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16.
Der siebzehnte März.


Wir haben von dem dunkeln, geheimnißvollen Kern des Club's der Literaten gesprochen, – jetzt trat dieser Kern hervor; zu ihm wendete sich Weld, als er den Gasthof verließ. Es waren die Männer, die sich mit unfruchtbaren Systemen, mit dem endlosen Schreiben von Journalartikeln, mit dem Verfassen von Broschüren nicht abgaben, sondern die in die kleinen Schenken und Tabagieen hinabstiegen, und dort den Bodensatz der Bevölkerung einer großen Stadt aufrührten. Ihre Bemühungen waren unablässig, ihre Ausdauer nutzte sich nicht ab, ihre Geduld war unerschöpflich. Sie hatten es mit der Brutalität und der Gemeinheit zu thun, und ihre Aufgabe war, Beide zu bewaffnen. Alle edle Elemente waren mit Absicht ausgeschlossen. Es waren wilde Bestien, und es sollte ihnen der Stachel unaufhörlich in's [216] Fleisch gebohrt werden, bis sie aufbrüllten und ihren Käficht erbeben machten. Den Stachel bohrten die Reden dieser Männer ein, die nichts mehr zu verlieren hatten, die völlig zu Grunde gerichtet waren, moralisch wie physisch, und die einen wollüstigen Kitzel darin empfanden, die Thierheit zu ihrem Schutze aufzurufen. Sie entfesselten einen Teufel, wo sie ihn fanden. Die zügellosesten Laster, die scheußlichsten Excesse in den rohesten Genüssen wechselten ab mit dieser Art Vagabunden-Politik, wie sie in den Höhlen der Pestkranken unserer Civilisation geübt wird. Der ehrliche Handwerker, der derbe, aber gutgesinnte Bauer aus den Provinzen schauderte, wenn sein Fuß zufällig einen jener Keller und Gewölbe betrat, wo dies Werk der Nacht betrieben wurde.

Das Werk war schon Monate lang mit verdoppeltem Eifer betrieben worden. Man rüstete sich. Es war der Schimmer einer Idee in diese Thierseelen gekommen; sie ahneten, daß in der Welt da draußen vor ihren verpesteten Höhlen – etwas Großes sich vorbereitete. Ein dumpfes Vorgefühl von »Kampf« bemächtigte sich ihrer, und stieg in Seelen hinab, die so verdumpft und im Qualm pestartiger Schwüle lagen, daß kein Lichtstrahl mehr zu ihnen hindurchdringen konnte. Sie schauten wild auf und fragten [217] verworren: »Was sollen wir thun?« – »Ihr sollt Eure Peiniger schlachten, Ihr sollt in ihrem Blut Euch baden!« antworteten ihnen die Literaten.

»Wer sind unsere Peiniger?«

»Die Reichen.«

»Gut! wir wollen sie schlachten, wir wollen in ihrem Blut uns baden.« Diese entsittlichte Masse war so roh und so unbehülflich zugleich, daß sie, wenn sie an's Morden dachte, nur den Begriff fassen konnte, ihre Beute mit Fäusten zu erdrücken, mit den Zähnen zu zerfleischen. Diese Bärte, die jetzt von Branntweinfluthen tropften, konnten auch von Blut tropfen. Eine andere Kriegstaktik kam ihnen nicht in den Sinn. Da erschienen die Franzosen, die Polen, diese Emissäre, die eleganten Mörder, die soldatesken Schufte, die mit dem Gewehr umzugehen wußten, die planmäßig einen Kampf einzuleiten und zu führen verstanden; diese verbündeten sich mit den Literaten und nahmen sich des Auswurfs der Bevölkerung an, und vollendeten ihre Bildung. Die Literaten ohne die Emissäre hätten nichts zu Stande gebracht, eben so wenig die Emissäre ohne die Literaten.

Doch besetzten Polen und Franzosen die Posten an den Barrikaden; diese durften nicht unfähigen [218] Händen übergeben werden. Es waren strategische Talente darunter, die würdig einer bessern Mission gewesen wären. Der Patriotismus wirkte mächtig, denn von der Anarchie in Deutschland, und besonders in Preußen, erwarteten die Polen zunächst das Gelingen ihrer Pläne, die in nichts Geringerem bestanden, als ihr Vaterland zu erneuter Selbständigkeit zu führen. Die Partei der französischen Communisten hatte in ihrem Vaterlande ihre Pläne zwar nicht ganz scheitern, aber auch nicht völlig gelingen sehen. Die Republik war nicht das, was sie erstrebten. Sie hofften näher an ihr Ziel zu gelangen, und französische Anarchisten und revolutionäre Polen gingen Hand in Hand.

Wir haben eben bemerkt, daß die Leiter und Anführer des beabsichtigten Umsturzes sich die wichtigsten Posten vorbehielten, allein sie hatten Truppen nöthig, mit denen sie manövriren, Massen, die sie dem Gewehrfeuer vorschieben konnten, und hierzu zeigte sich die brutale Schaar, die die Literaten angeworben, geeignet. Aber es waren ihrer noch zu wenige: man ging auf Werbung aus, und jetzt, da es zur Schlacht kommen sollte, war man kecker und schneller bei der Hand, Jeden, der sich irgend tauglich zeigte, anzuwerben. Hier, wo es auf's Wühlen, [219] Aufreizen, Spioniren ankam, überließen die Emissäre den Einheimischen das Spiel.

