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9.
Die Bürgerwehrwache.


»Gestürzt sind die Soldaten,
Der edle Bürger wacht –
Ihm hat der König übergeben
Die Stadt bei Tag und Nacht!«

Dieses Lied wurde von einem kleinen baarfüßigen Jungen gesungen, der nahe bei dem imposanten Wachhause der Königswache seinen kleinen ambulanten Kram von Liedern und Flugblättern feil hielt.

Das Wachgebäude, von Schinkel in dem edelsten Styl der griechischen Gebäude zu ähnlichen Zwecken erbaut, zeigte seine Säulencolonnaden im hellen Licht des Mittags und die prachtvollen Marmorstandbilder der Helden Gneisenau und Scharnhorst wiesen ihre imponirenden Gestalten gerade so unverrückt, als hätte sich nichts verändert im Umkreise des glänzenden Opernhausplatzes. Hier war noch das Berlin des [105] Jahres 1847 zu sehen, die prächtige Hauptstadt eines kunstliebenden Königs, die Stätte soldatesken Ruhmes und aristokratischer Pracht. Unverändert stand das Opernhaus da mit seinem Apoll und seinen neun Musen und seinen tragischen Dichtern, unverändert hoben sich die Roccoco-Giebel und Spitzen des Palastes der Prinzessin Amalie, der Schwester Friedrichs – dieses Palastes, der jetzt zur Bibliothek umgeschaffen, unverändert sah man die grandiose Fronte des Zeughauses prangen, des Meisterwerkes des Architecten Schlüter, der sich darin verewigte. Die röthlichen Mauern dieses stolzen Gebäudes schienen das schmähliche Attentat vor wenigen Wochen zurück vergessen zu haben. Sie prangten wieder so siegreich und ruhig wie vorher; nur das Herz des echten Preußen klopfte unwillig, wenn er an den kolossalen steinernen Göttinnen vorbeiging, die den Frevel mit angeschaut. Dieser herrliche Platz war so glänzend und schön wie früher. Der Palast, in dem der stolzeste Fürstensohn und die schönste Frau Preußens wohnen, er hatte die Stürme an sich vorbeitoben sehen und stand jetzt so ruhig glänzend wieder da, wie früher. Aber auch an seiner Mauer ging der echte Patriot nur mit unwilligem Gefühl vorüber. Auch hier gab es Dinge zu vergessen und [106] zu vergeben, die der Nation schwer fielen zu vergessen und zu vergeben, wenn sie bedachte, daß sie es gegen irregeleitete Massen aus ihrer eigenen Mitte thun sollte. Aber der prächtige Platz zeigte sich jetzt im Licht der Mittagssonne so ruhig und so glänzend wie früher.

Nur vor der Wache herrschte ein ungeregeltes, unruhiges und ungehöriges Treiben, und diese Wache war gerade geschaffen, um Ruhe, Sicherheit, militärische Eleganz und den Prunk der Soldateska einer großen Residenz zu zeigen, und sie zeigte wild durcheinander laufende Männer, hier und da Frauen und Kinder. Es zog eben die Ablösung heran, und die Stimme des Ablösenden ließ sich hören. Es war eine ältliche, pfeifende Stimme, die durch einen wilden Husten unterbrochen wurde. Der Mann war nicht gewohnt, einen so langen und anhaltenden Schrei zu thun.

Der Zugführer kam heraus. »Was ist das?« sagte er zu seinem Begleiter, »es sollen fünfundzwanzig Mann kommen, und es kommen nur zwanzig?«

Der Begleiter zuckte die Achseln. Die Mannschaft rückte heran, machte ein kleines militärisches Manöver und stellte sich auf. Herr Sigribi nahm seinen Platz als Wachposten unterm Gewehr ein. Er rich [107]tete sogleich seine Blicke nach den Linden hin, von welcher Seite her er Jemand erwartete.

