und sagte, indem er seine Brille abnahm und zu der Dose griff: »Das ist zum Tollwerden! Alles [188] wieder drunter und drüber! Und wieder der alte Spaß mit der Republik. O, man möchte den Verstand verlieren wegen dieser Dinge.«

Robert verstand das Deutsche und hatte dabei sich längst die Gelegenheit gewünscht, es täglich und stündlich zu sprechen; »denn,« sagte er zu sich mit Stolz, »da ich ein Deutscher bin, wäre es schimpflich, noch ein Wort französisch zu sagen, wenn ich die Erlaubniß und Gelegenheit habe, es deutsch zu sagen.« Er sagte daher jetzt dem Herrn, daß er dies Alles, was in der Zeitung stände, gar nicht zum Tollwerden fände, daß es im Gegentheil ein ganz himmlisches Glück sei für das alte Europa. Denn nun gehe einmal die Sonne auf, und es werde Tag für die Völker.

»Ah!« sagte der Herr, und nahm eine Prise.

Robert dachte, er würde mehr als »ah« sagen, aber es gefiel ihm nicht, mehr zu sagen. Erst als Robert bereits beim Gemüseteller war, fand sich der Herr mit der Zeitung bewogen, seinem früheren Anlauf noch etwas beizufügen, und er sagte: »Aber es wird sich nicht halten; ich meine das mit der Republik!«

»O mein Herr! das wird sich halten! sicherlich wird sich das halten; es ist gar nicht anders möglich, [189] als daß sich's hält! Die Völker müssen von ihrer Vormundschaft befreit werden, die Fürsten müssen fort! Allgemeine Vertheilung der Güter und der Genüsse auf dieser schönen Erde.«

Der Herr richtete seine großen, ernsten, treuen Augen mit einem ganz leichten, aber ihn gar hübsch kleidenden Ausdruck von Schalkheit und Spott auf den Jüngling. Er antwortete aber dabei nichts; er schien kein Freund von vielem Sprechen zu sein, was seine eigene Person betraf, aber Andere zum Sprechen aufzufordern, das schien seine Sache zu sein. So machte er es denn auch mit Robert, der ihm zu gefallen schien. Da die Beiden übrigens allein bei Tische blieben, und da der Zeitungsleser viel Zeit übrig zu haben schien, so fand Robert Gelegenheit, recht viel und recht lange über sein »System,« wie er es nannte, zu sprechen. Es war lauter Glück und goldene Zukunft, die er verhieß.

Er hatte so lange gesprochen, daß ihn seine Kopfschmerzen gänzlich verlassen hatten, und daß er dabei gar nicht bemerkt hatte, wie drei Flaschen Wein ihren Inhalt zwischen ihm und dem Zeitungsleser getheilt hatten. Zuletzt wußte der Herr Alles von ihm und seinen Aussichten und Hoffnungen. Es gab kein offenherzigeres Gemüth, als das unseres jungen Freundes.

[190] »Wenn Sie eben aus Paris gekommen sind,« hob der Zeitungsleser an, gleichsam um nun einmal von etwas Anderem als von dem ungeheuren Glück zu sprechen, das Robert in Aussicht stellte, »so wird Ihnen daran gelegen sein, hier in Berlin einige Bekanntschaft zu machen.«

»Mein Herr, Sie haben das Richtige getroffen. Daran ist mir allerdings gelegen.«

»Dann werde ich das Meinige dazu thun, daß Sie Ihren Zweck erreichen.«

»Aeußerst gütig.«

Man stand auf. Der Herr hatte wieder seine lieben, treuen Augen und sah damit auf Robert hin und endlich brachte er seine Hand der Schulter des jungen Mannes nahe und ließ sie leise darauf hingleiten. Es lag etwas so feines, so elegantes – man möchte sagen: schüchtern-zärtliches in diesem Gast, daß Robert mit glänzenden Blicken ihn wieder ansah und nun horchte, was der Mann wohl sagen würde. Aber er sagte wieder nichts.

»Ich habe oben einen Empfehlungsbrief« – begann Robert.