Weld urtheilte richtig, daß es mit den brutalen Massen, die man durch Branntwein erhitzen wollte, nicht allein gethan sei, daß man dafür sorgen müsse, edlere Elemente der Empörung beizugesellen. Errichtete seinen Blick suchend im Kreise umher. Er faßte den niederen Handwerkerstand in's Auge, aus ihm waren noch am meisten Rekruten zu erheben; von den älteren Individuen dieser Classe waren, während die Bevölkerung der Stadt in den letzten Jahren fast um ein Drittel sich vermehrt, Viele ohne Arbeit, Viele zu Grunde gerichtet und deshalb einer Zuflüsterung zugänglich; bei den Jüngeren half die vage und leidenschaftliche Anpreisung eines künftigen, glücklichen Zustandes der Gesellschaft. Der praktische, gesunde Sinn war bei diesen jungen Naturen noch nicht entwickelt, dafür aber desto mehr der Enthusiasmus und die Veränderungsliebe. Diesen, etwas höher hinauf, schlossen sich die Studenten an. Auf sie konnte gezählt werden: Hier waren die unfruchtbaren, unpraktischen Systeme und Tagesphilosophieen wohl angebracht, die die Literaten, die nicht gerade Bewegungsmänner waren, verbreiteten. Wir haben dem Leser einen dieser Classe vorgeführt, in dem [220] kurzen, aber bezeichnenden Gespräch, das Robert im Thiergarten mit seinem Begleiter führte. Der Club der Literaten hatte solcher Kräfte eine gehörige Anzahl; ursprünglich hatten diese noch jungen Männer sich zu einer Professur vorbereitet, oder sie hatten eine praktisch-juristische Laufbahn einschlagen wollen, später aber waren weder Professoren noch Advocaten aus ihnen geworden, sondern sie hatten – sei es nun, daß Geduld, Fleiß oder Geld mangelte – ihr Ziel nicht erreicht, und gaben sich dem müßigen Leben eines jedem beliebigen Journale, das zahlte, zur Verfügung gestellten Tagesschriftstellers hin. Die Studenten, besonders die der Philosophie und Jurisprudenz – verkehrten mit diesen Literaten am meisten, ja es bildeten sich unter den Studenten selbst geheime Clubs, ähnlich dem der Literaten. Von hier aus waren also auch edlere Elemente herbeizuziehen: auch die jungen Kaufleute lieferten ihr Terrain. Die meisten von ihnen waren gebildet, durch Reisen und selbst durch Studien aufgeklärt, und für die neuesten Systeme sogar etwas mitbringend, was den Studenten abging, die Anschauung und das theilweise praktische Erleben fremder Zustände. Es war nicht nöthig diese herbeizuziehen, sie kamen von selbst, sie träumten von Reichthümern, von einem Aufschwung des [221] Handels, von einer kühnen und glänzenden Umgestaltung des Staats, bei welcher sie natürlich am meisten zu gewinnen hofften. Einige dieser jungen Handlungsbeflissenen stellten sich in ihrem politischen Glauben als Briten dar, Andere als Nordamerikaner, wieder Andere als Belgier. Die nachgeäfften Nordamerikaner waren den Bestrebungen der Literaten am zugänglichsten. Dies waren nun schon feinere Substanzen, die man dem Gros der Masse anschließen konnte. Aber man konnte auf diese muthigen jungen Revolutionäre nicht nachhaltig rechnen, und dann war ihre Anzahl, wenn sie auch täglich und fast stündlich wuchs, je mehr es gelang, die Stimmung zu entflammen, doch nicht groß genug. Wenn es gelang, den Grundpfeiler, auf dem nicht allein die Sicherheit der Hauptstadt, sondern die gesetzliche Kraft und Würde der ganzen Monarchie ruhte, zu erschüttern; wenn man das Heer in seiner Pflicht wankend machen konnte, dann allein war ein sicherer Triumph vorauszusehen. Die Mission war aber unendlich schwierig. Durch eine durch Jahrhunderte fortschreitende Erziehung war die Jugend der Nation zu den Waffen angehalten, in ihnen geübt worden. Nicht allein der Edelmann, nein der Bauer eben so sehr, hatte sich am Glauben an die [222] unverrückbare und unwandelbare Waffenehre der Nation herangebildet. Die Armee war ein Institut, basirt auf den Volksgeist, und unmittelbar aus dem Schoos der edelsten Kraft, und des moralischen Bewußtseins der Nation hervorgegangen. Dieses Heer hatte durch einen langen Frieden an Selbstgefälligkeit, an eitler Standesehre zugenommen, es hatte angefangen, sich in strafbarem Dünkel über die anderen Classen der Bevölkerung zu erheben – wir sagen: »es hatte angefangen;« aber es fehlte noch unendlich viel, daß diese böse Frucht eines müßigen Friedens, den inneren Kern der Ehrenhaftigkeit dieses exemplarischen Heeres angetastet hätte. Dieser Kern war noch vollkommen gesund. Nur geringe Aeußerlichkeiten waren zu tadeln. Die Wühler, die ihre Aufgabe gefaßt hatten, hielten sich an diese Äußerlichkeiten, um diese kolossale, imposante Macht, die ihnen entgegen war und ewig entgegen bleiben wird, zu stürzen. Natürlich war es nur ein kleiner Stein, in eine Schleuder gelegt, allein die Schleuder konnte so richtig zielen, daß auch diese schwache und geringe Waffe ihre Wirkung nicht verfehlte. Man schmiedete eine große Anzahl Pamphlete und Traktatchen, die zum Zwecke hatte, dem Soldaten in der ihm faßlichsten Weise die Grundsätze der Disciplin lächerlich [223] oder verhaßt zu machen, ihm seinen Stand überhaupt zu verleiden, indem man ihn als unverträglich mit seinen Pflichten und Gerechtsamen als Bürger und freien Menschen darstellte.