Der Sergeant näherte sich dem Zugführer und rief, einen kleinen Mann vorstellend, der sehr glänzende Augen und ein lebhaft geröthetes Gesicht hatte: »Herr Lieutenant, hier ist Herr Patzke, der Ihnen was zu sagen hat.«

»Sehr erfreut, Herr Patzke, Sie zu sehen, allein Sie sollten ja gar nicht kommen. Zum Guckuck wozu sind Sie denn schon wieder da?«

»Ich trete für Herrn Wildmeyer ein. Er läßt sich entschuldigen. Die Weinstube ist so voll Gäste, daß es ihm unmöglich fiel zu kommen. Statt seiner werden eine Flasche Champagner und drei Flaschen Rothwein Wache stehen.«

Die Umgebung des Lieutenants lachte laut, aber er selbst sagte sehr ernsthaft zum Sergeanten: »Wenn das mit den Ersatzmännern einreißt, so werden wir erleben, geben Sie Acht Simpel, daß wir, wenn der König hier vorbeigeht, lauter kleine, alte, schiefe Leute ihm zu zeigen haben werden. Da mag denn ein Andrer Lieutenant und Zugführer sein. Ich sage Ihnen, Simpel, es wird mit jedem Tage erbärmlicher. Die schönen, großen, gut genährten und vermögenden Leute sagen sich los, haben niemals Zeit, und auf die Wache zieht allerlei kleines Krimskrams.«

[108] »Nicht so laut, Herr Lieutenant,« bemerkte der Sergeant.

»Aber ich habe gedient!« flüsterte der Zurechtgewiesene. »Ich weiß was ein Soldat soll! ich kann das nicht so ruhig mit ansehen. Fragen Sie doch den langen Lümmel dort, warum er Nankinghosen anhat; das soll ja auch nicht sein.«

Der Sergeant entfernte sich und kam mit der Antwort zurück: »Herr Lieutenant, der Mann läßt Ihnen sagen, das ginge Sie nichts an. Wenn er wild gemacht würde, käme er nächstens ohne Hosen.«

»Ach, schweigen Sie, Sergeant; Sie müssen nicht Alles rapportiren, was die Mannschaft scherzweise Ihnen anvertraut. Gehen Sie jetzt, und decken Sie den Frühstücktisch im Zimmer. Die Flasche Champagner bringen Sie bei Seite, hören Sie!«

»Es hat nur leider Jedermann gehört, daß sie da ist.«

»Gleichviel; ich lasse eine doppelte Portion Bier holen. Sollen wir denn diesen Stiefelputzern und Hausknechten Champagner vorsetzen? Aber der Wildmeyer soll's mir doch entgelten, ich zeige ihn beim Major an. Schon die siebente Wache, die er schwänzt!«

»Thun Sie's nicht, Herr Lobmann. Sie haben ein hübsches Wein-Conto bei ihm. Der Mann kann [109] ekelig werden und Sie zum Bezahlen auffordern. Hehehe! das ist ja eben das Gute bei unserer Bürgerwehr: man lernt sich auf der Wachstube kennen und – eine Hand wäscht die andre.«

»Es ist schon gut, gehen Sie nur, Sergeant, und decken Sie den Tisch.«

Der Lieutenant schritt stolz und sich den Bart streichend vor der Säulencolonnade auf und ab.

Dies war der Moment, wo sich Fräulein Rosa Scholz mit ihrer Begleiterin der Königswache näherte.

Der Lieutenant bemerkte sie.

Der Bürgerwehrmann unter Gewehr bemerkte sie.

Der Lieutenant rief den Sergeanten. »Sergeant, gehen Sie doch hin, da nähert sich eine Dame, die Miene macht den Wachposten anzusprechen. Machen Sie ihr begreiflich, daß dies nicht schicklich ist und bitten Sie sie einen Umweg zu nehmen. Ich will meine Wache rein erhalten von all dergleichen.«

Der Sergeant ging, wurde jedoch von dem Wehrmann unterm Gewehr angehalten, der ihn zu sich zog und ihm zurief: »Wenn Sie sich unterstehen, Platte, jener Dame etwas von Umweg nehmen zu sagen, so sind Sie die längste Zeit bei mir Commissionär gewesen. Noch heute jage ich Sie aus dem Dienst.«

»Aber der Herr Lieutenant, Herr Sigribi,« –

[110] »Grüßen Sie den Herrn Lieutenant von mir und sagen Sie ihm, daß er ein Narr ist.«

Die Dame hatte den Wachposten erreicht, es war demnach zu spät, ihr jene gutgemeinte Warnung zukommen zu lassen. Wüthend verließ der Lieutenant seinen Platz und begab sich zum Frühstück.

Und Herr Sigribi präsentirte das Gewehr vor Fräulein Rosa Scholz, die ihm lächelnd mit dem Schnupftuch winkte es zu unterlassen.