»Hm – an wen?«

»An – ja da muß ich nachsehen.« Er war in ein paar Sprüngen die Treppe hinauf und dann [191] mit dem Briefe wieder da. Der Herr sah sich die Adresse durch die Brille an, gab dann den Brief lächelnd wieder und sagte: »das ist an mich.«

»Ei, mein Herr! Also Sie sind der Gutsbesitzer Herr Neuwardt?«

»Zu dienen.«

»Wollen Sie denn nicht lesen, was in dem Brief steht?«

»Nicht nöthig. Wir haben uns ja kennen gelernt und Sie sind mir durch sich selbst empfohlen.«

Diese Rede war gar nicht so gesagt, als solle sie eine artige Höflichkeit sein, die Worte wurden unbeschreiblich schlicht und einfach vorgebracht, aber das machte, daß Robert ihnen gradezu glaubte.

»Nun, kommen Sie,« sagte Neuwardt, »lassen Sie uns gehen.«

»Wohin? mein Herr.«

»Nun, in die Oper. Ich gebe Ihnen den Platz neben mir, da meine Tochter unwohl ist und zu Hause bleibt. Nachher gehen wir und Sie speisen bei mir.« Robert ging mit dem Herrn, dem er freundlich dankte, nachdem er oben seine Effecten sorgsam verschlossen und dem Portier aufgetragen hatte, Herrn Molé zu sagen, wo er wäre, wenn Jener ihn suchen sollte.

[192] Der Leser wird sich erinnern, daß er die Bekanntschaft mit Herrn Neuwardt bereits gemacht und daß er damals neben Louise von Rechow an der Tafel des Geheimen-Finanzraths sich befand. –

Nach einem ziemlich langen Gang durch einige der Hauptstraßen, deren schöne Gebäude dem Ankömmling gezeigt und genannt wurden, saßen Robert und sein Gastfreund ruhig auf den schönen Polsterstühlen des Berliner Opernhauses. Wenn der junge Mann nicht so aufmerksam dem Spiel auf der Bühne gefolgt wäre, so hätte er bemerken können wie die Blicke seines Nachbars bleibend auf seinen Zügen ruhten, und wie in diesen Blicken etwas Befriedigendes für die Eitelkeit eines Jünglings liegen mußte, der sich so zum Gegenstand der Theilnahme eines würdigen und viel älteren Mannes gemacht sah. Aber Robert sah ein deutsches Schauspiel und schwärmte. –

Nach dem Theater befand man sich bald in der reichen, schönen Wohnung Herrn Neuwardt's, die er als Absteigequartier in der Stadt besaß, während er gewöhnlich auf seinem Landgute wohnte, das er sich wie einen Feenpalast eingerichtet hatte. Allein da Herr Neuwardt ein großer Politiker war, so hatte ihn diese seine Leidenschaft in die Stadt gebracht, wo [193] ihn seine Freunde umgaben, und er immer etwas Neues hörte. Auch heute war das Zimmer voll Herren, die gekommen waren, um leidenschaftlich mit dem Hausherrn über die Dinge zu sprechen, welche jetzt in Aller Munde waren. Man lief Nachts in die Häuser seiner Bekannten, weckte sie auf, und schrie ihnen ins Ohr: »Louis Philipp ist verjagt.«

Wenige Tage später lief man wieder in die Häuser, weckte wieder seine Freunde auf, und schrie ihnen in's Ohr: »Metternich ist gestürzt!«

Es war dies eine Zeit, wo es für die schlimm war, die es liebten, bei geschlossenen Thüren ruhig zu schlafen.

Wenn Robert von der Reise und dem kleinen Gelage beim Mittagsmahle, dann von der Hitze im Opernhause nicht so sehr ermüdet gewesen wäre, so hätte er ohne Zweifel den Unterredungen im Zimmer des Herrn Neuwardt einige Aufmerksamkeit geschenkt, so aber hörte er es um sich her summen, und sah es abenteuerlich durch einander wogen, und er selbst saß in einem Winkel, das Haupt auf die Brust gebeugt, und den Blick starr auf eine Blume des Teppichs zu seinen Füßen geheftet. Plötzlich war es ihm, als wenn schon lange Zeit Jemand zu ihm spräche. Er richtete den Kopf auf und sah eine [194] junge blonde Dame, von großer Schönheit, die sich mit lächelnder Miene zu ihm herabbeugte. Er sprang auf und sah jetzt, wie ein Theil der Gäste sich aufmerksam zu ihm wandte. Hab' ich vielleicht etwas gesagt, was diese Leute beleidigt, dachte er bei sich selbst; allein er besann sich, daß er eben nur geträumt hatte. Die junge Dame fragte ihn Mehreres über Paris und neben ihr stand ein Herr, der einen großen röthlichen Bart hatte, und tiefsinnig nickte zu jedem Worte, das Robert aussprach.