Alle Versuche Weld's, die Soldaten der Garnison der Hauptstadt zu seinen Zwecken zu bearbeiten, waren vergeblich geblieben; es war jedoch in der Instruction, die er von Molé empfing, von Neuem die Aufforderung ausgesprochen worden, daß Alles gethan werde, um wenigstens einen Theil der Truppen wankend zu machen, und wenn's nicht gelang, sie zu Bundesgenossen zu werben, wenigstens doch zu bewirken, daß ihre Thätigkeit gelähmt werde. Den Unterhändlern Weld's, seinen Agenten und Helfershelfern war das Eindringen in die Casernen übel bekommen; sie hatten sich bei den geringen Erfolgen, die sie hier und da durch unsägliche Mühe erzielt hatten, bei diesem Geschäft gar nicht mehr betheiligen wollen. Weld entschloß sich, diese Mission selbst zu übernehmen. Er hatte dabei noch einen persönlichen Antrieb. Wie jeder preußische Unterthan, hatte auch er seine Dienstjahre leisten müssen, allein diese Zeit war eine vielfältig demüthigende für ihn gewesen. In der Garnisonstadt, in der er damals gestanden, hatte seine grobe, unsittliche Führung einigen rechtli [224]chen Bürgerfamilien lebhaften Anstoß gegeben; es hatten Vorfälle stattgefunden, die einen Makel auf das ganze Regiment hefteten, das solche Individuen unter sich duldete. Der Chef des Regiments hatte die wiederholten Klagen mit Unwillen gehört, und auf Weld's Entfernung wurde angetragen. Er war nirgends beliebt und das Offiziercorps nahm sich seiner nicht an. Ein Act offenkundiger und allgemein bekannt gewordener Feigheit, dessen sich Weld schuldig machte, vollendete seinen Sturz; er wurde mit Schimpf aus dem Corps entlassen, und sein Versuch, mit einem der Offiziere sich zu duelliren, scheiterte, indem man dem, der die Ehre verloren, keinen Ehrenkampf zugestehen wollte. Er schied aus Preußens Heer und schwur diesem Heer die glühendste Rache. Jetzt schien ihm der Moment gekommen, um auch diesem Rachegefühl Genüge zu thun.

Wir wollen ihn auf zwei dieser Gänge geleiten, die er that, um das Militär zu seinen Zwecken zu gewinnen. Der erste dieser Gänge war zu einem Unteroffiziere von einem der Garderegimenter, der andere zu einem jungen Lieutenant, der eben erst aus dem Cadettencorps entlassen worden.

Der Unteroffizier sah Weld's Erscheinen mit Freude, [225] denn er hatte von ihm vor wenig Tagen noch ein sehr willkommenes Gelddarlehn erhalten. Der Mann hatte geheirathet, hatte Familie und befand sich, da der Sold nicht weit reichte, in drückenden Verhältnissen. Dies wußte Weld, er wußte zugleich, daß der Unteroffizier Feldmann einen großen Einfluß auf seine Compagnie ausübte. Er wurde von den Soldaten geachtet und geliebt, ja bei den jüngern, eben erst zum Regiment gekommenen, vertrat er Vaterstelle.

»Ah! guten Tag, Feldmann!« rief Weld mit einer Flasche Wein in die Unteroffizierstube eintretend, wo der Genannte gerade sich allein befand.

»Herr Doctor, ich freue mich, Sie zu sehen!« Er schob mit Ehrerbietung einen Stuhl dem Gaste näher.

»Eben erst vom Dienst gekommen, Feldmann?«

»Ja, und zwar von einem recht harten. Wir müssen jetzt Tag und Nacht auf den Beinen sein. Das geht schon fünf Tage so; die armen Burschen können es kaum mehr aushalten.«

»Es wird noch schlimmer kommen!«

»Wie so, Herr Doctor?«

»Nun, das Volk wird Herr der Stadt werden und das Militär über den Haufen werfen. Wie ich [226] Euch schon neulich einmal gesagt habe, es kann nicht einen Tag länger so dauern.«

»Es ist wahr, wüthend sind wir schon.«

»Denkt daran, was ich Euch gesagt habe. Alle alte Einrichtungen gehen zu Grunde. Es kommt eine ganz neue Zeit, und ein ganz neues Regiment in Allem. Wir wollen auf die neue Zeit trinken. Gebt mal den Becher von oben her.«

»Er ist von Zinn.«

»Thut nichts zur Sache. Zwei ehrliche Männer trinken aus ihm, da ist's so gut, als wäre er von Gold. Die Schufte, die heute noch aus goldenen Pokalen trinken, werden froh sein, wenn wir ihnen morgen faules Wasser in Holzbechern vorsetzen.«

»Auf Ihr Wohlsein, Herr Doctor.«

»Ich danke, nenne mich nicht Doctor; nenne mich Lieutenant. Ich bin Lieutenant außer Dienst.«

»Nun denn, auf Ihr Wohl, Herr Lieutenant. Warum haben Sie denn den Dienst quittirt, wenn ich fragen darf?« –