Und der Junge auf den Treppenstufen sang wieder:

»Gestürzt sind die Soldaten,
Der edle Bürger wacht,
Ihm hat der König übergeben
Die Stadt bei Tag und Nacht.«

»Recht! mein Junge, recht!« sagte Herr Sigribi, und sah sich mit einem stolzen Lächeln nach dem Sänger um, dann setzte er das flüsternde Gespräch mit Fräulein Rosa fort, unbekümmert um den Lieutenant, der sich am Fenster zeigte und Zeichen machte. »Mein Himmel!« stöhnte der Lieutenant, »wenn jetzt Seine Majestät der König vorbeikäme, oder gar einer der Prinzen, die so scharfe Augen haben. Herr Sergeant, Herr Sergeant!«

»Nun, was ist denn wieder? Die Trüffelwurst ist auf dem Tischchen am Fenster.«

[111] »Ei was, Sergeant! Es ist nicht von der Trüffelwurst die Rede. Gehen Sie zum Posten und sagen Sie: ich ließe bitten – hören Sie – ich ließe bitten, der Posten möchte sich geschwind ablösen lassen, und ich ließe ihn und die Dame bitten hierher zum Frühstück in die Offizierstube zu kommen.« Der Lieutenant, als er dies gesagt hatte, rieb sich erfreut die Hände, sehr befriedigt ein Mittel gefunden zu haben, den Sinn des unbeugsamen Herrn Sigribi mit Sanftmuth zu brechen und zugleich einen Scandal vermieden zu haben.

Der Sergeant zauderte noch. »Mein Himmel, Sergeant, so gehen Sie doch. Ich glaube dort an der Straßenecke einen weißen Federbusch auftauchen zu sehen, und eben macht Herr Sigribi Miene, der Dame die Hand zu küssen. Ein Soldat unter'm Gewehr, der einer Dame die Hand küßt!– Ich bin verloren.« –

Der Sergeant verließ den Teller mit Trüffelwurst und lief was er laufen konnte. Der Handkuß wurde glücklich noch in der Geburt erstickt.

»Ah, das lass ich mir gefallen,« bemerkte Herr Sigribi, als er die Einladung vernahm. »Herr Sergeant, haben Sie die Gefälligkeit und rufen Sie Richard Löwenherz hervor. Er soll meine Stelle ein [112]nehmen, und Sie, mein Fräulein, reichen Sie mir den Arm, wir wollen in die Offizierstube gehen, meine Cousine wird folgen.«

Der Zug setzte sich in Bewegung indeß sich Richard Löwenherz von der andern Seite, ziemlich in übler Laune zu dem abgegebenen Posten einfand. Dieser Wehrmann war ein Victualienhändler von kleinem Wuchs und schmächtigem Wesen; er hatte seinen stolzen Beinamen erhalten, weil er einst drei »fessellose Damen« am Eingang der Königsstraße muthvoll angehalten und, er ganz allein, zum Arrest gebracht hatte.

Die Offizierstube glich einestheils einem Kramladen, anderntheils dem Gastzimmer einer Schenke. Einer der Wehrmänner war mit Kattunproben angelangt und verhandelte mit einem Juden in einer Ecke des Zimmers über den Preis der Waare, für die ein Wiederkäufer gesucht wurde, in der andern Ecke bewirthete ein Weinhändler ein paar Kunden mit einer neu erhaltenen Sendung. In der Ecke am Ofen saß ein Mitglied der Nationalversammlung und ließ sich von seinem Diener, der heute mit unter der Wachmannschaft war, die Stiefel reinigen, um nicht mit staubiger Fußbekleidung in der Versammlung zu erscheinen. Inmitten dieser Gruppen war der Früh [113]stücktisch für den Lieutenant gedeckt, mit den drei Flaschen Rothwein, dem Teller mit Wurst und einigen Scheiben Schinken und Käse. Ehe die Gäste eintraten, sagte Herr Lobmann in einem äußerst verbindlichen Tone zu dem Herrn mit den Kattunproben: »Ich glaube, mein theurer Freund, Du bist heute so glücklich, gar nichts mit der Wache zu thun zu haben?«

»Ja, so glücklich bin ich,« entgegnete der Gefragte.