»Ja, die Freiheit bricht an!« rief der Herr endlich. »Es ist nicht zu zweifeln. Auch wir werden sie haben! Auch zu uns kommt sie!« Er kam auf Robert zu, erfaßte dessen Hand und rief:

»Sie sind Republikaner mit Herz und Sinn! Lassen Sie uns Freundschaft schließen. Ich bin der Literat Weld!«

Die junge Dame blickte mit einem freudigen Lächeln hin, wie die beiden Männer sich begrüßten. Drei Herren, von denen zwei große, gebogene israelitische Nasen hatten, traten ebenfalls heran, nannten Robert ihren Freund, und die junge Dame lächelte auch hier sehr befriedigt. Von seinen neuen Freunden begleitet ging Robert heim. Er schlief weit bis in den Morgen hinein. Als er erwachte stand einer der [195] Herren mit der großen israelitischen Nase vor seinem Bette; er kam, um ihn zu einem Spaziergang abzuholen.

Sie gingen in den Thiergarten. Der Morgen hatte sich noch nicht so sehr dem Mittag genähert, um bereits seine Frische völlig eingebüßt zu haben. Robert wäre so gern allein gewesen, er hätte diese schattigen Baumgänge so gern in Einsamkeit durchstreift, um seine Gedanken zu ordnen, die neuen Eindrücke von gestern an den ihnen gehörigen Ort zu stellen – denn er war an strenge Ordnung, äußerlich und innerlich, gewöhnt – allein die große Nase verließ ihn nicht. Es war ein feiner, magerer, zierlicher Herr, mit einem falschen Diamanten als Vorstecknadel, und er geberdete sich als ein maßloser Anhänger des Communismus. Robert verstand wohl, daß das, was Jener sagte, sehr klug und sehr fein und scharf ausgedacht war, allein es gefiel ihm nicht, trotzdem, daß es fast so klang, als höre er seine eigene Meinung. Es war neben der Klugheit zugleich so boshaft, und zwar so unnütz boshaft. Das System hatte allerlei kleine Winkelchen und Höhlchen bekommen, Steine, die in den Weg geschoben wurden, Fallthüren, die plötzlich sich aufthaten – Spielereien mit kleinen Grausamkeiten, die sich nachher als ganz [196] zwecklos erwiesen – kurz alles Andere war in diesem Systeme der allgemeinen Gleichmachung und Verbrüderung – nur nicht die Ehrlichkeit, und die gerade war es, die Robert nicht vermissen wollte.

Die große Nase hatte sich erschöpft und endete, indem sie mit einem Seufzer hinzufügte: »Das alles sind aber bis jetzt immer nur Bücher! Wir wollen Thaten! wie unser Freund Weld sagt.«

»Weld? Wer ist das?« fragte Robert.

»Mein Gott, Sie haben ja gestern mit ihm einen Freundschaftsbund geschlossen!«

»O das ist wahr; ich bitte um Entschuldigung.« Robert fand, daß diese Herren etwas zudringlich waren. Er sehnte sich, in die Gesellschaft Herrn Neuwardt's zu kommen, der ihm ungleich mehr zusagte, als alle Freunde und Besucher des Hauses.

Wir wollen unsererseits die Bestandtheile etwas näher auseinandersetzen, besonders aus dem Grunde, weil aus dieser und ähnlichen Vergesellschaftungen theils befähigter, theils nur leidenschaftlich aufgeregter Männer die Elemente hervorgingen, die am 18. März sich geltend machten und den Strudel erzeugten, der das Staatsschiff bald nach dieser, bald nach jener Richtung schleuderte.