»Das will ich Dir sagen: weil ich ein ehrlicher Mann bleiben wollte. Das war aber nicht möglich, wenn ich meine Ehre nicht mehr frei hatte, sondern sie dem Könige und den Knechten der Tyrannei verkaufte. Höre, Feldmann, giebt es wohl ein schänd [227]licheres Handwerk auf Erden, als das, was Du treibst, und das ich früher trieb?«

»Herr Lieutenant« –

»Höre mich an. Wir sind alle frei geboren und haben gleiche Rechte: nun kommt Einer, laß ihn heißen wie er will, der sagt: ich bin Dein Herr; und er nimmt Dich und Deine Brüder und Deine Kinder, und läßt Euch auf seinen Befehl die Söhne und Brüder anderer freier Männer todtschlagen. Ist da Sinn und Verstand darin? Du vermiethest Dich also für die paar Groschen, die man Dir giebt, zu einem Mörder und Dieb, denn auch stehlen mußt Du, wenn jener eingebildete Herr es Dir befiehlt. Hast Du mich verstanden?«

»Aber« –

»Aber – willst Du sagen – es ist mein König und Herr; ich hab' ihm Treue geschworen. Ich sage Dir aber, dieser Eid ist Dir wider Willen und Wissen abgenommen worden; Du hast nicht bedacht, und man hat's Dir auch nicht gesagt, zu was Du Dich verpflichtet, als man Dir den Eid abnahm. Tausende, wie Du, wissen es nicht und schwören in den Tag hinein. Aber das Volk, zu dem Ihr Soldaten auch gehört, ist jetzt zur Erkenntniß erwacht, und es sagt Euch, daß jener Eid ein Unsinn ist, eine Unge [228]rechtigkeit, und daß Ihr ihn nicht zu halten braucht.«

Der Unteroffizier setzte den Becher hin und sah finster vor sich hin.

»Nun trinkt doch, Feldmann.«

»Ich mag nicht, Herr Lieutenant. Der Trank schmeckt mir bitter, wie Galle. Wenn einem das Herz schwer gemacht wird, kann einem der beste Wein nicht munden.«

»Ich mache Dir das Herz nicht schwer; im Gegentheil, ich mache es Dir leicht.«

»Zum Teufel, nein, Ihr macht es mir schwer wie Blei. Glaubt Ihr, es sei eine Kleinigkeit, daß ich, wenn ich mich müde im Dienste gearbeitet habe, nun Nachts auf meinem harten Lager schlaflos mich umwälze, weil diese Dinge, die Ihr mir da sagt, mir im Kopfe herumwirbeln. Noch gestern war es so – endlich mußte ich laut vor mich hin rufen, so daß meine Jette aufwachte und erschrak: Nein! rief ich – was mein Vater, mein Großvater gethan, kann für mich keine Schande sein. Sie waren brave Soldaten, sie dienten ihrem Könige und dem Vaterlande – ei, zum Geier! ich will es auch thun! Und damit Basta. Seht, Herr Doctor, da konnte ich erst wieder einschlafen. Das Gespenst war von mir gewichen.«

[229] »Ihr seid nicht recht klug, Feldmann. Und Ihr habt es so schwer.«

»Weiß Gott, ja.«

»Und ich sage Euch, Ihr sollt Geld die Fülle haben. Glaubt mir, es giebt Leute, reiche, vermögende Leute, die gerade auf Euch ihr Augenmerk haben.«

»Auf mich?«

»Ja, wie ich sage; weil Ihr im Ruf steht, daß Eure Compagnie Euch liebt und Euch gehorcht.«

»Wahrhaftig! steh' ich in dem Ruf?« Und die Augen des ehrlichen Mannes glänzten. »Nun, wenn das ist, es ist aber auch kein Wunder. Unsere Leute sind ein guter Schlag Menschen. Es heißt, der Unteroffizier hat das schwerste Geschäft, die größte Arbeit – es ist wahr; aber gar viel kommt auf den Mann an, der seinem Posten nicht recht vorzustehen weiß, der die Leute nicht so behandelt, wie sie behandelt sein wollen. Ich nenne die jungen Soldaten meine Kinder, und Ihr solltet einmal sehen, wie sie mich freundlich anlächeln, wenn ich mit meinem Corporalgesicht angerückt komme. Sie wissen ich bin streng, aber sie wissen auch, ich meine es gut, herzlich gut. Die älteren Soldaten nenne ich Freunde – das hören sie gern. Wollt Ihr glauben, ich [230] hab' dort im Schubfach einen ganzen Packen Briefe, die mir die vom Regimente Entlassenen aus ihrer Heimath, aus den entlegensten Dörfern geschrieben haben. Es steht nichts darin in den Briefen, als daß sie meiner noch gedenken. Meine Jette will die Briefe haben, um den Kleinen ihre Schulbücherdeckel daraus zu kleben, ich geb's aber nicht weg. So manchen Abend, wenn die Cameraden um mich her plaudern, oder Karte spielen, sitze ich und lese in meinen Briefen und denke bald an diesen, bald an jenen guten Jungen, den ich nun schon lange nicht mehr um mich sehe. Manche deckt auch schon ein grüner Hügel.«

»Das ist Alles, weil Ihr ein Mann des Volkes seid, Feldmann.«

»Nein, das ist Alles, weil ich ein bischen Einsehen in meine Pflichten habe, und es Keinem ohne Noth schwer mache.«

»Wieder auf das Geld zu kommen. Deine Frau kommt nun bald mit dem sechsten Kinde in die Wochen; dabei ist sie kränklich und die Arbeit geht ihr nicht mehr von der Hand.«