»Alsdann, nimm es mir nicht übel, wünschte ich wohl, daß Du anderswo Deinen Handel abschließest. Das Local ist in der That nicht dazu da, und wenn wir es genau betrachten, so fehlt es an Platz.«

»An Platz? O ja, das glaub' ich. Wenn Du gestattest, daß alle Welt hier hereinläuft und Deine Offizierstube für ein bequemes Absteigelocal hält, um hier im Vorbeigehen Geschäfte zu treiben. Was mich betrifft, ich wechsle nur ein paar Worte mit Herrn Hirsch, und falle Dir nicht beschwerlich.«

»Du fällst mir nicht beschwerlich« – brummte der Lieutenant – »aber ich wünschte, daß Du bei allen Teufeln wärst.« Der Versuch, den Weinhändler zu entfernen, schlug ebenfalls fehl; das Mitglied der Nationalversammlung rückte gleichfalls nicht vom Platze, und schien Miene zu machen, am Frühstück Theil nehmen zu wollen.

[114] Jetzt trat die Dame mit ihrem Führer herein und unterbrach durch ihre Erscheinung auf einen Augenblick das Geplauder in den beiden Ecken. Herr Lobmann machte die Honneurs und während die Männer sich kriegerisch die Hände schüttelten, ließen sich die Damen auf dem breiten und bequemen Schlafsopha nieder, der noch von den Zeiten der Gardelieutenants herrührte und von ihrem Gelde angeschafft war.

»Also das ist eine Offizierwachstube,« begann Fräulein Rosa, indem sie ihre glänzenden Augen überall hingleiten ließ, zu großer Beängstigung des Lieutenants, der hundert Dinge entdeckte, die überall anderswohin, nur nicht in eine Wachstube gehörten.

»Ja, das ist eine Offizierwachstube, und zwar die erste von Berlin, wenn wir die Schloßwache ausnehmen, die freilich nicht so elegant eingerichtet, aber noch vornehmer ist.«

»Zur Zeit, wo die frivolen Lieutenants noch diese Räume bewohnten, würde eine anständige Dame nie hierher gelangt sein,« sagte die Putzmacherin mit graziöser Kopfneigung.

Das Mitglied der Nationalversammlung hatte sich ein Stück Käse gelangt und verzehrte es auf einer Butterschnitte. Der Lieutenant warf dem Mitgliede [115] einen wüthenden Blick zu. Die Cousine des Herrn Sigribi brachte aus ihrem Strickbeutel einen kleinen Kuchen und eine Apfelsine hervor. Das Mitglied warf auch auf diese beiden Stücke seine habgierigen Blicke. Mittlerweile entstand draußen ein kleiner Auflauf. Richard Löwenherz befand sich in einem Zerwürfniß mit den Straßenjungen, die ihm höhnend nachzogen, und gegen die er nicht so glücklich kämpfte wie gegen die drei »fessellosen Damen« in der Königsstraße.

»Es ist wahr,« sagte Herr Sigribi, der die Unterhaltung am Frühstücktisch wieder aufnahm. »Wir haben die Ehre, aber auch die Mühe. Wir müssen die Errungenschaften unserer großen Revolution festhalten und doch die Uebergriffe, die das Volk sich erlaubt, fern zu halten suchen. Es ginge besser, wenn die Compagnieen unter sich einig wären, allein so will Dieser es auf diese Weise, Jener auf jene Weise eingerichtet haben.«

Der Tumult draußen wurde heftiger.

»Ei, zum Geier! Sergeant, was giebt's?«

»Herr Lieutenant, die Plutzke ist da. Sie spricht zu der Menge. Sie will ihren Mann heraushaben, den man ihr widerrechtlich vorenthält. Alles lärmt und lacht um sie her. Sehen Sie, Herr Lieutenant, [116] da steht das Weibsbild, dicht vor den Gewehren! und kein Satan bringt sie vom Platz.«

Herr Lobmann fuhr sich in die Haare. »Es ist doch um die Schockschwerenoth zu kriegen!« Er griff zu seinem Federhute, machte eine Entschuldigung seinen Gästen und eilte hinaus. Lärm, Schreien und Lachen, zwischen durch eine keifende Weiberstimme. Die einstweilige Bewohnerschaft der Offizierstube stellte sich an Thür und Fenster, um einen Theil des Schauspiels mit anzusehen.

»Wo is de Lieutenant von de Wache!« rief das Weib; – »da steht der lange Schlingel! uh! Herr Bergerwehrleitnant, geben Se mir mein Mann heraus! bitte sehr!«

»Na, was wollen Sie, Plutzke? Ihr Mann ist ja Wehrmann, steht im Dienst.«

Herr Plutzke erschien jetzt zwischen den Säulen, und gegen ihn richtete sich jetzt der Zorneifer der Dame.