Was Herrn Neuwardt selbst betrifft, so haben [197] wir ihn den Lesern bereits vorgeführt, was sein Aeußeres anbelangt; jedoch wir haben noch nicht gesagt, wie sein Charakter und seine Gesinnung waren und durch welche Schicksale beide die jetzige Färbung angenommen hatten. Von Grund aus war dieser Mann von sanften Sitten und einem gefälligen, obwohl zögernden Auftreten, eine edle Natur; seine Freunde hatten alles Mögliche gethan, diese Natur zu verderben, allein sie hatten nichts ausrichten können, als daß sie eine Anlage zur Bitterkeit und eine Hinneigung zu Stolz und Eigenwillen verstärkten, die ursprünglich dieser festen Seele anhaftete. Herr Neuwardt hatte während eines sehr bewegten Lebens – er stand jetzt am Ausgang der Funfziger, was man ihm jedoch nicht ansah – die Mängel und Gebrechen der Regierung, wie sie bis jetzt bestand, kennen gelernt. Seine gutsherrlichen und bäuerlichen Verhältnisse hatten ihn einen Blick in die Sphäre der Administration thun lassen, die es mit den Grundbesitzenden und den Beamten jener Classe zu thun hatte; er war zugleich dem Schulwesen und dem Verhältniß der niederen Geistlichkeit nahe getreten – überall hatte er die beklagenswerthesten Mißbräuche entdeckt. Eine lähmende Despotie, die unmittelbar von einem allmächtigen Minister ausging, gegen den alle Angriffe [198] und Reclamationen nichts fruchteten, brachte den Staat um die Früchte seiner Entwickelung und hielt die edlen Kräfte fern, während sie Heuchler und Unwürdige begünstigte und in gut dotirte Stellen setzte. Herr Neuwardt war ein Mann von klarem Verstand, hellem Urtheil und dabei von einem warmen Herzen; er sah, seufzte und dachte daran – wie so Viele der Besseren mit ihm – zu helfen. Er sah das Heil in der Constitution, die der König versprochen und zu deren Realisirung in dem letzten Jahre ein großer Schritt gemacht worden war durch die Einberufung des ersten preußischen Landtags. Die Patrioten von Herrn Neuwardt's Gesinnung waren auf das freudigste durch diese Thatsachen berührt; sie gaben sich den schönsten Hoffnungen hin. Allein die Stände verließen wieder die Residenz, der Landtag endete, und ihm unmittelbar folgte wieder eine mehr als je dumpfe und entmuthigte Stimmung. Es hieß, daß die Erfüllung des Versprechens einer Constitution, wie das Land sie wünschte und zu erwarten berechtigt war, wiederum auf lange Jahre hinaus verschoben sei. Es hieß, daß der König auf seinem Wege vorwärts auf unüberwindliche Schwierigkeiten gestoßen sei. Welch einen Schmerz diese gescheiterten Hoffnungen in die Seele des edlen Neuwardt gossen, [199] läßt sich ermessen. Um diese Zeit war es, wo er anfing den Umgang jener Unzufriedenen zu suchen, die auf jede Weise eine Aenderung der Zustände herbeizuführen trachteten. Es waren dies Männer der verschiedenartigsten Stellung, was ihre moralische, so wie was ihre sociale Existenz betraf. Es waren Männer der Industrie, Fabrikbesitzer, junge Professoren, Aerzte, und vor allem war es eine Classe Literaten, die schon Jahre vorher in geheimen Clubs die Lehren vortrugen und besprachen, welche von Paris her angeregt wurden. Bei dem Zwang der Censur gaben diese Literaten nur wenige Schriften heraus, sie beschränkten sich darauf, in ihren Zusammenkünften durch das Wort zu wirken, und anfangs vorsichtig und spärlich, später immer öfter ließen sie Zeitungsartikel auftauchen, die gemacht waren, die Unzufriedenheit zu nähren, und den immer lauter werdenden Groll über die unverbesserlichen Zustände zu verbreiten. Je mehr man sie verfolgte, um desto bissiger und verzweifelter wurden diese Angriffe. Die offene und freie Natur Neuwardt's würde es unter anderen Umständen verschmäht haben, sich diesen Literaten zu nähern; aber jetzt – da er jede Hoffnung schwinden sah, auf seine Weise zu wirken – lag es nahe, hinzusehen, wie Andere sich Wirkung ver [200]sprachen. Man nahm ihn auf in den Club, aber man zeigte ihm nicht das Allerheiligste. Ein Vorhang zog sich vor, wenn er den Blick auf einen dunkeln, schwarzen, durcheinander arbeitenden Knäuel richten wollte, der sich in der Tiefe dieses Tempels bewegte, und bald diese, bald jene Gestalt annahm. Was er offen sah, genügte ihm nicht. Es waren Männer, zum Theil noch sehr junge und unerfahrene, die mit Theorieen auftraten, nach dem französischen Muster gearbeitet; Neuwardt wußte als praktische Natur, daß damit nichts anzufangen sei; andere entflammtere Naturen ergingen sich in Schmähungen gegen den König und die Minister – auch damit war der Sache nicht gedient; Herr Neuwardt war nahe daran, den Club wieder aufzugeben und sich aus diesen Kreisen, die er aufgesucht, zurückzuziehen, als ein Mann seine Aufmerksamkeit an sich zog, der ihm mehr wie alle anderen eine Zukunft zu haben schien. Dieser Mann war der Literat Weld. Er war wenig über dreißig Jahr alt, sein Wesen hatte etwas Entschlossenes und Festes, sein Auge, obgleich kein reiner Spiegel der Seele, hatte Ausdruck und Leben und wirkte auf die Umgebung. Das kleine Blatt, das dieser Doctor Weld herausgab, war ein so heftiges Oppositionsblatt, wie es unter den herr [201]schenden Censurverhältnissen nur sein konnte. Schon ein paar mal hatte es eingehen müssen, aber immer wieder war es durch die Patrioten, die darin so manches kräftige und heilsame Wort fanden, ins Leben gerufen worden. Hatte irgend Jemand Wirkung auf die Massen – dies fühlte Herr Neuwardt deutlich – so war es dieser Literat. Sein Organ war voller Stärke, seine Ausdrücke immer bezeichnend und für den Sinn der Menge plastisch und derb. Unmöglich war es, ihn mißzuverstehen, selbst wenn er seine Sätze in Ironie hüllte. Neuwardt hörte ihn vor einer ziemlich großen Zuhörerschaft sprechen und sogleich war sein Urtheil über ihn gefällt. Er zog ihn in seine Gesellschaft, er lieh und schenkte ihm große Summen, er war ihm in jeder Weise förderlich, die Oppositionszwecke zu erfüllen. Herr Weld war täglicher Besucher im Hause Neuwardt's – er kam auf's Landgut, wenn es ihm gefiel, er brachte Freunde mit, so viel und welche er immer wollte. Die stets bedürftigen und hungrigen Literaten des Clubs, deren es eine große Anzahl gab, fanden dieses Freundschaftsbündniß des Ersten und Hervorragendsten unter ihnen mit dem reichen Eigenthümer sehr gelegen. Es wurde herumgezogen, geschwärmt, gezecht, und nebenbei neue Journale gegründet, alte [202] mit Aufsätzen versorgt. In der Regel wurde jetzt wenig gearbeitet. Nebenbei knüpfte sich ein Liebesverhältniß der Tochter Neuwardt's mit Herrn Weld an, das im Laufe des Winters zu einem Verlöbniß gedieh.