»Es ist wahr.«

»Wie wäre es, wenn Du so ein dreihundert Thälerchen des Jahrs bekämst? Die Hälfte könnte [231] ich Dir auf Abschlag schon heute geben. Es erfährt's Niemand, es bleibt unter uns: Du hast das Geld. Ei, denkt mal! da könntet Ihr gleich Euren ältesten Jungen in die Lehre geben. Der Bursche läuft so müssig umher. Den zweiten kaufen wir in den Kaufmannsstand ein.«

»Ei! und die Frau sähe ihrem Schicksal freudig entgegen.« –

»Freilich! Es wäre nirgends Noth mehr.«

Die ehrlichen Züge des Mannes verfinsterten sich wieder. »Und diese Herren, die mir so freundlich Hülfe leisten wollen, wie komme ich dazu, ihr Wohlwollen mir erworben zu haben?«

»Ich hab' Dich ihnen geschildert, so wie ich Dich kenne.«

»Ah – so habe ich's Euch zu danken.« Er reichte seine Hand hin, Weld schlug ein; »Du siehst also, wie gute Freunde Du hast, und das will viel sagen in einer so schlimmen Zeit, wie die ist, in der wir leben. Aber nun mußt Du auch wissen, daß diese edlen Herren auch große Menschenfreunde sind und daß es nicht wohl von Dir gethan wäre, wenn Du sie kränktest und beleidigtest.«

»O, wie sollte ich je mich dessen unterfangen? Leute beleidigen, die mir wohlthun?«

[232] »Zum Beispiel würdest Du diese Deine Freunde, sehr empfindlich kränken, wenn Du Deine Mitbrüder berauben oder tödten wolltest.«

»Es fällt mir dies nicht ein.«

»Aber wenn es Dir befohlen wird.«

»Ihr meint, wenn es Krieg giebt?«

»Krieg, hier in den Straßen. Gieb Acht, es wird zum Kampf kommen; zu einem heftigen, blutigen Kampf. Das Volk, dessen Abgeordneter ich bin, ist fest entschlossen, nicht nachzugeben. Deine Cameraden, die Schufte und Tyrannenknechte, werden auf das Volk schießen, aber Du wirst es nicht thun, und wenn Dir der Offizier es befiehlt, so trittst Du mit der ganzen Compagnie vor und sagst laut: Wir geben nicht Feuer.«

Der Unteroffizier sah den Sprechenden mit einem durchdringenden Blick an. Dieser fuhr fort. »Die anderen Unteroffiziere, diese Nichtswürdigen, werden zu Dir kommen und sprechen: heut wird's Ernst, heut wollen wir's diesen Lumpen, diesen Unruhestiftern, diesen Vagabunden zeigen, wie wir es meinen! Da sprichst Du aber: nein, Freunde, Ihr irrt Euch, die, die Ihr Vagabunden nennt, sind Eure edlen, verkannten, gemißhandelten Brüder, und wir dürfen ihr Blut nicht vergießen. Willst Du so sprechen?«

[233] »Nein, Herr Doctor.«

»Wie, Du willst nicht? Du willst also wie die anderen Bluthunde Feuer geben auf das Volk, wenn der Offizier befiehlt.«

»Der Soldat muß Ordre pariren.«

»Aber die, die Du tödtest, sind Unschuldige!«

»Haben die zu verantworten, die mir den Befehl geben.«

»Und das willst Du Deinen Soldaten sagen?«

»Brauch's ihnen nicht zu sagen, wissen's selbst. Wir haben unsern Eid dem Könige geleistet. Will er eine Schandthat begehen, fällt sie auf sein Gewissen.«

»So denkt kein Soldat heut zu Tage mehr.«

»So ist er ein Schurke. Er trägt des Königs Rock, er ißt des Königs Brod, er hat dem König Treue gelobt, und er verräth ihn: er ist ein Schurke. Aber ein preußischer Soldat ist kein Schurke. Sie sprechen von fremdem Militär; das kann sein.«

»Aber Dein Weib, Deine Kinder!« –

»Möge die Erstere sterben, die Letzteren verhungern – sie haben dann doch wenigstens keinen ehrlosen Vater gehabt. Wenn ich meine Dienstzeit vollendet habe, so habe ich Anwartschaft auf ein, wenn auch kärgliches, doch ehrliches Brod, das mir [234] mein König giebt. Das kann ich dann in Frieden essen.«

»Aber die edlen Menschenfreunde, die Dich so gern unterstützen wollen!« –

»Mögen ihr Geld behalten.«

»Feldmann! bedenkt was Ihr thut. Bin ich nicht selbst Offizier gewesen? Würde ich Euch wohl etwas rathen, was mit der Ehre eines Soldaten sich nicht vereinen ließe?«

»Ich weiß nicht, was Ihr die Ehre eines Soldaten nennt; ich weiß sehr genau, was ich so nenne. Und jetzt erlaubt, daß ich Euren Wein auf meine Weise trinke.« –

Er stand auf und rief einige Soldaten seiner Compagnie. Der Literat erhob sich mit einer etwas bedenklichen Miene und schien auf Flucht bedacht zu sein. »Ihr werdet doch nicht« – sagte er mit einer unsicheren Stimme zu dem Manne, dessen Treue er eben wankend zu machen gesucht hatte. – Der Unteroffizier verstand ihn, mit einem gutmüthigen Lächeln sagte er: »Seid nicht bange. Es muß wohl lange her sein, daß Ihr vom Militär fort seid, daß Ihr etwas den Muth verlernt habt. Aber seid unbesorgt, ich will keine Anzeige davon machen, was Ihr mit mir habt vornehmen wollen.«

[235] Und die Stube füllte sich mit Soldaten. Der Unteroffizier trat unter sie. »Seht, Kinder!« rief er: »was es doch für gutmüthige Herren giebt! Da ist einer, der hat mir eine Flasche Wein gebracht und will, daß ich sie mit Euch auf die Gesundheit des Königs leeren soll.«

Ein lautes Hurrah antwortete: die Flasche ging von Mund zu Mund; ein Becher war nicht nöthig.