»Ludewich, so wahr ein Jott im Himmel lebt, ick schäme mir, daß ick Deine Jattin bin. Wenn ick et nich genau wüßte, ick würde Dir vor jar keenen Mann nich halten. Sage mal, wovor haste die Hosen an? Haste mir nich zugeschworen, nich mehr uf die Wache zu ziehen, und nu haben se Dir [117] doch eengefangen! Also zum Exciren, wie'n oller polnischer Rekrute, daderzu biste jut jenug, und die Nacht Patrolje loofen, statz bei Deiner Jattin Dir zu bemühen, und uf die Wachstuben rumdreiben, und der Deibel weeß wat noch, Jott verzeih mir meine schwere Sünde, daderzu lääßte Dir jebrauchen, nich wahr? Aber wenn se Dir Deine – haltet Maul, wenn ick spreche! Des Exciren und des Alles is nöthig? I Du olle Nachtmütze, wozu is et denn nöthig? Verleicht zu's Parademachen! Der Berjer is für seine Sach', der Soldat is für de seinige! Ihr habt nu jenug Soldaten gespielt, det kann nu ufhören! – Ne, is't die Menschenmöglichkeit, will sich diese Flanze eenen Waffenrock machen lassen unnen Federpuschel uf'n Hut stechen! Na, Du wärst mir jrade so Eener innen Waffenrock! Ne, Ludeken, denn müßteste doch een bisken mehr Feuer innen Leibe haben, und die janze Bergerwehr müßte mehr Courage innen Leibe haben. Seht doch – wat is den verzehnten Juni geschehen? wat? habt Ihr nich das Zeughaus stürmen lassen und habt ruhig zugeschaut! Pfui! seh mir Eener, sonne Schlafmützen! das krepirt mir! Ne, sind des 24 000 Mannsleut mit Gewehre und Fahnen und Musike un orntliche Offiziere mit weiße Federpuschels und laaßen sich dergleichen gefallen! Pfui, sag' ick. Det [118] hätten die Soldaten nich gelitten! nimmermehr! nie!«

Der Auflauf und das Gelächter wurden so arg, daß der arme Herr Lobmann wie auf Kohlen stand. Es gelang nach und nach die Frau zu beruhigen, und sie erhielt die bestimmte Zusicherung, weil ihr Mann so schwächlich sei, solle er künftig von dem Dienst ganz dispensirt werden. Die Gesellschaft kehrte zum Frühstück zurück. Hier machte man die Entdeckung, daß unterdessen das Mitglied der Nationalversammlung ein Drittel von den Nahrungsmitteln und eine halbe Flasche Rothwein hatte verschwinden machen. Auf diese Weise gesättigt, hatte es sich zur Sitzung begeben. Als das Uebriggebliebene verzehrt worden war, machte Herr Sigribi seinen Damen den Vorschlag, die neuen Eisengitter am Schlosse zu besehen, ein Anerbieten, das begierig angenommen wurde. Die Cousine steckte ihren Kuchen und ihre Apfelsine wieder in den Strickbeutel und die Gesellschaft brach auf. Zum Abschied machte Herr Sigribi zu seinem Wirth die weise Bemerkung: »Herr Zugführer, denn ich kann es nicht billigen, daß Sie sich Lieutenant nennen lassen, weil dies an alte, verhaßte Verhältnisse erinnert, also Herr Zugführer, es wird angemessen sein, daß Sie ein wenig mehr Ordnung auf ihrer Wachstube einführen und nicht so alle Welt [119] darin empfangen; auch ist das willkührliche Ablösen der Mannschaften, auf deren Begehren, nicht recht am Platz. Wenn wir nicht strengere Disciplin handhaben, so geht, geben Sie Acht, das ganze Institut zu Grunde. Dies sag' ich Ihnen auf freundschaftlichem Wege.«

Herr Lobmann war wüthend. »Also Spott noch statt Dank!« rief er im kleinen Raum der Stube auf- und abrennend und die Faust gegen die Abgehenden erhebend. »Sergeant, wir wollen künftig keine Maus mehr hereinlassen. Sergeant, bringen Sie mir die Flasche Champagner.«

»Ei, Herr Lieutenant – die Flasche Champagner –«

»Nun ja – Sie wissen ja doch –«

»Die, bitte höflichst um Entschuldigung, – hab' ich selbst geleert – auf Ihr Wohlsein.«


[120]


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