Dieselben Eigenschaften, die Neuwardt bestochen, machten auch daß Robert sich zu Weld hingezogen fühlte. Er hörte ihn begeistert sprechen über die Rechte des Volkes, über die schmachvolle Unterdrückung, die auf demselben laste, er hörte ihn den Egoismus der Fürsten, die stolze gefühllose Despotie, zu der sie alle, auch die Bessern unter ihnen neigten, schildern, die Habgier der Beamten und die stolze Gleichgültigkeit des Adels, – und er sagte zu sich selbst: »das ist's, was auch du oft mit Schmerz gefühlt und ausgesprochen.« Er brachte dann seinerseits die schwärmerischen und glühenden Ergüsse seines Eifers für die Lehren, die er empfangen, zu Tage, und da geschah es denn oft, daß Weld auf ihn zukam, ihn umarmte, und daß dies von Allen als ein Zeichen besonderer Werthhaltung angesehen werden müsse, weil der Literat gewöhnlich voll des strengsten und tiefsten Ernstes sei, und den Grundsatz habe, sich von seinem Gefühl nie hinreißen zu lassen.

[203] So war die Lage des Hauses beschaffen, als die Revolution in Wien ausbrach.

Wir müssen jetzt wieder zu dem lebendigen Gange unserer Erzählung zurückkehren.

Einen jeden Tag dieser denkwürdigen Zeit werden wir einzeln vorführen.


[204]


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