»Nun Herr! thut uns Bescheid! da Ihr auf das Wohl des Königs getrunken habt, trinkt nun auch auf unser Wohl – auf das Wohl der Soldaten, die ihre Schuldigkeit thun, und jedem Spitzbuben, der sie von ihrer Pflicht weglocken will, das Garaus machen. Versteht Ihr? Ich bitte – schlagt mir's nicht ab.«

Der Literat weigerte sich – den wilden, derben Burschen gegenüber – durchaus nicht. Er nahm lachend die Flasche und leerte den Rest. Dann verließ er die Caserne, wohin er nicht wieder zurückkehrte.

Der junge Lieutenant, eben den Glanz seiner noch ganz neuen Epaulets betrachtend, saß einsam auf der Wachstube und blätterte in einem Roman von Eugen Sue. Der junge Mann, dessen candides Gewissen noch keine Sünde drückte, las die sieben Todsünden des französischen Poeten. Von Zeit [236] zu Zeit warf er einen Blick hinaus, ob nicht eine hübsche Nähterin oder gar eine Statistin aus dem Ballet ihren Weg zufällig hier vorüber nahm. Aber die Wache war keine von den gesuchten, eleganten Wachen, sie lag ziemlich entlegen und keine von den gewünschten Spaziergängerinnen fühlte sich bewogen, in das Labyrinth der kleinen Gassen einzulenken, um der Wachstube des Lieutenants vorbeizukommen. Es war dem Einsamen sehr willkommen, daß Herr Weld eintrat. Er hatte den Literaten kennen gelernt in einer der vielen Gesellschaften, in die ein junger Mann gelangt, der die ihm noch neue Welt kennen lernen will, denn hinter den Mauern des Cadettenhauses war er bisher abgeschlossen gehalten worden. Der Nimbus, der einen Mann umgiebt, der sich mit den Wissenschaften beschäftigt, der Zeitungsaufsätze schreibt und auf dessen Urtheil in politischen Dingen gehört wird, hat für einen so unerfahrenen Jüngling noch seinen vollen trügerischen Glanz. Die eigne Urteilsfähigkeit ist zu schwach und ungeübt, um für das Urtheil, das Andere aussprechen, einen Maßstab zu haben, allein das richtige, angeborene Gefühl leitet auch hier, wie es so oft in den schwierigsten Lagen, in die ein unerfahrener, aber sittlich reiner junger Mann kommen kann, leitet. Weld [237] hatte einige Gefälligkeiten dem Offizier erzeigt, ihm Bücher und Broschüren geliehen und mit Auswahl solche, in denen die Grundsätze der militärischen Disciplin und der Soldatenehre angetastet, oder wenigstens doch einer böswilligen Prüfung unterworfen wurden. So befand sich seit einigen Tagen der Prozeß des Lieutenants Anneke Ein ehrengerichtlicher Prozeß von F. Anneke, ehemals Lieutenant in der Königl. Preuß. 7. Artillerie-Brigade. Leipzig, Otto Wigand. 1846. 79 Seiten. – Anm.d.Hrsg., eine Schrift, die es drauf ansetzt, das ganze bisherige System, wie es bei der Bildung der Militärmacht Preußens gegolten, umzuwerfen und dagegen einen communistischen, revolutionären Geist zu setzen, in den Händen des Jünglings. Ein weiter Kreis junger Offiziere hatte diese Blätter gelesen und es waren weitläufige Debatten darüber entstanden. Weld ward hinzugerufen und hatte in seinem Sinne erklärt, gedeutet und weiter ausgeführt. Nach den ersten Begrüßungen ward sogleich über diesen Gegenstand gesprochen.

»Wissen Sie, was mir in den Sinn gekommen ist,« hob der Lieutenant an, »als ich die Schrift und die anderen dahin bezüglichen, endlich bei Seite warf?«

»Nun, und was?«

»Daß ich auf der Stelle aufhören muß, Offizier zu sein, und daß ich dem Könige meinen Degen zurückgeben muß.«

[238] »O, das ist kein übles Resultat Ihres Nachdenkens. Sie zeigen dadurch, daß Sie für die neuen Ideen empfänglich sind.«

»Wer wollte das nicht sein?« rief der Jüngling begeistert. »Ich kenne nichts Herrlicheres, als immer neue, große, herrliche Gedanken in die Seele aufnehmen! Gedanken, die dazu führen, die Welt vollkommener, die Menschen zufriedener zu machen. Ich habe nur noch wenig gesehen und wenig erfahren, aber ich weiß, daß es edle Menschen in der Welt giebt, deren ganzes Leben dem einen Zwecke geweiht ist, Andere, und durch Andere sich selbst glücklich zu machen. Sie lachen und glauben nicht, daß ich's so meine; aber ich hatte eine so liebe, herrliche Mutter, sie hat mir diese Träume und Bilder ins Herz geflößt, so wie sie es auch war, die mich abgehalten hat, das lose, ausschweifende Treiben mitzumachen, in dem meine Cameraden sich gefallen.« Weld, der an keine Reinheit glaubte, sah den jungen Mann an und spottete unverhohlen. Der Jüngling erwiederte nur mit einem gutmüthigen Lächeln. »Sie werden noch einmal zu Dutzenden Frauen und Mädchen verführen, Sie schüchterner Lockenkopf!« sagte der Literat. »Ich kenne das. Auch ich war einmal so. Das giebt sich. Wissen Sie was, womit ich anfing? [239] Gleich mit den verheiratheten Weibern, denn es war mir schon damals ein Haß gegen die Ehe und den Zwang derselben eigen. Nachher hab' ich aber doch gefunden, daß es amüsanter ist, Mädchen zu verlocken, – und wissen Sie warum –

»Lassen Sie uns wieder auf die Schriften kommen,« sagte der junge Offizier.

»Nun denn! Ich habe schon gehört: Sie wollen aufhören, Offizier zu sein.«

»Wenn ich in diesem Stande nichts nutzen kann, wenn es wirklich ein so alter, veralteter, nicht allein unnützer, sondern sogar schädlicher und verächtlicher Stand ist –«

»Das ist er – wir haben ja schon so oft darüber gesprochen.«

Der junge Mann sagte nach einer Pause: »Ich habe einiges Vermögen: ich brauche nicht gerade Offizier zu sein. Eine Erbschaft ist mir vor Kurzem zugefallen. Meine Eltern würden auch nichts dagegen haben, wenn ich austrete.«

»So treten Sie aus. Schließen Sie sich den freien Männern an, die, schon überall hin verbreitet, nur auf den Moment warten, die ihnen verhaßten Ketten abzuschütteln, um nicht mehr einem Fürsten zu dienen, sondern um dem Volke zu gehören.«

[240] »Wie lieb' ich dieses Volk! Wie groß, wie achtungswerth erscheint es mir, wenn ich Sie davon sprechen höre. Das Volk – das Volk! Ich mache mir einen dunkeln, geheimnißvollen, allein sehr reizenden Begriff davon. Unwillkührlich denke ich an das herrliche Duett in der Oper ›die Stumme von Portici,‹ » La muette de Portici«, große historische Oper in fünf Akten von Daniel-François-Esprit Auber auf ein Libretto von Eugène Scribe und Germain Delavigne, 1828 uraufgeführt. – Anm.d.Hrsg. entsinnen Sie sich dessen?«

»Ja wohl,« entgegnete der Literat lächelnd.

»Und dann die Stellen in Don Carlos ›Sire, gebt Gedankenfreiheit!‹ – ›Ich kann nicht Fürstendiener sein!‹ Wie ich noch auf der Schulbank saß, hab' ich dies immer und immer wieder gelesen. Unser alter Ofenheizer im Corps mußte mir ›Philipp‹ sein, und gegen ihn gewendet, sprach ich jene Verse. Das sind freilich kindische Erinnerungen, und Sie haben Recht, daß Sie lachen, aber sie tragen doch auch das Ihrige dazu bei, daß Sie gewonnen Spiel bei mir haben, und daß ich in der That den Abschied nehmen werde.«

»Gut, ich nenne Sie meinen Freund dieses Entschlusses wegen. Aber ich will Ihnen einen Rath geben: nehmen Sie jetzt noch nicht Ihren Abschied.«

»Weshalb nicht? Sie meinen, es wäre Schade um die neuen Epaulets, und meine Cousine Emilie [241] hat mich nur erst zweimal als Offizier gesehen. Allein Alles das macht mir nichts aus.«

»Nein, nicht deshalb, sondern weil Sie unserer Sache, der Sache der edlen, freien Männer und der Sache des Volkes für's Erste noch als Offizier nützlicher sein können.«

»Sprechen Sie, in wie fern?«

»Ist Ihnen das nicht selbst einleuchtend? Wie unzählig Viele unter Ihren Cameraden kleben noch fest an dem alten System des Kamaschendienstes? An der alten verächtlichen Ordnung? Sie, als Offizier, unter Ihren Genossen lebend, können fortwährend dahin arbeiten, die Blinden und Unvernünftigen zum Heile zu führen. Und nicht allein die Offiziere – denken Sie an die Soldaten, auch die müssen tüchtig bearbeitet werden, damit sie einsehen lernen, wie unnütz und verächtlich ihr jetziger Stand ist.«

Der junge Mann sah den Sprechenden fragend an. Eine helle Röthe überzog seine noch ungebräunten Wangen. Es war ungewiß, welchem – in der Seele des Jünglings plötzlich aufsteigenden Affect dieses äußere Zeichen seinen Ursprung verdankte. Der Literat fuhr fort:

»Haben Sie überhaupt nie mit Ihren Leuten [242] namentlich mit dm Unteroffizieren über diese Dinge gesprochen?«

»Wir haben unser Reglement,« antwortete der Offizier, »dieses meinen Leuten vorzutragen und zu erklären, ist meine Pflicht.«

»Ich weiß – allein was läßt sich nicht aus den trocknen Paragraphen Alles machen!«

»Und was sollte ich denn daraus machen?«

»Mein Himmel! wie Sie fragen. Nun, Sie sollen eben die Grundsätze, zu denen Sie sich bekennen, die neuen Ideen, die wir besprochen haben, unter die Soldaten bringen.«

»Sie vergessen, daß diese Soldaten verpflichtet sind, zu dienen, daß sie nicht ihren Abschied nehmen können, wie ich es kann.«

»Meinethalben. Sie sollen auch weiter dienen; aber sie sollen heimlich uns dienen, während sie öffentlich noch dem Könige dienen. Ich will Ihnen sagen – und wir sind so vertraut, daß ich offen mit Ihnen sprechen kann – wir haben dies nöthig. Ueber kurz oder lang kommt es zum Bruch mit dem jetzigen System, und dann müssen wir darauf rechnen können, daß sie zu hellen Haufen zu uns übergehen.« –

Die Röthe des jungen Mannes wurde immer lebhafter. Er sagte mit einer eigenthümlich sanften [243] Stimme, ohne seinen Nebenmann anzusehen: »Ich verstehe – ich soll also die mir anvertraute Mannschaft von ihrer Pflicht ablocken, und dem Könige Verräther unter seinen eigenen Unterthanen, die zum Schutze für ihn und seine Räthe da sind, erziehen?«

»Wenn Sie es so nehmen wollen? Ich sehe hierin nichts Verfängliches. Sie handeln Ihrer Ueberzeugung, Ihrer Ehre gemäß.«

»Nicht doch, mein Herr. Ich handle meiner Ehre gemäß, wenn ich für meine Person austrete, wenn ich glaube, nicht länger bleiben zu dürfen, aber ich handle ehrlos, wenn ich Andere verleite, ihren Eid zu brechen. Nicht darum gab mir der König diesen Degen – nicht darum erzog er mich, da ich arm und mittellos war, auf seine Kosten. Nicht ein Wort soll über meine Lippen kommen von dem, was ich denke und fühle in jener Beziehung; und von dieser Stunde an will ich noch pünktlicher, noch genauer über meine Dienstpflichten wachen. Sie haben mir gezeigt, Herr Weld, daß es eine Linie giebt, wo, wenn sie überschritten wird, der ehrliche Junge – zu einem Schuft wird.«

Weld lachte, aber diesesmal traf ein dunkler, drohender Blitz aus den Augen des unverdorbenen jungen Mannes den Nichtswürdigen. Er sah ein, [244] daß er sein Spiel aufgeben müsse. Er lenkte ab, und brachte andere Gegenstände des Gesprächs vor, allein der Offizier antwortete einsilbig und verstimmt. Einmal in eine harmlose offene Seele den Funken des Argwohns geschleudert, und es ist auf immer aus mit dem hingebenden Vertrauen.

Weld hatte gerade auf diesen Jüngling gerechnet, denn seine Menschenkenntniß hatte ihm den Schatz von frühreifer männlicher Energie, von festem Willen und von übersprudelndem schönen Enthusiasmus in diesem Busen gezeigt. Er fand wohl Leichtfertige, Schwelger, früh Entnervte und schaale Alltagsseelen, die er zu seinem Zwecke gewinnen konnte, allein diese würden ihm wenig genützt haben. In dem Moment, wo es darauf ankam zu kämpfen, würden sie unfehlbar geschwankt haben und rasch zurückgefallen sein.

Wir haben von den Versuchen, den Geist der Armee zu revolutioniren nur diese zwei Beispiele angeführt; aber dieser Versuche waren unzählige, sie waren über die ganze Monarchie hin verbreitet, und kein Mittel wurde außer Acht gelassen, das gewünschte Resultat zu erzielen. Man muß die Institutionen, die diese Armee gründen halfen, bewundern, indem es durch sie möglich wurde, einem hartnäckigen, durch Jahrzehende hindurch gehenden Angriffe Wider [245]stand zu leisten. Dies ist ein Wink für den wahren Reformator. Wie vorsichtig muß er mit seinen Neuerungen zu Werke gehen, um dem noch vollkommen gut erhaltenen Gebäude nichts von seiner Zweckmäßigkeit zu nehmen, noch seinem ernsten grandiosen Bau irgend einen unnützen, lächerlichen Schnörkel zuzufügen.

Weld zog sich in einen versteckten Keller, ein sogenanntes Speiselocal, zurück, und empfing hier die Berichte seiner Emissäre und Beauftragten. Die Meisten derselben waren heute in die Casernen gesendet worden, ein anderer Theil zu den Arbeitern in der Umgegend der Stadt. Hier war es gelungen ganze Massen anzuwerben. Die Aussicht auf großen, nahen Gewinn lockte, und das schon jetzt reichlich dargebotene Geld wirkte belebend. Sie versprachen zu der festgesetzten Stunde zu Schaaren auf den bezeichneten Plätzen zu sein. Das Gesindel, das eigentliche Gros der Armee der Agitatoren, trieb sich lärmend, heulend, schreiend schon seit zwölf Stunden auf den Gassen und Plätzen umher, das aufgestellte Militär neckend und höhnend. Einzelne Schüsse fielen, doch wurden sie dem Commando gemäß in die Luft abgefeuert, und sollten nur dienen, die völlig zügellos werdenden Massen in Schrecken zu setzen. Die Stadt [246] war von einem Ende zum andern in Unruhe, Bewegung und Erwartung der Dinge, die kommen sollten. Eine große Anzahl Fremder, namentlich Polen, füllten die Gasthäuser geringern Ranges, die kleinen Schenken waren mit Gästen überfüllt; Berlin schien in wenig Stunden das Doppelte an Einwohnerschaft gewonnen zu haben.


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